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KAPITEL 7

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Kurz darauf auf der unteren Tanzfläche des Zoo. Basslastiger Sound durchdringt Hirn und Magen, das Stroboskoplicht durchschneidet die Dunkelheit.

Luca wippt wie ein Tanzbär hin und her und tut sich schwer, den richtigen Rhythmus zu finden. Auch ich rudere mit den Armen herum, trete unbeholfen Löcher in die Luft und schaue vergeblich nach mir bekannten Gesichtern. Dabei gab es eine Zeit, da kannte ich fast jeden hier. Nicht nur die Stammgäste, auch das Barpersonal, die Putzbrigade und natürlich das Türsteherkollektiv. Doch über die Jahre haben sich Belegschaft und Publikum stetig verändert. Mittlerweile habe ich an manchen Tagen den Eindruck, überhaupt niemanden mehr zu kennen. Entweder weil keiner meiner Bekannten da ist oder weil ich zu betrunken bin, um die wenigen, die da sind, zu erkennen.

Einen Monat später ist dann plötzlich wieder alles wie früher. Man trifft auf alte Freunde, erfährt, wer jetzt mit wem ein Kind hat und wieso und wie lange Dealer XY im Knast sitzt. Anschließend geht man zusammen auf Toilette, zieht sich gegenseitig den guten Stoff weg und kramt die alten Geschichten hervor. Am Ende gibt man sich noch mehr die Kante als sonst und tut so, als sei die Zeit stehen geblieben – clubtypischer Anachronismus eben. Und dennoch ergreift mich jedes Mal ein seltsam erhebendes Gefühl, wenn ich die heiligen Hallen des Zoo betrete. Dieser erste, stets aufwühlende Gang durch die untere Säulenhalle, das anschließende Erklimmen der Stahltreppe hinauf zur minimalistisch ausgeleuchteten Tanzfläche, wo einem der Sound der besten Berliner Musikanlage gnadenlos in die Fresse kracht. All das ist bombastisch. Ich zumindest kenne keinen anderen Club, der mit einer solch eigenen Mischung aus Düsternis und Erhabenheit überzeugt. Der mich, kaum dass ich einen Fuß hineingesetzt habe, gleich einem urzeitlichen Organismus verschlingt.

Das viele Nachdenken macht mich durstig. Ich sehe zu Luca, deute mit der Hand zur seitlich der Tanzfläche liegenden Bar hinüber und brülle: „Trinken?“

Luca nickt, dreht sich um und bahnt sich einem Bulldozer gleich den Weg durch das zappelnde Feiervolk.

Ich nutze den entstehenden Korridor und folge meinem Freund an die Bar.

„Mann, ist das eine Hitze hier“, keucht Luca, drückt mir einen Wodka-Bull in die Hand und flirtet ansatzlos zwei spanischsprechende Mädels an.

Lucas Augen fangen an zu lachen, sein Becken schwingt im Rhythmus der Musik mit. Es sieht aus, als wollte er im wahrsten Sinne des Wortes beim weiblichen Geschlecht andocken.

„Ich dachte, du stehst nicht auf Spanierinnen“, sage ich und mache einen erstaunten Gesichtsausdruck.

Luca zuckt mit den Schultern.

„Ich stehe nicht auf spanischen Fußball. Alles andere ist mir egal. Iberisch, baskisch, katalonisch, Hauptsache, die Post geht ab!“

„Aber sind das nicht alles verklemmte Katholiken?“

Luca lacht auf.

„Glaube mir, je gestörter der Kopf, desto besser der Sex!“

Ich nippe an meinem Wodka-Bull und überlasse Luca den beiden Spanierinnen. Nach fünf Minuten Gekicher und Geflüster hat Luca die Mädels klargemacht. Er sieht zu mir und deutet grinsend mit dem Kopf in Richtung des oberen Floors.

„Lass uns mal auf Toilette gehen!“

Kurze Zeit später auf den oberen Toiletten des Zoo.

Ich stehe vor dem riesigen Einheitswaschbecken. Mein Puls rast, gefühlte 180 Schläge pro Minute. Der Kopf glüht. Ich wasche mir das Gesicht mit kaltem Wasser, trockne mich mit meinem T-Shirt ab und sehe mich um. Auch hier oben hat die nächste Generation schon alle Spielfelder besetzt. Mädchen und Jungs, die gerade mit Studieren angefangen haben, drücken sich knutschend auf den Sitzelementen herum. Touristen aus aller Welt lauern vor den Toiletten auf die Runner der Clubticker oder unterhalten sich in bizarr anmutenden Dialogen über das zuletzt gehörte DJ-Set.

Ist das überhaupt noch mein Publikum? Oder bin ich, ohne es zu merken, der Clubszene entwachsen?

„Mach mal Platz, bitte!“

Ein blutjunges Mädel mit über die Maßen geschminkten Augen, die ihre leere Wasserflasche auffüllen will, sieht mich herausfordernd an. Ich trete beiseite, lehne mich an einen der Heizkörper und atme gleichmäßig ein und aus. Von der gegenüberliegenden Couch lächelt mir der Toulouser zu. Er bedeutet mir etwas Unverständliches in Zeichensprache und winkt mich freundlich zu sich. Ich stoße mich vom Heizkörper ab, umkurve ein Skinhead-Pärchen und steuere auf meinen Schwarm zu. Doch als ich an der Couch ankomme, ist sie leer. Ich sehe mich hilflos um und werde zu einem Hindernis. Hinter mir bildet sich ein Stau. Die Leute fangen an zu schieben. Sie wollen zur Tanzfläche.

Der Strom der Feiernden reißt mich hinfort. Auf Höhe der Gitterbar gelingt es mir, mich mit Hilfe einer Körpertäuschung in Richtung Raucherlounge abzusetzen.

Von hier aus führt eine nicht ganz so stark frequentierte Außentreppe zum unteren Floor hinunter. Vorsichtig nehme ich Stufe für Stufe. Mir ist plötzlich, als würde diese Treppe niemals enden wollen. Erneut klinke ich mich aus, parke auf dem Zwischenpodest und gönne mir eine weitere Auszeit. Die Leute drücken sich an mir vorbei. Einige hinterlassen seltsame Duftsäulen, als würden sie mir so heimlich ihre Visitenkarte zustecken wollen. Ich fühle mich unwohl. Noch immer bin ich zu schwach, um meinem Umfeld zu entfliehen. Ich schlage mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Das so freigesetzte Adrenalin löst meine letzten Energiereserven. Vorsichtig nehme ich die verbliebenen Stufen, passiere mit angehaltener Luft die Raucherlounge und durchschreite einen dunklen Zwischenraum. Ich biege nach rechts ab und nehme meinen Lieblingsplatz hinter der vergitterten Balustrade ein. Endlich kann ich wieder frei atmen. Von der Bühne her dröhnt ein ohrenbetäubender, glasklarer Lärm. Eine aus drei vor sich hin wackelnden Jungs bestehende Band malträtiert die Tasten ihrer Instrumente. Die langhaarigen Elektro-Punks geben einen mitreißenden Liveact zum Besten. Auch diese Jungs spielen zusammen. Sie bieten ihre Musik gemeinsam dar. Erst jetzt erfasse ich die Bemerkung des Russen in all ihrer Komplexität. Ich brauche dringend einen Unterstützer. Jemanden, der vorbehaltlos an mich und meine Visionen glaubt. Jemanden, der mir den Rücken freihält, mir zuarbeitet und sich, wenn nötig, für mich und meine Kunst opfert. Nur so würde ich es schaffen, der Welt eine epochale Klanginstallation zu schenken.

Die Massen unter mir pfeifen und grölen vor Begeisterung.

Ich breite meine Arme aus und murmle verzückt: „Bald schon werde ich euch mit meinen Bildern und Klängen verzaubern. Ihr werdet mich bedingungslos und für alle Zeit lieben. Ich werde kometengleich aufsteigen und mit meiner Kunst der Welt Frieden schenken …“

Luca tritt von hinten an mich heran. Er schaut durch die vergitterte Balustrade zur Bühne hinüber und knöpft sich den Hosenstall zu.

„Ich dachte schon, du bist gegangen. Was war denn los?“

„Noch bin ich ja da. Aber vielleicht hast du Recht, vielleicht sollte ich mal ausnahmsweise einen vorzeitigen Abgang in Erwägung ziehen“, antworte ich.

„Wie, du willst schon wieder ziehen?“, fragt Luca.

Ich schüttle den Kopf.

„Nein, Mann! Ich meinte, vielleicht sollte ich heute mal früher nach Hause gehen.“

Luca sieht mich an, als hätte ich das letzte Einhorn geschändet.

„Du willst gehen? Aber die Party hat doch gerade erst angefangen!“

Ich deute auf die Bühne, wo die Elektro-Punks abermals in ihre Instrumente dreschen.

„Na, mal sehen, was die Jungs da unten noch so anzubieten haben. Bisher war die Mucke ja ganz annehmbar.“

„Ja, aber welche Bar, die oben oder die unten?“

„Ich meinte, die Musik“, brülle ich zurück.

Luca nickt zufrieden und sagt: „Gut, dann lass uns nach unten gehen. Die eine Barfrau hat mir vorhin zugezwinkert.“

Ich gebe es auf, mich Luca gegenüber verständlich zu machen, hebe den Daumen und signalisiere meinem italienischen Freund so, dass ich seine Entscheidung, sich weiter hemmungslos zu betrinken, vorbehaltlos teile.

Affentanz

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