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KAPITEL 8

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In einem italienischen Restaurant. Ich sitze mit Frau Schulz, einer ketterauchenden Architektin aus der Steiermark, an dem für uns reservierten Tisch. Frau Schulz leidet unter einer massiven Essstörung und steht auf blutjunge Typen.

Von meinem Lammkotelett ist nichts mehr zu sehen. Auch die Bratkartoffeln habe ich verspeist. Nun widme ich mich, mit einem Stück Weißbrot bewaffnet, den Überresten meiner Soße. Frau Schulz hingegen kämpft noch immer mit der Vorspeise, einem riesigen, venezianischen Salatteller. Ungeschickt schiebt sie die frittierten Garnelen hin und her. Das Gemüse hat sie erst gar nicht angerührt.

„Natürlich gibt es noch Atelier- und Ausstellungsflächen, aber wir richten die Räume ja nur her. Als Architektin habe ich weder ein Nutzungs- noch ein Vorkaufsrecht.“

Ich nicke meiner österreichischen Freundin zu, stopfe mir das vollgetunkte Weißbrot in den Mund und lecke mir die Fingerkuppen ab. Frau Schulz wischt sich den Mund mit der Serviette sauber. Sie gönnt sich einen Schluck Rotwein, schiebt ihren Salatteller zu mir herüber und winkt elegant in Richtung Tresen. Der Kellner, ein gutaussehender Albaner Anfang zwanzig, sieht es und serviert meiner Freundin ihren zweiten Gang.

„Gefüllte Entenbrust mit Bärlauch-Risotto an Feigenquark“, raunt der albanische Adonis und lässt den Teller wie eine Frisbee-Scheibe über den Tisch schlittern.

Frau Schulz bedankt sich höflich, sieht zu mir und erklärt: „Was ich allerdings in Erfahrung bringen kann, ist, ob es derzeit ein Atelier-Programm gibt. Irgendetwas, das der Senat unterstützt. Der Vorteil bei so einem Modell sind die übersichtlichen finanziellen Belastungen.“

„Aber muss man da nicht ewig lange warten? Weil, ich bräuchte das Atelier sofort. Meinen ersten Entwurf muss ich in wenigen Wochen präsentieren. Das schaffe ich nur, wenn ich konzentriert und ohne Ablenkung arbeiten kann.“

„Nun, die Wartezeiten sind schon ordentlich, aber wenn du die Leute kennst, die die Bewerberlisten führen, ist da sicher was zu machen“, erwidert die Schulz.

„Wie gesagt, ich brauche das Atelier unmittelbar!“

Frau Schulz sieht mich skeptisch an und fragt: „Aber wie willst du dir denn ein freies Mietobjekt leisten? Hast du Geld geerbt?“

Ich mache mich über die Reste des venezianischen Salattellers her und antworte mit vollem Mund: „Du weißt doch, bei uns Ostlern gibt’s nicht viel zu erben, und das Wenige, was ich mal hätte bekommen sollen, habe ich schon lange durch den Schornstein gejagt. Aber ich habe einen Mäzen an Land gezogen, der mir finanziell unter die Arme greifen will.“

„Einen Mäzen, soso …“

Frau Schulz nickt anerkennend. Sie legt sich die Entenbrust zurecht und schneidet diese seitlich auf. Gekonnt löst sie ein Stück Fleisch aus, legt es sich auf die Zunge und kaut darauf herum. Mit angestrengtem Gesichtsausdruck würgt Frau Schulz den Bissen hinunter.

„Keine Ahnung, was das sein soll, gefüllte Ente ist es jedenfalls nicht.“

Mir wird übel. Ich taste nach meinem Glas, stürze den Wodka runter, um so Platz für die von der Schulz verschmähte Ente zu schaffen.

Gut eine halbe Stunde später. Ich kämpfe noch immer mit der Ente.

„Ich werde mal sehen, was sich da machen lässt. Aber versprechen kann ich nichts“, erklärt meine österreichische Freundin zum wiederholten Male.

Ich nicke benommen. Mein Bauch schmerzt. Der Gaumen brennt. Noch immer darf ich die ‚Reste‘ der Schulz’schen Portion vertilgen, nur damit sie nicht als mäklig rüberkommt. Widerwillig schaufelt meine Rechte Fleisch und Reis in mich hinein, während die Linke mir mit Hilfe der Speisekarte Luft zuwedelt.

„Das wäre wirklich, wirklich sehr lieb von dir“, antworte ich gequält.

Von der Bar eilt der Kellner herbei. Geistesgegenwärtig lasse ich von der Ente ab und schiebe den halbleeren Teller zu Frau Schulz rüber. Meine Freundin nimmt ihre Serviette, breitet diese über den Resten aus und lässt diese so verschwinden. Nur das Bärlauch-Risotto lugt noch unter dem Sichtschutz hervor, als wollte es gegen seine Entsorgung protestieren.

Der Albaner sieht uns mitleidig an und fragt: „War gut, aber zu viel, richtig?“

Der Trick mit der Serviette ist ihm offensichtlich bestens bekannt. Frau Schulz lächelt den jungen Mann an und entgegnet: „Ein wenig zu viel, so ist es.“

„Aber geschmeckt hat’s toll“, antworte ich und rülpse aus Versehen.

Der Albaner schüttelt den Kopf und räumt wortlos ab. Ob meine Freundin noch einen Nachtisch möchte, interessiert ihn nicht. Frau Schulz ist not amused. Sie sieht mich böse an und zischt: „Wenn du so weitermachst, werden wir hier nicht alt!“

„Wieso, das Essen war doch wunderbar, und überhaupt, der Kellner steht total auf dich, wie der dich angesehen hat. Das ist dir wohl entgangen?“

Die Schulz aber lässt sich nicht so einfach einlullen.

„Meine Güte, wie du isst, man könnte meinen, man hätte ein halbverhungertes Flüchtlingskind vor sich.“

„Ich hatte ja auch nicht vor, für zwei Personen zu essen, nur weil jemand anderes auf Kinderportionen konditioniert ist“, erwidere ich gereizt.

„Mein Magen verträgt halt nicht so viel. Das weißt du ganz genau. Ganz zu schweigen davon, dass das Risotto völlig versalzen war.“

„Kein Wunder, wenn du den Salzstreuer über dem Teller ausleerst.“

„Ach, jetzt bin ich wieder schuld, wie?“

„Das habe ich so nicht gesagt“, versuche ich die Situation zu entschärfen.

Zu spät, die Schulz verzieht verächtlich das Gesicht.

„Du bist doch bloß eifersüchtig, weil sich der junge Mann für mich interessiert.“

Ich entscheide mich, den Mund zu halten. Erneut steigt eine Druckwelle aus meinem Magen hoch. Ein halbverdautes Stück Ente legt sich in meiner Speiseröhre quer. Ich ringe nach Luft. Die Schulz aber stichelt munter weiter: „Da, schon wieder! Ein wenig mehr Manieren, wenn ich bitten dürfte!“

Mein Blutdruck steigt. Der Hals schwillt an. Der Kragen meines Hemdes droht zu platzen. Ich schlage mir mit der flachen Hand gegen die Brust und würge die Ente ein zweites Mal hinunter.

„Als hätte ich es nötig, dir diesen Schnulli auszuspannen.“

Frau Schulzens Gesicht bekommt weiße Flecken. Beleidigt fummelt sie ihr Portemonnaie hervor und legt es demonstrativ auf den Tisch.

„Das war das letzte Mal, dass ich mit dir in dieses Restaurant gegangen bin.“

„Dann sind wir uns ja einig“, antworte ich mit hochrotem Kopf. Frau Schulz hebt ihren Arm und winkt den Kellner heran. Der Albaner eilt herbei, sieht zu uns herab und glotzt. Das dicke Portemonnaie der Schulz scheint ihn zu inspirieren. Er greift sich ungefragt vom Nachbartisch die Speisekarte und offeriert Frau Schulz charmant den nächsten Gang: „Darf ’s noch ein Nachtisch sein oder ein Wein?“

Frau Schulz erblüht und kehrt die Dame raus: „Gesättigt bin ich schon, das Essen war ja reichlich. Zu einem kleinen Wein sag’ ich jedoch bestimmt nicht nein.“

Die beiden sehen sich an und flirten. Ich selbst verstehe die Welt nicht mehr. Noch eben war der Typ total verstockt. Und jetzt gräbt er die Schulz an?

Der junge Mann trabt ab. Frau Schulz sieht triumphierend zu mir herüber.

„Da hast du es, der mag mich. Ich glaub’, ich komme jetzt öfter her, allein. Apropos öfter, wolltest du dich nicht noch mit Luca treffen?“

Ich stehe wortlos auf und werfe einen Zwanni auf den Tisch. Der junge Mann indes serviert den Wein. Erneut wirft er der Schulz heiße Blicke zu.

„Der geht aufs Haus, wenn Sie die Einladung erlauben?“

Frau Schulz erstrahlt. Ich kann noch immer nicht glauben, was da gerade läuft.

„Ich bin in Lales Bar, nur falls du noch rüberkommen magst.“

„Du musst nicht auf mich warten“, antwortet die Schulz und flirtet weiter mit dem Kellner.

„Und wie kommst du nach Hause?“, frage ich. „Zur Not nehme ich den Bus“, erwidert die Schulz, ohne mich anzusehen.

Natürlich nimmt sie nicht den Bus. Wie immer fahre ich sie noch nach Hause. Was zwischen ihr und diesem Kellner-Schnulli noch gelaufen ist, verrät sie nicht. Stattdessen lässt sie sich weiter über meine nicht vorhandenen Manieren aus.

Zwei Stunden später stehe ich betrunken vor einem Hauseingang in der Samariterstraße.

Ich schaue in den hell erleuchteten dritten Stock hoch. Die Fenster in Bettys WG stehen offen, man hört Musik und Gelächter. Das Zweithandy meines Mitbewohners klingelt. Ich sehe auf das Display und versuche, die Nummer zu erkennen. Frau Schulz meldet sich. Sie hat ihr Portemonnaie verloren.

„Ich hab’ die halbe Wohnung auf den Kopf gestellt. Hast du vielleicht was in deinem Auto gefunden?“ Plötzlich kombiniert die Schulz: „Vielleicht hab’ ich’s im Restaurant vergessen?“

„Dann ruf doch an und frag den smarten Kellner. Den, der sich so unglaublich um dich bemüht hatte“, antworte ich spöttisch.

„Ja, stimmt, da hab ich’s noch gehabt. Na gut, dann ruf ’ ich da mal an. Der junge Mann wird mir bestimmt sagen können, ob jemand etwas abgegeben hat.“

„Mit Sicherheit“, steche ich nach.

Frau Schulz legt auf. Ich sehe abermals zum dritten Stock hinauf. Ein Mann hält eine Frau im Arm und küsst sie auf den Mund. Erschrocken weiche ich in den Hauseingang zurück und überlege: ‚War das nicht gerade Bettys Silhouette? Wer aber war der Mann an ihrer Seite? Hat Betty etwa einen neuen Freund?‘

Gedankenverloren überquere ich die Frankfurter Allee und steuere auf meinen Volvo zu. Ich schließe die Fahrertür auf und lasse mich erschöpft in den Sitz plumpsen. Mein Blick wandert über das Armaturenbrett. Im Schein der Laterne sehe ich was funkeln. Ich beuge mich vor und muss lachen. Es ist Frau Schulz’ Lederportemonnaie. Die chromfarbenen Nieten spiegeln sich in der Frontscheibe.

„Mein Gott, und ich mach noch die Schulz nass“, stelle ich schuldbewusst fest, schüttle den Kopf und schaue auf mein Amulett.

„Da bleibt nur eins, der Albaner muss dran glauben“, raunt es hinter mir.

Ich sehe erschrocken in den Rückspiegel. Auf der Rückbank meines Volvos lümmelt ein menschengroßer, schwarz-gelb gestreifter Affe.

„Du musst es dem Burschen unterschieben, sonst wird das nichts mit eurem Atelier“, sagt er und grinst.

Ich bin wie gelähmt und suche nach einer Erklärung für diese skurrile Sinnestäuschung. Der Affe fasst nach meiner Schulter. Seine behaarte Hand fühlt sich gruselig realistisch an.

„Komm schon, entspann dich! Ich will dir nichts Böses!“

„Was willst du denn?“, frage ich, ohne nachzudenken.

„Ich will dir helfen. Mit meiner Unterstützung wird aus dir ein Tiger.“

Ich verstehe nur Bahnhof.

„Ich bin dein neuer Coach für besonders knifflige Angelegenheiten“, erklärt der Affe erneut.

Ich sehe dem Affen in die Augen und höre meine Stimme fragen: „Du meinst, ich sollte das Portemonnaie dem Kellner unterschieben und es dann im Beisein seiner Kollegen finden?“

„Steck es ihm in die Hosentasche, das wäre überzeugender“, verbessert mich der Affe und zeigt mir seine gelben Zähne.

Ich stelle mir die Szene vor. Plötzlich erfasst mich eine seltsam angenehme Schadenfreude. Amüsiert wiege ich den Kopf und sage: „Das wäre wirklich kurios.“

Der Affe klopft mir auf die Schulter und konstatiert: „So ist es, mein Freund. Am Ende hat die Schulz dank dir tatsächlich etwas gut bei diesem Typen!“

Der Affe lässt sich auf die Rückbank zurückfallen. Sein hämisches Gelächter klingt schaurig schön. Ich drehe mich nach meinem neuen Coach um. Doch als ich auf die Rückbank spähe, muss ich feststellen, dass da nirgendwo ein Affe zu sehen ist.

Affentanz

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