Читать книгу Veilchen-Anthologie Band 2 - Andrea Herrmann (Hrsg.) - Страница 13
Unsterblich
ОглавлениеDie Nachricht, dass Paul Newman angekommen sei, schlägt wie eine Bombe ein und sorgt bei den Diven für helle Aufregung.
„Wie er wohl aussehen wird?“ Die Garbo schaut sich um und glitzert dabei in ihrem bodenlangen, schulterfreien Kleid wie ein Diamantenfeld. Ihr ist es verwehrt geblieben, ihm bei Lebzeiten zu begegnen.
„Det is doch völlig piepe, meine Liebe!“ Die Dietrich im dunklen Nadelstreifenanzug schlägt die Beine übereinander und zündet sich ein Zigarillo an. „Egal welches Aussehen und Alter er für die Ewigkeit wählt, du wirst ihn am Leuchten seiner blauen Augen erkennen.“
„Er soll ja ein ganz Lieber sein“, meint Romy Schneider und nippt an ihrem Champagnerglas. Das schwarze Chiffonkleid und das im Nacken zu einem Knoten gebundene Haar verleihen ihr Eleganz und Charme.
„‘N bisschen schüchtern is er immer gewesen“, sagt die Dietrich.
„Und uneitel“, weiß Hilde Knef mit rauchigem Timbre.
Da stolpert ein blonder, junger Mann mit einer Tätowierung am Unterarm aus dem nachtschwarzen Nichts hervor.
Romys katzengrüne Augen leuchten. „Komm doch näher!“, lockt sie.
Der junge Mann zögert.
„Nu setz dich, Junge. Wir beißen schon nicht, was, Mädels?“, sagt die Dietrich. „Und hübsch biste och.“
Der junge Mann will sich neben die Garbo lümmeln, doch die zieht den freien Stuhl zu sich heran. „Der ist für Paul Newman reserviert.“
„Sei dir da mal nicht so sicher, Greta, dass er überhaupt zu uns stoßen wird“, sagt die Dietrich. „Er war immer mit sich im Reinen.“
„Das gefällt mir“, sagt Romy. „Das gefällt mir sogar sehr. Da kann er uns bestimmt Tipps geben.“ Sie sieht dem unbeholfen wirkenden, jungen Mann dabei zu, wie er nun ihr gegenüber Platz nimmt.
„Du bist Heath Ledger!“, sagt sie plötzlich, und der wird rot.
„Ach, nee!“ Die Dietrich zieht die Augenbrauen hoch und taxiert den jungen Kollegen. Viel zu sensibel. Keen Wunder, dass der sich da unten völlig überstürzt aus dem Staub gemacht hat und sich bisher bei uns nich blicken hat lassen! „Biste also auch nich klargekommen mit dem ganzen Tamtam.“
Heath Ledger fühlt sich sichtlich unwohl und verzieht die Mundwinkel.
Die Garbo beugt sich zur Knef. „Muss ich den Versager kennen?“
„Ihm haben sie doch für ‚Dark Knight’ posthum den Oscar verliehen“, weiß Romy.
„Komm mir jetzt bloß nich wieder mit der Geschichte“, faucht die Dietrich. „Da wären ganz andere dran gewesen.“ Sie stippt die Asche ihres Zigarillos ins Nichts.
Die Garbo dreht ihren Kopf, das lockige Haar fällt nach hinten, und das Licht der Sterne betont ihr makelloses Profil. „Ich hätte ihn zu Lebzeiten verdient.“ Ihre Stimme klingt wie ein gedämpftes Cello.
„Ich muss aber zugeben“, sagt die Dietrich zu Heath Ledger, „den schwulen Cowboy haste grandios gespielt.“ Sie prostet ihm zu und kippt ihren Whisky hinunter.
„Gespielt?“ Die Knef zieht die Augenbrauen hoch. „Dass ich nicht lache!“
„Hildchen, wir haben alle unsere Erfahrungen.“ Die Dietrich grinst und zwinkert Romy zu.
Im selben Moment peitscht ein Schuss und das Glas in der Hand der Dietrich zerbirst mit einem lauten Knall.
Die Diven schreien auf und ducken sich.
„Allet halb so wild, Mädels“, beschwichtigt die Dietrich unerschrocken. „John Wayne spielt sich mal wieder ’n bisschen uff. Fühlt sich eben nur mit ’nem Revolver in der Hand als ganzer Kerl.“
Heath Ledger sieht sich um. Er hätte John Wayne gerne kennen gelernt, kann ihn aber nirgends entdecken. So nutzt er die allgemeine Aufregung und verschwindet in der Dunkelheit. James Dean hat ihn ja gewarnt. Diese Frauen sind echt der Wahnsinn, und es ist nicht zu fassen, dass die Selbsthilfegruppe sie in all den Jahren noch keinen Schritt weitergebracht hat.
Er muss Audrey Hepburn ausweichen, die auf einer Vespa vorbeiknattert.
„Wäre doch gelacht, wenn ich nach über fünfzig Jahren den Bogen nicht doch noch raus bekäme“, ruft sie Gregory Peck zu, der anerkennend den Daumen hoch hält. Da macht die Vespa einen kurzen Satz nach vorne, Audrey schreit auf und der Motor stirbt ab.
„Die hat wirklich keine anderen Probleme“, sagt die Garbo.
„Wundert dich das?“, blafft Romy los. „Seit ‚Ein Herz und eine Krone’ als DVD auf einer Vanity Fair angeklebt war, kennen auch die jungen Leute Audrey und Gregory.“
„Die jungen Leute!“ Die Garbo rümpft die Nase. „Die haben längst keinen Stil mehr.“
„Stil“, wettert Romy weiter. „Brauchen sie den? Sie sind einfach nur unbefangen und wirken dadurch so unglaublich sexy.“ Sie funkelt die Kolleginnen an. „Euer ganzes manieriertes Getue beeindruckt doch schon längst niemanden mehr.“
Hätte die Dietrich die Garbo nicht am Unterarm gepackt, hätte die Romy ihren Rotwein ins Gesicht geschüttet.
„Ein bisschen Respekt ist doch wohl nicht zu viel verlangt“, zetert die Garbo und beobachtet dabei, wie Audrey Hepburn von Gregory Peck wegläuft, dorthin, wo Cary Grant wartet.
„Egoistisches Ding!“, mault die Knef, der das auch nicht entgeht. Sie streicht mit gespreizten Fingern ihr Haar zurück und spielt dabei mit ihrer unterkühlten Erotik. „Und von wegen scheues Reh! Sie wirft sich doch jedem an den Hals, mit dem sie einmal gedreht hat.“
„Respekt“, sagt Romy mehr zu sich selbst. Dann wirft sie ihren Kopf herum, und eine Haarsträhne löst sich. „Den hatte für mich und meinen Entscheidungen auch niemand. Sogar neulich, als sie sich an meinen siebzigsten Geburtstag erinnerten, hat mir die Presse erneut angekreidet, wie undankbar ich doch immer gewesen sei, weil ich nicht für alle Zeit ihre geliebte ‚Sissi’ sein wollte.“
„Romy, bitte!“ Die Knef lässt die Schultern hängen. „Das haben wir doch alles schon bis zum Erbrechen durchgekaut.“
„Da muss ich Hildchen recht geben“, sagt die Dietrich. „Jammere nich auf so hohem Niveau. Du bist doch diejenige von uns, von der es alle paar Monate ’n neuen Bildband gibt.“
„Darauf kannst du stolz sein“, sagt hinter ihnen plötzlich eine heisere, raue Stimme.
Alle drehen sich um und halten den Atem an.
Paul Newman!
Ohne viel Aufhebens setzt er sich zu ihnen und berührt Romy am Arm. „Und damit hast du längst Marilyn übertrumpft.“
„Lästert ihr etwa schon wieder hinter meinem Rücken über mich?“ Hüftschwingend stöckelt Marilyn in einem schwarzen Kostüm mit Pelzkragen und der Ukulele unterm Arm herbei. Sie zieht einen Schmollmund und setzt sich.
„Solltste dir eben angewöhnen, pünktlich zu unserer Runde zu erscheinen“, zischt die Dietrich und lässt Newman nicht aus den Augen. Sie hatte vergessen, wie verdammt gut er aussieht: das weiße Hemd in der engen Jeans mit der Silberschnalle, einen Cowboyhut auf dem kurzen blonden Haar, die Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen.
„Ihr solltet euch nicht so wichtig nehmen, denn es wird noch schlimmer kommen.“
Newman deutet mit dem Kinn in Richtung Erde. „Dort lebt längst eine Generation, die uns alle hier kaum noch kennt. Und in dreißig, vierzig Jahren wird sich gar keiner mehr an uns erinnern.“
Entsetzen breitet sich auf den Gesichtern der Diven aus.
Newman setzt noch einen drauf. „Unsere Filme verstecken sie im Nachtprogramm, wo kaum noch jemand guckt, und sie verhackstücken sie mit Werbeunterbrechungen.“
„Also doch!“, sagt die Dietrich.
„Die können doch nicht so mit uns und unserer Kunst umgehen.“ Die Augen der Garbo füllen sich mit Tränen.
Newman sieht sie mitleidig an und bringt es nicht übers Herz, ihr zu sagen, dass nach ihr heute schon kein Hahn mehr kräht. „Ihr müsst euch damit abfinden, dass unser Ruhm verblasst.“
„Der macht alles zunichte, woran wir in den letzten Jahren gearbeitet haben“, meint die Knef bestürzt und wirft Newman einen strafenden Blick zu.
„Ich habe immer alles gegeben“, sagt Romy, bleich geworden. „Ich wollte verstanden werden und habe dafür meine Seele entblößt. Meine Verzweiflung, die Tränen, alles war immer echt. Das darf doch nicht umsonst gewesen sein und in Vergessenheit geraten!“
„Wir hatten alle eine gute Zeit“, beschwichtigt Newman. „Der eine länger, der andere kürzer.“
Das Getöse eines Sportwagens unterbricht ihn. Ein Sunbeam Tiger hält quietschend. Den Arm abgewinkelt auf der Fahrertür, den Kragen des Lederblousons hochgestellt und mit einer Zigarette im Mundwinkel grinst James Dean unverschämt in die Divenrunde.
Dann nickt er Paul Newman zu. Endlich ist jemand angekommen, der ihn verstehen wird, und der die Leidenschaft für schnelle Autos mit ihm teilt.
Newman steht auf und schwingt sich auf das alte Fahrrad, mit dem er gekommen sein muss, und auf dem er auch als Butch Cassidy im Film eine gute Figur gemacht hat. Er legt grüßend zwei Finger an die Hutkrempe und verschwindet im Universum.
Traurig sieht James Dean ihm nach.
„Nu komm, Kleener“, tröstet die Dietrich. „Setz dich zu uns. Ick seh dir doch an, dass de reden musst.“
Veilchen im Januar 2010, Ausgabe 28
Fred Reber