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Anfänger imitieren

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Anfänger imitieren. Heute schreiben sie ein Heine-Gedicht, morgen eine Hemingway-Geschichte oder vielleicht einen Stephen King-Roman. Ideen werden adaptiert, technische Kniffe nachgeahmt. Was laut Goethe nicht verkehrt ist: „Willst ins Unendliche du schreiten, dann taste dich nur im Endlichen nach allen Seiten.“

Ob man noch auf dem Boden des Bewährten herumstolpert oder sich schon in die Lüfte des Genialen emporgeschwungen hat, bemerkt man spätestens dann, wenn man versucht, in einem Anschreiben einem Lektor zu erklären, was das Besondere an eben diesem Kunstwerk ist.

Die Frage, ob man denn wirklich etwas vollständig Neues erdenken kann, muss man eventuell verneinen. Aber man könnte etwas Persönliches schaffen, etwas, das ein eigenes Anliegen und ganz konkrete Lebenserfahrung kommuniziert. Keine imitierte Ming-Vase vom Fließband, sondern ein gefülltes Gefäß, an dem ruhig noch die Fingerabdrücke des Künstlers sichtbar sein dürfen.

Leibnitz schrieb: „Der Mensch ist frei zu tun, was er will. Aber er ist nicht frei, alles zu wollen.“ Leider stimmt das. Es ist nicht leicht, sich von den mühsam gelernten Regeln und geliebten Vorbildern zu trennen und etwas Eigenes zu entwickeln. Was ich aber unbedingt wollte. Mit einer Sinnkrise allein – Wer bin ich? Was will ich? Was kann ich, was sonst niemand kann? – war es nicht getan. Irgendetwas von dem Gelernten muss man wohl zerbrechen und abwerfen, und irgendjemand wird einen scharf dafür kritisieren. Nur stromlinienförmige Kunst löst keine Verwirbelungen aus und erlebt den minimalen Widerstand.

Vor allem zwei Fantasy-Romane haben mir bei meiner Befreiung geholfen: „Es kamen drei Damen im Abendrot“ (The Innkeeper´s Song) von Peter Beagle und „Dämonentränen“ von Peter Lancester. Die drei Damen parodieren, wie ich später herausfand, „A Song of Homana“ aus der Cheysuli-Saga von Jennifer Roberson. Alles, was jenes Buch schwer zu lesen macht, hat Beagle schamlos übertrieben: Jedes Kapitel wird in der ersten Person aus der Perspektive einer anderen Figur erzählt. Der Soldat ist eigentlich ein verwandelter Fuchs und denkt entsprechend tierisch. Die Nonne ist ein Mönch, das blasse Mädchen eine halblebendige Wasserleiche. Immer wieder driftet die ohnehin unwirklich erscheinende Geschichte in abstruse Zauberwelten ab. Nicht dass ich so schreiben möchte. Doch die Erkenntnis, dass ein Buch, das so viele Regeln der Schreibkunst bricht, nicht nur lesbar sein, sondern auch außergewöhnlich fesseln kann, verblüffte mich und schubste mich, ebenfalls zu experimentieren. Das Ergebnis war ein Märchen, das in der Literaturgruppe zu einer Spaltung führte in die Fraktionen „Kann ich nichts damit anfangen“ und „Total genial“. Ein vielversprechender Anfang also.

Mein Zusammen- und Aufbruch geschah in einer Nacht, in der ich in meiner Küche auf einem Stuhl bis morgens um drei Uhr den gesamten dritten Band „Dämonentränen“ der Anderwelt-Saga von Peter Lancester verschlang. Er handelt von der Dämonin Mona, die verzweifelt versucht, ihrem Liebsten zuliebe ein Mensch zu werden. Als sie immer mehr in die Enge gedrängt wird von Verfolgern, die ihr Geheimnis kennen, brechen unter ihrer Haut zum ersten Mal seit zwanzig Jahren die Flügel hervor. Leider wird sie trotz ihrer magischen Kräfte am Ende gefangen, doch zum Glück gibt es – hoffentlich bald! – den nächsten Band. Monas Kampf mit dem Bösen in sich selbst und gegen das Böse in der Welt wirft ein neues Licht sowohl auf uralte Sagen als auch auf Krankheiten wie Magersucht und selbstverletzendes Verhalten und verknüpft diese Welten. Die archetypische Symbolsprache der Geschichte gräbt nach den Wurzeln und dem, was hinter dem Schein steckt. Trotz seiner Brutalität hat es therapeutische Qualitäten. In den wenigen verbleibenden Nachtstunden träumte ich wildes Zeug, das sich auch in Tagträumen fortsetzte. Wenige Monate später begann ich mit einer Fantasy-Trilogie, in der ich Ideen der romantischen Phantastik in moderne Fantasy konsequent umsetze. Das hat noch niemand über tausend Seiten durchgehalten, doch es funktioniert besser als erwartet. Das Neue und Besondere ist aber, dass in diesem Roman über den Kampf zwischen Gut und Böse meine Lebenserfahrung so einfließt, wie ich das immer wollte, ohne dass es mir selbst ganz klar war. Die Geschichte schien seit Langem in mir geschlummert zu haben und wächst nun unter meinen Händen. Tausend Seiten sind nötig, um die üblichen Klischees von einer klaren Trennung zwischen Gut und Böse, und den Mythos vom weltweiten Entscheidungskampf und letzten Gericht aufzulösen, durch eine differenzierte Sichtweise zu ersetzen und andere, leider schwierigere Lösungen anzubieten. Mehr wird noch nicht verraten, aber bis Ende 2007 werden die drei Bücher voraussichtlich fertig.

Veilchen im Juli 2007, Ausgabe 18

Andrea Herrmann

Veilchen-Anthologie Band 2

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