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Fußballmuffel sind auch Menschen

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Auch Fußballmuffel können Vorteil und Gewinn aus der Weltmeisterschaft ziehen. Es ist alles eine Frage der Einteilung.

So kann man die leergefegten Landstraßen während eines wichtigen Spieles nutzen für eine genüssliche Fahrt zu einem sonst wegen des Staus gemiedenen Ziel.

Beim nächsten Spiel „Deutschland gegen ...“ ist die ideale Zeit, Erdbeergelee zu kochen, Obst einzumachen, einen köstlichen Kuchen zu backen. Garantiert kein Anruf stört die fleißige Hausfrau gerade in dem Moment, in dem das Einfüllen des heißen Breis in die Gläser fällig ist.

Frau kann sich endlich mal genüsslich mit einer Freundin im Kino treffen, ein Eis essen gehen oder den lange fälligen ausgiebigen Friseurtermin wahrnehmen.

Sogar die betagte Tante im Altersheim könnte der Fußballmuffel weiblichen oder männlichen Geschlechts mal wieder besuchen, ohne zu Hause vermisst zu werden. Ganz im Gegenteil, der echte Fußballfan am häuslichen Fernseher hat Besseres zu tun als die Häupter seiner Lieben zu zählen. Hauptsache, niemand stört das nervenzerreibende und ganzkörperentzückende Seh-Ereignis am Flach- oder gar Großbildschirm.

Von einem persönlichen Besuch eines Spiels im Stadion ganz zu schweigen. Da wäre die Anwesenheit eines familieneigenen Fußballmuffels nicht zu ertragen und schade ums Geld wäre es allemal. „Hier bin ich Fan, hier darf ich‘s sein“, heißt es da in leichter Abwandlung eines Goethe-Zitats und gleichgültige oder ablehnende Zeitgenossen stören da nur.

Der Fußballmuffel ist also während der Weltmeisterschaftsspiele fast vollkommen auf sich gestellt. Wenn er sich rechtzeitig nach Bundesgenossen umsieht, kann das eine spannende Zeit werden, die zu ungeahnten Aktivitäten verführt. Aber auch süßes Nichtstun wäre eine Alternative. Es kann ein preiswerter Urlaub zu Hause werden. Niemand wird die An- oder Abwesenheit bemerken, niemand Ansprüche stellen.

Vorausgesetzt, dass der angetraute Fußballfan vor den Spielen gelernt hat, sich ein paar Brote selbst zu schmieren und sein Bier selbst aus dem Kühlschrank zu holen.

Nach erholsamen Faulenzertagen oder tollen neuen Unternehmungen mit Gleichgesinnten hat am Ende der spannenden und anstrengenden Zeit der Fußballmuffel die nicht zu unterschätzende Freiheit, spätestens beim Endspiel (wo´s so richtig spannend wird), sich frisch und munter zu den bereits ziemlich ramponierten Fans vor den Bildschirm zu gesellen. Und er darf sich wertfrei mit dem Sieger freuen, egal wer das ist. Unsportlich wie er ist, hat er eh‘ schon die ganze Zeit a l l e n Teilnehmern Respekt gezollt und die bewundert, die diesen Stress bis zum Schluss mit Füßen und Nerven durchgehalten haben.

„Der Weg ist das Ziel“ – und auf dem Siegertreppchen ist nun mal nicht genug Platz für alle.

Also, bis dann! – Ich bin beim Endspiel fernsehend mit dabei und rege mich genauso auf wie selbst eingefleischte und altgediente Fans.

Veilchen im Juli 2006, Ausgabe 14

Nora Zorn

Veilchen-Anthologie Band 2

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