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Kapitel 7

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„Bist du sicher, dass du nicht einfach hier übernachten willst?“ Laura machte eine ausladende Handbewegung, als wolle sie Wolf das Haus zu Füßen legen. „Dies ist immerhin seit heute dein offizieller Erstwohnsitz. Es ist doch noch früh. Bring in die Hütte, was du unbedingt dort haben willst, dann komm zurück.“

„Ich weiß, du meinst das lieb, Laura! Aber danke, nein.“ Wolf beugte sich vor und gab seiner Schwägerin einen Kuss auf die Wange. „Es zieht mich heim.“

„Was du so als Heim bezeichnest.“ Laura schüttelte den Kopf, ihre blonden Locken hüpften. Dann winkte sie, ging zurück ins Haus und schloss die Tür.

Ein Klopfen an einem der Fenster ließ Wolf aufschauen. Ben stand im hell erleuchteten und leergeräumten Büro ihres Vaters und winkte einladend.

Kopfschüttelnd und lachend ging Wolf zu seinem Landrover und stieg ein. Ben würde nicht aufgeben, das wusste er. Es war allerdings schön zu spüren, wie gerne sein Bruder ihn um sich hatte. Es gab nicht viele Menschen, von denen er Ähnliches behaupten konnte, die meisten gingen ihm geflissentlich aus dem Weg. Wer wollte schon mit einem Eigenbrötler wie ihm befreundet sein?

Na gut, so ziemlich jede Frau, die ihm über den Weg lief, aber das war inzwischen nicht nur langweilig, sondern nervtötend geworden. Vielleicht war das auch der Grund, warum er die Stunden mit dieser Catrin so genossen hatte. Wenn sie eins nicht in ihm gesehen hatte, dann einen potentiellen Versorger. Was für eine Wohltat.

Er durfte gar nicht daran denken, was los sein würde, wenn sich herumsprach, dass Dr. Wolf Ränger wieder zu haben war. Dann würde es aus Hamburg, wo er kein unbeschriebenes Blatt war, Einladungen hageln zu Partys, Ausstellungen, Benefizveranstaltungen und zahllosen banalen sozialen Events, die ihn schon immer abgestoßen hatten.

Die Fahrt zur Hütte dauerte nur wenige Minuten. Ihr Großvater hatte das Blockhaus gebaut und als Jagdhütte für sein systematisch durch Ankauf von Wald wachsendes Revier genutzt. Und Wolfs Vater war schon als sehr junger Mann klug genug gewesen, das kleine Gebäude in seiner Nutzung als Wochenenddomizil amtlich genehmigen zu lassen. Undenkbar, dass so etwas heute noch gelingen konnte.

Von außen nicht zu erkennen, war das Innere des etwa dreißig Quadratmeter großen Kleinods ein wahres Wunder an Raumnutzung. Und das Grundstück war riesig. Er würde seinen Großeltern und Eltern ewig dankbar sein, dass sie stets nur Wald dazugekauft und nie etwas von diesem wunderbaren Gebiet wieder verkauft hatten.

Wann immer er Zeit hatte – und davon würde er nun mehr als genug haben –, dann wanderte er die Grenzen seines Reiches ab und kontrollierte die von ihm an allen Zugangswegen angebrachten Hinweise auf Privatbesitz und darauf, dass die Jagd auf seinem Grund und Boden nicht gestattet war. Ob das den Grünberockten gefiel oder nicht.

Na gut, er konnte nicht verhindern, dass er als Besitzer von so viel Wald automatisch Mitglied einer Jagdgenossenschaft geworden war, aber Dank EU konnte er nun durchaus seine ethischen Überzeugungen durchsetzen. Mussten seine Genossen halt warten, bis ein Tier, das sie erlegen wollten, diesen Teil des Waldes freiwillig wieder verließ. In besonders schwerwiegenden Fällen konnten sie ihn ja jetzt anrufen. Er wusste schließlich, wie man einen Gnadenschuss setzte. Er kannte aber auch den Weg zur nahegelegenen Tierklinik, wo sein Freund Moritz alles für die verletzten Wildtiere tat, die er ihm brachte.

Die Zufahrt zur Hütte war kaum zu erkennen, und wer nicht genau wusste, wo er in den Wald einbiegen musste, der würde sie nie finden.

Nach wenigen Metern war die helle, sonnenbeschienene Weide hinter ihm bereits nicht mehr zu sehen und das gedämpfte grüne Licht des Mischwaldes ließ ihn tief ausatmen. Mein Gott, war das hier schön!

Er zog die Handbremse an und den Schlüssel aus dem Zündschloss. Augenblicklich umgab ihn absolute Stille. Sie würde so lange anhalten, bis die unsichtbaren Beobachter, die in Baumkronen, hinter Büschen und Stämmen nun den Atem anhielten, sich an seine Anwesenheit gewöhnt hatten.

Das leise Plätschern der Quelle, die sich in einen kleinen aber erstaunlich tiefen Teich hinter der Hütte ergoss, ließ das Wasser in Wolfs Mund zusammenlaufen. Es ging nichts über quellengekühltes Bier.

Wolf schloss die Tür zum Blockhaus auf und entriegelte sofort die beiden Fenster, die zur Vorderseite hinausgingen. Mückennetzgefiltertes Waldlicht flutete die winzige Küchenecke und den Wohnraum.

Nachdem er die Leiter zur Empore hochgeklettert war, wo sich sein Bett befand, und dort ebenfalls das Fenster geöffnet hatte, das den Blick nach hinten freigab, stieg er wieder hinunter und ging erst einmal in das kleine fensterlose Bad.

Strom konnte er mit einem Generator erzeugen, aber den warf Wolf nur an, wenn es gar nicht anders ging. Gekocht und geheizt wurde mit Holz und die Wasserversorgung über grüne Plastiktonnen, die den Regen auffingen, war ausgesprochen ausgetüftelt. Ein Rohrsystem leitete die Abwässer in eine Sickergrube, die bereits sein Vater vergrößert hatte. Jedes Mal, wenn Wolf die Klospülung betätigte, war er ihm dafür dankbar.

Essen würde er heute wohl nichts mehr, Laura hatte ihn mit ihrem üppigen Mittagsmahl tatsächlich sattbekommen. Vielleicht noch ein Butterbrot heute Abend, das wars dann auch. Es sprach aber nichts dagegen, sich mit einem kalten Bier nach draußen in den Schatten zu setzen und ein wenig die Seele baumeln zu lassen. Er konnte weiß Gott Ruhe gebrauchen.

Auch wenn er eigentlich wusste, dass es eine blöde Idee war, online zu gehen, so juckte es ihn dennoch in den Fingern, mal eben nachzusehen, welche Neuigkeiten es in seinem anderen, virtuellen Revier gab. Nur ganz kurz.

Noch während er mit zwei tropfnassen kalten Flaschen in der einen Hand zur Hütte zurücklief, wählte sich Wolf mit der anderen über sein iPhone in Facebook ein. Er hatte sich in den letzten Tagen dort bewusst rargemacht und längst nicht mehr auf jeden Post reagiert. Die Abwicklung der Scheidung und der Ausstieg aus der Kanzlei hatten ihm alles abverlangt.

Wie immer in solchen Augenblicken, wenn er mental erschöpft war, fiel die tiefe Trauer um seinen Hund wieder über ihn her. Nach so vielen Jahren musste das doch eigentlich irgendwann aufhören, oder? Altersschwäche hin oder her – eine Seele zu verlieren, mit der man über so viele Jahre intensiv verbunden gewesen war, konnte Schmerzen bereiten, die er seinen ärgsten Feinden nicht gönnte – und davon hatte er mehr als genug. Er hätte nie geglaubt, wie lange die Trauer um Blue ihn im Griff haben würde.

Die erste Flasche Bier leerte Wolf nahezu in einem Zug, dann öffnete er die Zweite.

Die Verbindung übers Handy ins Internet war langsam und instabil. Sie funktionierte überhaupt nur, weil der kleine Ort, der östlich von seinem Wald lag, über einen eigenen Handymast verfügte – schön weit weg von den letzten Behausungen und ziemlich nah an seiner Grenze – ein Segen für ihn.

Oder doch nicht?

Wolf spürte, wie sich etwas in ihm verkrampfte, während er darauf wartete, bis das Netzwerk alle Nachrichten in seinem Account aktualisierte. Über fünfhundert. Verflucht, hörte das denn nie auf? Er hatte gerade die Flasche an den Mund geführt, da sprang auch schon ein Chat-Fenster auf.

Endlich, Rock! Ich dachte, du würdest überhaupt nicht mehr online gehen, Mensch! Wir brauchen deine Hilfe bei einer Petition!

Wolf kannte die Absenderin nicht, aber wie hätte er auch mehr als 5.000 Abonnenten seiner Seite und weiß Gott wie viele aus all den Gruppen, in denen er war, auseinanderhalten sollen? Vermutlich wollte sie ihn bitten, mal eben dafür zu sorgen, dass der Walfang weltweit unterbunden wurde. Oder, dass die Menschheit aufhörte, Fleisch zu essen. Oder, dass er das Verspeisen von Hunden in irgendeinem asiatischen Land unterbinden half. Oder, oder, oder …

Wolf klickte die Nachricht weg und ging sofort wieder offline. Schweiß hatte sich auf seiner Stirn gebildet. Verdammt! Was war nur mit ihm los?

ROCK IM WALD - Ein Norbert-Roman

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