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Kapitel 8

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Inzwischen waren bereits drei Stunden vergangen. Es war schon nach zwei und Sabrinas ominöser Bruder war noch immer nicht mit Diva am Schützenplatz aufgetaucht. Zwischenzeitlich hatte sich die Festhalle mal geleert, nun strömten wieder Gäste hinein.

Catrin warf einen unruhigen Blick auf ihre Uhr. Wo blieb der Typ bloß? Wenn sie noch lange hier sitzen musste, zwischen Felix und einem seiner Obersten, dann würde sie durchdrehen.

„Ruf ihn noch mal an“, bat sie Felix zum wiederholten Mal, aber sie hatte ihn so abgefüllt, dass er nun beinahe schon schielte, als er sie verständnislos ansah. Wie er noch den Schützenball am Abend schaffen wollte, war ihr ein Rätsel.

Sabrina allerdings schien dagegen geradezu nüchtern. Sie schwankte zwar ein wenig, als sie einen großen Becher tiefschwarzen Kaffee vor Felix abstellte, aber außer Catrin bemerkte das vermutlich niemand.

„Trink den!“, befahl Sabrina grinsend und Felix gehorchte, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Wenn dein Bruder nicht bald hier auftaucht, dann gehe ich nach Hause und ziehe mich um!“ Catrin musste gegen die wieder einsetzende Musik anschreien.

Kaum hatte sie ihre Drohung ausgesprochen, kramte Sabrina bereits in ihrem Handtäschchen. Sie wählte die Nummer ihres Bruders und wartete. Dann runzelte sie die Stirn.

„Wer ist da?!“, rief sie.

Catrin, die aufgestanden war, um sich ein wenig die Beine zu vertreten, blieb stehen und sah Sabrina an. Irgendwie klang sie alarmiert.

„Ist was passiert?“, fragte sie und spürte plötzlich einen Kloß im Hals.

„Was?!“, schrie Sabrina ins Telefon, ohne Catrin zu beachten. „Wo?!“

Catrins Hand schoss vor, ihre Finger krallten sich in Sabrinas Arm. „Gib mal her!“, rief sie.

Sabrina reichte ihr, willenlos wie jemand, der die Kontrolle über seine Körperfunktionen verloren hatte, das Handy.

„Hier spricht Catrin Stechler, die …“, sie kam gar nicht dazu, weiterzureden, die Stimme am anderen Ende der Leitung hatte ihren Redefluss gar nicht unterbrochen. Sie war wirklich kaum zu verstehen in dem Lärm, der nun wieder in der Halle herrschte.

„… in der Nähe der Sorpe, dort wo sie in die Lenne fließt. Der Fahrer war sofort tot. Wenn Sie eine Angehörige sind, müssen wir Sie bitten, herzukommen.“

„Was ist mit dem Hund?“, fragte Catrin laut und setzte sich. Sie hatte das Gefühl, als hätte ihr jemand die Beine weggezogen.

„Welcher Hund?“

„Der … Simon hatte einen Hund im Wagen, eine trächtige Hündin namens Diva. Was ist mit ihr?“

Offensichtlich hielt der Mann am anderen Ende der Leitung den Hörer zur Seite, sie hörte, wie er jemandem etwas zurief: „Hat einer von euch was von einem Hund gesehen?“

Eine Stimme, die sehr dünn und weit entfernt klang, antwortete. „Da war ein Hund an Bord? Ah, das erklärt den Hundekorb. Nee, kein Hund weit und breit. Ist offensichtlich abgehauen.“

Catrin versuchte, sich zusammenzureißen. Nicht nur konnte sie den Mann kaum verstehen. Sie hatte auch keine Ahnung, was sie tun sollte. Hilfesuchend sah sie auf. Sabrina stand immer noch völlig apathisch neben ihr und starrte ins Leere. Felix hatte bisher von alledem nichts mitbekommen. Catrin sah, wie er mit jemandem sprach und dann laut lachte, so, als wäre die Welt noch völlig in Ordnung. Dabei war gerade ein weiteres Teil davon in tausend Stücke zersprungen. Diva hatte einen Unfall miterlebt und war unauffindbar. O mein Gott!

„Können Sie mir die GPS-Daten senden?!“, rief Catrin in das Handy. „Aber nicht an diese Nummer, der Akku ist leer und wir haben keine Möglichkeit, ihn aufzuladen. Schicken Sie die Daten bitte an eine andere Nummer. Haben Sie was zu schreiben?“ Catrin sprach so laut sie konnte und wunderte sich, dass sie überhaupt noch in der Lage war, klar zu denken.

„Schießen Sie los!“

Sie nannte ihre eigene Handynummer. Dann hatte sie eine Idee. „Ist Blut im Wagen?“

Ihr Gesprächspartner schwieg für einen Moment, dann sagte er langsam, als wäre sie begriffsstutzig: „Junge Frau, haben Sie nicht hingehört? Der Fahrer ist tot. Er hat den Wagen um einen Baum gewickelt, es gibt kaum eine Stelle im Auto ohne Blut.“ Der Fremde stutzte. „Wer genau waren Sie noch mal?“

„Die Schwägerin“, log Catrin. Dann nahm sie allen Mut zusammen. Ob Diva verletzt war, ließ sich ja offenbar nicht klären, aber es gab eine Menge Dinge, die jetzt getan werden konnten, um die Hündin so schnell wie möglich zu finden. Simon war ja eh nicht mehr zu helfen.

„Sobald Sie mir die GPS-Daten des Unfallortes zugeschickt haben, sende ich Ihnen ein Foto der Hündin!“, brüllte sie. Sie zögerte. „Wir haben Simon bei diesem tragischen Unfall verloren, ich bin sicher, dass seine Schwester den Verlust des Hundes nicht auch noch verkraften kann. Bitte senden Sie das Foto an Ihre Kollegen und bitten Sie sie, nach dem Tier Ausschau zu halten. Wir fahren jetzt los!“

„In Ordnung. Die SMS an Sie ist raus. Bis gleich. Wir sind sicher noch eine Weile hier. Wie lange brauchen Sie?“

„Keine Ahnung. Ich hoffe, mein Navi findet das.“ Catrin brachte kaum noch genug Kraft auf, um gegen die widerlich gute Laune im Saal anzubrüllen und dem Mann zu antworten. In diesem Moment spürte sie das Vibrieren ihres eigenen Handys in ihrer Hosentasche. Gut, nun hatte sie alles, was sie brauchte. Mit einem raschen „Bis gleich!“ legte sie auf, dann reichte sie Sabrina das Telefon zurück.

„Komm, wir fahren sofort los“, sagte sie.

„Wohin?“, fragte Sabrina und sah sie an, als wäre sie nicht ganz bei Trost.

„Zu dem Ort, an dem gerade dein Bruder gestorben ist. Und wo mein Hund abgehauen ist.“

„Was geht mich dein Hund an?“ Sabrinas Blick war irgendwie seltsam, aber vielleicht war sie auch einfach nur zu betrunken, um schnell genug zu denken.

„Sabrina, nun mach hin! Simon hatte einen Unfall, wir müssen los!“

„Ich kann hier nicht weg“, sagte Sabrina und sah auf die im Takt zur Musik hin und her wogende Menge im Saal. „Ich kann doch Felix nicht im Stich lassen!“

Catrin folgte ihrem Blick und sah, wie Felix ihnen beiden jovial zuwinkte.

„Wirklich, Catrin, ich kann jetzt nicht.“

„Dann fahr zur Hölle“, sagte Catrin, drehte sich um und rannte los.

Noch auf dem Weg aus der Festhalle rief sie auf ihrem iPhone Facebook auf. Das langsame ländliche Netz ließ sie frustriert aufstöhnen. Erst, als sie ihren Wagen erreicht hatte, konnte sie auf ihren Account zugreifen.

Als Autorin Candrine Cook hatte sie ein sehr großes Netzwerk, darin auch jede Menge Tierschützer. Die würden genau wissen, wie sie mit dem, was sie jetzt posten würde, umzugehen hatten. Bessere und effektivere Hilfe würde sie nirgends finden als in ihrem sozialen Netzwerk.

Schnell lud sie ein Foto von Diva hoch.

„Achtung Sauerland! Meine Hündin Diva ist nach einem schweren Unfall entlaufen, an der Suppe. Achtung, Diva ist trächtig und könnte verletzt sein, bitte bei Sichtung sofort PN an mich. Sie ist gechippt und registriert. Die Tierfreunde in meiner Liste wissen, was zu tun ist – Teilt, Leute, teilt!!! Danke! Eure Candrine“

Sie las die Nachricht noch einmal.

Scheiß Autokorrektur, ehrlich, dachte sie. Sie korrigierte Suppe in Sorpe und stellte den Hilferuf ins Netz.

Es gab in ihrem Netzwerk ungezählte Tierschützer, seit sie mal eine Kurzgeschichte über die Rettung eines Schweins geschrieben hatte, das aus einem Schlachthof entlief und sein Leben fortan in einer Bauernhof-Idylle bei guten Menschen weiterführen durfte.

In diesem Moment war es ihr egal, ob sich nicht nur die gemäßigten, sondern auch die militanten Tierschützer in die Suche einklinkten. Davon gab es dort draußen mehr als genug, jedenfalls machte es den Eindruck. Und jede Gruppe hatte ihren eigenen Halbgott, den sie verehrte. Meist ein Kerl, der kein Blatt vor den Mund nahm. Wie hieß dieser eine Typ, den Tausende wie einen Star verehrten? Irgendwas mit Rock. Rock Hudson? Naja, so ähnlich jedenfalls.

Dass ich einmal Leute wie den um Hilfe bitte, dachte Catrin resigniert. Aber ihretwegen durften sich nun auch Batman und Robin in die Suche einschalten, wenn es Diva half. Sie betete, dass es einen dieser nebulösen Tierschutzhelden wirklich gab, von denen sie so viel hörte, denn ganz sicher war sie sich nicht. Im Internet konnte sich schließlich jeder Hans-Wurst mit einer künstlichen Identität so aufblähen, dass man ihm die Rettung der Welt zutraute. Na gut, sie als Autorin bediente sich auch gerne eines starken Protagonisten, der die Frauenherzen höher schlagen ließ, aber genau deshalb war sie ja so skeptisch, denn eines hatte sie das Leben gelehrt: Helden gab es nur auf dem Papier.

Catrin war inzwischen so verzweifelt, dass sie sich fast wünschte, dieser Rock Hudson und seine Groupies würden Diva so schnell wie möglich zu ihrer eigenen Sache machen. Es ging schließlich um das Leben ihrer Hündin und deren Babys, da musste sie ihre eigenen Befindlichkeiten einfach mal zurückstecken. Selbst wenn sie eine Gänsehaut bekam, sobald sie nur an das Großmaul dachte, dessen Postings irgendeiner ihrer Fans immer wieder teilte und damit auch über ihre eigene Timeline trieb.

„Arrrgghh!“ Sie schüttelte sich. Dann tippte sie schnell eine zweite SMS und drückte auf Senden.

ROCK IM WALD - Ein Norbert-Roman

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