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Der Besessene

Clodius Aesopus

Name: Clodius Aesopus

Lebensdaten: 1. Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. (?)

Tätigkeit: Schauspieler

Besonderheit: tötete einmal „in der Rolle“ einen Statisten

Das Aufgehen eines Schauspielers in seiner Rolle gilt gemeinhin als wünschenswert. Nicht so im Falle des Clodius Aesopus, der auf der Bühne so in seiner Rolle gefangen war, dass er einmal einen zufällig vorbeikommenden Diener erschlug. Kein Wunder, dass seine Zeitgenossen befürchteten, er könne besessen sein.

Wer war das?

Clodius Aesopus war in der spätrepublikanischen Zeit der berühmteste tragische Schauspieler Roms. Er war höchstwahrscheinlich ein Freigelassener der gens Clodia, doch seine genauen Lebensdaten sind nicht überliefert. Man kann nur indirekt rückschließen, da man weiß, dass er bis ins (damals relativ hohe) Alter von über 60 Jahren auf der Bühne stand, sich dann aber ins Privatleben zurückzog. 55 v. Chr. trat er zu den von Pompeius gegebenen Spielen noch einmal auf, doch die Stimme versagte ihm den Dienst, so dass er nicht fortfahren konnte – das Publikum verzieh ihm, was es nicht für jeden tat. Also war Aesopus noch immer der summus artifex, der beste Künstler (Cicero).

„Er bewegte das Publikum, weil er selbst bewegt war.“

Cicero

Aesopus war ein enger Freund des Roscius, der für die Komödie das war, was er selbst für die Tragödie darstellte. Auch Horaz sah beide auf gleicher Höhe der Berühmtheit, nur eben jeden auf seinem Gebiet. Während Roscius für seine Aussprache und Betonung bekannt war, schätzte man Aesopus für seine bedeutungsschwere Darstellungsweise. Roscius war bekanntermaßen beherrscht und kontrolliert, Aesopus im Gegensatz dazu intuitiv und geradezu „besessen“. Er schaffte es, sein Publikum zu Tränen zu rühren, indem er seinen eigenen Emotionen nachgab und sich in seinen Rollen verlor. Um diesen Effekt zu erreichen, war Aesopus immer bemüht, seinen Darstellungsstil zu perfektionieren. So studierte er ausgiebig die Menschen in ihrem täglichen Leben, besonders ihre Mimik bzw. ihren Gemütszustand. Er besuchte häufig Gerichtsverfahren, um den Juristen zuzuhören und die entsprechenden Ausdrücke übernehmen zu können, wobei Hortensius sein Favorit war. Am meisten aber lernte er von Roscius und dieser von ihm – die beiden exemplarischen Schauspieler ergänzten sich perfekt und profitierten voneinander.

Römische Tragödien

Klassische Tragödienstücke (ludi Graeci) dauerten mehrere Stunden und waren sehr anspruchsvoll – kein Wunder, dass sie entsprechend weniger Publikum hatten als leichte Komödien! Im Gegenzug versuchte man, das Publikum durch eine opulente Ausstattung und aufwendige Bühnenbilder zu locken: Es gab Wagen und ganze Schiffe auf der Bühne oder 600 (!) lebende Pferde, die mehr Staunen erregten als das Stück an sich. In neronischer Zeit brannte man – prophetischerweise – auf der Bühne ein ganzes Haus ab … all das war kein Problem für die bereits hochentwickelte Bühnentechnik. Doch bald wurde dieser Ausstattungsluxus zu teuer, was zum baldigen Ende der Gattung in der frühen Kaiserzeit führte. Zudem konnte kaum ein Zuschauer noch etwas damit anfangen: Manche meinten gar, die riesigen Maskenmünder wären dazu geeignet, die Zuschauer zu verschlingen und nicht nur kleine Kinder zu erschrecken (Lukian, de salt. 37).

Trotzdem versuchte Augustus, das zu seiner Zeit schon im Verschwinden begriffene Drama wiederzubeleben, und Horaz stellte einen Leitfaden („Dichtkunst“, De arte poetica) für junge Autoren auf, wie sie ein gutes Drama schreiben könnten, das das goldene Zeitalter spiegelte (warum hat er es nicht gleich selbst geschrieben?) – selbst Seneca hielt sich ein halbes Jahrhundert später noch an diesen Leitfaden. Er und Ovid schrieben beide noch Tragödien, aber inwieweit diese mit Erfolg aufgeführt wurden, ist unbekannt – die des Ovids sind zudem nicht erhalten, von Seneca gelten sieben Stücke als authentisch. Diese wurden angeblich nicht mehr aufgeführt, sondern nur noch gelesen – jedoch herrscht bis heute ein Gelehrtenstreit darüber, da sie sehr wohl „bühnentauglich“ sind. Ihre Themen entstammen der klassischen Mythologie – allerdings mit einer typisch römischen Hinwendung zum Blutrünstigen, die weit über das in Griechenland übliche hinausgeht. Es wurde nicht mit (Theater-)Blut und schaurigen Boten-Beschreibungen gespart, was unter Umständen die grausamen Zeiten spiegelte, in denen Seneca lebte und starb, sowie den in neronischer Zeit aufkommenden „Voyeurismus“ auf Seiten der Zuschauer, die speziell solche (echte oder gestellte) Gewalt gegen hilflose Menschen und Tiere – bei einer Aufführung wurde auf der Bühne eine lebende Kuh geopfert – sehen wollten (s. u. Perpetua).

Was hat ihn berühmt gemacht?

Angeblich setzte Aesopus seine tragische Maske erst dann auf, wenn er sie lange Zeit eingehend von Weitem betrachtet hatte. Offenbar konnte er sich so am besten in die geforderte Rolle hineinversetzen. Andererseits schreibt Cicero, dass eben dieser Aesopus durch sein Minenspiel und seine Ausdrucksstärke beeindruckte, was bedeutet, dass er (auch?) ohne Maske auftrat. Noch ist nicht eindeutig zu klären, ob ein fallweiser Maskengebrauch üblich war oder ob beide Spielarten zeitlich aufeinander folgten. Aesopus spielte nach Aussage des Cicero sowohl auf der Bühne als auch im wahren Leben die Hauptrolle – sein Publikum ehrte ihn dadurch, dass sie ihn noster Aesopus, „unser Aesopus“, nannten, was eine große Vertrautheit mit dem Darsteller voraussetzt, den man so gut kennt, als gehöre er zur eigenen Familie (noster familiaris).

Zu Zeiten von Ciceros Exil unterstützte ihn sein Freund Aesopus dadurch, dass er auf der Bühne als verbannter Telamon in einem Stück des Lucius Accius eine Anspielung auf den verbannten Cicero einbaute, indem er ein Wort änderte und es sehr emotionsgeladen vortrug. Diese indirekte Anspielung half dem Verbannten mehr als es jeder Versuch direkter Einflussnahme gekonnt hätte, da das Publikum reagierte und für Cicero Partei ergriff. Daraus folgt, dass Aesopus seinen vorgegebenen Text den realpolitischen Gegebenheiten anpasste, wenn er es für nötig hielt.

Aesopus soll zeitweise so sehr in seinen Rollen versunken sein, dass er, glaubt man Plutarch (Vit. Cic. 5.4), in der Rolle des Atreus (entweder in Ennius’ Thyestes oder Accius’ Atreus) so in Rage geriet, dass er mit seinem Knüppel einen die Bühne kreuzenden Sklaven erschlug. Daraufhin befürchtete man, er sei nicht mehr er selbst, sondern der dargestellte Charakter. Dies war eine Urangst im Umgang mit Schauspielern, seit Platon vermutet hatte, die Akteure würden (generell?) so sehr von ihrer Rolle ergriffen, dass sie möglicherweise wahnsinnig und für ihre Umgebung zur Gefahr werden könnten.

Die Zunge der Nachtigall

Im Laufe seiner Karriere war es Aesopus möglich, ein so riesiges Vermögen zu verdienen, dass er seinem Sohn 200. 000. 000 Sesterzen hinterlassen konnte, der das Geld jedoch sehr schnell unter die Leute brachte und verschleuderte. Auch sein Vater hatte mit vollen Händen Geld ausgegeben: So gab er gerne immens teure Bankette, für die ein Gedeck 100.000 Sesterzen und mehr kostete – dies war für ihn die einzige Möglichkeit, seinen Reichtum zu zeigen; womit er nicht zufällig an den „neureichen“ Trimalchio des Petronius Arbiter erinnert. So berichtet eine Anekdote, dass auf einem seiner Bankette einmal nur solche Vögel serviert worden seien, die hervorragend singen oder die menschliche Stimme nachahmen konnten (Nachtigallen, Papageien, Elstern, Raben?) und die pro Stück 6000 Sesterzen kosteten. Wie zu vermuten, ging es ihm dabei nicht um den besonderen Geschmack dieser Vögel, sondern darum, sich deren Können im wahrsten Sinne „einzuverleiben“, „so als würde er Menschenzungen verspeisen“ (Plinius NH 10.141–2).

Das Ganze erscheint schon fast wie ein magischer Ritus, der dem menschlichen Imitator hilft, durch das Essen von anderen, tierischen Imitatoren seine Kunst zu vervollkommnen. Oder aber es war angewandte Selbstironie: Er instrumentalisierte die Singvögel so, wie die Römer ihn instrumentalisierten – das war vielleicht die einzige Möglichkeit für diesen Mann, im Gespräch zu bleiben. Der Schauspieler wurde von der Öffentlichkeit auf seinen Körper und/oder seine Stimme reduziert und durfte kein vollwertiger Bürger sein.

Was bleibt?

Die verschiedenen Anekdoten aus Aesopus’ Leben geben, mehr als bei seinem Freund Roscius, Anlass, einmal mehr über die menschlich-soziale Komponente des antiken Schauspielerdaseins nachzudenken. Sowohl die von Platon in Worte gefasste Urangst vor dem Mimen als auch das beinahe „anthropophage“ Vogelbankett lassen uns die Schwierigkeiten, mit denen antike Schauspieler fertig werden mussten, besser begreifen.

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