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ОглавлениеDer „Erfinder“ der Maske
Thespis von Ikaria
Name: Thespis
Lebensdaten: 6. Jh. v. Chr.
Tätigkeit: Tragödienschauspieler
Besonderheit: Namensgeber des sprichwörtlich gewordenen „Thespiskarrens“
Thespis von der Insel Ikaria war der Legende nach der erste Schauspieler, der je in einem Stück auf der Bühne auftrat. Er fügte dem bisher üblichen Chor einen einzelnen Schauspieler als Sprecher (wörtl. Antworter = der dem Chor antwortet, eine Wechselrede führt) hinzu.
Wer war das?
Thespis war der erste Schauspieler, der in einem schriftlich festgehaltenen Bühnenstück, nicht in einer Improvisation auftrat. Es gibt über ihn nur sehr wenig konkrete Informationen, vieles muss in das Reich der Legenden verwiesen werden. Die durch ihn „erfundene“ Ergänzung des Chors durch einen einzelnen Schauspieler, der mit diesem im Wechselspiel agierte, bedeutete einen entscheidenden Schritt hin zur Entwicklung des modernen Theaters. Der Schauspieler sprach unter Verwendung von verschiedenen Masken alle Sprechrollen der Aufführung, eine Vielzahl von nebeneinander agierenden Schauspielern gab es noch nicht. Ab 534 v. Chr. wurden in Athen Wettkämpfe (Agone) zur Bestimmung des besten Theaterstückes abgehalten, bei denen Thespis als erster in einer langen Reihe berühmter Namen siegreich war.
Masken
Antike und manche mittelalterliche Schauspieler trugen Masken, ihre Gesichtsausdrücke blieben also dem Publikum verborgen. Emotionen stellten sie durch die Verwendung von Maskentypen, aber vor allem auch durch die eigene Stimme dar. Das Phänomen der Masken ist ein uns heute kaum mehr verständlicher Aspekt der Theaterkultur, der im europäischen Raum seit der Antike nur selten wieder aufgenommen wurde, so beispielsweise in der Commedia dell’Arte. Heute werden sie nur noch ausnahmsweise als Stilmittel verwendet.
Im antiken Griechenland waren tragische Schauspieler und Chormitglieder aus religiösen Gründen maskiert und vom Kostüm ganz verhüllt. Sie beteten, bevor sie die Maske aufsetzten, da sie dachten, dass diese die Person der Rolle enthielt und sie sich diese damit aneigneten. Dadurch gaben sie ihre eigene Persönlichkeit komplett für ihre Rolle auf.
In Rom wurden die Masken nach griechischem Vorbild um 100 v. Chr. eingeführt, was von einigen, die noch unmaskierte Schauspieler erlebt hatten, bedauert wurde. Die Schauspieler mussten Gefühle nun mit dem ganzen Körper ausdrücken, was zum schon damals gefürchteten „Overacting“ führen konnte (vergleichbar vielleicht mit den Stummfilmen des frühen 20. Jhs.). Auch die Masken selbst waren häufig überzeichnet bis grotesk und versuchten den charakteristischen Gesichtsausdruck des Rollentyps einzufangen. Später, nach der Vergrößerung des Zuschauerraumes, dienten sie zusätzlich der besseren Sichtbarkeit der Figuren auf der Bühne. Der weit aufgerissene Mund der Masken eignete sich jedoch nicht, wie lange angenommen wurde, zur Schallübertragung – vielmehr unterdrücken Masken eher die Lautstärke der Deklamation, wie man in Versuchen feststellen konnte; die Herleitung des Wortes „persona, Maske“ von „personare, durchdringen“ ist somit falsch.
Eine Auflistung des Iulius Pollux aus dem 2. Jh. n. Chr., die sich auf die Verhältnisse im 3. Jh. v. Chr. bezieht, listet allein 30 verschiedene Typen männlicher und 17 Typen weiblicher Masken auf. Dabei wurde zusätzlich eine Typisierung nach Alter, Geschlecht und Stand vorgenommen. Insgesamt werden 76 Masken erwähnt, davon 28 tragische, 44 komische und vier satyrhafte, geordnet nach: alte Männer – junge Männer – Sklaven – Frauen. Es ist nicht sicher, ob für tagespolitische Anspielungen auch Porträtmasken verwendet wurden oder ob solche Anspielungen allein anhand des Textes funktionierten. Ziemlich sicher wurden Porträtmasken bei den römischen Leichenfeiern verwendet, bei denen Schauspieler zur Verkörperung des Verstorbenen engagiert wurden (s. u. Favor).
Was hat ihn berühmt gemacht?
Thespis werden mehrere entscheidende Neuerungen im griechischen Theaterwesen zugeschrieben, doch ob er im Einzelfall wirklich deren Urheber ist, kann nicht entschieden werden – denkbar ist auch die in der Geschichte häufiger zu beobachtende Konzentration verschiedener Überlieferungsstränge in einer historisch bekannten Person (s. u. Pylades). Speziell als Thespis’ „Erfindungen“ genannt werden der Prolog, also eine Art Einführung, sowie der sogenannte Botenbericht, in dem ein Schauspieler in der Rolle des Boten über für die Handlung wichtige Ereignisse berichtet, die nicht auf der Bühne dargestellt wurden oder werden konnten (etwa eine weit entfernte Schlacht). Aristoteles, der zwei Jahrhunderte später als Thespis lebte, bezeichnet ihn als „Sänger“ oder Sprecher von Dithyramben (mythologischen Liedern mit Chorbegleitung).
Thespis der Lügner
Eine Anekdote berichtet vom alten Solon (etwa 640–560 v. Chr.), der eine Theateraufführung von Thespis mit ihm als Hauptdarsteller ansah und ihn hinterher fragte, ob er sich nicht schäme, vor so vielen Menschen Lügen zu erzählen – der Staatsmann hatte die Fiktionalität des Theaterstücks missverstanden. Thespis wiegelte ab und bestritt die möglichen negativen Auswirkungen, die solche erfundenen Handlungen haben könnten. Solon dagegen beharrte darauf, dass sich diese unweigerlich einstellen würden, ließe man solche Schauspiele zur Regel werden und sie hoch schätzen.
Die Griechen des 6. Jhs. v. Chr. waren es noch nicht gewohnt, fiktive Handlungen als solche zu erkennen, und viele liefen Gefahr, sie zu ernst zu nehmen und dadurch „das Lügen zu lernen“: Dies war in den ersten Jahrhunderten der Schauspielkunst ein häufig geäußerter Vorwurf, was der Weiterentwicklung der Kunst aber keinen Abbruch tat.
Thespis soll auch der erste gewesen sein, der sein Gesicht zunächst mit Weinhefe oder Bleiweiß schminkte und später dann zur Verwendung einfacher Leinenmasken überging. Der Grund für die Maskierung im frühen Theater war folgender: Nicht der Schauspieler als Individuum sollte erkannt werden, sondern die Rolle – man vergleiche hierzu den Effekt, den manche modernen Schauspieler hervorrufen, denen nachgesagt wird, sie „spielten immer nur sich selbst“, egal in welcher Rolle oder welchem Kostüm sie gerade stecken.
Was bleibt?
Der heute noch gängige Begriff „Thespiskarren“ ist erstmals beim römischen Dichter Horaz nachweisbar, der glaubt, Thespis habe seine Stücke von einem Karren aus statt auf einer Bühne gespielt und sei mit diesem Karren in Griechenland herumgereist. In der Spätantike wurde dieses Zitat von Sidonius Apollinaris aufgenommen und weitertradiert. Leider wissen wir nicht, inwieweit diese Geschichte der Wahrheit entspricht und ob Thespis bereits tatsächlich Tourneen unternommen hat. In Athen selbst war bei den Agonen sicher keine Wagenbühne nötig. Möglicherweise hat Horaz Realitäten seiner eigenen Zeit, als erste Wandertruppen bereits bekannt waren, auf das 6. Jh. rückprojiziert.
Heute wird der Begriff „Thespiskarren“ synonym für den Wagen von Wanderschauspielern sowie symbolisch für das (Wander-)Theater an sich gebraucht, wie es erst ab dem Mittelalter in ausgeprägter Form vorkam und bis an den Anfang des 20. Jhs. in manchen Regionen üblich war. In Italien reiste noch in den 1930er Jahren eine Wanderbühne durchs Land, die sich Carro di Tespi nannte. Auch die im englischen Sprachraum übliche Bezeichnung „thespian“ für Schauspieler geht auf ihn zurück, außerdem eine Art von „Theaterklabautermann“ – wenn etwas schiefgeht, ist der Geist des Thespis schuld!