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1.3 Multifunktionalität: Wiesland dient zu weit mehr als nur zur Futterproduktion

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Die Qualität und Quantität, die eine Wiese an Gras und Heu als Futter für Raufutterverzehrer liefert, ist zwar oft der wichtigste Gesichtspunkt, unter welchem Wiesland beurteilt wird. Das Wiesland bietet aber zahlreiche weitere «Ökosystemdienstleistungen», von denen einige zunehmend wichtiger werden (Abb. 5). So werden immer mehr staatliche Beiträge für «gemeinwirtschaftliche Leistungen» wie die Erhaltung beziehungsweise Förderung der Artenvielfalt oder die Landschaftsqualität an solche Eigenschaften beziehungsweise Leistungen des Wieslandes gekoppelt. Viele Eigenschaften ausserhalb der Futtermenge und -qualität wirken sich aber auch auf andere Weise direkt wirtschaftlich auf den Betrieb aus, beispielsweise der Erosionsschutz oder das Saatgutpotenzial von Wiesen. Ein zentrales Argument für die Gewährung von Direktzahlungen im Wiesland ist auch die Offenhaltung der Landschaft.

Die wichtigsten der vielfältigen Leistungen des Wieslandes sind:

– Futterertrag in Bezug auf Menge und Qualität: Aus landwirtschaftlicher Sicht gehören Ertrag und Qualität eng zusammen. Ein hoher Ertrag an qualitativ hochwertigem Futter ist heute im sogenannten Wirtschaftsgrünland die im Vordergrund stehende Funktion des Wieslandes. Die mit dem Wiesenfutter mögliche Milch- und Fleischleistung pro Tier, aber ebenso die ökonomisch wichtige Grösse der Flächenproduktivität, also die Anzahl Liter Milch oder Kilogramm Fleisch, die pro Hektare Wiesland produziert werden können, hängen direkt vom Ertrag und der Qualität des Futters einer Wiese ab (s. Kap. 9). Ein hoher Ertrag ist im Naturfutterbau nur möglich mit einem stabilen, ausgewogenen Pflanzenbestand, bei dem einerseits die ertragsbildenden Arten zugleich die wertvollen Futterpflanzen ausmachen und bei dem andererseits auch die weiteren unentbehrlichen Funktionen wie Resilienz («Stabilität»), Befahrbarkeit usw. erfüllt sind.

Exkurs 2

Wiese – ein altes Wort mit junger Bedeutung

Noch anfangs des 20. Jahrhunderts wurde in der Fachliteratur heftig darüber debattiert, wie der Begriff «Wiese» zu definieren sei und wie er sich von den zahlreichen anderen, teilweise synonym verwendeten Begriffen wie Fluren, Rasen, Spreiten, Matten, oder Grasland abgrenze. Im Bemühen, die verschiedenen Bezeichnungen einzuordnen und das Wiesland begrifflich klar und einheitlich zu fassen, wurden auch immer wieder neue Begriffe kreiert und verschiedene Unterscheidungskriterien festgelegt. So gab es beispielsweise die Aufteilung zwischen «langrasigen grasreichen Wiesen» und «kurzrasigen, kräuterreichen Matten». Der deutsche Pflanzengeograph DRUDE (1890) fasste die verschiedenen Begriffe für das heutige Wiesland unter dem Begriff «Grasflurformation» zusammen. Der Zürcher Vegetationskundler Eduard RÜBEL führte 1930 den Begriff Sempervirentiherbosa ein, mit dem er das Wiesland kennzeichnete – was übersetzt aus dem Lateinischen soviel heisst wie «immergrünes Kräuterland».

Ausführlich mit dem Wiesenbegriff und den damals gebräuchlichen oder vorgeschlagenen Termini und Definitionen befassten sich die beiden weitherum anerkannten Futterbauwissenschafter Friedrich Gottlieb STEBLER und Carl SCHRÖTER, beide ebenfalls in Zürich tätig. Sie definierten 1892 in einem wegweisenden Werk die Wiese als Sammelbegriff über die vielen anderen vorhandenen Bezeichnungen als eine «Pflanzengesellschaft, welche aus… vorwiegend ausdauernden und krautartigen … Landpflanzen inklusive Moose und Flechten sich zusammensetzt und den Boden mit einer mehr oder weniger geschlossenen Narbe überzieht…». Nach dem Kriterium der Nutzung unterteilten sie die Wiesen in die «unberührten Naturwiesen oder Urwiesen», und die bewirtschafteten «Kulturrasen», die sie wiederum differenzierten in Streuewiesen und Futterwiesen, wobei sie unter der letzteren Kategorie gemähte Matten von beweideten Weiden unterschieden. Von späteren Autoren wurde immer wieder auf diese Einteilung Bezug genommen.

Warum sich unter den zahlreichen Begriffen in den vergangenen 100 Jahren das Wort «Wiese» als Oberbegriff für alle Arten von Wiesland durchgesetzt hat, ist unklar. Sicher ist nur, dass «Wiese» auf Mittelhochdeutsch «wise» beziehungsweise Althochdeutsch «wisa» zurückgeht. Die weitere Herkunft ist unsicher. Nach Etymologie-Duden könnte es entweder mit lat. «viridis» (grün) oder mit engl. «ooze» (Schlamm) beziehungsweise «woosy» (feucht) verwandt sein – und damit auch mit dem deutschen Wort «Wasser» (KAUTER 2002).

Gut nachvollziehbar ist dagegen die Herkunft des heute ebenfalls gebräuchlichen Begriffs «Matte». Matte hat nichts mit dem Lateinischen «matta» zu tun – auf welches sich der Begriff Matte im Sinne von Teppich usw. bezieht –, sondern geht auf die indogermanische Wurzel «med» zurück, welche auch im lateinischen «metare» (mähen, ernten, abhauen), im englischen Wort «meadow» oder im deutschen «(nieder)metzeln» und «mähen» enthalten ist. Der Begriff reicht also noch zurück in die Zeiten, in welchen Wiesen mangels schneidender, hochqualitativer Langblattsensen noch nicht gemäht, sondern mit Hausensen kleinflächig abgehauen wurden. Auch das Wort «Heu» geht auf «hauen» zurück (vgl. auch Kap. 6.4).

– Befahrbarkeit und Erosionsschutz: Intensiv genutzte Mähwiesen werden heute miti mmer schlagkräftigeren, grösseren und schwereren Maschinen befahren. Bei einer Neigung des Wieslandes von über 18 Prozent wird die Stabilität des Wasens (Grasnarbe) zu einem ausschlaggebenden Faktor für die Befahrbarkeit und damit für die effiziente und sichere maschinelle Nutzung. Ebenso wichtig ist ein stabiler Wasen für Weiden – vor allem bei nassen oder steilen Verhältnissen. Die Wasenstabilität kommt im Wesentlichen durch die rasenbildenden Grasarten zustande, wobei die stabilisierende Wirkung von Grasart zu Grasart unterschiedlich ist und oft unterschiedliche Ökotypen unterschiedliche Wasenbildungsfähigkeiten aufweisen (z. B. verschiedene Rotschwingel-Typen). Bei einer zu düngerintensiven Nutzung fallen die Rasengräser oft als erste aus, weil ein dichter, hochwüchsiger Pflanzenbestand zu wenig Licht in die unteren Bestandesschichten durchlässt (Kap. 3.3.1). Ausnahmen sind Weiden und Mähweiden mit einer sehr häufigen Nutzung, wodurch der Bestand immer tief bleibt und immer genügend Licht auch in die tieferen Vegetationsschichten einfällt. Wenig intensiv und extensiv genutzte Wiesen weisen meist einen sehr stabilen Wasen auf. Ausnahmen bilden einerseits sehr trockene Standorte, auf denen die Rasengräser keine geschlossene Grasnarbe mehr bilden können, andererseits saure, schattige Standorte, auf denen verschiedene Moosarten die Gräser mehr oder weniger stark verdrängen können.


Abb. 5. Undifferenzierte Wieslandnutzung: Die einheitliche, intensive Nutzung grosser Flächen schafft für die meisten Arten der Wiesenflora und -fauna lebensfeindliche Bedingungen. Auch weitere multifunktionale Leistungen des Wieslandes, die neben der Erhaltung der Biodiversität wichtig sind, beispielsweise hinsichtlich der Ästhetik, können mit einer solchen Nutzungsweise nicht mehr erbracht werden. Toggenburg/CH.

– Resilienz («Stabilität»): Bei Ackerkulturen kann eine Ernte unter extremen Bedingungen ganz oder teilweise ausfallen – auf die Folgekultur hat das kaum Einfluss. Nicht so bei einer Naturwiese: Ein degenerierter Pflanzenbestand – sei es durch Bewirtschaftungsfehler, sei es beispielsweise durch Mäuse- oder Engerlingsschäden oder auch durch eine extreme Trockenheit – kann Jahre brauchen, bis er wieder das alte Niveau von Ertrag und Qualität erreicht. Resilienz, also Robustheit gegenüber Umwelt- und Bewirtschaftungseinflüssen, ist deshalb im Naturfutterbau von grosser Bedeutung.

– Artenvielfalt / Biodiversität: Obwohl in der heutigen Form menschlichen Ursprungs, beherbergt das Wiesland einen Grossteil der heimischen Biodiversität Mitteleuropas (Kap. 2.4.1). Der Beitrag des Wieslandes zur Erhaltung der Biodiversität ist deshalb eine zentrale Funktion. Sie hat in den letzten Jahrzehnten parallel beziehungsweise komplementär zur extremen Verarmung seiner Biodiversität stark an Bedeutung gewonnen. Dabei zählt weniger die schlichte Zahl an Arten – denn auch eine stark gestörte, übernutzte Wiese kann als Folge eines kurzfristigen Auftretens verschiedener Störungszeiger in beschränktem Masse artenreich sein. Wesentlich sind die Kriterien 1) Anzahl Wiesenarten, 2) Anzahl seltenere oder gefährdete Arten und 3) Vorhandensein spezifischer Ökotypen (Vielfalt auf genetischer Ebene).

– Ästhetik: Auch dieses Kriterium nahm weitgehend parallel zum Verschwinden der Blumen- und Strukturvielfalt unserer Wiesen und Weiden einen immer höheren Stellenwert ein. Als besonders schön wird Wiesland in der Regel dann empfunden, wenn es blumenreich, farbig und strukturreich, also zum Beispiel mosaikartig genutzt oder mit Strukturelementen wie Rainen, Einzelbäumen oder Hecken durchsetzt ist (SCHÜPBACH et al. 2009). Aber auch die Artenvielfalt wird ästhetisch direkt positiv beurteilt (LINDE-MANN-MATTHIES et al. 2010). Schliesslich ist auch das Nutzungsmosaik des Wieslandes ein landschaftsästhetisch bedeutsamer Faktor. Seit 2014 können in der Schweiz für besonders blumenreiche Wiesen und für die Aufrechterhaltung eines vielfältigen Nutzungsmosaiks neben den Biodiversitätsförderbeiträgen spezifische Landschaftsqualitätsbeiträge ausbezahlt werden (Schweizerischer Bundesrat 2014). Ein Beispiel für die Förderung des Wiesland-Nutzungsmosaikes und weiterer ästhetischer Qualitäten des Wieslandes beinhaltet das Landschaftsqualitätsprojekt im Kanton Appenzell Ausserr hoden (Appenzell a. Rh. 2014). Die futterbauliche Nutzung ist zudem für die Offenhaltung und damit den Charakter vor allem auch der touristisch genutzten Landschaften ausschlaggebend.

Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas

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