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Einleitung

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Allenthalben ist heute von Bildung die Rede, es lohnt sich offensichtlich wieder, über Bildung zu reden und auch in Bildung zu investieren. Doch gerät dabei aus dem Blick, dass mit dem Begriff „Bildung“ traditionsreiche und vielschichtige Vorstellungen verbunden sind, die diesen Kernbegriff der Erziehungswissenschaft und Pädagogik markieren. Die vorliegende Einführung in Theorien der Bildung trägt dieser Komplexität durch einen historischen und systematischen Zugriff Rechnung. Sie versucht Differenzierungen und Dimensionen des Begriffs aufzuzeigen, Leitvorstellungen sowie normative Orientierungen transparent zu machen und soll vor allem Anregung für die weitere kritische Beschäftigung mit den erörterten Gegenständen sein.

Historisch-systematischer Zugriff

Der hier gewählte historisch-systematische Zugriff soll zum Ausdruck bringen, dass zwischen Problemlagen von heute und solchen in der Vergangenheit gedankliche Zusammenhänge bestehen. In diesem Sinne sind auch historische Auslegungen, die bis in die Antike zurückreichen, nicht historisierender Selbstzweck, sondern sie werden zu Rate gezogen, weil sie möglicherweise Antworten bereit halten, die sinnvolle Alternativen zu den heutigen Antworten auf gleiche oder ähnliche Fragen sein können.

Bildung im Studium

Im Studium der Erziehungswissenschaft taucht der Begriff der Bildung aber nicht nur als ein Gegenstand und als ein zentraler Begriff der Disziplin auf, sondern das eigene Studium wird selbst als Teil der eigenen Bildung verstehbar. Daher sind die Erwartungen nicht nur an diese Einführung, sondern insgesamt an das Studium mitunter von dieser Zweischneidigkeit geprägt. Zum einen geht es um die Beschäftigung, das Nachdenken und die Auseinandersetzung mit Fragen und Problemen der erziehungswissenschaftlichen Forschung und der pädagogischen Praxis, zum anderen sollten diese Weisen des Studierens nicht ohne Belang für die Sicht auf die je eigene Lebensführung und -gestaltung sein. Umso wichtiger sind auch aus diesem Grunde die Beschäftigungen mit Vorstellungen von Bildung und dem Verständnis von Bildungsprozessen.

Bildungsbegriff

Max Horkheimer (1895 – 1973) verdeutlicht diese Ambivalenz in einer Rede, die er anlässlich der Immatrikulation der Studierenden im Wintersemester 1952 / 1953 als Rektor der Universität Frankfurt hielt:

„Diejenigen unter Ihnen, welche heute ihr Studium beginnen, tun gut daran, für einen Augenblick darüber nachzudenken, was sie von diesem Studium sich erwarten. Im Vordergrund steht wohl zumeist der praktische Zweck, sich die Vorkenntnisse für bestimmte Berufe anzueignen, die akademischen und staatlichen Diplome zu erwerben, an deren Nachweis manche, ja allzu viele Laufbahnen heute gebunden sind. Zuweilen mag die Tradition der Familie eine Rolle spielen, der Umstand, daß freie und gelehrte Berufe in ihr heimisch sind, das Vorbild oder der Wille des Vaters, der Druck der Verhältnisse. Zu solchen Momenten tritt jedoch eine Vorstellung, die manche unter Ihnen vielleicht nicht sehr deutlich zu bezeichnen vermochten, von der ich aber glaube, daß sie in verschiedenen Graden des Bewußtseins allen jungen Studenten eigen ist, auch wenn die Härte des Lebens sie davon abhält, sich ihr hinzugeben. Es ist der Gedanke, daß das Studium an der Universität nicht bloß bessere wirtschaftliche und gesellschaftliche Möglichkeiten erschließt, nicht bloß eine Karriere verspricht, sondern zur reicheren Entfaltung der menschlichen Anlagen, zu einer angemessenen Erfüllung der eigenen Bestimmung die Gelegenheit bietet. Der Begriff, der sogleich sich darbietet, wenn diese Vorstellung sich aussprechen will, ist der der Bildung.“ (HORKHEIMER 1952 / 1985, S. 409)

Dreifaches Bildungsverständnis

Versucht man anfangs Merkmale zu benennen, die den Redeweisen, Theorien und Konzeptionen, der Erforschung sowie den Konturen von Bildung gemeinsam sind, so stößt man – vielleicht über Umwege, die man erst bei weiterer Lektüre klarer durchschaut – auf ein Bildungsverständnis, das als Folie weiten Teilen des abendländischen Nachdenkens über Bildung unterlegt werden kann und deswegen geeignet scheint, die Einführung in die Bildungstheorie gleichsam als roter Faden zu durchlaufen. Dieses Bildungsverständnis lässt sich dreifach charakterisieren. In Anlehnung an Wilhelm von Humboldt kann man davon ausgehen, dass jedes Verständnis von Bildung, ungeachtet der Gewichtungen und Nuancierungen, die in den einzelnen Kapiteln unterschieden werden, die Beziehungen und Verhältnisse zur Sprache bringt, die – erstens – Menschen zu sich selbst, – zweitens – zu ihren Mitmenschen und – drittens – zum Gesamt der Welt eingehen bzw. eingegangen sind.

Über dieses explizit und implizit leitende und als Arbeitshypothese zu verstehende Bildungsverständnis als Selbst-, Fremd- und Weltverhältnis hinaus ist die Anlage des gesamten Bandes von einem weiteren Merkmal durchgängig bestimmt. Das ist – neben dem oben beschriebenen historisch-systematischen Zugriff – das bestimmende Moment kritischer Reflexivität.

Kritische Reflexivität

Dieses Merkmal soll deutlich machen, dass Bildung als reflexiv und kritisch qualifiziert wird. Das will besagen, dass mit der Rede von Selbst-, Fremd- und Weltverhältnissen keine neutralen Formeln oder beliebigen Relationen gemeint sind, sondern dass diese Verhältnisse überhaupt nur gedanklich und sprachlich – d. h. reflexiv – und differenziert sowie in Frage stellend – d. h. kritisch – zum Thema werden können. Man könnte deshalb das durchgängig leitende Bildungsverständnis zusammenfassen als die differenzierte, gedanklich und sprachlich vermittelte Auseinandersetzung von Menschen mit sich, mit anderen und mit der Welt. Dementsprechend wäre „Bildung“, das Thema des Bandes, zu kennzeichnen als ein Nachdenken, Durchdenken und Weiterdenken darüber, dass und wie Menschen sich mit sich, mit anderen und mit der Welt, sprachlich-gedanklich vermittelt, auseinandergesetzt haben, gegenwärtig auseinandersetzen und zukünftig vielleicht auseinandersetzen können.

Aufbau der Einführung

Die Einführung entfaltet den Fragehorizont und die Problemstellungen der Theorien von Bildung in den Dimensionen der Redeweisen über Bildung (A), von Theorien sowie Konzeptionen der Bildung (B), unter Rückgriff auf die empirische Bildungsforschung (C) und in Abgrenzung von den Zugriffen der Nachbardisziplinen sowie von anderen Begriffen (D).

Im ersten Teil wird die Vielfalt und die Heterogenität der Redeweisen und Diskurse über Bildung aufgegriffen und die Pluralität der Umgangsweisen mit Bildung dargestellt. Bildung wird erfahren und erzählt, wird zum Thema der Reflexion und der literarischen Kommunikation. Bildung ist zugleich auch ein Thema der Öffentlichkeit und der Wissenschaft, der gesellschaftlichen Organisation und politischen Steuerung. Der zweite Teil enthält in systematischer Absicht sechs Grundfiguren des Denkens über Bildung und einen Überblick über wichtige Positionen der Bildungstheorie der Gegenwart, ihre Perspektiven und thematischen Schwerpunkte. Der dritte Teil nimmt die empirisch-sozialwissenschaftliche Wende in der Beschäftigung mit Bildung auf und stellt die Bildungsforschung in den zwei Varianten einer quantitativ und qualitativ ausgerichteten Methodologie exemplarisch dar. Der vierte Teil schließlich zeichnet die Konturen des Bildungsbegriffs deutlicher in der Unterscheidung verschiedener disziplinärer Zugriffe und in der Abgrenzung von anderen grundlegenden erziehungswissenschaftlichen, philosophischen und sozialwissenschaftlichen Begriffen nach.

Weiterführung

Natürlich kann eine Einführung nicht das ganze Feld, mit dem sie sich auseinander setzt, bestellen, vielmehr sind Beschränkungen die Bedingung einer Einführung. So wird der bereits kundigere Leser vielleicht das eine oder andere vermissen, das dann aber möglicher Weise in anderen Bänden dieser Reihe, insbesondere in dem komplementären Band „Einführung in die Theorie der Erziehung“, zu finden sein wird. Auswahl und Gewichtungen sowie die Konzeption insgesamt begründen sich durch den Charakter der Einführung für die Studienanfängerinnen und die Studienanfänger, müssen aber letztlich von den Autoren verantwortet werden. Es ist unser gemeinsames Werk, auch wenn die einzelnen Kapitel in ihrem ersten Entwurf und ihrer letzten sprachlichen Formulierung jeweils einen Autor haben (A. Dörpinghaus hat die Kapitel 1, 5, 6 und 8, A. Poenitsch die Kapitel 3, 4, 10 und 12, L. Wigger die Kapitel 2, 7, 9 und 11 verfasst). Wir verstehen das Buch als eine Einführung und hoffen darauf, zum Weiterlesen und zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema anzuregen.

Grundlegende Literatur

Empfehlenswerte Nachschlagewerke

BÖHM, W. (Hrsg.) (2005): Wörterbuch der Pädagogik

BENNER, D./OELKERS, J. (Hrsg.) (2004): Historisches Wörterbuch der Pädagogik

Empfehlenswerte einführende Literatur zur Geschichte der Bildung

BLANKERTZ, H. (1982): Die Geschichte der Pädagogik

TENORTH, H.-E. (2000): Geschichte der Erziehung

Weiterführende Grundlagenliteratur zur Sozialgeschichte und zur Theoriegeschichte

BERG u. a. (Hrsg.) (1987ff.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. 6 Bde.

BALLAUF/SCHALLER (1969 – 1973): Pädagogik. 3 Bde.

Zur Begriffsgeschichte empfehlenswert

VIERHAUS, R. (1972): Bildung

Einführung in die Theorie der Bildung

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