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Einleitung

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„Die Naturwissenschaft ist eine nie fertig zu machende Arbeit,

ewig, wie die Arbeit des Stromes, der sein Bett formt.“

Ludwik Fleck

Unsere Welt wird durch die modernen Naturwissenschaften geprägt. Die Naturwissenschaftler mit ihren Methoden, ihrem Wissen und ihrer Denkungsart liefern die Modelle, die uns das Leben erklären, die Natur, unseren Körper, die Zusammensetzung der Materie und die Zusammenhänge im Kosmos. Aber sie liefern nicht nur Erklärungen, sondern ihre Erklärungsmodelle machen technische Anwendungen möglich, wie sie die Menschheit in ihrer langen Geschichte nie gesehen, nicht einmal für möglich gehalten hat. Deshalb ist die moderne Naturwissenschaft heute ein globales Phänomen; die Arbeit der Naturwissenschaftler basiert weltweit auf den gleichen Grundlagen.

Wo ist da die Geschichte? Das ist eine gar nicht so leicht zu beantwortende Frage. Zunächst können wir feststellen, dass es schon immer Erklärungen von Naturphänomenen gab, aber diese Erklärungen in verschiedenen Kulturen zu verschiedenen Zeiten sehr unterschiedlich ausfielen. Und unsere moderne Naturwissenschaft mit ihrer Art Naturphänomene zu erforschen und zu erklären ist selbst historisch zu „verorten“. Sie entwickelte sich in einer bestimmten Situation der Weltgeschichte unter bestimmten sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen, mit geprägt von Denkansätzen, die aus der griechischen Antike stammen. Die moderne Naturwissenschaft entstand im 17. und 18. Jh. in Europa, und verbreitete sich von dort aus in die ganze Welt. Sie selbst ist also ein historisches Phänomen.

Da sind wir bei der Geschichte. Aber was bedeutet das? Wenn man Geschichte erzählt, dann geht man grundsätzlich davon aus, dass die Dinge, von denen man erzählt, sich in Abhängigkeit von der Zeit entwickeln. Heißt das, dass die moderne Naturwissenschaft nicht „wahrer“ ist als die Naturerklärungen vor ihr? Ist sie nur ein historisches Phänomen wie andere auch oder kann sie die Welt „richtig“ erklären? Wäre es zu der heutigen Auffassung von Naturwissenschaft auch gekommen, wenn die historische Entwicklung anders gewesen wäre? Das sind viele schwierige Fragen.

Die Vergangenheit ist ja nicht einfach vorhanden, sie wird für uns greifbar im Wesentlichen in Form von überlieferten Gegenständen, vor allem aber in Form vieler, vieler Texte. Darunter sind solche, die die Menschen, die für uns interessant sind, selbst geschrieben haben, und solche, die über diese Menschen und ihre Handlungen berichten, aus den Zeiten, in denen die Menschen gelebt haben, oder auch aus späteren Zeiten. Aber damit wir ein Bild von der Vergangenheit erhalten, müssen wir es aus allen diesen Überlieferungsteilen zusammensetzen.

So wie zum Beispiel unterschiedliche Maler die Welt unterschiedlich malen, so stellen auch Menschen, die die Geschichte der Naturwissenschaften erforschen, diese unterschiedlich dar. Wie sie sie darstellen, hängt von ihrer Ausbildung ab, von ihrem Interesse am Thema, allgemein von ihrem Weltverstehen. Es gibt nicht die „wahre“ Geschichte. Aber jede Geschichtserzählung, die ernst genommen werden will, muss dennoch bestimmten Ansprüchen genügen, sie muss in sich logisch sein und sie darf den „Fakten“ nicht widersprechen, die man kennt.

Das ist nicht unähnlich den Theorien in den Naturwissenschaften selbst. Auch diese können nicht völlig willkürlich sein, sie müssen irgendwie Überprüfungen standhalten. Aber da müssen wir etwas genauer nachfragen. Wie kommt es eigentlich, dass eine bestimmte Erklärung von Naturphänomenen von der Gemeinschaft als „wahr“, oder sagen wir etwas vorsichtiger, als „richtig“ anerkannt wird? Und, fast noch spannender, warum werden irgendwann Erklärungen nicht mehr als richtig empfunden und andere an ihre Stelle gesetzt?

Man könnte sagen, dass ein Erklärungsmodell dann akzeptiert wird, wenn es zu dem Phänomen „passt“, das es erklären soll – oder nicht mehr akzeptiert wird, wenn es eben nicht mehr „passt“. Aber was heißt in diesem Zusammenhang „passen“? Können wir denn ernsthaft behaupten, dass die Erde sich um die Sonne dreht, obwohl wir jeden Morgen sehen können, wie die Sonne „aufgeht“? Und doch sind wir alle (und zu Recht) davon überzeugt, dass sich die Erde um ihre eigene Achse dreht (und außerdem noch um die Sonne). Aber wie kommt man auf so eine „Theorie“, die doch unserer Anschauung widerspricht, und wie findet solch eine merkwürdige „Theorie“ die allgemeine Anerkennung?

Da sind wir wieder bei der Geschichte. Diese Theorie hat sich erst herausgebildet – aber warum? Liegt es daran, dass die Menschen ihr Denken auf Grund äußerer Einflüsse verändert haben? Etwa so, wie es oft neue Moden gibt oder sich in der Kunstgeschichte Stile ändern? Oder liegt es daran, dass sich aus der Beschäftigung mit dem Naturphänomen, das erklärt werden soll, durch Prüfungen, Diskussionen und Nachdenken gewissermaßen zwangsläufig neue, bessere, „richtigere“ Theorien bilden?

Wahrscheinlich stimmt beides. Wissenschaftler ringen um „Wahrheiten“, nach bestem Wissen und Gewissen, aber die Art, wie sie ringen, hängt doch von den historischen Bedingungen und der geistigen Atmosphäre ab, in der sie leben. Wenn wir eine Geschichte der Naturwissenschaften schreiben, so müssen wir über beides schreiben, über die innere Entwicklung der Wissenschaft im Sinne eines „Fortschritts“ bei der Erklärung von Naturphänomenen, aber auch über die Abhängigkeit dieser Entwicklung von den historischen Bedingungen.

So haben wir ein doppeltes Buch geschrieben, in dem beide Sichtweisen nachzulesen sind. Teilweise parallel, teilweise getrennt in unterschiedlichen Kapiteln. Dieses Buch soll gleichermaßen in die Geschichte der Naturwissenschaft einführen und einen Überblick über ihren Verlauf geben. Mehr noch wäre es schön, wenn dieses Buch Lust darauf machte, einzelne Fragen, die in einer solchen kurzen Darstellung nur angedeutet werden können, genauer zu betrachten. Darum haben wir am Ende des Buches einige Literaturhinweise angefügt, die Verweise auf deutschsprachige Bücher enthalten, die in dieser Hinsicht lesenswert sind.

Um das Buch schreiben zu können, haben wir natürlich viele andere Bücher und Aufsätze zum Thema gelesen. Wir haben darauf verzichtet, diese Literatur anzugeben (obwohl wir damit unsere Belesenheit dokumentiert hätten). Fußnoten mit den entsprechenden Verweisen hätten die Lesbarkeit unseres Buches eingeschränkt, die Nennung der benutzten Literatur hätte es unnötig dick gemacht. Am Ende dieser Einleitung sei darum nur ausdrücklich der Dank allen diesen Historikern und Naturwissenschaftlern ausgesprochen, denen wir unser Wissen verdanken.

Von Pythagoras zur Quantenphysik

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