Читать книгу Reiseliteratur - Andreas Keller - Страница 11

Zahlreiche Dimensionen des Reisens, wie etwa kommunikative, religiöse, ästhetische oder mentalitätsgeschichtliche Komponenten, werden hier nur unzureichend berücksichtigt. Der wissenschaftlichen Erschließung dieser Faktoren und Einflussgrößen hat sich seit den 1980er Jahren die historische Reiseforschung angenommen, die einen umfassenden Begriff der Reisekultur verschiedener Epochen und sozialer Gruppen erarbeitet hat (Kutter 1996; Brenner 1997; Maurer 1999). Peter J. Brenner unterscheidet drei Dimensionen des Begriffs: das Reisen selbst, seine Voraussetzungen und seine Folgen.

Zitat

Peter J. Brenner: Einleitung, in: ders. (Hg.): Reisekultur in Deutschland. Von der Weimarer Republik zum ‚Dritten Reich‘. Tübingen 1997, 1–2.

„Der Begriff der ‚Reisekultur‘ meint einmal das Reisen selbst in seinen modernen Ausprägungen […]; die Individualreise gehört ebenso dazu wie die organisierte Gruppenreise der großen Institutionen […]. [Zur Reisekultur] gehören aber auch die Voraussetzungen ebenso wie die Folgen des Reisens. Zu den Voraussetzungen ist insbesondere die Infrastruktur des Reisens zu rechnen – die Entwicklung der Verkehrsmittel und der Organisationsformen vom Reisebüro bis zum Beherbergungswesen. Das Reisen bringt schließlich eine eigene Literatur hervor – nicht nur Reiseberichte im klassischen Sinne, auch [zum Beispiel] die Lieder der Wandervogelbewegung […] sowie die Reisewerbung und die reisebegleitende Literatur. Schließlich entsteht so etwas wie eine ‚Reiseideologie‘ als Teil der Reisekultur: Reflexionen über das Reisen, seinen Sinn und seine Funktion in der Gesellschaft.“

Reiseliteratur als Quelle

So sinnvoll auf einer Makroebene die tourismusgeschichtliche Begriffsbildung für eine Gesamtsicht des Reise-Phänomens ist, so notwendig bleibt die Analyse eines Reiseereignisses auf der Mikroebene mit Methoden der historischen Reiseforschung: Reiseliteratur fungiert hier als aussagekräftige historische Quellengattung für die jeweilige Fremdwahrnehmung des Reisenden, dessen soziale Aufnahme an den Orten der Gastlichkeit, verschiedene Praktiken des Reisens wie dessen materielle Kultur (Reiseausstattung, Reisekleidung, Mitbringsel, Andenken usw.). Reiseliteratur lässt die soziale Realität vergangener Jahrhunderte zur Anschauung kommen und bringt gleichzeitig ein bestimmtes Wahrnehmungsmuster dieser Realität zum Ausdruck. Dieses Wechselverhältnis kann als die spezifische Erkenntnisproblematik der Gattung Reiseliteratur bezeichnet werden.