Читать книгу Die Zeit, in der die Welt aussetzte - Andreas M. Riegler - Страница 12

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7.

Nun gehen wir durch den dichten Wald. Das restliche Rot des Sonnenaufgangs kann man zwischen den Baumstämmen noch erkennen.

So verunsichert bin ich nun. Was sie wohl von mir hält?

Da gehen sie nun, der Offizier und sein Mädchen, ohne ein Wort zu sprechen. Doch sie brauchen es nicht, denn ihre Seelen sprechen die gleiche Sprache. Nachdenklich, mit gesenktem Kopf, stapft sie mit ihren Stiefeln über den Waldboden. Ich bin wohl zu schnell.

Dass sie keine Angst hat, mit einem Soldaten mit zu gehen und alles hinter sich zu lassen. Wie furchtlos und tapfer sie ist.

Nach einer Weile halten wir an einer Lichtung. Sie ist müde und außer Atem. Es ist Mittag und die Vögel zwitschern. Die Ruhe ist himmlisch. Nur von Zeit zu Zeit kann man das Knallen leise hören. Hier hat sich also der Frieden versteckt.

Erschöpft lässt sie sich auf den Boden fallen und lehnt mit dem Rücken an einer Buche. Ich kann mich nicht mit ihr unterhalten, das ist das größte Hindernis für uns beide. Aufmerksam blicke ich in die Ferne und versuche mich zu orientieren.

Sie hat bestimmt Hunger. Ich bin ratlos. Wie soll es nur weitergehen? Alles was wir haben, ist unsere verschwiegene Liebe. Wir sind nun beide in derselben Lage. Ich bin nun kein Soldat mehr und sie nun auch keine wohlhabende Bauerstochter. Wir selbst sind nun alles, was wir haben und was uns blieb. All das, was uns zu dem gemacht hat, haben wir nun verloren.

Die Kälte nimmt zu. Die Finger werden kalt und das Gesicht schmerzt wegen dieser grausamen Kälte. Sie wird uns noch umbringen. Sie zittert ganz heftig. Ihre Lippen sind blau und ihr Gesicht blass. Ihre Augen blicken hoffnungslos auf den Boden. Bedächtig drehe ich mich um und gehe zu ihr. Wie aus ihren Träumen gerissen, sieht sie mich an. Ich knie mich vor ihre Beine und sehe auf, in ihre Augen. Erst jetzt bemerke ich, dass sie noch immer mein Hemd der grüngräulichen Uniform umgehängt hat. Ich greife nach ihren Händen. Sie sind kalt, wie Eis.

Doch ihr verräterischer Blick, wie dankbar und erregt sie ist. So wie sie mich ansieht. Mit prüfendem Blick schaue ich noch einmal in die Ferne. Dann hänge ich mein Gewehr über meine Schulter, an meinen Rücken, während ich mich langsam erhebe. Sie will es doch auch. Langsam fahre ich mit meinen Händen ihre Arme hoch bis zu ihrem Halse. Wir sehen uns tief in die Augen. Fast, als könnten wir in unsere Seelen blicken und wir uns voll und ganz dem anderen offenbaren. Der Abstand zwischen unseren Köpfen wird immer kleiner, bis sich unsere Lippen schließlich treffen. Wie sehr habe ich mich doch nach ihren Lippen gesehnt. Ihre sind so kalt. Ich spüre, wie sie sich in meine Arme fallen lässt und sich mir völlig gibt. Ich beuge mich über sie und der Kuss wird von Moment zu Moment leidenschaftlicher und intensiver. Dann knie ich mich nieder und lehne sie an einem Baumstamm an. Plötzlich rutscht ihr Rücken von feuchter Rinde ab, auf die kalte Erde. Mit Mühe kann ich mich noch mit meinen Händen neben ihren schmalen Schultern abfangen. Nun liegt sie unter mir, mit einem erwartungsvollen Blick. Erwartungsvoll und mit Hingabe rekelt sie sich mit einem verführerischen Lächeln im Gesicht. Ihre Lippen schmunzeln und ihre Augen zeigen mir, was sie will. Ein wiederholtes Mal setze ich zu einem Kuss an. Er dauert eine Zeit an, so feucht und voller Lust. Nun dankt sie mir für mein Tun.

Wir brauchen nicht dieselbe Sprache zu sprechen, wir fühlen uns gegenseitig. Wir spüren jetzt, dass der andere gleich ist. Wir spüren uns und unser Wollen. Wir brauchen nicht zu reden, das machen unsere Seelen für uns. Erregt blicken wir uns in die Augen. Wie sie sich windet und wie sie alles annimmt. Ich taste ihren schönen Körper vorsichtig ab. Doch als meine Hände das Ende des Bauches erreichen, beendet sie den Kuss. Sie wird rot und beschämt sieht sie mich an. Schnell gebe ich meine Hände von ihr weg. Sie sieht hinab und wagt schüchtern einen Blick zu mir hoch. Sie ist noch nicht bereit. Doch ich gebe ihr alle Zeit der Welt, wenn sie diese braucht.

Meine Arme schlingen sich um ihren Rücken und ich drehe uns auf die Seite. Verständnisvoll sehe ich sie an und zeige ihr, dass es für mich in Ordnung ist. Fester drücke ich sie an mich. Wie schön doch die gemeinsame Wärme ist. Ich gebe ihr einen zarten Kuss auf ihre Stirn und rieche mit großer Lust an ihrem Haar. Ihre Augen, mit ihren langen Wimpern, sehen zu mir. Es ist ein Blick, der ohne Grund ist. Damit wir uns einfach in die Augen sehen. Ein Blick, der endlos ist. Wie lange wir hier schon liegen. Doch unsere Liebe hat den Hunger besiegt. Zu zweit sind wir stark. Zu zweit können wir es schaffen.

Mit gespreizten Fingern lege ich ihre Haarsträhne, die vor ihr Gesicht gefallen ist, zu den anderen und streichle sie mit Liebe durch ihr glänzendes, dunkelblondes Haar.

Doch unsere Liebe kann uns in ein großes Unheil stürzen. Wir müssen weiter und Nahrung suchen, bevor es dunkel wird. Noch ein letztes Mal möchte ich ihre Lippen berühren, bevor ich mich erhebe. Schnell komme ich mit meinem Mund zu ihrem und küsse sie geschwind. Dann lächle ich sie zufrieden an und erhebe mich. Ich reiche ihr meine Hand und helfe ihr auf. Nun hat ihr Kleid Erdflecken, doch das ändert nichts an ihrer Schönheit. Mit einem Hopsersprung hüpft sie zu mir und nimmt den Helm von meinem Kopf. Ich hatte ihn die ganze Zeit nicht bemerkt. Ich hatte ihn die ganze Zeit auf meinem Haupte. Es ist meiner, der mit dem Adler. Er gehört schon zu meinem Körper, so gewöhnt habe ich mich an ihn. Nun ist meine Uniform am Flure ihres Hauses unvollständig.

Geschwind laufe ich ihr nach. Mit belustigtem Kreischen läuft sie tiefer in den Wald hinein. Sie will mit mir spielen. Doch schnell habe ich sie eingefangen. Ich klammere mich an sie und hebe sie kurz hoch. Wir beide lachen so laut, dass uns die Bäuche schon schmerzen und uns der Atem wegbleibt. Ich lege meine Arme um ihren Bauch, setze meine Lippen an ihren Hals und küsse ihn kurz. Ich kann nicht genug von ihr bekommen. Doch dann nimmt sie meine Finger in die Hand und löst sich. Sie dreht sich um und setzt mir stolz den Helm wieder auf. Doch er gehört nicht mehr zu mir. Ich habe mich entschieden, ein anderer Mensch zu sein. An ihrer Seite scheint es so leicht, sie scheint mir allen Frieden zu zeigen. So nehme ich ihn wieder ab. An diesem guten Stück, das mir so oft das Leben rettete, hängen noch so viele Erinnerungen, die ich Tag für Tag vergessen möchte.

Ohne Ahnung blickt sie mich an. Das Lachen ist verstummt. Um die Stimmung nicht verfliegen zu lassen, setze ich den Helm auf ihren Kopf. So steht sie nun da, mit großen Soldatenstiefeln, einem Kleid und einem breiten Helm, aus dem das kindliche und lachende Gesicht herausblickt.

Hand in Hand gehen wir zur Lichtung zurück. Die Sonne ist bereits gewandert und blinzelt golden zwischen den Blättern hindurch. Ich nehme den Helm wieder von ihrem Kopf und weiß jetzt, dass es nun Abschied nehmen heißt. Nun beginnt für ihn ein einsamer Teil seiner Geschichte. Ich gebe ihm einen andächtigen Kuss auf den grünlackierten Stahl. Auch sie legt ihre Lippen auf ihn und sieht mich, mit leichtem und verständnisvollem Blicke, an. Der Krieg ist nun vorbei, ich habe ihn gefunden, den Frieden meiner Welt. Wir haben ihn gefunden, den Frieden dieser Welt.

Zu dieser Buche lege ich ihn. Mit meinen Händen schabe ich die Blätter und die Erde weg, bis eine kleine Mulde entsteht. Bedächtig lege ich ihn hinein und schütte die Mulde wieder zu, vergrabend die Erinnerung. Für den Krieg geschaffen, werden sie alle so enden, vergraben im ewigen Erdreich, vergessen – für alle Zeit. Nun sieht nur mehr eine kleine Kuppel zwischen den Wurzeln der Buche hervor. Ob er hier für immer liegen wird? Er hat eine Geschichte, es ist die meine, die nun vergangen ist. Hier liegt nun der weinende Stolz. All das, was ich einmal besessen habe. Nur mit ihm habe ich damals überlebt. Nun lebe wohl und lass mich gehen, lasse dich nie wieder sehen!

Ich stehe wieder auf und nehme ihre Hand. Sie führt mich nach vorne, wie eine Mutter ihr Kind, das von Erinnerung geplagt wird, das von bösen Geistern ist verfolgt. Lasset mich doch endlich gehen!

Sie weiß wohl, dass es mir schwerfällt, doch sie steht mir bei. Sie versteht mich. Ein letztes Mal blicke ich zurück. Zwischen den Bäumen kann ich ihn noch sehen. Es scheint, als würde er mir hinterherrufen, als würde er dort lachend warten, bis er wieder meines Hauptes Zier ist.

Unter der Kuppel seien vergraben, alle Kameraden, die im Felde liegen noch, all Blicke in Erinnerung.

Doch mein neues Leben hält mich an der Hand. Und zusammen gehen wir in das Ungewisse ein. Wir wandern ohne Plan und ohne Ziel. Wir sind der Frieden im Chaos. Wir sind der Frieden selbst.

Die Zeit, in der die Welt aussetzte

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