Читать книгу Die Zeit, in der die Welt aussetzte - Andreas M. Riegler - Страница 17
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Blinzelnd öffne ich meine Augen. Die Sonnenstrahlen scheinen mir entgegen und ich erblicke ihr Gesicht über meinem. Sie sitzt auf mir und das Heu sticht mir in den Rücken. Sie sitzt auf meinen Schenkeln und hält sich lachend meine Hose vor ihr Gesicht. Mit einem Ruck ziehe ich ihr die Hose aus der Hand. Ihre Zähne strahlen mir entgegen und ihr frohes Lachen lässt meine Seele erwachen. Das, was gestern geschah, hat uns zu etwas Besonderem gemacht. Selbstbewusst gibt sie mir einen dicken Kuss und rollt sich von mir ab. Sie legt sich neben mich und gemeinsam blicken wir auf das morsche Holz des Dachstuhls, vertieft in Gedanken, was die Zukunft bringen wird. Erst jetzt fällt es mir wieder ein, dass ich doch gar nichts am Leibe trage. Ich springe beschämt auf und ziehe mir die Hose über. Grinsend und mit rot angelaufenen Backen legt sie sich auf den Bauch und drückt ihr Gesicht in das Stroh. Die Sonne strahlt durch das Tor an der Wand. Unter uns hört man die Pferde wiehern und die Bäuerin rufen. Meine Luna dreht sich wieder um und wirft mir hastig die Sachen zu. Der Ruf galt also uns.
Ohne einmal ihr Grinsen abzusetzen, hastet sie in Richtung des Tors und steigt an der Leiter zur Erde hinab. Eilend springe ich gleich zwei Sprossen dem Boden entgegen und stürme ihr nach. Doch sie nimmt Tempo auf und läuft mir davon. Sie stürmt zur Haustür und bleibt stehen. Ich verlangsame meinen Schritt und mache mit einiger Entfernung zu ihr halt. Sie lächelt mich an und winkt mir. Dann geht sie ins Haus, denn wir müssen unsere Pflicht erledigen, um auch noch morgen hier zu sein, an diesem wundervollen Ort.
Mit Gedanken der letzten Nacht gehe ich nachdenklich und überglücklich zur Scheune und lasse die Pferde auf die Weide. Ich hatte noch nie etwas mit so großen und mächtigen Tieren zu tun. Wie sie aus der Scheune galoppieren und die prachtvolle Mähne fliegen lassen! Ich fühle mich nichtig gegenüber ihnen. Ich gehe in den Stall und trage den Mist mit rostiger Gabel zum Misthaufen. Dann steige ich wieder auf den Heuboden, um neues Heu zu holen. Ich werfe es hinab auf die Erde. Doch herunter will ich noch nicht von diesem Platz. Aus dem Tor hinaus blicke ich in die wunderbare Landschaft. Die Sonne strahlt mir entgegen und ich kann einen Vogel singen hören. Wird uns der Krieg hier jemals finden, oder wartet er nur, bis er noch mehr anrichten kann? Wenn sie mich finden, wird nur noch meine Geschichte weiterleben, denn ich bin des Führers Verräter. Ich lasse alle im Stich, so feig bin ich. Doch ohne mich wäre dieses schöne Leben verloren. Ich würde sie nicht haben und meine Seele würde im Schwarz versinken. Keine Granaten und keine Schüsse sind zu hören. Nur das Rauschen des Windes und das Singen der Vögel.
Am selben Abend noch treffen wir uns wieder an der Scheune. Wir sind erschöpft und doch so voller Hoffnung. Nun brauchen wir nur noch abzuwarten, bis der Frieden sich wieder in die Welt traut. Wir wollen die schöne Landschaft erkunden, in der wir nun leben und so machen wir uns auf den Weg. Wir gehen mit zusammengeschlossenen Händen über die schönen Wiesen und Felder. Jede Sekunde ist so wunderbar mit ihr. Die Rufe zu Gott, als ich am Schlachtfeld saß, sind angekommen. Er belohnt mich mit dem höchsten Preis. Er sieht zu uns herab und gibt auf uns Acht, auf mich und meine Liebste.
Meine Luna löst sich von meiner Hand und fängt zu laufen an. Sie läuft geschwind durch die braungrüne Wiese. Sie streckt ihre Arme von ihrem Körper weg, als würde sie im Winde fliegen. Wie ich es einst tat, in großen Höhen, wo die Luft kalt und dünn war und der Herzschlag lauter war als das Brummen der Motoren. Ich war der Diener des Todes, gesandt in ewige Schlachten, warf ich tausendes Schicksal ab, hinab auf diese Erde, wo wir auf den Zufall angewiesen waren und das Heimkommen nur ein Zusammenspiel zwischen Zufall und Bestimmtheit war. Wo wir nur losgeschickt wurden, um die Bomben abzuwerfen und das Überleben zweitrangig war. Ich höre noch immer die tiefen Propeller summen, in meinen Ohren ertönen sie und ich glaube, sie werden nie verstummen.
Ich beobachte nachdenklich ihr Treiben, wie sie dort läuft am großen Felde. Wie ihr Haar im kalten Winde weht und sie sich dabei fröhlich dreht. Sie ist das Mädchen aus meinen Träumen, das, was ich vor Augen sah, als ich harrte im braunen Grab. Sie ist meine Hoffnung, die wieder zu mir fand, sie macht mein Leben zu einem Traum.
Fast wäre ich auf eine so schöne Blume getreten. Sie muss die letzte sein, die noch blüht. Mit ihrem zarten Rosa pflücke ich sie aus der Erde und laufe dem wunderschönen Mädchen hinterher. Ich greife nach ihrer Hand und halte ihr die Blume unter die Nase. Sie lächelt mich an, zart riecht sie daran. Ich stecke sie in ihr Haar. Sie sieht aus wie eine schöne Braut. Wie das Bild meiner Mutter, als sie mit meinem Vater vor dem Altar stand. Sie liebt dieses Bild, weswegen es auch das Nachttischchen neben ihrem Bette ziert.
Wir gehen das Feld entlang und steigen einen Hügel empor, der sich inmitten der Landschaft erstreckt. Auf ihm ruht ein schöner, kräftiger Baum, der dem Winde braune Blätter schenkt, die in weite Ferne fliegen und die Erde an seinem Fuße für unsre Rast auskleiden. Er scheint das Ziel der Wanderschaft zu sein. Welch schöne Aussicht uns auf diesem Hügel geboten wird! Ich lege mich auf das braune Blätterkleid und blicke in den Himmel, wo meine Vergangenheit ruht, von dort aus ich einst herunterfiel auf diese grausame Welt.
Über den weißen Wolken war meine Welt, die ich doch so sehr vermisse, dort, wo mein Schiff einst stolz flog. Bei Tag und bei Nacht flogen wir. Wir waren eine der letzten, der alten Staffel, bis auch uns das Schicksal heimsuchte. Wir flogen für den Führer. Wir flogen für unser Reich, doch belohnt werden wir mit dem Tode. Auf einen Schlag kann all der Stolz Geschichte sein und eine ganze Welt in sich zusammenfallen. Wir haben viele solcher Schläge zu verantworten. Ich habe sie zu verantworten.
Ich blicke in die Sonne und erblicke blinzelnd Lunas Gesicht. Sie sieht auf mich herab. Sie kniet sich in die Wiese und legt sich auf meinen Bauch. Nun liege ich unten. Ich bin kein Soldat mehr, sondern ihr Mann. Ich werde bis in alle Ewigkeit treu sein und mein Versprechen halten. Sie hat ihren Kopf auf meine Brust gelegt wie die Soldaten, als sie sehen wollten, ob man noch lebte. Doch unsere Herzen schlagen für immer. Sie schlagen für den anderen, sie schlagen für uns. Wir liegen so dar, in den Trümmern der Welt und warten ab.