Читать книгу Die Zeit, in der die Welt aussetzte - Andreas M. Riegler - Страница 15
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Es ist ein einzelnes Bauernhaus, an dem der Weg endet. Ein kleines, hölzernes Haus mit eingezäuntem Hof. Ein weißes und ein schwarzes Pferd blicken zu uns herüber. Mit großem Ruck öffnen wir gemeinsam das große Tor und schreiten hoffend zur alten Holztür vor. Am Hof steht eine Scheune und dahinter kann man die Weiden erkennen. Strohberge dampfen in den verdeckten Himmel. Ich klopfe dreimal gegen das rötliche Holztor. Nicht lange müssen wir warten, da kommt eine gekrümmte, alte Bäuerin mit weißer Schürze und mehligen Händen. Ihr überraschter Blick tastet uns langsam ab, dann fängt Luna mit ihr zu sprechen an. Sie unterhalten sich, ohne dass ich ein Wort verstehen kann. Doch die Frau scheint herzlich zu sein und führt uns in die warme Stube. Mit grinsendem Blick sieht mich Luna an. Mein schönes Mädchen, wir haben es geschafft!
Nur du mit mir, fernab des Krieges.
Die Wärme kriecht langsam unter unsere Kleider und taut unsere kaltgefrorene Haut langsam wieder auf. Die alte Bäuerin hilft uns bei der Abnahme der Kleider und ruft in das Haus hinein: „Viola!“ Da sieht plötzlich ein kleiner Kopf beim Türstock herein. Es ist ein kleines Mädchen mit braunem Haar. Die Alte gibt ihr einen Befehl und das kleine Mädchen bittet uns, ihr zu folgen. Sie führt uns zu einer Waschschüssel und reicht uns einen Lappen.
Nachdem wir uns herzlich bei ihr bedankten, verlässt das kleine Mädchen den Raum und lehnt die Tür an. Der Raum ist abgedunkelt. Ein paar Bilder zieren die alten Mauern. Der Staub wird im fahlen Licht, das durch die Fensterläden eindringt, sichtbar und schwebt zeitlos umher, bevor er wieder in der Dunkelheit des Raumes verschwindet und sich auf all die Erinnerungen zur Ruhe legt, die dieser Raum birgt.
Ich nehme den mit Wasser vollgesaugten Schwamm in die Hand und drücke ihn aus. Ich blicke ihr tief in die Augen und setze ihn an ihrem Hals an. Dann fahre ich langsam und behutsam zu ihrer Brust hinab und ziehe den Träger ihres Kleides von ihrer Schulter. Die Wassertropfen des Lappens rinnen langsam an ihrer reinen Haut, zu ihren Brüsten, hinab. Dann fahre ich zum zweiten Träger und streife ihn langsam zur Seite. Da fällt das Kleid zu Boden und sie offenbart sich mir in ihrer vollen Engelspracht. Sie ist das schönste Gottesgeschöpf. Ihre perfekten Brüste fallen mir in die Augen und harmonieren mit dem restlichen Körper, der mich mit ihrer Erregtheit anzieht. Ihre Lippen zittern leicht und sind röter als je zuvor. Die Feuchte der Lippen und das strahlende Rot laden mich ein. Doch sie steht ganz starr da und sieht mir mit einem unbeschreiblich gefassten und gleichzeitig erwartungsvollen und ängstlichen Blick in die Augen. Ich fahre mit dem nassen Lappen über ihre starren Arme zu ihren Brüsten und über ihre Seite zu ihrem Rücken und presse sie an mich. Ihr nackter Körper, formt sich meinem mit Hingabe und Schwäche an. Noch immer sehen wir uns tief in die Augen und warten den Moment ab, der kommen wird. Mit beschämtem Blick sieht sie in meine. Um ihr auch meine Hingabe zu offenbaren, nähere ich mich ihren Lippen wie beim ersten Mal. Schon höre und spüre ich ihren Atem in meinem Gesicht. Leicht öffnet sie ihren Mund. Doch plötzlich fahren wir beide vor lauter Schreck zusammen, denn neben uns, an der Türe, gab es ein hölzernes Knarren des Bodens. Beide blicken wir erschrocken zur Tür, deren Spalt nun breit geworden ist. Da steht das kleine Mädchen der Bäuerin und sieht uns interessiert mit einem beschämten Grinsen zu. Da wandert Lunas Gesicht mit einem ratlosen und gleichzeitig verdutzten Blick wieder zurück, ehe sich unsere Blicke erneut treffen. Mein Mädchen fängt plötzlich an zu lachen. Auch ich muss grinsen, doch die Kleine kam mir ungelegen. Wir hören die festen und hektischen Schritte der Bäuerin in unsere Richtung und laut ertönen die Rufe mit dem Namen des kleinen Mädchens.
Geschwind nehme ich die Hände von ihrem Rücken und dem Steiß und drehe mich schnell in Richtung der Türe. Der Kopf des kleinen Mädchens verschwindet vom Türrahmen. Geschwind huscht sie davon und läuft den Rufen entgegen. Ich verschränke die Arme hinter meinem Rücken und nähere mich langsam der Türe. Doch da halte ich an und blicke noch einmal zurück. Sie steht dort entblößt und sieht mit gesenktem Blick zu mir rüber. Mit ihrer Rechten beginnt sie langsam und gefühlsvoll ihre Schulter zu reinigen, während ihre Linke die Brüste verdeckt.
Humpelnd suche ich einen Sessel auf und winde meine geschwollenen Füße aus meinen Schuhen heraus, an denen noch immer die Erde des Waldbodens haftet. Was ist das für ein befreiendes Gefühl! Der wehe Fuß ist blau und rot angeschwollen und sollte geschont werden. Doch nach diesem großen Schreck ist der Schmerz beinahe verflogen.
Die Alte kommt zu mir. Sie scheint noch nicht verstanden zu haben, dass ich mich nicht mit ihr unterhalten kann. Mit Gesten mache ich ihr deutlich, dass ich sie nicht verstehe. Sie hat wohl begriffen und sieht mich verachtend an. Sie hat verstanden, die Uniform, sie steht mir nicht. Dann geht sie und kommt wieder mit einem Lappen und einem Verband. Sie wäscht mir die Füße und legt den Verband eng um meinen Fuß. Wie stark doch wieder die Schmerzen sind. Doch jetzt wird alles gut.
Es scheint, als hätte der Krieg dieses Haus verschont. Es scheint, als würde sie gar nicht wissen, was sich in der Welt, dort draußen alles abspielt. Mit festem Griff reibt die Alte tröstend meine Schulter und geht wieder, als hätte sie verstanden. Als hätte sie gesehen all den Schmerz und all den Tod, der noch in meinen Augen weilt. Als wüsste sie es. Als wäre sie im Graben gelegen, blutüberströmt. Als hätte sie mich durchschaut. Als wüsste sie es ganz genau und hätte mir dennoch vergeben. Ein Blick, der mich beschreibt, als Krieger und als Opfer zugleich, ihr Blicke, der meine Wunden heilt. Als wüsste sie es ganz genau, ihr Blick, er steht mir bei. Als wasche sie mir meine Füße als Zeichen des Beistands, als Zeichen des Friedens, als Zeichen der Aufnahme in eine neue Welt.
Ich sehe mich im Raum um. Ein Bild von einem jungen Soldaten der Italiener hängt an der Wand. Mit dem Tisch und der Kommode ist der Raum vollgefüllt. Es scheint ihnen nicht schlecht zu ergehen, hier. Plötzlich kommt das kleine Mädchen zu mir. Mit ihrer hellen Stimme redet sie mir etwas zu. Ich reiche ihr meine Hand und sage mit einem Lächeln: „Theodor!“ Mit ihrer kleinen Hand greift sie meine Finger an und schüttelt heftig mit ihrer Hand, dann läuft sie weg. Hat sie denn etwa Angst vor mir? Nach einer Weile steht plötzlich mein Mädchen vor mir. So schön und rein, wie ich sie getroffen habe. Sie blickt auf den Verband an meinem Fuß. Ich sage ganz leise zu ihr: „Ah Luna! Wie schön du doch bist.“
Dann geht sie zu mir und streicht mir mit ihrer Hand durch mein Haar und streift sie an meiner Wange ab. Schnell eilt die Bäuerin zu mir und gemeinsam stützen sie mich in den Waschraum und schließen die Tür.
Nun bin ich alleine. Langsam hebe ich den Kopf und blicke in den Spiegel, der an der Wand hängt. Schon eine Ewigkeit blickte ich nicht mehr in mein Gesicht, ich schäme mich zu sehr. Zu sehen mein Gesicht, ist wie das eines Kameraden, den ich einst verlor. Zu sehen, in des Feindes meiner Selbst, das Gesicht sich in des Gegners Seele brannte. Gehasst und verflucht ist es. Verborgen soll es bleiben, jetzt, für alle Ewigkeit. Wagend erhebe ich mich, richte den Kragen des Hemdes gleich und atme tief durch, bevor ich mich meinem Selbst offenbare. Beim ersten Anblick erschrecke ich, als wäre ich ein andrer Mensch. Meine Haare sind dreckig und mein Gesicht verschmutzt. Narben und Wunden zieren meine grobe Haut. Gezeichnet vom eisernen Kampf, trage ich die Narben als Zeichen meiner Gräueltaten. Als Zeichen aller Toten, die ich begrub in roter Erde, als Zeichen der Erinnerung. Zum Gedenken all jener, die ich gesandt, empor zum Herrgott in den Frieden schickte.
Schwach ziehe ich die Offiziersuniform aus und lege sie auf den Boden. Die Alte hätte uns wohl nicht aufgenommen, hätte ich noch immer die des Reiches an mir. Mit dem Lappen fahre ich über meinen ganzen Körper. Die Haare tauche ich in das reine Wasser. Nun fühle ich mich wieder als wäre all das Blut von mir gewaschen, auch wenn es für ewig an meinen Händen klebt. Nun erkenne ich meinen Anblick im Spiegel wieder. Das verdreckte Wasser zeigt mir, wie hart diese Reise war. Doch nun hat sie ein Ende. Ich ziehe meine Uniform wieder an und öffne die Tür. Im Flur steht meine Luna und hat die ganze Zeit über vor der Tür auf mich gewartet. Sie kaut an einem Stück Brot und reicht mir auch eines. Ich nehme es und wir setzen uns an den Tisch, an dem ich zuvor gesessen habe. Hier sitzen wir nun nebeneinander und kauen an unserem himmlischen Brot.
Langsam kommt die Kraft zurück. Bei jedem Stück, das ich herunterschlinge, spüre ich, wie es in den leeren Magen hineinfällt. Nachdem wir unser Brot aufgegessen haben, blicken wir uns mit dem gewohnten Blick an. Ich fahre ihr mit der Hand durchs Haar und flüstere: „Jetzt haben wir es geschafft. Jetzt sind wir in Sicherheit.“ Da steht plötzlich das kleine Mädchen vor uns und hält zwei Gläser Milch in den kleinen Händen. Wir nehmen die Gläser mit einem „Grazie“ entgegen. Beschämt von dem Vorfall mit der kleinen Viola und doch gerührt sieht mich meine Luna an und trinkt von der reinweißen Milch. Schmunzelnd wische ich ihr den Milchrand von der Oberlippe und streiche ihr über ihr Kinn. Beide sind wir glücklich und voller Freude. Wir sind in Sicherheit. Dann hören wir wieder die festen und eiligen Schritte der Bäuerin. Da kommt die Alte und ich trinke schnell von meiner Milch. Sie hat noch zwei Scheiben Brot in der Hand und legt sie uns auf den Tisch. Wie großzügig sie doch ist! Nun fängt sie mit Luna zu reden an. Sie unterhalten sich eine lange Zeit. Ich versuche von Lunas Stimme abzuleiten, wovon sie spricht. Ich lausche ihrer Stimme verliebt zu, denn so wenig Worte hat sie bisher zu mir gesprochen, dass mir ihre Stimme völlig unbekannt ist. Einmal spricht sie aufgeregt und einmal leise. So kenne ich sie doch gar nicht, so standhaft, das zarte Mädchen. Meine Luna ist doch immer still und schüchtern. Doch sie redet selbstbewusst und erzählt. Dann blickt die Bäuerin zu mir und lächelt mich verständnisvoll an. Sie reicht mir die Hand und sagt mir, wie sie heißt. Ihr Name scheint Francesca zu sein. Auch ich stelle mich vor. Und dann geht sie wieder. Luna versucht mir etwas zu sagen, doch ich verstehe sie nicht. Auf Italienisch und mit Gesten macht sie mir klar, dass wir hier bleiben können und Arbeit verrichten sollen. Das ist eine feine Nachricht. Wir können also hier bleiben. Gott segne die Alte.