Читать книгу Die Zeit, in der die Welt aussetzte - Andreas M. Riegler - Страница 8

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3.

Ich muss immer daran denken. Der Krieg ist ein Teil von mir geworden. Ich könnte nicht mehr ohne ihn. Viel zu viel hängt daran. Meine Kameraden wurden für mich wie eine Familie. Doch immer, wenn ich an das Gesehene denke, fahre ich mir durch die Haare und fange an zu frieren.

Ich ruhe mich auf einem Heuhaufen mit meinen Kameraden aus. Er ist schon halb kaputt und mit Frost übersehen.

Es ist so kalt, aber wir wollen doch erst später hineingehen. Es würde uns allen gut tun, über alles zu sprechen, doch stattdessen reden wir über Frauen und Sängerinnen. Ein älterer Kamerade namens Karl hat eine Gitarre aufgetrieben und fängt an zu singen.

Er singt über das Zuhause. „Ach, wie vermiss ich es. Wie schön war es. Doch irgendwann gibt’s ein Wiedersehen.“ Er singt es aus ganzer Seele. Da er mit vollem Herzen dabei ist, steigen wir allesamt mit ein.

Ich habe sie beobachtet. Ich weiß, wo ihr Haus liegt. Wie sie wohl heißen mag? Ist es die schöne Friede oder ist es doch die schüchterne Barbara. Ich weiß, was meine Aufgabe ist. Doch soll ich? Ich weiß nicht recht. Meinen Kameraden sage ich kein Wort. Sie ist doch mein, sonst kommt der Karl oder jemand anderes mir zuvor.

Nun sehe ich meine Pflicht ein und erhebe mich. Mit den Händen greife ich in das Heu hinein und verschmutze sie mir. Doch an der braun-grünen Uniform sieht man es nicht. Ich gebe vor, mir einen Schlafplatz zu suchen und verabschiede mich.

Ich fühle mich unwohl. Mein Herzschlag fühlt sich an, als hätte neben mir eine Granate eingeschlagen.

Lange überlege ich, ob ich an der grün gestrichenen Holztür klopfen soll. Doch wenn ich denke – an den Graben –, sollte ich doch nicht vor so etwas Scheu haben.

Ich klopfe dreimal fest, damit man es nicht überhören kann. Es gibt drei dumpfe Geräusche ab. Die Farbe blättert schon von ihrer Türe. Nun muss ich hier durch. Was macht man nicht alles für die Liebe.

Leise höre ich Schritte. Sie kommen immer näher. Mit einem Ruck ist die Türe offen. Ein großer Mann mit schwarzem Haar und Vollbart. Ihr Vater. Er überragt mich mit seiner Größe. Das macht es mir nicht gerade einfach. Mit meinem wenig Italienisch und Handgefuchtel versuche ich, um Essen zu bitten. Er versteht und führt mich in einen Raum, in dem das hübsche Mädchen sitzt. Sie essen nur bei Kerzenlicht. Im Kamin glüht noch die Asche. Sie sitzt ihrer Mutter gegenüber. Sie sieht so wunderschön aus. Schöner, als ich je zuvor ein Mädchen gesehen habe. Sie ist Gottes Kunstwerk. Nun sieht sie mich mit großen Augen an. Mit ihren grünblauen Augen, die mich an das Meer erinnern und perfekt mit dem Weiß harmonieren. Mit der Uniformmütze unter der Achsel lächle ich ihr in das schöne Gesicht. Ihre Augen brennen mir Wunden in die Seele. Sie strahlen mich groß und glänzend an. Ich würde vor ihr weinen, könnte ich es noch. Sie ist die eine, von der ich schon so oft geträumt habe. Ihr Vater, der hinter mir in der Türe steht, zeigt zu einem Sessel an einem Ende des Tisches. Am anderen nimmt er selbst Platz.

Das Mädchen sieht wieder kurz auf zu mir. Als ich ihren Blick auffange, schaut sie jedoch sofort wieder auf ihren Teller mit den Kartoffeln und dem Brot. Der Tisch ist wunderbar gedeckt. Kartoffeln, Brot und Rüben. Ihr Blick wandert langsam den Tisch entlang auf meine Hände und schlussendlich zu meinem Gesicht. Wir sehen uns kurz in die Augen, doch der Vater hat es bemerkt und sagt mit strenger und erhobener Stimme: „Luna!“, sodass ihre schönen Augen ängstlich werden und sie ihren Blick wieder absenkt.

Meine weiteren Versuche, ihr in ihre schönen Augen zu sehen, erwidert sie nicht.

Die Mutter sieht ihn mitleidsvoll an, doch das mit seiner Tochter scheint ihm nicht willkommen zu sein.

Ich sehe mir sie möglichst genau an, damit ich sie mir in meinen Träumen besser vorstellen kann. Sie ist schlank und in ein schönes Kleid gehüllt, ist dünn und so um die siebzehn. Ihre Zähne sind strahlend weiß und wenn sie lächelt, sieht man kleine Grübchen in ihrer hellen Wange. Ihr glattes, dunkelblondes Haar macht einen majestätischen Eindruck auf mich. Ihr Geruch ist mir so lieb. Sie ist ein Engel.

Sie sieht ihren Eltern überhaupt nicht ähnlich. Ihre Mutter ist eine kräftige Magd, mit braunem Haar und ihr Mann ein Starker. Wie also so ein schwaches, zartes Geschöpf?

Nach einiger Zeit merke ich, dass mein Gehen nun erwünscht wird. So verabschiede ich mich von ihnen, blicke noch ein letztes Mal in ihre Augen und gehe mit einem Lächeln, vollem Magen und einem liebenden Herzen.

Ich hatte doch noch nie Glück mit Mädchen. So kommt doch immer für jeden die Zeit. Doch eine Stimme sagt in mir: „Es ist nicht so bestimmt.“ Als ob mich meine Seele warnen würde. Sie lebt anders und sie braucht einen richtigen Verehrer mit Blumen, der nachts Steine auf ihre Scheibe wirft, keinen, der sie beschützen kann, denn dafür hat sie doch schon ihren Vater. Ich fühle mich schwer und verletzt. Mit jedem Gedanken, den ich über sie verschwende, wird mein Herz schwerer, bis ich es schließlich in meinem Halse spüre. Dieses Monster! Sie ist einfach zu schön für diese Welt. Ihr Blick mit ihren Augen, die Türe zur Vollkommenheit, all das Wunderbare. Ihr Haar, mit ihrer Haut, sind eine zärtliche Harmonie. Nur eine Berührung der Zärtlichkeit und Wunden werden zu Narben. Ihr Lächeln, mit ihrer Lieblichkeit, macht selbst den tapfersten Soldaten zu ihrem Untertan. Denn Liebe ist, was Liebe ist.

Der Weg zu meinen Kameraden kommt mir länger vor als zuvor. Schon von weitem höre ich sie singen. Heute lassen sie sich gehen. Das haben wir uns doch verdient.

Warm ums Herz, komme ich zu den Kameraden. Nur mit Mühe bekomme ich einen Krug Most ab, der mir die Nacht mit meinen Kameraden versüßt und mich von den Schmerzen des Krieges für eine Zeit erlöst und mich für all das belohnt.

Mit Blick auf den Panzer singen wir. Wir singen der Nacht entgegen und offenbaren uns unsere Geheimnisse, reißen Sprüche oder denken einfach nur nach.

Morgen werde ich schon wieder fort sein. Die schöne Luna werde ich hier lassen müssen. Sie wird sich mit einem anderen vermählen und wird mich vergessen. Aber so ist er nun mal, der Krieg. Er besteht eben nicht nur aus körperlichem Schmerz. Das ist nur der Schmerz, den man dem Gegenüber noch zusätzlich bereiten möchte.

Der Mond scheint so hell. Das Gegenteil unser. Ich blicke hinauf und sehe eine andere Welt. Sie leuchtet so hell. Fast scheint es so, als würde sie mich mit ihrer Schönheit einladen. Der Mond scheint so hell, mit seiner wunderbaren Ausstrahlung, dass der Nebel für ihn kein Hindernis ist. Alle sehen den gleichen. Wie viele Hoffnungslose sehen jetzt wohl zu ihm? Wie viele Sterbende oder Verletzte? Wie viele verliebte Mädchen und verlorene Mütter? Wie viele Herrschende und wie viele Soldaten? Sie sehen alle den gleichen. Er scheint für uns. Er scheint für alle.

Ich blicke zu dem mächtigen Panzer. Was für ein schönes Gerät es doch ist. So standhaft und fest. So königlich und selbstbewusst. Und die Flagge weht im Wind. In dieser Nacht wacht sie über unsere Köpfe und erinnert uns, wofür wir kämpfen. Schwarz wie die Nacht, Weiß wie die Hingabe und Rot wie die Pflicht und die Achtsamkeit. Sie hat uns in ihrem Bann, denn es ist nun mal die Pflicht.

Ich habe gelernt, ihr zu folgen, in Schlachten und in Hinterhalte, in stürmisch kalte Nächte. Wir folgten ihr in Finsternis auf Felder und in tiefe Gräben, gerade, wo sie uns erschien. Mit Blut des Kameraden, in Stöhnen, im Jammern und im Zagen, folgen wir, ohne zu fragen. Nun kämpfen wir nur noch für sie. Unser Leben gilt nur noch ihr. Sonst blieb uns nichts.

Ich bin und bleibe ein Soldat. Ich werde für ihn das Mädchen verlassen und werde schon morgen wieder in bittere Kämpfe ziehen. Denn Liebe, in diesen Zeiten, gibt es nicht, nicht für uns Soldaten. Liebe macht uns schwach und grau. Liebe, nicht von dieser Welt, nichts was mich von allem hält.

Ich versuche zu schlafen, doch am Heuhaufen wird noch gefeiert. Ich nehme mir die Freiheit und lege mich unter den Panzer. Dort gibt der Motor noch seine Wärme ab und ich habe für diese Nacht meinen Frieden gefunden.

Ich spüre die Unlust und die Schwäche. Meine Augen schließen sich und ich wünsche mir, von der schönen Luna zu träumen.

Die Zeit, in der die Welt aussetzte

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