Читать книгу Die Zeit, in der die Welt aussetzte - Andreas M. Riegler - Страница 13
Оглавление8.
Der Waldrand ist schon in Sicht. Das Abendrot der Sonne strahlt uns entgegen. Was wird uns wohl dort vorne erwarten? Alles kann kommen, denn zusammen werden wir es überstehen. Unsere Hände halten sich schon lange, ich will sie nie wieder los lassen. Sie gehört an meine Seite. Wir sind eins. Sie hat mich zu jemand anderen gemacht. Sie war mein Weg zur Selbstfindung. Mit ihrer Befreiung habe ich mich selbst befreit. Wir sind froh, den anderen an der Seite zu haben. Das Leben scheint so voller Hoffnung und so einfach winkt es uns entgegen. Wie konnte es denn jemals so schwer sein?
Nun sind wir am Waldrand angekommen. Hier liegt etwas Wunderschönes. Ich merke, wie mein Herz weint. Ich sehe eine Blumenwiese. Mit vollem Gras und ohne Gräben. Als wäre hier noch nie ein Mensch über diese Erde gewandert. Die Fläche ist eingezäunt von Wäldern. Sie blickt mich gerührt an. Ich hatte noch keinen schöneren Platz gesehen. Im Anblick dieser Pracht des Friedens drückt sie sich ganz fest an mich.
Sie hat mich hierher geführt und das Schicksal mich zu ihr. Nur ihretwegen bin ich hier.
Voller Staunen betrete ich die Wiese. Das Abendrot strahlt über das Gras, es ist ein kleines Paradies. Doch wir können hier nicht bleiben. Wir müssen uns etwas zu essen suchen. Nun folgen wir des Weges Ruf. Wohin er uns nur führen wird?
Ich merke schon die Schwäche in mir, doch meiner Luna geht es immer schlechter. Stark und tapfer geht sie mit ihren schwarzen, schmutzigen Stiefel über die Wiese. Ihre Hand ist jetzt sehr schwach und die Füße hebt sie auch nicht mehr ganz. Sie braucht dringend etwas Nahrung und Schlaf, doch ich bin selbst an einem Punkt angelangt, an dem ich hilflos bin. Inmitten der Wiese flüstert sie zu mir ganz leise: „Oh, Theodor!“ Ich schwenke voller Erschöpfung meinen Kopf zu ihr, doch da klappen ihre Knie zusammen. Sie fällt nach vorne und ihr Gesicht liegt auf der Erde. Leise versucht sie zu mir zu flüstern. Doch die Kraft hat sie verlassen. Ich rede ihr zu.
Schnell und hektisch drehe ich sie um und lege meinen Arm unter ihre Schultern, den anderen lege ich unter ihre Beine und hebe sie an. Sie ist nicht sehr schwer. Mit dem letzten Fünkchen Kraft in mir, den mir der Wille schenkt, schreite ich voran mit ihr, wie einst mit totem Kamerad. Denn ich werde sie tragen, bis ich tot umfalle. Bis auch der letzte Funken Lebenskraft langsam in mir schwindet.
Mit schwerem und schnellem Schritt eile ich zum Ende der Wiese in den weiten Wald hinein. Ohne Kraft haste ich über den unebenen Waldboden. Wo wird er wohl enden? Immer weiter laufe ich hinein, zwischen Baumstämme hindurch wie ein Labyrinth, mit ihr am Arm. Der Himmel verdunkelt sich langsam und ich muss Acht geben. Allmählich bricht die Nacht an und ich laufe weiter mit ihr am Arm, entgegen, in die Dunkelheit. Meine Kraft ist am Ende und die Schmerzen werden immer größer.
Plötzlich liege ich am Boden. Was ist geschehen? Ich war über einen dünnen, morschen Baumstamm gestolpert. Sie liegt vor mir. Mein Fuß schmerzt. Wir werden nun hier verenden. Ich sehe noch kein Ende dieses Waldes und auch meine Kräfte haben mich verlassen. Nun liege ich hier mit Tränen in den Augen und sehe zu ihr. Langsam krieche ich in ihre Richtung. Sie hat sich nichts getan. Sie hat die Augen geschlossen und greift sich mit der Hand auf die feuchte Stirn. Doch ich habe ihr versprochen, sie zu retten und zu pflegen. Nun werden wir beide wegen meiner irrsinnigen Flucht sterben.
Doch alles Weinen wird nichts helfen. Voller Schmerzen halte ich mich an einem Baumstamm fest und stehe wieder auf. Mit großem Willen hebe ich sie hoch und humple weiter, immer weiter. Ich werde sie nicht sterben lassen. Immer weiter geht es voran.
Ich bin verzweifelt, doch versuche vor ihr keine Schwäche zu zeigen. Sie darf mein Schluchzen nicht hören. Schwach bin ich. Ich irre orientierungslos mit einem Mädchen im Arm durch den Wald. Was hätte mein Kamerad dazu gesagt?
Lange noch habe ich sie am Arm und gehe mit ihr über die aufgeweichte Erde des Waldes.
Doch ist hier vorne ein Schützengraben? Sind wir jetzt verloren? Leise höre ich in den Wald hinein und höre ein Plätschern. Es muss ein Bach sein. Er rettet uns vor dem Tode. Nun stehe ich vor der großen und tiefen Mulde, an deren Grunde ein Bächlein fließt. Das reine Wasser fließt friedlich über die Steine hinweg, entlang des weiten Grabens. Nichts Schöneres könnte mir in diesem Moment in den Sinn kommen.
Vorsichtig lege ich sie auf den Boden und steige zum Wasser hinab. Mit meinen Stiefeln stehe ich darin und befülle die leere Feldflasche, die ich am Gürtel trage. Mit voller Flasche, voll eiskaltem Wasser, steige ich wieder aus dem Bachbett und setze meine Luna auf. Sie öffnet ihre Augen einen Spalt. Ich setze die Flasche an ihre Lippen an. Sie trinkt und lässt sich dann wieder fallen. Hier werden wir ruhen müssen. Auch ich trinke davon. Für sie ziehe ich mein Hemd aus und lege sie über mein Mädchen. Die Kälte kann mich nach alldem nicht umbringen. Wie oft habe ich gefroren im Graben! Eng lege ich mich zu ihr. Wie dumm ich doch war, sie in diese Gefahr zu bringen! Ruhend lege ich den Kopf zu Boden und rieche an ihren Haaren. Mit Furcht und ohne Erwartungen an den Morgen.
Nun ruhe ich auf dem Boden des Friedens.