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6. Kapitel - Erste Schritte

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Bald legte das Boot an einem der Stege an, wo bereits Sekretarius Glöckner wartete, den zwei Eingeborene in Dienertracht flankierten. Dahinter standen drei gerüstete Männer, die sich auf ihre Spieße stützten.

Der Hidalgo schnaubte abschätzig. Sowohl die Diener als auch die Söldner wirkten recht abgerissen. Lediglich Glöckner trug nun eine edlere Tracht. Mit wachsender Sorge dachte Alejandro an das höfische Gehabe, mit dem er in nächster Zeit konfrontiert werden würde. Doch zunächst musste er erst einmal das ungewohnte Gefühl niederkämpfen, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Dann jedoch rang er sich ein Lächeln ab und trat den wartenden Gastgebern hocherhobenen Hauptes entgegen. Don Philippe und Mendoza folgten ihm dichtauf. Glöckner wartete, bis Alejandro und sein Gefolge auf Sprechweite herankamen, bevor er sich verbeugte. »Señores, herzlich willkommen in Marienhafen. Gouverneur Brohm entbietet beste Grüße und wünscht die hohen Herrschaften so bald wie möglich kennenzulernen. Wenn Ihr die Güte hättet, mir zu folgen?«

Alejandro nickte huldvoll zur Antwort, was den Sekretarius dazu brachte, sich nach einer weiteren, dieses Mal etwas knapperen Verbeugung in Bewegung zu setzen. Die Diener blieben weiterhin bei ihm, doch die drei deutschen Landsknechte verschwanden wieder hinter der Brustwehr. Zunächst führte Glöckner Alejandro eine breite Straße hinauf, die wohl die Hauptverbindung zum Hafen hin darstellte. Aus den Lagerhäusern zu beiden Seiten des Wegs drang der unverkennbare Geruch von Gewürzen an seine Nase. Neugierig spähte er durch die offenen Tore ins Innere der Häuser, wo Indios unter den strengen Augen deutscher Aufseher an langen Tischen Gewürzpflanzen bearbeiteten. Alejandro entgingen die schlichten Holzkruzifixe nicht, die viele der Eingeborenen um den Hals trugen. Inwiefern dies allerdings freiwillig geschah, blieb fraglich. Er hatte vor dem Aufbruch in die Neue Welt etliche Reiseberichte zurückkehrender Geistlicher gelesen. Die Verfasser machten keinen Hehl daraus, dass jene Kreaturen nur schwerlich zum Christentum bekehrt werden konnten. Kaum wurde man unaufmerksam, schon krochen sie wieder zu ihren heidnischen Dämonen zurück.

Dennoch kamen ihm die gebückt arbeitenden Männer und Frauen nicht sonderlich bedrohlich vor. Sie hatten schwarze Haare, wie sie auch bei seinem eigenen Volk dank der Mauren immer mehr Einzug hielten, sowie eine dunkle, fast schon olivfarben schimmernde Haut. Ansonsten konnte Alejandro allerdings keine nennenswerten Unterschiede zu diesen Kreaturen ausmachen. Dass alle anwesenden Indios Sklaven waren, darüber machte sich der Hidalgo keinerlei Illusionen. Die Bewaffnung der Aufseher ließ daran wenig Zweifel zu.

Bald schon wandte Alejandro die Aufmerksamkeit wieder Glöckner und Philippe zu, die in einem Gespräch vertieft die Köpfe zusammensteckten. Der junge Don mochte bislang zu kaum etwas zu gebrauchen gewesen sein, den Sekretarius jedoch hatte er binnen kürzester Zeit um den Finger gewickelt. Soweit Alejandro der in Deutsch geführten Unterhaltung der Beiden folgen konnte, ließ sich Glöckner von dem jüngeren Hidalgo alle möglichen Neuigkeiten aus der Alten Welt erzählen und vergaß darüber seine anfängliche Distanziertheit.

Schließlich erreichte die kleine Gruppe den Dorfplatz mit der zuvor gesichteten Zisterne. Hier gab es keine Indios zu sehen, lediglich einige weiße Siedler beäugten sie neugierig. Mehr als diese Fremden fesselte jedoch die Kirche im Hintergrund seine Aufmerksamkeit, bei der es sich definitiv um das älteste Gebäude der Siedlung zu handeln schien. Sie musste einmal gebrannt haben, wie er beim Näherkommen erkannte. Schwarze Rußspuren über den mit Vorhängen ausgehängten Fenstern ließen kaum einen anderen Rückschluss zu. Hinzu kam das erst kürzlich aufgezogene Dach aus Palmwedeln, das irgendwie gar nicht zu dem massiven Mauerwerk passen wollte. Allerdings fand der Hidalgo zunächst keine Gelegenheit, um nähere Erkundigungen einzuziehen, denn eben erreichten sie offenkundig ihr Ziel.

Der Gouverneurspalast hier entpuppte sich als blockförmiges Steingebäude mit schießschartenähnlichen Fenstern und einem Flachdach. Eigentlich fehlten nur noch die Zinnen und Wehrtürme, um den Eindruck einer kleinen Festung zu vervollständigen. Auch das eisenbeschlagene Doppeltor, auf welches Glöckner nun zuhielt, passte zu diesem Bild. Bewacht wurde der Eingang zur Residenz von zwei Söldnern in Brustpanzer und Helm, die in der Tageshitze ihre Hellebarden als Stützen nutzten. Der Sekretarius lächelte, am Tor angekommen, Alejandro entwaffnend zu und breitete die Arme aus. »Hier wären wir, Señores. Die Gouverneursresidenz!« Auf einen Wink hin zogen die Wachen einen der beiden Torflügel auf, um die Besucher passieren zu lassen.

Glöckner führte sie in den Innenhof, der gar nicht zum trutzigen Äußeren des Gebäudes passen wollte. Alejandro sah sich mit hochgezogenen Augenbrauen in dem liebevoll angelegten Garten um, der kaum jenen in den Höfen in der Alten Welt nachstand, ja im Gegenteil diese sogar zu übertrumpfen vermochte. Denn kaum eine der Blumen hier erschienen dem Hidalgo bekannt, deren betörender Duft, den in dem vom Seewind abgeschirmten Hof, gänzlich durchdrang. Und selbst wenn er für dergleichen Dinge normal nicht viel erübrigen konnte, so musste Alejandro der wunderschönen Anlage Respekt zollen. Langsam, aber sicher begann er zu verstehen, was die Verfasser all der Reiseberichte mit den Wundern dieser Neuen Welt meinten.

Dann jedoch wandte der Hidalgo die Aufmerksamkeit seinem Gastgeber zu, der auf den Verandastufen des Innenhofes bereits wartete. Der Gouverneur, denn um niemand anderen konnte es sich handeln, war ein Hüne von einem Mann, der Alejandro um fast eine Haupteslänge überragte. Er verfügte über einen äußerst massigen Körperbau, doch mitnichten schien jene Leibesfülle gänzlich aus Fett zu bestehen. An seiner Seite hing ein massiv anmutendes Breitschwert, wie man es in Spanien schon länger nicht mehr trug. Allerdings musste sich Alejandro eingestehen, dass ein eher neumodischer Degen bei diesem Koloss von einem Mann eher lächerlich aussehen würde und er jene Klinge wahrscheinlich genauso verheerend zu führen wusste, wie der Hidalgo die seine. Das wettergegerbte Gesicht des Gouverneurs wies eine tiefe Bräune auf. Dunkle, an den Schläfen bereits grau werdende Haare und ein prächtiger Backenbart vervollständigten das Bild.

Alejandro fühlte sich bei diesem Deutschen unweigerlich an einen Bären erinnert. Als er die Mitte des Hofes erreichte, begrüßte der Hüne ihn und die anderen mit einer Verbeugung. Anschließend wartete er ab, bis die Geste erwidert wurde, bevor er zu sprechen begann. »Señores, herzlich willkommen in meinem bescheidenen Heim!«, meinte er mit dröhnender Stimme in bestem Spanisch. Alejandro kam nicht umhin, überrascht die Augenbrauen hochzuziehen. Auch seinen Begleitern stand die Überraschung deutlich ins Gesicht geschrieben, was Brohm aber überging. »Seien Sie sich versichert, wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um Ihnen aus Ihrer misslichen Lage herauszuhelfen.«

Die dunklen Augen des Hünen musterten ihn aufmerksam und hörten damit auch nicht auf, als Glöckner begann die Gäste vorzustellen.

Beide Hidalgos wurden von dem Gouverneur abermals mit einer knappen Verbeugung bedacht, bevor er die Männer offen anlächelte.

»Ich war so frei, eine Mahlzeit vorbereiten zu lassen. Beim Essen redet es sich meist besser!« Nun war es an Alejandro, das Wort an ihren Gastgeber zu richten. »Es wird uns eine Freude sein, Eure Exzellenz! Und bereits jetzt vielen Dank für die Hilfe!« Brohm lachte dröhnend und machte eine einladende Geste ins Innere des Herrenhauses, wohin ihm der Hidalgo mitsamt seinen Begleitern folgte.

Bald schon saß er in einem großzügig ausgestatteten Speisesaal, dessen Wände voller Erinnerungsstücke an die Heimat des Deutschen hingen. Neugierig sah er sich um, während ihm, ob der Düfte aus Richtung der Küche, bereits das Wasser im Munde zusammenlief. Nach Wochen auf hoher See kam ihm der Gedanke an ein richtiges Mahl wie ein wahrhaftig gewordenes Geschenk Gottes vor.

Wie von Brohm angekündigt, standen bald Platten voller dampfenden Fleisches, im Verband mit etlichen seltsam anmutenden Beilagen auf der Tischplatte. Alejandro wusste nicht recht, ob er seine Aufmerksamkeit eher auf das Essen, oder die Schönheiten richten sollte, welche die Teller hereinbrachten. Es handelte sich dabei um vier Indio-Frauen, die in manierlichen Kleidern und mit glatt gekämmtem Haar eine wahre Augenweide darstellten. Denn das weibliche Geschlecht stellte den zweiten Punkt dar, den Alejandro für den Zeitraum der Überfahrt schmerzlich vermisst hatte. Er beobachtete gerade eine der Dienerinnen beim Verlassen des Raumes, als sein Blick den Brohms kreuzte. Dieser sagte jedoch nichts, zwinkerte ihm nur wissend zu, um sich dann eine gewaltige Portion Fleisch auf den Silberteller zu schaufeln. Von Dienern bei Tisch hielt er offenkundig recht wenig. Alejandro kam das sehr gelegen, denn er selbst langte gehörig zu. Brohm schien volles Verständnis für seine Gäste zu haben, denn er unternahm zunächst nicht einmal den Versuch eine Unterhaltung aufkommen zu lassen. Er selbst vertilgte eine unglaubliche Essensmenge in Windeseile, um dann den anderen Anwesenden mit sichtlichem Vergnügen bei ihrem Mahl zuzusehen.

Erst eine ganze Weile später schob Alejandro mit einem zufriedenen Seufzen den Teller fort und rieb sich den Bauch. So gut hatte er auch vor seiner Abfahrt lange nicht mehr gegessen. Brohm stützte derweil die Ellenbogen beider Arme auf dem Tisch ab und drückte die Fingerspitzen gegeneinander. »Etwas Wein, Señores? Ich habe einen vorzüglichen Madeira hier, den ich letztes Jahr einem Händler abkaufen konnte.« Der Vorschlag fand allgemeine Zustimmung. Auf ein Klatschen Broms hin, eilten die Dienerinnen erneut in den Saal, um den Anwesenden einzuschenken. Becher wurden gehoben, Trinksprüche ausgebracht, dann benetzte der Wein Alejandros Lippen. Er musste dem Gouverneur recht geben, hierbei schien es sich um einen vorzüglichen Jahrgang zu handeln. Kein Vergleich mit dem billigen Zeug an Bord der Sangre de Dios.

Schließlich faltete Brohm die Hände vor dem Bauch, um seine Gäste der Reihe nach anzusehen. »Mein Sekretarius hat mich zwar schon über das Notwendigste in Kenntnis gesetzt, dennoch möchte ich gerne von Euch hören, was genau geschehen ist.«

Kurz runzelte Alejandro die Stirn. Der Deutsche kam also direkt zum Punkt. Langsam begann er von der Albtraumreise der Sangre de Dios zu berichten. Der Gouverneur hörte aufmerksam zu, stellte ab und an durchdachte Zwischenfragen, ließ ihn aber ansonsten erzählen. Schließlich lenkten Brohms Fragen das Gespräch in Richtung des eigentlichen Vorhabens. Auch bei diesem Thema blieb Alejandro ihm keine Antwort schuldig, war doch Pizarros anstehende Erkundung des Südwestens in Verbindung mit der Christianisierung der dort lebenden Heiden allgemein bekannt gemacht worden.

Als er schließlich endete, nickte Brohm bedächtig. Zwar tauchte der viele Wein das Gesicht des Mannes in eine gewisse Röte, doch schien der Gouverneur von Trunkenheit noch weit entfernt zu sein. Er taxierte ihn abschätzend, bevor er sprach. »Ich bin wahrlich kein Fachmann, aber die Reparaturen an der Karacke werden eine Weile dauern. Ihr plant, im Anschluss den Versuch zu unternehmen, zum Generalcapitán aufzuschließen?« Alejandro rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her. »Das ist für den Moment der Plan, Eure Exzellenz. Außer Umkehren haben wir keine andere Option.« Sein Tonfall machte hoffentlich klar, dass dieser Punkt definitiv nicht zur Debatte stand. Abermals nickte der Gouverneur. »Dann wollen wir zusehen, dass wir das Schiff so schnell wie möglich wieder flottbekommen. Allerdings gibt es hierbei eine kleine Herausforderung.« Aufmerksam beugte sich Alejandro vor. Nun kam also der Haken, mit dem er die ganze Zeit gerechnet hatte. »Und die wäre? «, fragte er angespannt. Der Deutsche ihm Gegenüber hob die Hände in beschwichtigender Geste ein Stück weit an. »Holz wird kaum ein Problem sein. Tau auch nicht. Und was die Sklaven angeht, sie tun was man ihnen sagt. Aber Teer zum Kalfatern und Eisen wird schwierig. Beides beziehen wir von den anderen Kolonien«

Alejandro fuhr sich über das Kinn. »Das heißt, wir müssen darauf warten, oder…?« Kurz sah er zu Mendoza, dessen Gesicht ebenfalls von deutlicher Anspannung sprach. »Doch, doch. Ist beides vorhanden, jedoch fürchte ich, dass wir uns nur schwer davon trennen können. Die Preise in den Kolonien sind horrend!« Alejandro konnte gerade noch ein Lächeln unterdrücken, denn ein solcher Vorstoß Brohms kam nicht unerwartet. Immerhin vertrat er ein Handelshaus und dieser Schlag Menschen dachte schon immer sehr an die eigene Geldkatze, egal ob es sich nun Deutsche, Spanier oder Mailänder handelte. Tatsächlich hatte er genau einen solchen Schachzug bereits mit Mendoza während der Einfahrt in die Bucht besprochen und so kam die Antwort des Capitáns für ihn nicht unerwartet. »Nun, Eure Exzellenz, wir haben neben der Ausrüstung der Konquistadoren noch einiges an zusätzlichen Handelsgütern geladen. Ich bin zuversichtlich, dass wir zu einer Übereinkunft gelangen werden!«

Die Antwort Brohms bestand zunächst nur aus einem Lächeln, das Alejandro abermals unangenehm an einen Bären mit der Aussicht auf Honig erinnerte. Bevor er es sich versah, schlugen Mendoza und der Gouverneur die verbalen Fänge ineinander und feilschten, als ob es kein Morgen gäbe. Ihm blieb wenig anderes übrig, als den beiden Männern mit einer Mischung aus Erheiterung und Verwirrung zuzuhören. Er konnte nicht sagen, ob das Feilschen ihnen tatsächlich Spaß machte, oder ob sie sich gleich an die Gurgel gehen würden. Das Gesicht Brohms nahm im Laufe der Verhandlungen eine immer rötere Farbe an. Mendoza indes stand inzwischen am Tisch und redete gestenreich auf den Gouverneur ein. Dann jedoch, kurz bevor Alejandro glaubte, eingreifen zu müssen, streckte der Deutsche seine prankenhafte Hand in Richtung Mendozas aus, welcher sie ergriff und herzlich schüttelte. Das Geschäft war gemacht und augenblicklich kehrten erneut höfische Sitten in den Saal ein. Während der Capitán wieder Platz nahm, orderte Brohm lachend weiteren Wein, bevor er sich an seine Gäste wandte. »Selbstverständlich werden die Señores für die Dauer des Aufenthalts hier in der Residenz untergebracht. Für die Mannschaften kann ich eines der Lagerhäuser räumen lassen!«

Mendoza hob abwehrend die Hand, als ihm eine der dunkelhäutigen Schönheiten den Becher erneut füllen wollte. Stattdessen machte er Anstalten, sich zu erheben. »Ich bin untröstlich, leider sollte ich mich jetzt auf den Weg zurück zur Sangre de Dios machen. Die Flut beginnt bald zu steigen!« Der Gouverneur gluckste. »Wie Ihr wünscht! Dann bis Morgen, in aller Frische!«

Brohm lehnte sich mit einem zufriedenen Seufzen im Sessel zurück, um Alejandro zu betrachten. »Ich denke, für heute reicht es mit dem offiziellen Teil. Eure Zimmer sind bereits vorbereitet, außerdem habe ich zwei Badezuber herrichten lassen.« Er grinste süffisant. »Ich weiß sehr gut, wie ich mich nach einem Bad gesehnt habe, nachdem ich hier ankam.« Alejandro stand die Überraschung wohl dermaßen ins Gesicht geschrieben, dass der Gouverneur herzlich loslachte und noch eines draufsetzte. »Ich war ebenfalls so frei, für etwas Gesellschaft zu sorgen. Und Señores, auch wenn der Papst sagt, dass diese Heiden keine Menschen sind, ihre Frauen schmecken und fühlen sich genauso an, wie man es erwartet.« Sein Schmunzeln verblasste nicht, als er laut in die Hände klatschte und die Dienerinnen abermals in den Raum strömten. Alejandro gelang es gerade noch, einige schnelle Dankesworte an den Gouverneur zu richten, bevor er von den kichernden Indio-Frauen in die vorbereiteten Gemächer geleitet wurde.

Atahash

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