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2. Kapitel - Auf hoher Se

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Drei Tage waren seit der Kursänderung der Sangre de Dios vergangen. Zwar verschaffte der neue Südkurs dem Schiff nahezu augenblicklich Erleichterung, dennoch musste die Besatzung der Karacke bis an den Rand der totalen Erschöpfung schuften, um das Schlimmste zu verhindern. Alejandro konnte nicht sagen, ob es an Mendozas meisterlicher Seemannschaft oder schlicht an einer Intervention Gottes lag, doch sie überstanden das Unwetter ohne weitere Verluste an Menschenleben. Auch jetzt noch standen unheilverkündende Wolken am Himmel, aber der Sturm verlor zusehends an Kraft.

Umso deutlicher offenbarte sich nun das Chaos, welches am Oberdeck herrschte. Teile der losgerissenen Takelage hingen in Fetzen bis zum Deck hinab, wo zertrümmerte Geräte nahezu jeden freien Fleck bedeckte. Die übermüdeten Matrosen begannen mit den Aufräumarbeiten, doch einige der Schäden konnten auf See sicher nicht behoben werden, wie Alejandro vermutete.

Er stand wieder an seinem Beobachtungsposten im Bug und hielt Ausschau nach den anderen Schiffen des Konvois. Auch wenn der Ausguck im Krähennest hoch über ihm sicherlich weitaus früher etwas entdecken würde, so beruhigte es ihn ungemein auf die aufgewühlte See hinauszublicken. Im Stillen dankte der Adlige dem Herrgott für die Rettung, während er gleichzeitig bereits an die Zukunft dachte.

Die Entscheidung, den Kurs zu ändern, mochte ihnen allen das Leben gerettet haben, aber nun stand der Ausgang dieser Expedition auf Messers Schneide, noch bevor sie richtig begonnen hatte.

Seufzend wandte sich Alejandro von der See ab, um stattdessen den Blick über das Deck der Sangre de Dios schweifen zu lassen. Überall arbeiteten Matrosen und erzeugten dabei einen Heidenlärm.

Auf dem Achterkastell konnte er den Navigator des Schiffs ausmachen, der dort sichtlich ungehalten mit seinem Jakobsstab herumhantierte. Offenkundig gab es ob der Wolkendecke nichts für ihn zum Anpeilen, sodass ihre aktuelle Position immer noch ein Mysterium blieb. Auch ein Punkt, der nur wenig zu einer verbesserten Laune Alejandros beitrug.

Verbittert versuchte er, Trost im endlosen Rauschen der Wellen zu finden, doch wurden seine düsteren Gedankengänge alsbald von Señor Luengo unterbrochen, der sich von der Seite an ihn heranpirschte. Nur mit Mühe konnte Alejandro eine gleichgültige Miene beibehalten, denn der Beamte widerte ihn schon seit ihrem ersten Zusammentreffen in Cádiz zutiefst an. Und wahrlich lag es nicht nur daran, dass Luengo im Dienst der Casa de Contratación stand. Seine Aufgabe bestand als königlicher Escribano darin, jede gemachte Beute der Expedition akribisch aufzuzeichnen, um später der spanischen Krone ihren fünften Teil sicherzustellen.

Doch selbst wenn man davon absah, mochte Alejandro den Beamten nicht einmal mit einer Schmiedezange anfassen! Der Mann erinnerte ihn an eine Ratte, so wie seine kleinen Äuglein hin und her huschten, scheinbar stets auf der Suche nach irgendetwas Interessantem. Die hohe, quietschende Stimme Luengos trug ein Übriges dazu bei, diesen Eindruck des Hidalgos noch zu verstärken.

Alejandro stellte mit innerer Genugtuung fest, dass Luengo einen Verband um die linke Hand trug. Dort zeigte sich ein etwa münzgroßer Fleck aus getrocknetem Blut. »Señor, ich benötige einen Augenblick Eurer geschätzten Zeit«, schnarrte ihn der Schreiber grußlos an. Statt zu antworten, betrachtete Alejandro zunächst eine Weile die kabbelige See, bevor er ihn ansah. »Ihr hattet Pech, wie ich sehe?«

Der deutlich kleinere Mann presste die dünnen Lippen zusammen und kratzte unwirsch an dem Verband herum. »Ja, ich habe den Halt verloren und wurde durch den Frachtraum geschleudert. Der Metzger, denn sie hier einen Schiffsarzt nennen, hat sich die Wunde angesehen. Ist bald wieder in Ordnung!« Schon als der Schreiber zu sprechen begann, wandte Alejandro sich erneut der See zu. Ein weiteres Mal suchte er die Kimm nach Segeln ab und nickte dabei geistesabwesend.

Luengo würde ihm eh nicht von der Pelle rücken, bevor er seine Antworten bekam. »Freut mich zu hören!« Kurz atmete er durch. »Was kann ich für Euch tun?« Der quengelnde Tonfall des Beamten machte klar, wie wenig es ihm behagte, sich mit dem Rücken Alejandros unterhalten zu müssen. Nun räusperte er sich vernehmlich und musste schließlich sogar die Stimme heben, um gegen eine neuerliche Böe anzurufen, wie der Hidalgo mit diebischer Freude feststellte. »Nun, mich verlangt es zu erfahren, wie es von nun an weitergehen wird. Wir haben den Anschluss an den Konvoi des Generalcapitáns verloren. Wie Ihr wisst, ist er der Vertragshalter mit der Casa de Contratación und somit Oberhaupt der Expedition. Eine Unternehmung auf eigene Faust ist keinesfalls vorgesehen!«

Glücklicherweise konnte er Alejandros Gesicht nicht sehen. Dessen Kiefermuskeln traten deutlich hervor, genau wie auch alle Farbe aus der Hand wich, die sich immer fester um das Halteseil zu seiner Rechten legte. Was bildete sich dieser Kerl ein? Allein schon der Tonfall, in dem er es wagte, mit ihm zu reden, stellte eine unwahrscheinliche Beleidigung dar. Zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort hätte ein Schreiberling ein solches Verhalten rasch bereut. Hier stand er als Vertreter der Krone allerdings am längeren Hebel. Also atmete Alejandro innerlich durch und antwortete, ohne dabei den Beamten anzusehen. »Ihr kommt wie immer schnell zum Punkt! Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich weiß es noch nicht! Wie Euch bereits aufgefallen sein sollte, sind wir nur knapp dem Sturm entkommen, gepriesen sei der Herr!«

Alejandro bekreuzigte sich mit der freien Hand, bevor er weitersprach. »Wir brauchen Zeit für Reparaturen und wie mir Capitán Mendoza vorhin mitteilte, benötigen wir auch dringend frisches Trinkwasser. Es sind viele Wasserfässer zu Bruch gegangen. Also segeln wir bis auf weiteres gen Südwesten, wo wir in drei bis vier Tagen Land sichten sollten. Wie es danach weitergeht, wird sich zeigen!«

Er konnte den forschenden Blick des Escribanos förmlich im Rücken spüren, als dieser antwortete. »Sehr wohl! Das war auch schon alles, was ich wissen wollte. Mit Eurer gütigen Erlaubnis werde ich mich nun zurückziehen«

Mit einem unwirschen Winken verscheuchte Alejandro den Schreiber, um wenigstens eine Zeitlang wieder seine Ruhe zu haben. Später am Tag stand ein Gottesdienst für den ertrunkenen Seemann an. Vielleicht gab es bis dahin genauere Informationen über das wahre Ausmaß der Schäden, das sich bisher immer noch nicht abschätzen ließ. Auf Mendozas Bitte hin hatte Alejandro einige Leute den Reparaturtrupps zugeteilt, auch wenn die zumeist unerfahrenen Männer nur bedingt eine Hilfe für die Matrosen darstellten. Anpacken konnten sie aber allemal bei den schweren Arbeiten und kamen dabei sogar noch auf andere Gedanken.

Derweil er seine Suche entlang der Kimm wieder aufnahm, lauschte der Adlige mit halbem Ohr dem Radau der Instandsetzungsarbeiten. Ein Trupp klarte gerade fluchend mit Äxten und Taumessern die Takelage auf, während eine andere Arbeitsgruppe bereits ein neues Segel für den in Mitleidenschaft gezogenen Fockmast vorzubereiten begann.

Schwere Schritte kündeten bald eine erneute Störung an. Mit einer knappen Drehung des Kopfes erkannte Alejandro dieses Mal Don Cisco. Der Hidalgo griff wortlos nach einem straff gespannten Tau und zog sich mit einem angestrengten Brummen zu ihm nach oben auf den Vorbau des Bugs.

Fürs Erste sah er ebenfalls schweigend auf die See hinaus und eröffnete dann das Gespräch in abgeklärtem Tonfall, während die Augen Ciscos immer noch die Kimm absuchten. »Die Leute sind rastlos! Sie fragen, wie es weitergeht«, ließ ihn sein Untergebener wissen.

Auch Cisco selbst schien dieses Thema zu beschäftigen, wie Alejandro durch einen prüfenden Seitenblick erkannte. Das wettergegerbte Gesicht des Mannes neben ihm zeigte keine Regung und dennoch konnte man eine gewisse Unruhe aus seiner Mimik herauslesen. Wenig verwunderlich, wenn man bedachte, dass er seine vergleichsweise bescheidenen Mittel ebenfalls gänzlich in dieses Unternehmen gesteckt hatte. Eine Rückkehr mit leeren Händen in die Heimat käme also einer Katastrophe gleich.

Alejandro rang sich ein Lächeln ab. »Uns bleibt wenig anderes übrig, als auf Gott zu vertrauen. Wir sind hierhergekommen, um sein Wort zu verbreiten. Er wird uns nicht vergessen!« Die Tatsache, dass allein auf diesem Schiff achtzig kampffähige Passagiere reisten, aber nur ein geweihter Priester, mochte Alejandros Aussage ziemlich verwässern. Dennoch nickte Cisco. »Wenigstens gibt es bald etwas Anständiges zu beißen!« Auf einen fragenden Blick Alejandros hin spuckte sein Offizier in die See. »Eines der Maultiere hat sich ein Bein gebrochen. Wir werden es erlösen müssen...«

Einige Stunden später kam die See vollends zur Ruhe und ein deutlich wahrnehmbarer Bratenduft zog durch das Schiff. Je stärker die Besatzung diesen vernahm, desto weiter stieg ihre Laune. Zwar würde für jedes Besatzungsmitglied nur ein kleiner Brocken übrigbleiben, aber dennoch freuten sich die Männer wie Kinder auf das Abendmahl.

Manch einer mochte deswegen wohl auch der auf dem Oberdeck abgehaltenen Messe nur schwerlich den gebührenden Respekt zollen, denn der von der Seebrise bald verwehte Weihrauchduft konnte kaum den Essensgeruch überdecken, den der Wind herantrug. Da die Kochstelle des Schiffes nicht einmal im Ansatz für so viel Fleisch ausreichte, wurde kurzerhand die kleine Schiffsschmiede ebenfalls mit belegt.

Schließlich war es so weit und die Essensausgabe stand an. Don Alejandro verfolgte das ganze Durcheinander seit der Schlachtung des Maultiers mit einer Mischung aus Resignation und Erheiterung. Auch wenn er sich für die Männer freute, so konnte er nicht sagen, ob er schon jemals ein dermaßen zähes Stück Fleisch gegessen hatte. Egal wie energisch er darauf herumkaute, es behielt hartnäckig die Konsistenz von Leder.

Zusammen mit Philippe und Cisco speiste er mit dem Capitán in dessen Kajüte an einem viel zu kleinem Tisch. Für die Herrschaften hatte der Koch zu dem Fleisch eine Sauce improvisiert, dazu gab es gewässertes Brot und einen sehr süßen Madeira. Zu Hause würde Alejandro dergleichen wohl verschmäht haben. Hier jedoch kam das Essen trotz des widerspenstigen Fleisches einem Festmahl gleich, wenn man bedachte, dass es in den letzten Wochen vor allem madiges Hartbrot, Stockfisch und Pökelfleisch zu essen gab!

Mendoza ließ zur Feier des Tages eine Ration Wein an die Männer ausgeben, was sie erwartungsgemäß mit begeisterten Hoch-Rufen quittierten. Nach dem Schrecken des Sturms bettelten sie förmlich um etwas Zerstreuung. Noch während in der Capitánskajüte gespeist wurde, ertönten bereits auf dem Oberdeck die ersten zotigen Lieder. Das Deck der Sangre de Dios vibrierte unter dem Takt, den dutzende Füße dazu stampften.

Nach Beendigung des Mahls lag es an ihrem Gastgeber, das Gespräch zu eröffnen. Mendoza schenkte den Dons erneut ein, lehnte sich dann zurück und faltete die Hände vor dem Bauch. »Señores, ich danke Ihnen für die Ehre Ihrer Gesellschaft an diesem Abend. Ich denke, es ist naheliegend, dass wir uns über einige Dinge klar werden müssen! Denn auch wenn ich die Männer feiern lasse, haben wir dazu eigentlich keinen Grund. Das Schiff ist schwerer beschädigt, als es den Anschein hat.« Kurz tauschte Alejandro Blicke mit Cisco und Philippe, während Mendoza schon weitersprach.

»Die zu Bruch gegangene Takelage können wir erneuern, auch das Segel ist bald gänzlich ersetzt. Allerdings hat der Rumpf wohl einiges an Schaden genommen, wir nehmen beständig Wasser über. Die Pumpen bleiben ab sofort besetzt. Und am Hauptmast wurden Risse festgestellt. Er wird keinen weiteren Sturm überstehen.« Der ernste Tonfall des Capitáns stand in deutlichem Widerspruch zu den heiteren Gesängen der Mannschaft vom Oberdeck. Don Cisco runzelte die Stirn. »Risse? Also war der Mast kurz vor dem Brechen?«

Capitán Mendoza setzte seinen Becher ab und nickte. »Wahrscheinlich, ja.« Schweigen herrschte in der Kajüte, als sich Alejandro, aber wohl auch alle anderen im Raum ausmalten, was der Verlust des Hauptmasts in diesem Sturm bedeutet hätte. Sein Gastgeber sprach schließlich weiter. »Hinzu kommen Schäden am Ruder, die jedoch reparierbar sind. Am schlimmsten allerdings sind die undichten Planken im Rumpf. Das Schiff wird über kurz oder lang sinken, wenn wir nicht vorher einen Hafen erreichen!«

Alejandro legte die Fingerspitzen beider Hände aneinander und musterte den Capitán eindringlich. »Also haben sich die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet. Wie sieht es mit Trinkwasser aus?« Auch die anderen Hidalgos neben ihm lauschten gespannt. Philippe kaute dabei wie ein kleiner Junge auf den Lippen herum. Mendoza nahm einen weiteren Schluck Wein, bevor er antwortete. »Sagen wir es so: Wir werden wahrscheinlich eher ertrinken, als das uns das Wasser ausgeht, Señores!«

Zum ersten Mal an diesem Abend ergriff Don Philippe das Wort. »Ich habe mir die Karten der Küstenregion angesehen. Warum segeln wir bis zur Küste und werfen nicht schon vor einer der Inseln dort Anker?« Alejandro fühlte sich durch seinen Tonfall an einen naseweisen Schuljungen erinnert, der mit seiner Erkenntnis einen allwissenden Lehrer auszustechen versuchte. Doch antwortete Cisco anstatt des Capitáns. »Weil diese kleinen Paradiese zum einen teilweise sehr unfreundliche Bewohner haben, die eine halbe Portion wie Euch aufgefressen haben, bevor Ihr auch nur »Maria, Mutter Gottes, hilf!« rufen könnt. Und zum anderen sind an der Küste die Chancen deutlich besser, Quellen und Baumaterial zu finden!« Mendoza hob zunächst sichtlich überrascht die Brauen, nickte dann jedoch zur Bestätigung von Ciscos Worten, während Philippe jegliche Farbe aus dem Gesicht wich. »Don Cisco«, fauchte er, »Ich rate Euch zum letzten Mal, auf Eure Zunge besser achtzugeben, falls Ihr sie behalten wollt!« Der ältere Hidalgo nahm statt einer Antwort ungerührt einen Schluck Wein und sah zu Mendoza. »Wenn ich mich richtig entsinne, gibt es in der Gegend mittlerweile einige Kolonien der Deutschen, oder?«

Abermals nickte der Capitán und fuhr sich mit der Hand über seinen mächtigen Schnauzbart. »Das Haus der Welser hat dort Plantagen an der Küste! Ich hoffe, bei ihnen die notwendigsten Reparaturen ausführen zu können.« Kurz musterte er Philippe, der immer noch hocherhobenen Hauptes Cisco anstarrte. Dieser hielt sich jedoch in aller Ruhe an seinem Becher fest und sah weiterhin zu Mendoza.

Um den Streit nicht weiter eskalieren zu l assen, ergriff Alejandro das Wort und wechselte das Thema. »Gesetzten Falles, uns gelingen die Reparaturen, wie geht es im Anschluss weiter? Ich denke, eine Rückkehr nach Spanien steht außer Frage!« Sowohl Philippe, der sich nun wieder setzte, als auch Cisco nickten nachdrücklich. Letzterer antwortete schließlich. »Ich meine, wir fahren mit dieser Unternehmung zunächst fort wie geplant. Wir segeln gen Nombre de Dios, wo wir auf jeden Fall die geladenen Waren verkaufen sollten.« Der alte Hidalgo lächelte dünn. »Immerhin wird das schon etwas Gewinn einbringen. Und dort werden wir am ehesten die Spur des Generalcapitáns wieder aufnehmen können.«

Mendoza nickte nachdrücklich. »Ich stimme zu, auch wenn es für eine endgültige Entscheidung noch zu früh ist. Aber ich weiß, wie sehr Euch dieser Schuh drückt, Señores!« Seufzend fuhr sich Alejandro mit einer Hand durch den Bart. »Nun gut, dann auf zu den Deutschen!«

Atahash

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