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5. Kapitel - In Marienhafen

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Als Alejandro die Treppe zum Frachtraum herunterkam, herrschte dort gespanntes Schweigen. Die Männer saßen dicht gedrängt auf Hängematten, Kisten oder gleich ganz auf dem Boden und starrten ihn unverhohlen an. Einige trugen bereits die Brustpanzer und Helme, welche sie für teures Geld vor einer gefühlten Ewigkeit in Cádiz erworben hatten. Es musste an dem Gestank hier unten liegen, aber dem Adligen schnürte es die Kehle zu. Erst nach dem zweiten Versuch gelang es ihm, mit fester Stimme zu sprechen. »Männer, hergehört! Ihr alle wisst, in welcher Lage wir uns befinden! Um eine Reparatur kommen wir nicht herum. Also müssen wir das Schiff komplett entladen und am Strand reparieren.« Er pausierte kurz, um das Gesagte einsinken zu lassen. »Wir werden Anker lichten und tiefer in die Bucht einfahren. Dort beginnen wir mit den Entladearbeiten.«

Abermals musterte er die leeren Gesichter der Männer. Er wollte sich schon abwenden, als ihn eine Stimme innehalten ließ »Señor? Das heißt, dass wir den Anschluss an den Generalcapitán auf jeden Fall verloren haben, oder?« Alejandro konnte in einer dunklen Ecke einen Burschen ausmachen, der es kaum auf sechzehn Jahre brachte. Auch jetzt noch ruhten die schreckgeweiteten Augen des Jungen auf ihm. Gemächlich fuhr er sich durch den Bart, während er über eine passende Antwort nachdachte.

Denn diesen Glücksrittern ging es weniger darum, den Heiden das Wort Gottes zu bringen. Schon eher lockte sie das sagenumwobene Gold der Indios. Und die meisten von ihnen steckten in Schulden, denn sie selbst hätten niemals das Geld für Waffen und Rüstungen aufbringen können.

Noch bevor er etwas sagen konnte, schlug Don Cisco den Vorhang zur Seite und betrat den Raum. Kurz traf sein Blick auf den Alejandros, um anschließend dem Jungen und damit auch einem Großteil der Besatzung zu antworten. »Das wird sich zeigen, Bursche. Doch ohne Schiff werden wir es ganz gewiss nicht bis an unser Ziel schaffen oder willst du den Rest schwimmen? In dem Ding da?«

Während er sprach, durchquerte Cisco den Frachtraum, um schließlich auf die letzte Frage hin dem Jungen gegen den rostigen Brustpanzer zu klopfen, den er trug. Augenblicklich errötete dieser und wand sich verlegen in der Rüstung, die lose an seinem Körper herumschlackerte. Schnell ergriff Alejandro das Wort. »Don Cisco hat recht! Erst müssen wir die Sangre de Dios flott machen, danach können wir die Fahrt wieder aufnehmen. Denkt einfach daran, dass der restliche Konvoi die gleichen Probleme hatte und sich somit die ganze Unternehmung des Generalcapitáns wohl verschieben wird!«

Der letzte Teil stellte reine Mutmaßung dar, doch etwas anderes wollte ihm nicht einfallen. Er reckte das Kinn und fuhr fort. »Es geht bald mit den Ladearbeiten los, dann will ich hier keinen Kram mehr sehen!« Nun zeigte der Hidalgo mit dem Daumen nach oben, in Richtung Oberdeck! »Zeigen wir den Seeleuten, dass wir durchaus auch anpacken können, selbst wenn wir in ihren Augen nur Landratten sind!« Tatsächlich kam Bewegung in seine Untergebenen, einige murrten sogar zustimmend. Don Cisco beobachtete ihr Tun noch eine Weile kritisch und verschwand dann zurück hinter den Vorhang. Nahezu zeitgleich trat Paco an ihn heran. »Señor, wünscht Ihr, dass ich Euch standesgemäße Kleidung für den Landgang herauslege?« Alejandro sah ihn verdutzt an, bevor er eilig nickte. »Ja, tu das. Ich bin so lange noch auf dem Oberdeck!« Nach einer Verbeugung flitzte sein Diener ebenfalls hinter den bugwärtigen Vorhang.

Kopfschüttelnd schaute der Hidalgo ihm hinterher. Die Idee, Paco mitzunehmen, erwies sich einmal mehr als echter Glücksfall. Während des Landgangs würde Alejandro dem Gouverneur von Marienhafen seine Aufwartung machen müssen. Und diesem in schäbiger Tracht unter die Augen zu treten, stand außer Frage. Als er wieder nach oben zurückkehrte, schalt er sich innerlich dafür, nicht selbst daran gedacht zu haben.

An Deck herrschte inzwischen haarsträubendes Durcheinander. Zwei Segel wurden gerade mit ohrenbetäubendem Radau gehisst. Mit viel Hauruck betätigten etliche Matrosen gleichzeitig die Ankerwinde. Ein weiterer Trupp bereitete das einzige, noch heilgebliebene Beiboot darauf vor, zu Wasser gelassen zu werden. Wohin der Hidalgo auch sah, es wurde geschuftet, geflucht und geschwitzt. Beständig plätscherte dabei Schwall um Schwall aus den Wassereimern des Schöpfkommandos über Bord, eine mehr als deutliche Erinnerung daran, wie sehr die Zeit drängte. Irgendwie kam Alejandro sich fehl am Platze vor. Seine Leute hatten ihre Anweisungen und den Seeleuten konnte er sowieso nichts sagen. Also trat er an die Reling, um einfach nur zu beobachten.

Nach dem Ankerlichten nahm die Sangre de Dios langsam Fahrt ins Innere der Bucht auf. Nahezu zeitgleich legte das deutsche Handelsschiff ab, um ihnen entgegenzukommen. Unter den wachsamen Augen der beiden Kapitäne näherten sich die Schiffe immer weiter. Scheinbar hatte der Kommandant der Sangre de Dios bereits alles mit dem Sekretarius des Gouverneurs besprochen, denn soweit es er sagen konnte, fand die Annäherung ohne Kommunikation statt.

Schließlich ließ Mendoza die Segel bergen. Alejandro kam nicht umhin zu bemerken, wie viel schneller und routinierter das Manöver bei den Deutschen wirkte. Aber im Gegensatz zur Besatzung der Sangre de Dios stammte ihr Lohn aus den Taschen eines reichen Handelshauses. Mendozas Mannschaft hingegen setzte sich zu einem nicht unerheblichen Teil aus Männern mit eher zweifelhafter Herkunft zusammen.

Beide Schiffe verloren nach dem Einholen der Segel rapide an Geschwindigkeit, doch machten sie noch genug Fahrt, um das kleinere Handelsschiff längsseits der Sangre de Dios zu bringen. Beschwerte Seile flogen an Deck, die von den Spaniern aufgenommen und festgeknotet wurden.

Somit war der erste Teil der Aktion abgeschlossen, nun galt es die Fracht an Bord des anderen Schiffs zu schaffen, doch aufgrund der bestehenden Sprachbarriere gestalteten sich die folgenden Schritte nun als bedeutend schwieriger.

Mehr durch Zufall erspähte Alejandro im Gewühl Paco, der eilig auf ihn zukam und dabei versuchte, dem Chaos an Deck so gut es ging zu entgehen. »Señor, Eure Kleidung liegt für Euch bereit.« Der Hidalgo bedeutete seinem Bediensteten vorzugehen und schloss sich ihm wortlos an.

Auch im Laderaum herrschte rege Betriebsamkeit. Er musste sich an einigen Stellen förmlich an den arbeitenden Männern vorbeiquetschen, so dicht gedrängt ging es hier zu. Als der Vorhang schließlich hinter ihm herabfiel, entkam ihm ein erleichtertes Seufzen. Unwillig begann er mit Pacos Hilfe mit dem ungeliebten Prozedere des Ankleidens. Alejandro schien sich weitaus mehr als gedacht an die weit geschnittenen Hosen und Wämser der Seeleute gewöhnt zu haben. Obwohl er während der Überfahrt deutlich an Gewicht verloren hatte, schienen ihm die Kniebundhosen mit den schweren Strümpfen unangenehm eng anzuliegen. Noch schlimmer peinigte ihn das wattierte Wams, welches seine Tracht vervollständigte. Auch dieses war zwar inzwischen merklich zu groß, aber die dicken Polsterstoffe machten dennoch die drückende Hitze unter Deck nun vollends unerträglich. Der Hidalgo vermochte kaum noch stillzustehen, als Paco ihm gewissenhaft den ausschweifenden Kragen im Nacken schloss und ihm zuletzt den Waffengurt anlegte. So sehr die Klinge daran seinen Stand unterstrich, für den Moment bedeutete der Degen für ihn allerdings vor allem zusätzliches Gewicht.

Gerade setzte er den Fuß auf das Oberdeck, als er auch schon von den Dons, sowie von Luengo und Miguel abgefangen wurde. Der Beamte richtete zuerst das Wort an den Hidalgo. »Don Alejandro, als offizieller Vertreter der spanischen Krone werde ich euch bei eurem ersten Landgang begleiten, genau wie Don Philippe. Und der Padre wird auch mitkommen, er kann es kaum erwarten die Siedlung in Augenschein zu nehmen.« Ungeachtet der sich verfinsternden Miene Alejandros plapperte der Schreiber munter weiter. »Sobald wir die Waren an Land gebracht haben, können wir…«.

Erst als der Hidalgo forsch einen Schritt auf den Escribano zu machte, kam dieser ins Stocken. »Mein überaus geschätzter Señor Luengo, ich möchte Euch ins Gedächtnis rufen, wer hier das Kommando hat. Ihr seid lediglich ein Beobachter.«, schnarrte er gefährlich leise. »Wer wann wohin geht, entscheide immer noch ich. War das deutlich?« Der Beamte sperrte den Mund auf wie ein an Land geworfener Fisch, doch Alejandro sprach weiter, bevor sein Gegenüber etwas erwidern konnte. »Davon abgesehen wird das schon daran scheitern, dass unser Boot genau fünf Leute fasst, inklusive Ruderer. Falls Ihr und Padre Miguel diesen Posten einnehmen wollt, so seid mein Gast.«

Er wandte sich demonstrativ von dem Schreiber ab und winkte Don Cisco heran. »Ihr bleibt an Bord und behaltet die Männer im Auge. Ich nehme Philippe und Capitán Mendoza mit an Land, der Rest wird später nachkommen können.« Der Angesprochene nickte und verließ wortlos die Gruppe. Alejandro wandte seine Aufmerksamkeit dann nochmals Luengo zu und beschloss verbal nachzutreten. »Ich gehe davon aus, ich habe meinen Standpunkt klar gemacht?« Das sichtlich gezwungene Lächeln des Escribano glich eher einem Zähnefletschen. »Natürlich, Señor. Wir werden hier auf Eure Rückkehr warten!«. Padre Miguel lächelte ihn im Gegensatz dazu ruhig und offen an. »Geht mit Gott! Er hat uns hierhergeführt, er wird Euch den rechten Weg weisen!«

Im Anschluss machte Alejandro sich auf die Suche nach Mendoza. Don Philippe folgte ihm auf dem Fuße, ohne dem Sekretarius noch eines Blickes zu würdigen. Er fand den Capitán in der Nähe des Fallreeps, wo er seinen Offizieren letzte Anweisungen gab. Anschließend sah er zu ihm. »Das Beiboot ist im Wasser. Wollen wir, Señores?«

Bald schon legte das kleine Ruderboot ab und hielt auf den Hafen zu. Alejandro und Philippe teilten sich die schmale Bank im Bug. Hinzu kamen die beiden Seeleute, die sie mit gleichmäßigem Ruderschlag schnell in Richtung Küste bewegten. Im Heck schließlich saß der Capitán, der ab und an den Kurs des Bootes mit einer leichten Bewegung an der Ruderpinne korrigierte.

Alejandro fand während der Überfahrt genug Zeit, die Siedlung in Augenschein zu nehmen. Das erste Ergebnis der Musterung fiel jedoch auch aus der Nähe sehr ernüchternd aus. Lediglich zwei der Gebäude schienen vollständig aus Stein gebaut zu sein. Dabei handelte es sich um die Gouverneursresidenz und die Kirche. Die restlichen Bauten bestanden mehr oder weniger aus Holz. Alejandro konnte drei Lagerschuppen in der Nähe des Landungsstegs ausmachen, sowie etwa vier Dutzend anderer Häuser, die mit den beiden Steingebäuden um einen Marktplatz herum gruppiert waren. Etliche hölzerne Wachtürme vervollständigten die Palisaden auf der Landseite. Zur Seeseite hin konnte Marienhafen als Verteidigung jedoch nur die Geschützstellungen aufweisen, welche inzwischen nur noch mit einer kleinen Wachmannschaft besetzt zu sein schienen. Der Hidalgo seufzte und schüttelte den Kopf. Es würde ein langer Tag werden.

Atahash

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