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10. Kapitel - Erstes Blut
ОглавлениеPhilippes jungenhafte Stimme übertönte gerade so das Rauschen der Wellen und überschlug sich dabei mehrfach. »Gebt Feuer!« Auf seinen Befehl hin zogen die ersten fünf der Arkebusenschützen die Abzüge ihrer Waffen, fünf Luntenhalter fuhren herab und ließen eine kurze, stotternde Salve über die Bucht rollen. Obwohl leichter Wind herrschte, verschwanden die Schützen in einer Pulverdampfwolke. »Zweite Rotte, vortreten!«, ertönte nahezu sofort das nächste Kommando des jungen Hidalgos. Mit etwas Verzögerung traten die hinteren Arkebusenschützen vor ihre Kameraden und legten an. »Gebt Feuer!« Dieses Mal donnerten allerdings nur vier Arkebusen los, denn der fünfte Schütze lag auch jetzt noch, vier Tage nach der öffentlichen Bestrafung, im provisorischen Lazarett der Spanier. Der andere konnte inzwischen kurzzeitig sein Lager verlassen, um an dem Schießdrill teilzunehmen, was Philippe auch mit, bis dato ungekanntem Nachdruck, eingefordert hatte.
Die Salven fetzten weitere Holzbrocken aus den morschen Holzfässern, die von Philippe mangels anderer Ziele zur anstürmenden Götzendienerhorde deklariert worden waren. Alejandro verfolgte, zusammen mit Cisco, das Spektakel aus sicherer Entfernung vom Rand des Urwalds aus, schon weil es hier reichlich Schatten gab. Der Drill dauerte nun bereits eine Stunde an, auch wenn dadurch die nicht allzu umfangreichen Schwarzpulverreserven der Spanier dahinschmolzen wie Schnee in der Frühlingssonne. Nach Alejandros Ansicht hatten aber auch die Söldner ihr Können zu zeigen und zu verbessern. »Geschützmannschaft, gebt Feuer!«, quäkte bald darauf Philippes Stimme aus dem Pulverdampf. Eine durch den Rauch nur schemenhaft zu erkennende Gestalt hielt eine glühende Lunte an das Zündloch des kleinen Falkonett und sprang dann hastig beiseite. Dennoch konnte er nur knapp dem, nach hinten ruckenden, Geschütz entgehen.
Das Geschoss schlug etwa vier Meter vor den alten Fässern in den Boden ein, ließ beim Abprallen eine Wolke Sand hochstieben und fetzte schließlich eine Schneise durch den Tonnenhaufen, bevor es im dichten Urwald verschwand. Alejandro drehte den Kopf, um Ciscos Mienenspiel zu verfolgen, das allerdings wie üblich nicht allzu viel über den Gemütszustand des alten Kämpens verriet. »Was meint du, Cisco? Sie scheinen ihr Handwerk zu verstehen, oder?«, fragte er also notgedrungen. Wie so oft schon quittierte der ältere Don die Frage mit einem Schnauben. »Ja, solange ihre Gegner aus einem Haufen alter Tonnen bestehen. Wenn tausend blutgierige Indios auf sie zustürmen, wird die Sache anders aussehen!«, brummte er mit vor der Brust verschränkten Armen. »Und entgegen meines Ratschlags hat der Narr doch nicht das kleinste Geschütz ausgewählt, sondern ein mittleres Kaliber!«
Alejandro schob sich den Morion in den Nacken. »Nun, ehrlich gesagt kann ich seinen Wunsch nach etwas mehr Durchschlagskraft verstehen…«. Zur Antwort schnaubte Cisco ein weiteres Mal. »Die bringt uns im Urwald gar nichts! Die Indios haben keine befestigten Stellungen oder ähnliches. Dafür aber wird sich jedes Pfund, dass das Geschütz mehr wiegt, bitter während des Marsches rächen. Vom Gewicht der Munition ganz zu schweigen!«
Alejandro schwieg betreten, denn Ciscos Argument ließ sich nur schwerlich widerlegen. Doch sein Begleiter schien jedoch nichts mehr zu der Sache sagen zu wollen, sondern beobachtete mit mahlenden Kiefern die Vorgänge unten am Strand. Dank des Windes konnte Alejandro jetzt wieder verfolgen, wie Philippe die Männer mit viel Gebrüll und Gefuchtel seiner Arme anzutreiben versuchte. Eben traten die ersten fünf Schützen wieder vor und gaben eine weitere Salve auf die wehrlosen Wasserfässer ab. »Was für ein Hühnerhaufen!«, knurrte Cisco, nachdem sich der Rauch verzogen hatte und auch Alejandro das mäßige Trefferbild der Schützen erkannte. Geräuschvoll räusperte er sich den Hals frei und spuckte seine Ausbeute verächtlich zur Seite. »Ich bin in der Stadt, wenn mich jemand sucht!«
Dann schlenderte er den Trampelpfad am Rand des Urwalds zurück nach Marienhafen. Alejandro machte sich gar nicht die Mühe, dagegen etwas zu sagen, sondern wandte seine Aufmerksamkeit gleich wieder den Männern am Strand zu. Die nächste Salve fiel sehr kläglich aus, da zwei der Arkebusen Fehlzündungen produzierten. Alejandros Hoffnungen schwanden weiter, als er beobachtete, wie Philippe mit hochrotem Gesicht die Schützen anschrie.
Schließlich reichte es ihm. »Philippe!«, rief er laut über den Strand. »Genug für heute!« Scheinbar wurde er aber nicht gehört, da der Hidalgo unvermindert die Söldner triezte. Mit einem Seufzen wandte sich Alejandro also an Paco, der sich wie immer dezent im Hintergrund hielt. »Junge, lauf zu Don Philippe und richte ihm aus, dass die Übungen für heute einzustellen sind!« Auch wenn der Diener auf diese Anweisung hin zunächst einmal die Lippen zusammenpresste, verbeugte er sich schlicht, um dann den Strand hinunterzuhetzen.
Während Alejandro den Weg seines Dieners verfolgte, ging er in Gedanken die letzten beiden Tage durch. Die Bestrafung der drei Übeltäter hatte sich als die richtige Entscheidung erwiesen, so viel stand fest. Die Disziplin unter den Expeditionsteilnehmern nahm seitdem stetig zu. Schneller als erwartet begannen sich die Männer zu einer brauchbaren Einheit zu formen. Nur die Pulverschützen schienen nicht das zu halten, was sie Don Philippe bei ihrer Anwerbung versprochen hatten. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr musste Alejandro Cisco zustimmen. Unter Kampfbedingungen würde bei den Männern dort reines Chaos ausbrechen. Und als Gegenmaßnahme vermochte einzig und allein Drill, Drill und noch mehr Drill helfen.
Das Problem bestand nun nur darin, dass ein Großteil ihrer Schwarzpulverreserven während des großen Sturms Feuchtigkeit gezogen hatte und damit bestenfalls noch eingeschränkt genutzt werden konnte. Aber sicherlich würden sie Nachschub erwerben können, wenn ihre Expedition endlich nach Veracruz oder einer der anderen spanischen Koloniestädte gelangte. Darüber würde er sich also zu gegebener Zeit Gedanken machen.
Sein Diener hatte Don Philippe inzwischen erreicht, wechselte einige Worte mit dem jungen Adligen, um dann im Laufschritt zurückzukehren. Alejandro entging nicht, dass der jüngere Hidalgo eine ganze Weile in seine Richtung starrte, bevor er lauthals das Kommando zum Feuereinstellen gab. »Was hat er gesagt, Paco?« Der etwas atemlose Diener kam vor Alejandro zum Stehen und musste erst einmal Luft holen. »Er war nicht sonderlich begeistert, Señor! Ich dachte schon, er würde widersprechen! Murmelte nur etwas von »seine Entscheidung« und schickte mich dann weg!«, brachte Paco schließlich heraus.
Alejandro nickte knapp und starrte mit zu Schlitzen verengten Augen den Strand hinunter. »Danke! Du kannst dich jetzt entfernen!«, murmelte er angespannt. Nach einer Verneigung erwiderte der Diener: »Soll ich Eure Abendgarderobe für das Nachtmahl herrichten? « Nur mit Mühe unterdrückte der Hidalgo den Impuls, mit den Augen zu rollen. Brohm hatte, wie auch an den letzten Abenden zuvor, die spanischen Adligen zu einem ausschweifenden Gelage eingeladen. Gott allein wusste, wohin er all das Essen stopfte, von seinem fürchterlichen Wein ganz zu schweigen! »Ja, Paco, tu das!«, seufzte er dennoch schicksalsergeben. Sie waren auf das Wohlwollen des Deutschen angewiesen, also hieß es auch für ihn heute Abend wieder dem Ruf an die Tafel des Gouverneurs zu folgen. Nach einer Verneigung machte sich der Junge auf den Weg und verschmolz schon bald im Zwielicht der untergehenden Sonne mit dem Gestrüpp des Urwalds.
Eine Weile verfolgte Alejandro noch die Vorgänge am Strand, wo die Söldner eben ihre Ausrüstung zusammenpackten, bevor er sich ebenfalls abwandte, um sich auf den Weg in die Siedlung zu machen. Er genoss die angenehm kühle Brise von See her, welche die Last seines Brustpanzers zumindest etwas erträglicher machte. Der Hidalgo sah es nur als recht und billig an, dass er die Rüstung während der Übungseinheiten der Männer trug, wenn er sie innerlich bei der tropischen Hitze auch noch so sehr verfluchen mochte.
In Marienhafen ging alles seinen üblichen Gang. Mittlerweile hatten sich die Deutschen und ihre Sklaven an die Spanier gewöhnt, auch wenn Letztere nun noch mehr Abstand zu seinen Männern hielten. Ruhig wanderte der Hidalgo durch die Gassen, lauschte auf die vielfältigen Geräusche um sich herum und genoss den Geruch aus den Lagerhäusern. Am Marktplatz angekommen, lehnte er sich eine Weile an den Brunnen, um den Blick müßig schweifen zu lassen. Eben wurden die Lampen in den Häusern entzündet, da nun die Dunkelheit immer schneller über der Kolonie hereinbrach.
Von seinem Beobachtungspunkt aus konnte er einige Sklaven durch offene Lagerhaustüren beobachten, die mit kunstvollen Handgriffen Tabak zu Zigarren formten. Als er jedoch ein hübsches Indiomädchen erblickte, hielt er inne. Sie mochte an die dreizehn Sommer zählen und war damit gerade im Begriff eine Frau zu werden. Mit gerunzelter Stirn verfolgte der Spanier, wie das Mädchen gedankenverloren mit dem kleinen Holzkreuz spielte, dass an einer Schnur um ihren Hals hing. Unausweichlich kamen ihm Miguels Worte in den Sinn. So anders als etliche der Frauen aus den Häfen Spaniens mit reichlich Maurenblut in den Adern sah sie nicht aus. Aber waren nicht auch die Muselmanen keine Christen? Immerhin hatte erst die Reconquista mit Gottes Hilfe ihr Treiben auf der spanischen Halbinsel beendet.
Aber dennoch duldete man die Saat ihrer Lenden in Spanien, nicht wenige der Männer unter seinem Kommando trugen nun das Mal der Anhänger des falschen Propheten. Gab es also die Möglichkeit, dass im Laufe der Generationen auch die Indios zu guten Christen werden konnten? Oder hatte Padre Miguel recht und jene Kreaturen würden sich nie endgültig von ihren Götzen abwenden?
So sehr der Hidalgo auch über dieser Frage brütete, er kam zu keinem Ergebnis. Allerdings musste er Gouverneur Brohm zustimmen, seine Dienerinnen entsprachen in jeder Hinsicht dem, was Alejandro an Frauen kannte und schätzte. Augenblicklich schoss ihm Hitze ins Gesicht, als er daran dachte, wie leicht er dem Ziehen in seinen Lenden nachgegeben und das Bett mit einer Kreatur geteilt hatte, die wahrscheinlich des Nachts immer noch zu ihren alten Götzen betete. Das nagende Schamgefühl nahm zu, je länger er am Marktplatz verweilte. Schließlich sah er zu der Kirche auf der Gegenseite des Platzes. Kurz überlegte er.
Warum nicht? Beim letzten Mal war sein Vorhaben zu beichten durchkreuzt worden und nach der Bestrafungsaktion behagte ihm der Gedanke, sich Padre Miguel zu anzuvertrauen noch weniger.
Kurz entschlossen setzte er sich in Richtung des verfallenden Gotteshauses in Bewegung, duckte sich unter der niedrigen Tür hindurch, um sich dann mit Weihwasser aus dem Becken neben der Tür zu bekreuzigen. Als sich seine Augen jedoch an die Dunkelheit gewöhnt hatten, musste er feststellen, dass er nicht allein war. Ein halbes Dutzend Indios kniete im stillen Gebet versunken auf einer Bank in der Nähe des Altars, derweil Bruder Christoph leise einen Psalm rezitierte. Er schien Alejandro zwar zu bemerken, hielt jedoch nicht inne. Auch für den Hidalgo stand es außer Frage, die Andacht zu stören und so ließ er sich auf einer der hinteren Bänke nieder, um selbst die Hände zu falten.
Bald schon sprach der Dominikaner einen Segen über die versammelten Indios, welche sich im Anschluss mit demütig gesenktem Kopf entfernten. Alejandros Augen weiteten sich überrascht, als er Maria unter den Gehenden erkannte. Sie hatte fast den Ausgang erreicht, als sie ihn dann ebenfalls im Halbdunkel erspähte. Nur kurz trafen sich ihre Blicke, dann senkte sie rasch wieder ihren Kopf und beschleunigte den Schritt.
Der Hidalgo runzelte die Stirn, um sich im Anschluss zu erheben. Bruder Christoph stand noch am Altar, wo er eben die letzten Aufräumarbeiten seiner wohl spontanen Andacht beendete. Erst dann wandte der alte Mönch sich um und neigte das Haupt vor ihm. »Guten Abend, Don Alejandro!«, begrüßte er den ihn mit einem warmen Lächeln. »Wie kann ich Euch behilflich sein?«
Kurz blickte Alejandro nochmals über die Schulter zum Ausgang. »Habt Ihr für die Indios eine eigene Andacht gehalten?«, fragte er verwundert. Bruder Christoph nickte knapp. »Ja. Ab und an bitten sie mich darum. Meist wenn einem von ihnen etwas Schlimmes widerfahren ist oder der Platz bei der Hauptandacht nicht ausgereicht hat.«
Verwundert fuhr sich Alejandro durch die Haare. »Das ist nicht, was ich erwartet habe!« Der Dominikaner hatte für ihn nur ein mildes Lächeln übrig. »Wie ich bereits einmal angemerkt habe: Entgegen der Meinung eures Franziskaners sehe ich durchaus das Feuer des Glaubens in den Herzen dieser Menschen.«
Abwehrend hob Alejandro eine Hand, ihm stand nicht der Sinn nach einer erneuten Grundlagendiskussion mit dem alten Mönch. Und gleichzeitig kam ihm noch ein anderer Gedanke: Miguel konnte es durchaus als tödliche Beleidigung auffassen, sollte er jetzt bei dem Dominikaner beichten. Ganz abgesehen davon, dass Alejandro sich damit zwischen die Fronten, bestehend aus Padre Miguel und Bruder Christoph, bringen würde. Also rang er sich ein Lächeln ab, um sich dann bedeutsam umzusehen. »Ich suchte Ruhe und Frieden im Gebet. Es war ein langer Tag und ich habe viele Sorgen.« Der Dominikaner bedachte ihn abermals mit einem Lächeln. »Oh, ich denke, Ihr werdet beides hier nun zur Genüge finden. Verweilt, solange Ihr wollt, Don Alejandro.«
Zunächst erhob sich der Hidalgo, erst dann antwortete er dem Christoph. »Ich denke, es ist genug für heute Abend.« Er wollte sich schon zum Gehen wenden, hielt dann aber inne. »Lasst mich raten, Eure Schäflein haben Fürbitte für die Frau gehalten, die meine Männer angefasst haben?« Christophs Lächeln verblasste schlagartig. Abwägend neigte er den Kopf erst zur Seite, bevor er zögerlich antwortete. »Ja, unter anderem.« Alejandro verengte die Augen. »Unter anderem?«, hakte er nach. Der Dominikaner nickte langsam. »Ja, sie baten Gott auch um Schutz vor euren Leuten«, antwortete er leise. Für einen Augenblick fehlten dem Hidalgo die Worte. Dann seufzte er, stützte die linke Hand auf dem Griffkorb seines Degens ab und trat vollends aus der Bankreihe heraus. »Nach dem, was diese drei Bastarde dem Mädchen angetan haben, kein Wunder, fürchte ich!«, knurrte er. »Ich versichere Euch aber, dass ich weitere Übergriffe nicht dulden werde. Sollte so etwas noch einmal geschehen, findet sich derjenige am Galgen wieder!«
»Danke, das freut mich wirklich zu hören!«, antwortete Christoph nun wieder mit einem dünnen Lächeln. »Ich werde es den Menschen erzählen. Sie haben dem Herrn übrigens auch für die Gerechtigkeit gedankt, die den Tätern zuteilwurde!« Anschließend neigte er den Kopf. »Wenn Ihr mich nun entschuldigen würdet, es war auch für mich ein langer Tag für mich und ich bin nicht mehr der Jüngste.« Alejandro, sprachlos von Christophs Eröffnung, brachte zunächst immerhin ein gönnerhaftes Nicken zustande, bevor er schließlich doch einige Worte herausbrachte. »Dann wünsche ich eine gute Nacht, Bruder Christoph. Ich werde mich auch auf den Weg machen, mein Tag ist noch nicht vorbei!«
Alsbald verließ Alejandro die kleine Kirche, um sich schnellen Fußes auf den Weg zum Gouverneurspalast zu machen. In seinem Kopf schwirrten die Gedanken, bis der Hidalgo sie entschlossen verscheuchte, um sich auf den Abend einzustimmen. Er musste sich beeilen, es blieb nicht mehr viel Zeit, bis zum Abendmahl. Wenig überraschend erwartete Paco ihn bereits. Ohne dem bereiteten Bad die Aufmerksamkeit zu gönnen, die es verdiente, schrubbte sich der Hidalgo eilig sauber, um dann in bereitgelegte Kleidung zu schlüpfen. Eben half ihm sein Diener dabei, die letzten der Knöpfe zu schließen, als unten der dezente Gong ertönte, welcher den Beginn des Abendmahls ankündigte.
»Danke, Paco!«, presste Alejandro eilig hervor und eilte zum Speisesaal. Zurück blieb ein heilloses Chaos an verschmutzter Kleidung und einem halb gefluteten Badezimmer.
Erfreulicherweise war er jedoch nicht der einzige fehlende Gast. Auch von Philippe fehlte noch jede Spur, was auch das Gesprächsthema bei Tisch zu sein schien.
»So?«, fragte Brohm eben Mendoza. »Ihr meint, die Gefechtsübung ist der Grund für die Verhinderung der Dons?« Dann jedoch unterbrach er sich, als Alejandro an den Tisch trat. »Ah, ich denke, wir können uns gleich Auskunft aus erster Hand holen!« Während sich die anderen Männer im Raum erhoben, starrte Brohm ihm aus seinem bequemen Sessel entgegen. Alejandro erwiderte den Gruß von Mendoza und Luengo, bevor er seinerseits das Haupt vor dem Gouverneur neigte. »Guten Abend, eure Exzellenz! Tatsächlich verhält es sich so, wie Capitán Mendoza schon berichtete. Und ich bin sicher, Don Philippe wird auch gleich zu uns stoßen, ich bitte die Verspätung zu entschuldigen!«
Der Deutsche wedelte gönnerhaft mit einer Hand in Richtung von Alejandros Platz. »Natürlich, mein Bester! Setzt Euch, damit wir auftragen lassen können. Ich sterbe vor Hunger!« Offenkundig schien der Gouverneur nicht gewillt, noch länger zu warten. Kaum hatte Alejandro Platz genommen, als sich auch schon die schwere Doppeltür öffnete, man den ersten Gang auftrug.
Doch es dauerte länger als erwartet, bis Philippe erschien. Gesicht und Hände des jungen Adligen glänzten rosig, genauso wie sein frisch gewaschenes Haupthaar noch einen feuchten Schimmer aufwies. Der Hidalgo hatte ebenfalls die Kleidung gewechselt, doch half keine der getroffenen Maßnahmen auch nur im Ansatz gegen den deutlich wahrnehmbaren Pulvergeruch, der von ihm ausging.
»Don Philippe, wir haben Euch schon vermisst!«, grüßte ihn Brohm überschwänglich, um sich dann vollends auf ihn zu konzentrieren. Alejandro, der bis dahin eher mühevoll eine Konversation mit dem Deutschen aufrecht gehalten hatte, war dem weitaus wortgewandteren Philippe rechtschaffen dankbar, denn dieser berichtete sogleich mit Begeisterung von dem Verlauf seiner Gefechtsübung. So vermochte sich Alejandro in aller Ruhe dem vortrefflich schmeckenden Geflügel widmen, das auf dem Teller vor ihm dampfte. Dabei konnte er es aber nicht verhindern, dass seine Gedanken wieder zu dem kurzen Gespräch mit Christoph zurückkehrten. Er war also von den Indios als Wohltäter gefeiert worden. Auch wenn ihm dabei ein etwas seltsames Gefühl in der Magengrube blieb, konnte er keinesfalls behaupten, dass er sich seiner Tat deswegen schämte. Auch wenn er aus gänzlichen anderen Gründen gehandelt hatte, so war der Gedanke an für ihn betende Indios durchaus nichts Schlechtes.
Still schmunzelte der Hidalgo in sich hinein und begann langsam sich zu entspannen. Mit Faszination lauschte er Philippes Ausführungen, der mit seiner Erzählung das Übungsdesaster am Nachmittag in eine glorreiche Zurschaustellung spanischer Kampfeskraft verwandelte. Und ganz nebenbei rang er dabei dem Gouverneur die Zusage für einige Fässer Schwarzpulver und einer Menge Blei für Kugeln ab. Wahrscheinlich war es gut, dass Cisco wie üblich dem Abendmahl fernblieb, da Alejandro sich nur zu gut die Reaktion des alten Dons auf solche Aufschneiderei ausmalen konnte.
Doch so verging der Abend in gelöster Stimmung. Erst gegen Mitternacht wankte Alejandro mit vollem Bauch und viel Wein im Kopf in Richtung seiner Gemächer. Dort angekommen mühte er sich eine Weile mit dem Entkleiden ab, während er ein unflätiges Sauflied vor sich hin summte.
Achtlos warf er die teure Gewandung von sich, um dann ins Bett fallen. Zu seiner Überraschung fand er darin Maria vor. Die hübsche Indiofrau sah unter dem Laken mit großen Augen zu ihm auf, wobei der Hidalgo nicht sagen konnte, ob er Furcht oder Freude in ihnen las. Für eine gefühlte Ewigkeit suchte Alejandro nach Worten, doch der Wein in seinen Gedanken machte dieses Ansinnen bereits im Vorfeld zunichte. Also beugte sich vor, um Maria vorsichtig das Haar aus dem Gesicht zu streichen und küsste sie.
Heftiges Pochen an der Zimmertüre weckte den Hidalgo noch vor Sonnenaufgang. Maria, die eng an ihn geschmiegt an seiner Seite lag, fuhr erschreckt hoch und schaute hastig atmend um. »Was ist los, verdammt?«, fauchte Alejandro schlaftrunken in Richtung Tür, die in diesem Moment auch schon aufgerissen wurde. Paco stürzte atemlos mit einer Laterne in der Hand ins Zimmer und kam erst kurz vor dem weitläufigen Himmelbett zum Stehen.
»Don Alejandro! Mord und Totschlag! In den Baracken!«, brachte er nur abgehackt hervor, während er in Richtung der Unterkunft der Konquistadoren deutete. Gleichzeitig ertönten laute Rufe sowie Stiefelgetrappel. Die gesamte Residenz schien auf einmal in Aufruhr zu sein.
Schlagartig wurde Alejandro wach, um automatisch nach dem Degen zu greifen. »Maria, fort mit dir! Versteck dich!«, herrschte er sie an, woraufhin das unbedeckte Mädchen hastig durch eine der Nebentüren verschwand. Ihr stand deutlich die Furcht ins Gesicht geschrieben, doch der Hidalgo konnte für den Moment keinen weiteren Gedanken an sie verschwenden. Derweil er nach Beinkleidern suchte, herrschte er seinen Diener an. »Was ist los, Paco? Erzähle mir alles, was du weißt!«
Der starrte immer noch Maria hinterher, wandte jetzt aber seine Aufmerksamkeit wieder ihm zu. »Verzeiht mein unbedachtes Eindringen, Señor!«, platzte er heraus. »Don Ciscos Männer kamen eben zum Gouverneurspalast gerannt und brachten die Nachricht, dass es einen Toten in den Baracken gegeben hat. Einer der drei Bestraften! Es ist von Mord die Rede!« Fluchend fuhr der Hidalgo in seine Hosen, schlüpfte in ein Wams, um sich dann den Degen umzuschnallen.
Außerhalb des Gebäudes herrschte wahrer Tumult, deutsche und spanische Befehle hallten durch die Straßen, schließlich krachte sogar ein Schuss, welcher in noch mehr Rufen der Europäer und Angstschreien der Indios resultierte. Immer noch fluchend hetzte Alejandro gefolgt von Paco durch die Residenz in Richtung Ausgang, um vor dem Tor einen wahren Hexenkessel vorzufinden.
Überall rannten Trupps der Deutschen herum, aber Alejandro konnte auch immer wieder Gruppen seiner Leute ausmachen, die mit Fackeln und eilig gegriffenen Waffen in den Händen durch die Gassen hasteten.
»Da soll mich doch…«, knurrte Alejandro, um sich den erstbesten seiner Männer zu greifen. »Du da! Was ist hier los? Wer hat das hier befohlen?« Der Spanier starrte ihn zunächst nur an. Dann jedoch knickte er förmlich in der Hüfte zu einer Verbeugung ein. »Señor, Don Cisco hat Anweisung gegeben, nach dem Mörder von Garcia Ausschau zu halten!«, schnappte er dann eilig.
Der Name kam dem Hidalgo vage bekannt vor, er konnte aber nicht sagen woher. »Wo befindet sich Don Cisco jetzt?«, bellte er also.
Hastig schaute sich der schwarzhaarige Spanier um, deutete dann in Richtung der den Konquistadoren zugeteilten Lagerhalle. »Das letzte Mal sah ich ihn im Lazarett!« Unwillkürlich sah der Hidalgo dorthin. »Schön!«, knurrte er. »Fahr mit deinen Aufgaben fort!«
Ohne auf eine Antwort seines Untergebenen zu warten, setzte er sich in Bewegung, gefolgt von Paco, der Schritt zu halten versuchte. Die einzelnen Suchtrupps schwärmten inzwischen in die äußeren Bereiche der Siedlung aus. Dem Fackelschein auf den Feldern nach wurden diese ebenfalls abgesucht. Immer noch herrschte ein ohrenbetäubender Radau, eine Mischung aus Geschrei, dem Scheppern von Metall und Hundegebell.
Um das Lagerhaus herum stand ein Ring von Wachen mit Fackeln, welche Alejandro und seinen Begleiter aber passieren ließen. Im Inneren des Gebäudes fand er dann auch endlich Cisco, der eben eine weitere Suchgruppe mit einigen gebellten Befehlen davonschickte. »Was ist hier los? «, fuhr Alejandro den Hidalgo augenblicklich an. Für Formalitäten fehlte ihm momentan jeder Nerv. Allerdings schien er in dieser Hinsicht nicht der Einzige zu sein. Erst nachdem der letzte Suchtrupp davoneilte, wandte sich Cisco zu Alejandro um. »Ich denke, das siehst du dir am besten selbst an!«
Anschließend strebte er auf den hinteren Bereich der Scheune zu, wo sich das provisorisch errichtete Lazarett der Expedition befand. Nach Alejandros Wissen gab es allerdings abgesehen von den drei Übeltätern keine weiteren Patienten mehr, um die sich der Schiffsarzt MacDowell und seine beiden Gehilfen kümmern mussten.
Als Alejandro den Vorhang zur Seite schlug, lag einer der hochnotpeinlich verletzten Spanier totenblass in seinem Bett und starrte die Neuankömmlinge wortlos an. Cisco schenkte ihm jedoch keine Beachtung, sondern steuerte direkt auf eine schmale Hintertür zu. Alejandro schnappte nach dem Gestank in der Baracke gierig nach Frischluft und schaute sich beunruhigt um.
In einigen Schritt Entfernung kniete MacDowell neben einem an der Wand zusammengesunkenen Körper. Als Alejandro näherkam, hob der Schotte den Kopf, um ihnen entgegenzusehen und erhob sich schließlich vollends. Dabei gab er den Blick auf den Toten frei, dessen Blut einen nicht unerheblichen Teil der Scheunenwand hinter ihm bedeckte. Unwillkürlich schluckte Alejandro beim Anblick des Leichnams. Dem Opfer hatte jemand die Kehle sprichwörtlich von einem Ohr bis zum anderen aufgeschlitzt und darüber hinaus die Klinge bis zum Heft in beide Augen gejagt.
»Irgendwelche neuen Erkenntnisse, Doktor?«, ertönte Ciscos Stimme neben ihm. Der Arzt schüttelte langsam den Kopf und wischte sich derweil die blutigen Hände an der Schürze ab. »Nein, Señor. Ich kann nur sagen, dass die Klinge wahrscheinlich sehr schartig gewesen sein muss, teilweise sieht die Verletzung wie eine Risswunde durch Klauen aus!« Erst dann verneigte sich der Feldarzt vor Alejandro.
Dieser nahm die Ehrenbezeugung nur am Rande zur Kenntnis, denn sein Blick ruhte immer noch auf dem toten Garcia. Langsam, wie in Trance betrachtete er anschließend das Blut, das feucht im Mondlicht an der Holzwand glänzte. »Noch nicht getrocknet. Es kann noch nicht lange her sein, oder?«, hörte er sich selbst fragen.
MacDowell schüttelte abermals den Kopf. »Nein, keine halbe Stunde. Er wollte nach draußen zum pissen, obwohl wir den Dreien Nachttöpfe zur Verfügung gestellt haben. Dann gab es kurz Kampfgeräusche, aber zuerst dachten die Tölpel, dass sich einer von ihnen hinter der Scheune auskotzt.« Mit diesen Worten rieb sich der Schiffsarzt geistesabwesend die letzten Blutreste von den Fingern ab.
»Schließlich ging dann doch jemand nachsehen und sah noch einen Indio in aller Ruhe bei dem Kerl stehen. Er schaute wohl einfach zu wie er verreckte. In der Hand einen schwarzen Dolch«, brummte Cisco von der Seite her. »Schwarzer Dolch?«, echote Alejandro verwirrt. »Was soll das sein?« Der ältere Hidalgo zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Der Kerl ist stiften gegangen, ich lasse ihn seitdem suchen.«
Alejandros Magen ballte sich zu einem Klumpen zusammen. Also gab es in seiner Expedition den ersten Toten zu verzeichnen. »Wurde Brohm bereits unterrichtet?«, knurrte er. Cisco betrachtete nun seinerseits die Leiche. Das Licht des hoch am Himmel stehenden Mondes warf Schatten auf sein Gesicht und verlieh ihm das Aussehen eines Totenkopfes. »Nein, ich hatte wichtigeres zu tun! Aber seine Leute werden das inzwischen sicherlich erledigt haben, sie helfen ja auch schon bei der Suche. Es gab allerdings einen kleinen Zwischenfall.«
Alejandro hätte am liebsten seinen Kopf gegen die Wand gehämmert. »Lasst mich raten, es hat etwas mit dem Schuss zu tun, den ich gehört habe?«
Don Cisco lachte freudlos. »Nein, der war harmlos. Einer der Kerle hat versehentlich Feuer gegeben, dabei wurde aber niemand verletzt.« Dann wandte er sich vollends Alejandro zu.
»Nein, einige der Deutschen haben zwei unserer Männer niedergeschlagen, sie haben sie im Halbdunkel wohl mit Indios verwechselt.«
Alejandro wollte eben etwas erwidern, als die Gestalt Miguels am Eck der Scheune auftauchte. »Das hat uns gerade noch gefehlt«, murmelte der Hidalgo leise. Eilig kam der Franziskaner mit schlaftrunkenem Gang und verquollenem Gesicht herangewatschelt. Der Geistliche brauchte nicht lange, um die Lage zu erfassen. Eilig schlug er sein Kreuz über dem Leichnam, kniete nieder und begann laut für die Seele des Toten zu beten.
»Jemand muss mit dem Gouverneur reden, bevor das hier noch weiter ausartet!«, schnarrte Cisco leise in Alejandros Ohr. Er nickte, deutete mit einer knappen Geste auf sich selbst und eilte dann um das Lagerhaus herum zurück in Richtung Gouverneurspalast.
Er erreichte er den Platz vor der Residenz, als ihm Brohm mit umfangreichem Gefolge entgegenkam. Der Deutsche trug lediglich einen Morgenmantel, darüber aber ebenfalls ein Wehrgehänge mit seiner schweren Klinge daran.
»Stimmt es, was mir meine Leute erzählt haben? Ein Sklave hat einen Eurer Männer getötet?«, donnerte der Deutsche los, kaum dass er in Hörweite kam. Zunächst wollte Alejandro nicken, schüttelte dann jedoch vorsichtig den Kopf. »Es war nur die Rede von einem Indio, es ist nicht bekannt, ob es sich um einen Sklaven handelt, Gouverneur!«
Der massige Deutsche knurrte unwirsch. »Was soll es denn sonst gewesen sein, hier schleicht sich sicher kein anderer von diesen Hurensöhnen herein!«
Während der Gouverneur sprach, schaute er sich auf dem weitläufigen Platz um. »Hat man den Kerl erwischt?«, fragte er. »Nein, er wird noch gesucht!«, konnte Alejandro nur erwidern. »Laut Aussage des Mannes, der ihn gesehen hat, trug der Mörder einen schwarzen Dolch bei sich, was auch immer er damit gemeint hat.«
Brohm knurrte unwirsch. »Wahrscheinlich eine Obsidianklinge. Die Indios sind ganz wild auf den schwarzen Stein, hat für ihre Götzen wohl irgendeine besondere Bedeutung.« Mit einem Grinsen fügte er dann noch hinzu. »Taugt aber nichts, eine anständige Waffe zerschmettert diese Dinger, als wären sie aus Glas!«
Daraufhin wandte sich Brohm an den grobschlächtigen Kerl zu seiner Linken. »Wilhelm, ich will, dass die Sklavenunterkünfte genau durchsucht werden. Wenn euch irgendetwas verdächtig vorkommt, ihr wisst, was zu tun ist!« Ein weiteres Mal wandte er sich an Alejandro. »Ich vermute, eine genauere Beschreibung des Täters ist nicht vorhanden?« Nachdem der Hidalgo nur verneinend mit dem Kopf schütteln konnte, gab der Gouverneur seinen Männern einen beiläufigen Wink, worauf diese davoneilten.
Zurück blieben bei ihm nur Paco, zusammen mit Brohm und dessen Leibwächtern. »Ich bin untröstlich! Wenn wir den Täter finden, wird er zur Verantwortung gezogen, darauf könnt Ihr euch verlassen!«
Alejandro verengte die Augen und stützte die linke Hand auf seinem Degenknauf ab. »Das erweckt den Toten zwar nicht mehr zum Leben, aber es ist alles, was man nun noch tun kann. Danke, Eure Exzellenz!«
Der Gouverneur wollte etwas erwidern, doch wurde just in diesem Moment Gebrüll aus westlicher Richtung laut. Alejandro wurde aus den deutschen Rufen nicht recht schlau, Brohm machte allerdings große Augen, um dann grimmig zu Lachen. »Na also, sieht aus, als ob da eben ein Fang gemacht wurde!« Forsch marschierte der Deutsche in Richtung des Lärms, wohin ihm Alejandro wohl oder übel folgen musste.
Am Rande der Siedlung angekommen, trafen sie auf eine Gruppe von zehn Mann, die eine einzelne Gestalt in Richtung Marienhafen schleiften.
Drei kläffende Hunde zerrten an ihren Leinen und schnappten mit geifernden Lefzen immer wieder nach dem Gefangenen, bei dem es sich zweifellos um einen Indio handelte.
Der massige Gouverneur blieb stehen, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete in aller Seelenruhe, bis die Jagdgruppe bei ihnen ankam. Immer mehr Schaulustige kamen herbeigelaufen oder schlossen sich der kleinen Prozession an, die sich der Siedlung näherte. Schließlich wurde der Gefangene herangezerrt. Einer der Häscher griff in eine Tasche, um einen schwarz glänzenden Dolch herauszuziehen. »Die Hunde erwischten ihn kurz vor dem Außenzaun! Und das hier haben sie auf dem Rückweg erschnüffelt, er hatte ihn wohl fortgeworfen.« Unwillkürlich musterte Alejandro den Indio, dessen rechter Unterschenkel eine blutende Wunde aufwies. Dann sah er zu dem Dolch in der Hand des deutschen Jägers, um ihn fasziniert anzustarren. Obsidian glänzte wahrlich wie Glas, nur dass es undurchsichtig zu sein schien. Das funkelnde Schwarz der Klinge stand in krassem Kontrast zu dem darauf verschmierten Blut, das eben zu gerinnen begann. Der Dolch bestand lediglich aus einem länglichem, grob in Form gehauenem Splitter, dessen, mit Leder umwickeltes Ende nur wenig Halt für den Träger bot.
Brohm überbrückte die kurze Distanz zwischen sich und dem Gefangenen, krallte seine Finger in das Haar des Mannes und bog den Kopf derb zurück, sodass ihm der Indio in die Augen sehen musste.
Der Gouverneur indes interessierte sich eher für die linke Schulter des Gefangenen, wo deutlich für alle ein Brandzeichen prangte. »Da soll mich doch der Teufel holen!«, schnappte Brohm, um sich dann Alejandro zuzuwenden. »Es ist leider, wie ich befürchtet habe. Dieser Sklave gehört meinem Haus. Ich stehe also in Eurer Schuld!« Achtlos ließ er die Haare des Indios los und kam auf Alejandro zu. »Der Gerechtigkeit wird Genüge getan, hier und jetzt!«
Abermals musterte der Hidalgo derweil den Dolch, dann den Sklaven, welcher sich nur schwach gegen den eisernen Griff der beiden Deutschen wehrte. »Schön! Tut, was getan werden muss!«, antwortete er mit belegter Stimme.
Brohm wandte sich an den erstbesten seiner Männer. »Ich will, dass alle Sklaven aus den Pferchen hergetrieben werden. Jeder Bewohner von Marienhafen ist ebenfalls aufgefordert sich hier einzufinden!«
Während die Männer des Gouverneurs davon eilten, winkte Alejandro Paco zu sich, um ihm etwas ins Ohr zu raunen. »Sieh zu, dass auch alle unsere Leute herkommen!« Sein Diener verbeugte sich zur Antwort, um dann im Laufschritt davon zu hetzen.
Die Umstehenden begannen, die ersten Schmähungen zu rufen, doch noch wartete der deutsche Gouverneur stoisch ab. Nach und nach erreichten die gefangenen Indios, getrieben von den Aufsehern den Platz. Und auch Alejandros Leute und die Siedler aus der Stadt strömten in kleineren Gruppen herbei.
Alejandro schenkte dem Trubel keinerlei Beachtung. Nachdem eine Weile nachdenklich den Gefangenen betrachtet hatte, trat er einige Schritte vor, um den Indio direkt anzusprechen. »Verstehst du, was ich sage? Wie heißt du?«, knurrte er ihn an. Der Gefangene starrte ihn nur aus dunklen Augen durch einen Vorhang aus schwarzem Haar hindurch an. Als keine Antwort erfolgte, versuchte es der Hidalgo ein weiteres Mal auf Deutsch.
Als der Indio weiterhin stumm blieb, hob einer der beiden Aufseher an seiner Seite bereits die Hand, um dem Mann ins Gesicht zu schlagen, doch dieser kam ihm mit einer Antwort zuvor. »Meine Herren haben mir den Namen Johannes gegeben, doch geboren wurde ich mit dem Namen Saira!«
Aus den Augenwinkeln konnte Alejandro die Ankunft Miguels erkennen, doch konzentrierte er sich weiter auf den Sklaven vor sich. »Warum hast du den Mann ermordet?«, fragte er eindringlich.
»Kein Mann.«, presste dieser hervor. »Bestie! Was er getan, musste gestraft werden!«
Verwirrt blinzelte der Hidalgo, bis ihm die Bedeutung der gezischten Worte klar wurde. Doch bevor er antworten konnte, setzte der Indio nach. »Wie steht es in eurem heiligen Buch? Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Kurz lachte er abgehackt, was ihm einen Schlag einer Wache einbrachte, doch sprach er dennoch bald weiter. »Nur werde ich meine Lanze sicher nicht in einen Kerl stecken, also habe ich stattdessen etwas anderes in ihn hineingesteckt!«
Die Aussprache des Indios ließ zu wünschen übrig und Alejandro musste sich gehörig anstrengen, um ihn zu verstehen. Brohm, der ebenfalls gelauscht hatte, gab einem der Sklavenjäger einen kurzen Wink, woraufhin dieser den Redeschwall des Gefangenen mit einem weiteren Rückhandschlag zum Versiegen brachte.
Die Wut kochte heiß in Alejandros Magengrube. »Den Dolch. Wie hast du ihn versteckt?« Saira lachte schmerzerfüllt auf. »Hatte ich… immer bei mir. Habe gewartet. Auf guten Grund ihn zu nutzen. Auf… richtige Zeit!«
»Deine Zeit ist jetzt fürwahr gekommen, Freundchen!«, herrschte ihn Brohm an, bevor er sich an die inzwischen versammelte Menge wandte.
»Hergehört! Wie ihr alle wisst, bin ich kein Mann großer Worte! Demzufolge werde ich diese Tat umgehend entsprechend vergelten.« Sein Blick wanderte in den Hintergrund, wo an die hundert Indios ängstlich kauerten, scharf bewacht von zwei Dutzend Aufsehern mit kläffenden Hunden an der Leine.
»Ein Sklave hat heute Nacht die Hand gegen einen Mann erhoben, der unter Gastrecht stand. Ich habe als sein Gastgeber für seinen Schutz und sein Wohlergehen garantiert. Beides wurde von euresgleichen zunichtegemacht. Und obwohl ich normalerweise ein großmütiger Herr bin, so werde ich in diesem Fall keine Gnade walten lassen und auch keine Worte zu seiner Verteidigung akzeptieren! Anders kann die Schande, die ihr mir gemacht habt, nicht gesühnt werden!« Etwas leiser wandte sich Brohm an einen der Aufseher. »Knüpft ihn auf, gleich hier!« Mit diesen Worten deutete der Deutsche auf einen verkrüppelten Baum in seiner Nähe. »Der da sieht gut aus!«
Alejandro erwartete einen Aufschrei unter den Sklaven, doch die Menschen starrten einfach nur apathisch drein und verfolgten das sich nun anbahnende Schauspiel. Hinter ihm zerrten die Wachen Saira derweil geräuschvoll zum Baum, wo ein anderer Deutscher ein Seil über einen hohen Ast warf und vor sich hin summend eine Schlaufe in das Tauende zu knüpfen begann.
Der Hidalgo straffte sich innerlich und wandte sich wieder dem grausigen Schauspiel zu. Er schuldete es Garcia, wenigstens dem Todeskampf seines Mörders beizuwohnen. Auch Brohm verfolgte das Geschehen mit steinerner Miene.
Zeitgleich ertönten aber um sie herum immer mehr Rufe und nur die wenigsten forderten ein dergestalt mildes Schicksal für den Sklaven wie das von Brohm verfügte Urteil. Durch die Menge hindurch schafften zwei der Deutschen ein kleines Fass heran, welches wohl als Standfläche für den Delinquenten dienen sollte. Nachdem man es unter dem Baum abgestellt hatte, wurde der Indio in Richtung der Richtstätte geschleift.
Unvermittelt jedoch kam Leben in den Körper des bis dahin fast wehrlos in den Armen seiner Häscher hängenden Sklaven. Ohne Vorwarnung biss er in den Unterarm einer der Wachen. Als diese vor Schmerzen schreiend losließ, ruckte Saira herum, um wie eine zuschnappende Schlange nach den Augen des anderen Deutschen zu krallen. Auch der zweite Sklavenjäger ließ von dem Indio ab, um beide Hände vor sein Gesicht zu schlagen. Alejandro konnte Blut ausmachen, dass zwischen den Fingern des Mannes hervorquoll.
Fast schon zu spät realisierte er, dass Saira direkt auf ihn zugestürzt kam. Hastig riss er den Degen aus der Scheide, was den Indio zum Innehalten brachte. Kurz trafen sich ihre Blicke über die Spitze der auf die Kehle des Indios deutenden Klinge hinweg, doch dann hechtete sein Gegner nach der Obsidianklinge, die nun nach dem Gerangel mit den Wachen, in der Nähe Alejandros auf dem Boden lag.
Fast hätte er sie erreicht, doch schließlich umschloss ihn der umstehende Mob aus Europäern, um ihn augenblicklich mit einem Hagel aus Schlägen und Tritten einzudecken. Binnen kürzester wurde der jetzt aus mehreren Wunden blutende Indio erneut in Richtung des Galgens gezerrt.
Alejandro stand immer noch reglos an Ort und Stelle, während er den Puls in seinen Schläfen pochen fühlte. Von der Seite her näherte sich ihm Padre Miguel, doch der Hidalgo hatte nur Augen für das Schauspiel, welches ihm sich nun bot. Gleich vier Männer banden dem Indio die Hände hinter dem Rücken zusammen, um ihn dann auf das Fass zu wuchten. Unter den anfeuernden Schreien der Menge wurde er aufgestellt und ihm der Strick um den Hals gelegt. Alejandro erkannte Wilhelm, der mit grimmiger Miene den Henkersknoten zuzog.
Aus den Augenwinkeln machte er Miguel aus, der sich nach etwas am Boden bückte, um seinen Fund anschließend mit weit aufgerissenen Augen zu beäugen. Es kümmerte Alejandro nicht, er wollte einfach nur diesen Bastard hängen sehen, der für den Tod eines Mannes aus seinem Gefolge die Verantwortung trug.
Wilhelm sah fragend in Richtung Brohm, dessen Gesicht jegliche Farbe verloren hatte. Ein knappes Nicken, mehr bekam der Landsknecht nicht als Antwort. »Jetzt hample und strample!«, johlte der Deutsche hierauf grinsend und machte Anstalten dem Indio das Fass unter den Füßen wegzutreten.
»Halt!«, donnerte da eine laute Stimme über den Platz, die sogar den Radau des Mobs übertönte. Wilhelm hielt inne, um mit Verwirrung im Blick nach dem Rufer Ausschau zu halten. Auch ein Großteil der andren Anwesenden schaute sich suchend um.
Alejandro, der die Stimme Padre Miguels erkannt hatte, versuchte derweil zu ergründen, was der Franziskaner in der Hand hielt, als er mit raumgreifenden Schritten zum Galgen strebte. Was es auch sein mochte, der Gesichtsausdruck Miguels verhieß auf jeden Fall nichts Gutes. »Wo ist Christoph?«, rief der Franziskaner mit weit hallender Stimme, kaum dass er den Richtbaum erreichte. Verwirrtes Gemurmel ertönte sich unter den Anwesenden, doch bald schon schob sich der alte Mönch durch die Menschenmenge auf sie zu. »Hier bin ich! Was wollt Ihr?«, fragte der Dominikaner tonlos.
Der Triumph stand Miguel deutlich ins Gesicht geschrieben, als er Christoph ein Stück entgegenkam. »Habt Ihr nicht gesagt, alle Sklaven wären getauft und somit Anhänger der einzig wahren Religion, des Glaubens an unseren Herrgott und seines eingeborenen Sohns Jesus Christus?«
Bruder Christoph blinzelte, doch gab ihm Miguel keine Chance zu antworten. Stattdessen schleuderte er den Inhalt seiner Hand vor die Füße des Dominikaners. »Wie kann sich dann so etwas im Besitz eines eurer Schäflein befinden?«, schrie er ihm ins Gesicht.
Erschreckt machte Christoph einen Satz zurück, womit er Alejandro den Blick auf den kleinen Anhänger freigab, der dort vor ihm im Dreck lag.
Er konnte vor Schreck ein entsetztes Keuchen nicht verhindern. Das Kleinod schien aus lauterem Gold gefertigt zu sein, doch zeigte es eine Kreatur, die wahrlich aus der Hölle entsprungen sein musste. Am ehesten erinnerte es ihn noch an eine Mischung aus Kraken und Spinne. Mit absoluter Sicherheit hatte Gott kein Wesen geschaffen, das dieser abgebildeten Kreatur auch nur im Ansatz nahekam. Und obwohl es sich nur um ein Schmuckstück handelte, strahlte es für ihn eine fast schon greifbare Boshaftigkeit aus.
Augenblicklich wurde es still auf dem Platz, alle Augen wandten sich den beiden Geistlichen zu. Unendlich langsam bückte sich Christoph nach dem Schmuckstück, um es dann eingehend zu betrachten.
»Ich habe diesen Anhänger noch nie gesehen!«, erwiderte er schließlich schwach, um dann vor den Galgen zu treten. »Johannes?«, fragte er sanft. »Gehört dies dir?« Der Indio konnte den Blick des Dominikaners nur mit einem Auge erwidern, denn das andere schwoll ob der Schläge der Europäer bereits zu. »Vergebt mir, Bruder Christoph!«, murmelte er, bevor er die Augen schloss und einen Schritt nach vorne machte.
Ein Aufschrei der Anwesenden begleitete den Fall des Indios, doch abermals übertönte Miguels Stimme die Menge. »Nein! Schneidet ihn ab! So einfach wird mir dieser Ketzer nicht entkommen!« Sairas Gesicht begann sich bereits blau zu färben, als schließlich Vasquez zwischen den Leuten hervortrat, um den Galgenstrick mit einem Hieb seines Entermessers zu kappen. Der Indio rauschte nach unten, wo er nach Atem ringend im Dreck liegenblieb.
Augenblicklich ertönte die wütende Bassstimme Brohms. »Erklärt Euch, Franziskaner! Warum maßt Ihr euch an, meinen Befehlen zu widersprechen? Dieser Mörder soll hängen und wenn er tatsächlich weiter seine Götzen angebetet hat, so ist das noch ein Grund mehr ihn am Strang tanzen zu lassen!«
Miguel reckte das Kinn vor und ignorierte den Gouverneur zunächst einmal. Stattdessen sah er zu dem Hünen Vasquez. »Such dir ein paar Männer, und bindet unseren neuen Freund hier!« Dann erst wandte er sich dem Gouverneur zu, dessen Gesicht inzwischen. »Señor Brohm!«, begann er mit vor Verachtung triefender Stimme. »Ich habe allen Grund zu der Annahme, dass sich in dieser Kolonie des Hauses Welser eine Brutstätte für Ketzer gefunden hat. Und dies an einem Ort, an dem meine Ordensbrüder ihr Blut als Märtyrer vergossen haben, in der Hoffnung diese gottlosen Kreaturen ins Licht zu führen.«
Während er sprach, griff der Franziskaner unter seinen Habit, um einen schlichten Beutel hervorzuziehen. Diesem entnahm der immer noch vor Wut bebende Mönch ein Schriftstück, welches er ohne viel Federlesens Brohm in die Hand drückte. »Hier ist meine Legitimation!« Schlagartig wurde es still auf dem Platz. Der Gouverneur starrte einen Augenblick auf den gesiegelten Brief, sah dann erneut zu Miguel, bevor er wie in Trance das Schriftstück in beide Hände nahm und das kunstvolle Wachssiegel brach.
Das Knirschen des Pergaments mutete für Alejandro in der plötzlichen Ruhe wie herannahendes Donnergrollen an. Der Hidalgo verfolgte gespannt das Mienenspiel des Deutschen, derweil dessen Augen über die Zeilen des Dokuments wanderten. Noch bevor er zum Ende kam, erbleichte er, um dann den Franziskaner vor sich fassungslos anzustarren. »Ich hatte ja keine Ahnung...«, stammelte der Deutsche. »Natürlich hattet Ihr das nicht, woher auch!«, bestätigte Padre Miguel, um sich dann an die Allgemeinheit zu wenden. »Kraft der durch den Inquisitionsrat mir verliehenen Befugnisse und im Namen der kaiserlichen Krone ordne ich hiermit eine inquisitorische Untersuchung des Falles an. Eine jede Person, die sich dem widersetzt, macht sich automatisch des Schutzes von Ketzern verdächtig und wird sich entsprechend verantworten müssen.«
»Padre Miguel, Ihr...«, begehrte Bruder Christoph auf, doch der Franziskaner sprach unbeirrt weiter. »Den Dominikaner Christoph, sowie Gouverneur Brohm und Don Alejandro Quesada ernenne ich hiermit zu meinen Beisitzern!«
Immer noch herrschte Stille dem Platze, nur im Hintergrund rang Saira gurgelnd um Atem, den gerade drei Spanier ungerührt unter der Aufsicht von Vasquez derb verschnürten.
Alejandros Gedanken rasten. Padre Miguel ein Inquisitor? Warum hatte der Franziskaner ihm niemals etwas davon gesagt? Stand somit er selbst schon die ganze Zeit über unter Beobachtung? Kurz fuhr ihm ein eisiger Schauer über den Rücken, doch als sich sein Blick mit dem des Mönchs traf, las er darin weder Argwohn noch auf ihn gerichtete Wut. Alejandro trat vor. »Es wird mir eine Ehre sein, Padre Miguel!«
Kaum hatte er geendet, als Brohms tiefer Bass ertönte. »Ich für meinen Teil werde alles tun, um diese Sache aufzuklären. Möge Gott geben, dass es sich um einen Einzelfall gehandelt hat, doch wenn nicht, so wird es dieses Gericht herausfinden!«
Die Stimme des Deutschen verhallte und alle Augen wandten sich Christoph zu. Dessen Antwort kam stockend, als müsse er sich jedes Wort einzeln abringen. »Ihr habt ein hartes Herz, Padre Miguel. Doch eine Situation wie diese zwingt zu harten Maßnahmen. Ich danke Euch für die Gelegenheit, Licht ins Dunkel zu bringen. Der inquisitorische Prozess wird die Wahrheit finden!«
Der Triumph in der Stimme des Franziskaners konnte kaum jemand überhören. »Gepriesen sei der Herr! Volk von Marienhafen, hinfort mit euch! Wisset, dass viele von euch morgen als Zeugen für die Vernehmungen vorgeladen werden! Drum geht nun zu Bett, es wird ein langer Tag!« Dann wandte er sich Vasquez zu.
»Du, guter Mann, schaff den Ketzer am besten gleich in die Schmiede dort hinten. Ich habe viele Fragen, und mein Gefühl sagt mir, dass der Gefangene Johannes nicht allzu redselig sein wird.«
Die Stimme des Franziskaners troff vor Hohn, als er den Taufnamen des Indios erwähnte. Vasquez grinste breit. »Wie Ihr wünscht, Inquisitor!« Miguel lächelte gönnerhaft, bevor er auf den Gefangenen herabsah. »Solchen Einsatz lobe ich mir!« Der Franziskaner hob die Rechte, um den ehemaligen Hafenarbeiter mit dem Kreuzzeichen zu segnen. »Werdet Ihr und Eure Kameraden mir morgen bei der Wahrheitsfindung behilflich sein?«
Vazquez, der ob der Segnung demütig das Haupt gesenkt hatte, grinste nun erneut. »Mit dem größten Vergnügen! Um diese räudige Flohmatte kümmere ich mich gerne!« Dann zerrten er und seine Kameraden Saira derb von dannen. Auch der Rest der Bewohner von Marienhaften zerstreute sich, als wären sie darauf bedacht, nicht selbst noch in den Fokus der Geistlichkeit zu kommen.
Schließlich blieben nur noch Alejandro und Christoph zurück auf dem verwaisten Platz. Der Hidalgo wusste nicht, was er dem Dominikaner sagen sollte, um den am Boden zerstörten Mann aufzumuntern. Erst jetzt wurde ihm klar, wie gut er den Mönch leiden konnte, auch wenn er eine scheinbar fatale Schwäche für die Einwohner dieses gottlosen Landes in sich trug. »Wollt Ihr nicht zu Bett gehen, Bruder Christoph?«, fragte er vorsichtig.
Der Dominikaner schien ihn nicht gehört zu haben, bückte sich stattdessen mit einem Ächzen, um Sairas Obdisdiandolch aufzuheben und schlurfte dann wortlos an Alejandro vorbei. Im Anschluss sammelte er den dreckverschmierten Anhänger des Indios aus dem Matsch auf und kehrte dann zu ihm zurück.
»Macht Euch um mich keine Sorgen, ich kann bald länger schlafen, als mir lieb ist.«
Dann legte er mit fahrigen Fingern beide Gegenstände in Alejandros Hände. »Hier, das wird morgen noch gebraucht werden!«
Nur widerstrebend ergriff Alejandro Dolch und Anhänger, um dann beides eingehend zu betrachten. Die schwarze Klinge lag überraschend schwer in seiner Hand. Der Hidalgo konnte sich nur allzu bildlich vorstellen, wie die mehrfach gekerbte Klinge mühelos den Hals Garcias aufriss. Dann jedoch zog das Schmuckstück seine Aufmerksamkeit auf sich. Jetzt, da er den Anhänger aus der Nähe betrachten konnte, ekelte ihn das Götzenbild noch mehr an. Auch die Tatsache, dass es dem Gewicht nach aus purem Gold bestand, änderte daran nicht viel.
Erst als er den Blick davon abwandte, bemerkte er Bruder Christoph, der sein Mienenspiel aufmerksam beobachtete. Niedergeschlagenheit und Trauer standen dem Dominikaner deutlich ins Gesicht geschrieben. »Euch trifft der Verrat des Indios schwer, wie es scheint!«, fragte Alejandro vorsichtig nach.
Zunächst bedachte ihn der Mönch mit einem schwachen Lächeln, doch klang seine Stimme der folgenden Antwort schwer, als könne er nur mit Mühe die Tränen zurückhalten. »Die Wege des Herren sind unergründlich. Ich bat dereinst in die neue Welt entsandt zu werden, um dem grausamen Werk meiner Ordensbrüder zu entgehen, die so viele abgefallene Konvertiten und andere vermeintliche Ketzer auf den Scheiterhaufen schicken.« Er hob die Hände in hilfloser Geste. »Hier wollte ich das Wort Gottes predigen, und Wunden lindern, die andere in blinder Wut und Gier gerissen haben. Doch die Bestimmung meines Ordens hat mich eingeholt und so bitte ich Euch tatsächlich, mich nun zu entschuldigen. Ich muss beten, und mich für morgen wappnen, denn es gilt Gerechtigkeit zu sprechen.« Mit einer knappen Verbeugung entfernte sich der Geistliche raschen Schrittes.