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7. Kapitel - Gestrandet
ОглавлениеDie Ebbe setzte bereits ein, als an Bord endlich alle Arbeiten zum Abschluss kamen. Mit vollen Segeln rauschte die Sangre de Dios wenig später auf den Strand zu, bis ihr Bug knirschend auf den Sand traf und dieser sich immer weiter aus dem Wasser herausschob. Bald kam die Karacke zum Stillstand und lag nun still wie ein gestrandeter Wal am Ufer. Aus Richtung der Seeleute und Konquistadoren hallte Jubel quer über die Bucht, wohl einer der wenigen Momente, in dem ein aufgelaufenes Schiff gefeiert wurde. Mendoza schien tatsächlich das Kunststück vollbracht zu haben, den Rumpf der Sangre de Dios bei dem riskanten Manöver nicht noch weiter zu beschädigen.
Langsam ließ Alejandro den unbewusst angehaltenen Atem entweichen und schlenderte auf den improvisierten Liegeplatz zu. Cisco und der sehr übernächtigte Philippe schlossen sich ihm wortlos an. Ganz offensichtlich hatte der jüngere Hidalgo ausgiebig von Brohms Offerte Gebrauch gemacht. Alejandro konnte es ihm nicht verübeln, denn er selbst war den beiden Dienerinnen erlegen, die als seine Abendgesellschaft fungierten. Ganz im Gegensatz zu den Sklavenarbeitern in der Siedlung gebärdeten sich jene Mädchen alles andere als zurückhaltend, wie er zu bestätigen vermochte. Nun, da er an die vergnüglichen Stunden des vergangenen Abends zurückdachte, konnte Alejandro einen Anflug von Schuldbewusstsein ob seiner immer noch arbeitenden Untergebenen nicht unterdrücken. Also nahm er sich vor, so bald wie möglich bei Padre Miguel beichten zu gehen.
Unwillkürlich suchte er den Mönch unter den Zuschauern und entdeckte ihn alsbald bei einer Gruppe seiner Konquistadoren. Diese standen im Halbkreis um ihn herum, um andächtig den Ausführungen des Geistlichen zu lauschen. Natürlich erblickte er dort auch Luengo, der seit dem Sturm kaum noch von Miguels Seite wich. Für den Moment gab es aber wichtigeres zu tun, also störte er den Padre in seinem Redestrom nicht.
Stattdessen hielt er auf Mendoza zu, der heftig gestikulierend im Schatten der Sangre de Dios stand und den Matrosen oben auf dem geneigten Deck Anweisungen gab. Auch nach sechs Wochen an Bord des Schiffes verstand der Hidalgo nur die Hälfte dessen, was an Seemannskauderwelsch hin und her geschrien wurde. Es dauerte nicht lange, bis Mendoza die Männer wieder davon scheuchte, sich die Hände abklopfte und zu Alejandro sah. Kurz runzelte er die Stirn beim Anblick Philippes, der gerade ein Gähnen unterdrückte und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. »Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Welche darf es zuerst sein?« Cisco antwortete knapp. »Ist ziemlich egal, da wir sowieso beide zu hören bekommen!« Der Capitán räusperte sich und bedachte den Hidalgo mit einem finsteren Blick. »Wir werden den Schaden wohl tatsächlich reparieren können. Allerdings müssen wir hierfür etliche Planken austauschen, was die Dauer der Angelegenheit erheblich heraufsetzen wird.« Alejandro seufzte. »Wie lange also?«, fragte er resigniert. Mendoza hob die Hand und machte eine abwägende Geste. »Dank der Hilfe der Deutschen, wenn alles gut läuft, sind es vier Wochen. Sechs im schlimmsten Fall.« »Sagtet ihr gerade vier bis sechs Wochen, Capitán?«, frage Alejandro gedehnt und dabei jedes einzelne Wort betonend. »In dieser Zeit wird ja fast eine neue Karacke in Cádiz gebaut!« Mendoza zuckte ungerührt mit den Schultern. »Dort ist das ohne weiteres machbar.« Er machte eine weitläufige Geste. »Seht ihr hier ein Sägewerk? Oder eine andere Möglichkeit, wie ich nicht sämtliche Balken, ja jede einzelne Planke von Hand zuschneiden lassen muss? Das Holz braucht dann auch noch Zeit zum Quellen. Ganz dicht werden wir den Rumpf sowieso kaum bekommen, aber so Gott will, wird das Schiff die Überfahrt überstehen. Oder zumindest die Weiterfahrt in die Kolonien.« Der Capitán verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte die Männer vor sich an.
Alejandro realisierte, dass er auf verlorenem Posten stand. Dennoch bedeutete diese Zeitangabe das endgültige Aus für ihre Expeditionsteilnahme. »Es gibt keinen Weg, die Sache zu beschleunigen?«, wollte er beharrlich wissen. Für einen Augenblick schien Mendoza eine scharfe Antwort auf der Zunge zu liegen, dann jedoch schüttelte er lediglich den Kopf. »Ich fürchte nein, Señor.« Knapp deutete er eine Verbeugung an und ging.
»Ich denke, das war deutlich«, nahm Philippe den Gesprächsfaden alsbald auf. Sichtlich frustriert trat er in den Sand und schleuderte eine gute Ladung davon in die nahe Brandung. »Ich bin sicher, Ihr werdet Mittel und Wege finden, den Aufenthalt für Euch hier durchaus ertragbar zu gestalten«, merkte Alejandro in beiläufigem Tonfall an. Philippes Blick sprach Bände, also musste der Seitenhieb ins Schwarze getroffen haben. Um seinen Worten jede Schärfe zu nehmen, zwinkerte er dem jüngeren Hidalgo kurz zu und lief dann los.
Hundert Meter strandaufwärts lümmelten die ausgeschifften Konquistadoren am Strand herum. Natürlich kreisten bereits einige Weinschläuche, aber wenigstens setzten sich die Männer auf, als die Hidalgos näherkamen. Alejandro musterte den verlotterten Haufen einen Augenblick, bevor er innerlich seufzte und zu sprechen begann. »Damit das klar ist: Wir sind Gäste der Deutschen. So wie es aussieht, wohl für die nächsten Wochen.« Kurz wartete er das aufkommende Gemurmel ab, dann unterbrach er die Männer. »Solange wir uns in der Kolonie befinden, gilt ihr Recht. Ich rate also sehr deutlich davon ab, Unfug anzustellen. Wie ihr wisst, verstehen die Deutschen keinen Spaß, wenn es um ihr Eigentum geht. Das bezieht im Übrigen auch die Sklaven und Sklavinnen ein.« Das letzte Wort betonte er überdeutlich, dennoch kam abermals Gemurmel auf. »Wir bekommen ein Lagerhaus als Unterkunft gestellt. Ich erwarte, dass ihr euch dort für die Dauer unseres Aufenthalts tadellos benehmt.« Kurz pausierte der Hidalgo, um die Männer zu mustern. »Etwas Branntwein wird sich allerdings bestimmt auftreiben lassen, um die Wartezeit abzukürzen!« Diese Worte quittierten die Spanier augenblicklich mit begeistertem Gebrüll.
Alejandro hakte die Daumen an seinem Waffengurt ein und beobachtete mit einem wohlwollenden Schmunzeln, wie sich die Konquistadoren daraufhin aufrappelten, um ihre Ausrüstung aufzusammeln. Auf einen Wink hin übernahm Cisco das Kommando, ließ die Männer mit einigen gebellten Befehlen in Zweierreihen antreten und in Richtung der deutschen Siedlung abmarschieren. Alejandro war schon in Cádiz mit dem älteren Hidalgo übereingekommen, ihm den militärischen Oberbefehl über die Einheit abzutreten. Ganz im Gegensatz zu ihm hatte dieser nämlich bereits gegen die Indios gekämpft.
So blieb Alejandro einstweilen stehen und beobachtete den Abmarsch der Männer. Bislang gab es nicht viel von einer engen Marschformation zu erkennen. Aber bis zum Abschluss der Reparaturen der Sangre de Dios verging ja noch eine ganze Weile. Ein Zeitraum, den er unter anderem mit einer Menge Waffendrill zu füllen gedachte. Dieser Gedanke beschäftigte ihn seit den frühen Morgenstunden, als er beim Erwachen eine der Dienerinnen immer noch eng an ihn geschmiegt vorfand. Alejandro lag daraufhin eine ganze Weile einfach nur still da, lauschte dem gleichmäßigen Atmen der Sklavin und ließ dabei die Gedanken kreisen. Ihm blieb letztendlich nichts anderes übrig, als das Beste aus der verzwickten Lage zu machen. Wenn sie hier festsaßen, dann konnte er die Zeit auch nutzen, um aus dem zerlumpten Haufen Glücksritter, Halsabschneider, religiöser Wirrköpfe und sonstigem Gesindel tatsächlich gottgefällige Konquistadoren zu schmieden, die sich Spaniens als würdig erwiesen. Ein Großteil der Ausbildungsarbeit lag indes bei Cisco. Und Alejandro würde einen Teufel tun und ihm dabei ins Handwerk pfuschen.
Er schaute der losen Marschkolonne noch eine Weile hinterher, bis Padre Miguel und Luengo sich zu ihm gesellten. Der Escribano blinzelte kurzsichtig ihm hinauf und lächelte dünn. »Guten Morgen, Señor. Ich hoffe, Ihr habt wohl geruht?« Der Mönch hingegen neigte lediglich den Kopf und musterte ihn mit leicht zusammen gekniffenen Augen. Alejandro brachte wenigstens ein Lächeln zustande. »Alles wunderbar, danke der Nachfrage! Hoffentlich seid Ihr nun nicht von Marienhafen enttäuscht, nachdem Ihr die Stadt aus der Nähe gesehen habt?« Von einem Moment zum anderen gab sich Luengo leutselig, machte lachend eine wegwerfende Handbewegung, um dann auf die Siedlung zu deuten. »Auch wenn diese Kolonie kaum Cádiz oder eine der spanischen Niederlassungen ist, so freue ich mich auf jede Annehmlichkeit, die sie bieten kann!« Weder der Tonfall noch die Haltung des Escribanos wollten jedoch so recht zu dem eben gesagten passen.
Alejandro kam nicht umhin, an das Geklirr von Klingen zu denken, derweil er auf dem Rückweg mit Luengo Floskeln austauschte. Innerlich mahnte sich der Hidalgo zur Vorsicht. Auch wenn der Beamte nur ein Schreiberling war, so konnten seine Worte über das Wohl und Wehe von Alejandros weiterer Zukunft entscheiden. Schließlich überwachte die Casa de Contratación jegliche Expeditionstätigkeit in der Neuen Welt und stellte gleichzeitig sicher, dass die Krone ihren Anteil bekam. Er konnte durchaus erwirken, dass Alejandro niemals wieder eine Expedition in Eigenverantwortung unternehmen durfte.
Bald erreichte die Marschkolonne vor ihm den äußeren Bereich der Siedlung. In den Lagerhallen arbeiteten wie am gestrigen Tage die Indio-Sklaven und wie von Alejandro halb erwartet, halb befürchtet, gab es unter den Männern ein großes Hallo, als sie der barbusig arbeitenden Frauen ansichtig wurden. Für einen Augenblick geriet die eh nur sehr locker gehaltene Marschformation aus dem Takt, erst einige scharfe Befehle Ciscos brachten die Spanier zurück in die Kolonne.
Miguel und Luengo, die beide zunächst nicht wissen konnten, warum die Männer so außer Rand und Band gerieten, machten beim Erreichen der Siedlung große Augen. Alejandro indes fühlte fast so etwas wie Mitleid mit den Sklavinnen, die mit eingezogenen Köpfen sichtlich eingeschüchtert ihrer Arbeit nachgingen.
Luengo verlangsamte seinen Schritt, um sich letztlich mit vor der Brust verschränkten Armen ganz der Betrachtung der Frauen hinzugeben. Das breite Grinsen des Escribanos sprach Bände.
Bevor Alejandro jedoch etwas sagen konnte, trat Padre Miguel neben dem kleineren Mann, um ihn bestimmt weiterzuziehen. »Riskiert nicht Eure Seele, indem Ihr euch den Gelüsten des Fleisches hingebt, vor allem wenn es um diese heidnischen Kreaturen geht!«, fuhr er den Schreiber ungewohnt harsch an. Luengo schien durchaus gewillt, ein gutes Stück seines Seelenheils zu opfern, leistete dem Padre aber keinen Widerstand. Die ausschweifenden Predigten des Mönchs hatten auf See selbst Alejandros Geduld auf eine harte Probe gestellt und genau eine solche stand andernfalls garantiert ins Haus.
Und zudem war da noch die nicht ganz unerhebliche Tatsache, dass Alejandro eben selbst in der vergangenen Nacht von Brohms Dienstbotinnen sich nicht etwa nur den Rücken hatte waschen lassen…
Somit atmete er innerlich auf, als der Escribano schließlich mit den Schultern zuckte und sich dann von den Frauen abwandte. Als ob nichts gewesen wäre, fiel er mit Alejandro erneut in einen Spazierschritt, um den voraus marschierten Konquistadoren zu folgen. Diese rückten gerade laut schnatternd in das vorbereitete Lagerhaus ein, wobei jegliche Disziplin vollends abhandenkam.
Schon aus der Entfernung vermochte Alejandro Ciscos Gestalt am Tor des Gebäudes erkennen. Und bereits jetzt konnte er ohne Probleme das missmutig verkniffene Gesicht des Hidalgos ausmachen.
»Wir sind mit einer verdammten Bande von Hafenstrolchen, Halsabschneidern und Hurenböcken losgezogen das Wort Jesu Christi zu verbreiten. Ich frage mich, wie aus diesem Pack jemals anständige Kämpfer werden sollen!«, knurrte er, kaum dass er in Hörweite kam. In seinem Schatten folgte Philippe, der ebenfalls nicht allzu glücklich aussah. Alejandro brachte ein beruhigendes Lächeln zustande. »Wenn sie jemand entsprechend schleifen kann, dann bist du es!« Er zögerte kurz und fuhr sich mit der Hand über die Haare. Als er weitersprach, klang sein Tonfall deutlich resignierter. »Genug Zeit wirst du wohl dazu haben, fürchte ich!«
Cisco runzelte die Stirn, bis die buschigen Augenbrauen eine durchgehende Linie bildeten. Der erwartete Ausbruch blieb allerdings aus, stattdessen neigte der Hidalgo steif das Haupt vor seinem Kommandanten, um im Anschluss zur Scheune zurückzukehren. Philippe schien etwas sagen zu wollen, folgte dann jedoch mit einem resignierten Seufzer dem älteren Adligen.
Fast augenblicklich richtete Miguel das Wort an ihn. »Ich bin mir sicher, mit Hilfe des Herren wird es Don Cisco gelingen, aus diesen verirrten Schafen wahrhafte Gottesstreiter zu machen.« Nun ließ der Tonfall des Mönchs ihn aufhorchen. Normalerweise sprach der Padre sanft und eher leise, doch nun vernahm er in seiner Stimme eine deutlich wahrnehmbare Schärfe. Er wandte sich in Richtung des Siedlungszentrums. »Wie ich sehe, ist die Kirche hier überholungsbedürftig. Würden die Señores mich bei einer Besichtigung begleiten?«
Die Männer brauchten ihn augenblicklich nicht, also nickte Alejandro. »Nur zu, Padre. Mir ist es ein Rätsel, warum die Deutschen das Haus Gottes in so einen Zustand haben verfallen lassen.« Miguel antwortete daraufhin lediglich mit einem unwirschen Brummen und setzte sich in Bewegung.
Heute gab es deutlich mehr Einwohner in der Siedlung zu sehen als gestern, die Alejandro und seinen Begleitern neugierige Blicke zuwarfen. Die Deutschen wirkten dabei nicht wirklich feindselig, soweit er es sagen konnte. Die Männer, Frauen und wenigen Kinder der Siedlung schienen in den Spaniern lediglich eine interessante Abwechslung des sonst wahrscheinlich eher tristen Tagesablaufs zu sehen.
Eine Gruppe Sklaven trottete mit hängenden Köpfen relativ nahe an ihnen vorbei. Jeder der Indios trug ein großes Bündel Palmwedel auf der Schulter, welche wohl das Dach eines neugebauten Hauses am Siedlungsrand werden sollten, denn dorthin führte ihr Weg.
Zur Überraschung von Alejandro befanden sich unter den Sklaven auch drei Mohren, wie man sie gemeinhin an der afrikanischen Küste einfangen konnte. Jene Männer überragten die restlichen Mitglieder der Gruppe um mindestens eine Haupteslänge, wirkten dabei aber nicht minder niedergeschlagen.
Er nahm sich vor, Brohm zu fragen, wie es diese Mohren hierher verschlagen hatte, auch wenn er sich die Antwort auch schon fast denken konnte.
Unvermittelt musste der Hidalgo stehenbleiben, sonst wäre er direkt in Miguel gelaufen, der nun mit versteinerter Miene die kleine Kirche vor ihnen fixierte. Aus der Nähe betrachtet machte das Gotteshaus einen noch weitaus schlechteren Eindruck, als man zunächst hätte vermuten können. Rußspuren am ganzen Haus machten deutlich, dass es vor einiger Weile gebrannt haben musste. Die getätigten Wiederaufbaubemühungen konnten aber bestenfalls als halbherzig bezeichnet werden. Kopfschüttelnd betrachtete Alejandro das Gebäude, bevor er sich an Miguel wandte. Die ihm auf den Lippen liegende Frage erstarb allerdings, als er das zornverzerrte Gesicht des alten Mannes erblickte und überrascht innehielt. »Padre? Was ist mit Euch?«, fragte zeitgleich auch schon Luengo und kam ihm damit nur um Sekundenbruchteile zuvor. Zugegeben, die Kapelle befand sich in furchtbarem Zustand, was aber bestimmt keinen Grund darstellte, dergestalt die Beherrschung zu verlieren.
Statt einer Antwort griff der Mönch zu dem schlichten Antoniuskreuz, welches ihm an der Kordel hing und begann es in den Fingern hin und her zu drehen.
Alejandro konnte lediglich einen ratlosen Blick zu Luengo werfen, der aber zur Antwort nur hilflos mit den Schultern zuckte. Es brauchte lange, bevor der Padre seine Beherrschung zurückgewann. Schweigend deutete er auf den Türstock der Kirche, wo ein Kreuz prangte. Wie auch der Rest des Gebäudes war es verwittert und kaum noch zu erkennen. Bei genauerem Hinsehen erkannte Alejandro, dass es sich hierbei ebenfalls um ein schlichtes Antoniuskreuz handelte. Als Padre Miguel zu sprechen begann, klang es, als ob er jedes Wort mühevoll hervorpressen müsste. »Vor einigen Jahren errichteten meine Ordensbrüder entlang dieser Küste mehrere Missionen und versuchten den Wilden den Glauben zu bringen.« Alejandro nickte langsam, sagte aber nichts. »Eine Zeitlang ging es gut, und wir glaubten schon Erfolg zu haben. Viele der Indios akzeptierten die Taufe, wir gründeten weitere Missionen.« Er schluckte schwer, ballte die Hände zu Fäusten. »Dann jedoch zeigten diese Monster ihre wahre Fratze und fielen über meine Brüder her. Sie zogen ihnen die Haut ab und wen sie nicht bei lebendigem Leibe auffraßen, den opferten sie ihren Dämonengöttern.« Luengo verlor schlagartig jede Farbe im Gesicht und starrte den Mönch mit großen Augen an, während dieser fortfuhr. »Die noch schlagenden Herzen rissen sie meinen Brüdern aus der Brust, hackten ihnen Arme und Beine ab, um sie dann einfach liegenzulassen!«
Padre Miguel schien sich immer weiter in Rage zu reden, um anklagend mit einem Finger auf den Schreiberling zu deuten. »Und Ihr Lüstling denkt ernsthaft daran, Euch mit diesen Kreaturen den liederlichen Gelüsten des Fleisches hinzugeben? Mit den Weibern von Götzendienern und Menschenfressern? Betet und tut Buße, mehr kann ich nicht raten.« Augenblicklich wechselte die Gesichtsfarbe des Escribanos ins Tiefrote, er schnappte nach Luft und begann wirre Entschuldigungen zu stammeln.
Auch Alejandro sah den sonst so ruhigen Geistlichen vor sich wie vom Donner gerührt an. »Wie lange ist das jetzt her, Padre Miguel?«, fragte er gedehnt, um seine Gedanken ordnen zu können und gleichzeitig mit der Scham fertig zu werden, welche nun an ihm, ob der letzten Nacht nagte. Augenblicklich ließ der Mönch von dem immer mehr in die Defensive gedrängten Schreiberling ab und wandte sich ihm zu. »Etwa acht Jahre ist es her, dass diese Bestien meine Brüder und alle Menschen massakriert haben, die an das Gute in ihnen geglaubt haben!«, grollte er. Zwar wollte Miguel noch etwas nachsetzen, doch eine scharfe, schneidende Stimme schnitt ihm das Wort ab. »Vielleicht, aber nur vielleicht lag der Angriff der vereinigten Indiostämme auch nur daran, dass, während eure Brüder die Liebe Gottes predigten, deren Landsleute gleich mehrere Sklavenjägertrupps an der Küste anlandeten?« Überrascht ließ Alejandro den Kopf herumrucken, um nach dem Ursprung der Stimme zu suchen.
In der Tür der heruntergekommenen Kirche stand ein gebeugter Mönch in schwarzem Habit, mit vor dem Bauch gefalteten Händen. Schlohweißes Haar und ein wettergegerbtes Gesicht sprachen von dem hohen Alter des Geistlichen, doch blitzte in den klaren Augen nach wie vor eine scharfe Intelligenz auf. Padre Miguel, der durch die Unterbrechung völlig aus dem Konzept gebracht wirkte, ging sofort zum Angriff über. »Wer auch immer Ihr seid, wollt Ihr jene von Satan geschaffenen Mörderkreaturen etwa in Schutz nehmen? Nach dem, was sie meinen Brüdern angetan haben?«
Der alte Mönch lächelte wissend und neigte leicht das Haupt, bevor er antwortete. »Ich heiße Christoph und bin erfreut, eure Bekanntschaft zu machen.« Kurz taxierte er sein Gegenüber. »Und nein, ich heiße Mord niemals gut! Weder an den Einwohnern dieses Landes noch an den Menschen aus der Alten Welt, die hierherkamen!«
Alejandros Blick schweifte während des verbalen Schlagabtauschs von einem Sprecher zum anderen, er hütete sich allerdings davor, in den Disput einzugreifen. Stattdessen nahm er den Fremden genauer in Augenschein. Anscheinend gehörte er dem Dominikanerorden an, doch Akzent und Name legten eine deutsche Abstammung nahe.
Padre Miguels Gesicht wurde immer röter, während er sein Gegenüber anfuhr. »Diese Kreaturen für ihre Taten zu bestrafen ist kein Mord, sie sind ja nicht einmal Menschen! Die Sklaverei ist noch viel zu gut für sie, wenn es nach mir ginge, sollte man sie alle zurück in die Hölle schicken, aus der sie hervorgekrochen sind!«
Bruder Christoph seufzte, um dann die Hände in entwaffnender Geste zu heben. »Ich fürchte, da sind wir geteilter Ansicht. Hättet Ihr wenigstens die Güte, mir Euren Namen zu nennen? Ich weiß gerne, mit wem ich diskutiere!« Wohl, um größeres Übel zu verhindern, sprang Luengo ungewohnt geistesgegenwärtig in die Bresche. »Dies ist Don Alejandro Quesada, vierter Sohn des Barons von Jeán.« Begleitend zu seinen Worten deutete er auf den Hidalgo, erst dann kam er zu dem Mönch. »Und dies ist Padre Miguel vom Orden der Franziskaner. Ich selbst bin Ferdinando Luengo, Escribano im Dienste der Casa de Contratación!« Christoph, der bei jeder der Namensnennung in Richtung der betreffenden Person eine Verbeugung angedeutet hatte, lächelte dem Schreiber offen zu und ignorierte damit zunächst den rotgesichtigen Miguel. »Abermals, erfreut Eure Bekanntschaft zu machen, Señores! Auch wenn dies sicherlich schon von anderer Seite erfolgt ist, so heiße ich Euch in Marienhafen willkommen.« Die Wut des Franziskaners schien einfach an ihm abzuperlen, befand Alejandro, so wie er lächelte.
Nun lag es bei ihm, eine passende Erwiderung zu finden. »Danke für Eure freundlichen Worte, Bruder Christoph. Wir freuen uns, es bis hierher lebend geschafft zu haben! Der Herr hat eine schützende Hand über uns gehalten und ich glaube, es wäre nur recht und billig, wenn wir ihm so bald wie möglich danken!« Mit dieser improvisierten Erwiderung hoffte Alejandro, den rasenden Mönch an seiner Seite auf ein anderes Thema bringen zu können.
Doch anstatt darauf einzugehen taxierte Padre Miguel den Dominikaner eine ganze Weile, um sich dann mit einem geschnaubten »Pah!« in Richtung der Unterkünfte zu entfernen. Alejandro blieb mit Luengo zurück, mit dem er in seltener Eintracht nur einen ungewissen Blick tauschen konnte. Der Aufenthalt hier versprach auf jeden Fall sehr interessant zu werden, so viel stand fest.