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3. Kapitel - An der Küste der Neuen Welt

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Es dauerte drei weitere Tage, bis Alejandro den erlösenden Ruf des Ausgucks vernahm. Schon bevor das laut gerufene »Land in Sicht!« zum zweiten Mal ertönte, eilten Mannschaft und Passagiere der Karacke gleichermaßen an die Reling. Sie alle schirmten die Augen mit den Händen vor der Sonne ab und spähten angestrengt auf die See hinaus.

Alejandro befand sich ebenfalls unter den Neugierigen. Aber so sehr der Hidalgo die Kimm auch absuchte, konnte er zunächst noch nichts erkennen. Erst eine ganze Weile später zeichnete sich am Horizont eine dunkle Linie ab, welche nun aber schnell an Höhe gewann. Neben ihm plapperte der hinzugeeilte Luengo permanent auf ihn ein, doch Alejandro kümmerte es wenig, zu sehr nahm ihn der Anblick gefangen. Wie oft hatte er sich diesen Augenblick ausgemalt und in Gedanken auf dem Achterdeck gestanden, während die Sangre de Dios in einen der Koloniehäfen des spanischen Imperiums einlief. Aber stattdessen krochen sie förmlich auf Ellenbogen und Knien auf die Küste zu und konnten nur auf die Hilfsbereitschaft der Deutschen hoffen. Und selbst dafür musste eine entsprechende Plantage mit passender Hafenanlage erst einmal gefunden werden. Etwa die Hälfte der Welser-Niederlassungen verfügte laut Mendoza auch über zumindest grundlegende Werftanlagen für Reparaturarbeiten. Also lag immer noch alles in Gottes Händen!

Aber jetzt würden sie wenigstens nicht ertrinken müssen, denn an die Küste konnten sie es schlimmsten Falles allemal schaffen. Wobei der Gedanke, in dieser gottverlassenen Gegend ohne nennenswerte Ausrüstung zu stranden, Alejandro nur wenig behagte. Dafür kannte er zu viele Geschichten über Menschenfresser und allerlei monströses Getier, die nie gut endeten. Selbst wenn er eine gehörige Portion Seemannsgarn von dem Gehörten abzog, blieb genug übrig, um ihm eine Gänsehaut den Rücken hinunterzujagen.

Lautes Geschrei des Bootsmanns riss ihn aus seinen Gedanken. Um Alejandro herum standen noch etwa ein Dutzend Matrosen, die augenblicklich ihre Beine in die Hand nahmen und sich wieder an ihre jeweilige Arbeit machten. Die Knute des Mannes wurde gemeinhin gefürchtet und auch jetzt schwang er sie freigiebig.

Gott sei Dank schien inzwischen Luengo begriffen zu haben, dass Alejandro gerade nichts an einer Konversation lag, denn er zog sich endlich zurück. Etwa zeitgleich machte der Hidalgo eine kleine Gruppe auf dem Achterkastell aus, die dort heftig gestikulierend diskutierte. Er konnte neben Mendoza noch den Navigator und einen der Steuermänner erkennen. Die Diskussion dauerte einige Minuten an, bis der Capitán mit einer harschen Geste rigoros einen Schlussstrich zog. Der Navigator stampfte mit hochrotem Kopf unter Deck, während der Steuermann zurück an den Kolderstock trat und ihn mit aller Kraft gen Steuerbord drückte.

Schwerfällig neigte sich die Karacke daraufhin zur Seite. Alejandro verfolgte mit gerunzelter Stirn das Manöver, blieb jedoch im Bug stehen. Bald segelte die Sangre de Dios auf Parallelkurs zur Küste entlang. Der neue Kurs würde sie gen Nordwesten führen, wenn er richtig lag. Erneut sah er zum Festland hinüber. Inzwischen zeigte sich dort ein heller Streifen Sand vor einem grünen Streifen Urwald, der kein Ende zu nehmen schien. Der Hidalgo konnte nur erahnen, was es für einen Arbeitsaufwand bedeuten musste, an so einem Flecken die Fläche für eine Siedlung und die dazugehörigen Felder zu roden.

Jemand trat neben Alejandro. Als er den Kopf zur Seite drehte, stand dort Mendoza, der eben ein Fernrohr ans Auge hob. Gespannt studierte der Hidalgo das Minenspiel des Capitáns und sah selbst immer wieder zur Küste hin. Schließlich setzte der Seemann das Fernrohr ab, um es in sich zusammen zu schieben. Sein Blick blieb stoisch auf den Strand gerichtet, als er betont leise zu sprechen begann. »Uns bleibt kaum noch Zeit. Wir nehmen ständig mehr Wasser über. Merkt Ihr, wie sie bereits schwerfälliger wird?«

Alejandro brauchte einen Augenblick, um diese Worte sacken zu lassen. Er verschränkte wortlos die Arme hinter dem Rücken und konzentrierte sich auf die Bewegungen des Schiffes, konnte jedoch nichts dergleichen erkennen.

Seine Antwort sollte beiläufig klingen, was ihm aber nur bedingt gelang. »Wie lange noch?« Mendoza suchte zunächst mit den bloßen Augen abermals die Küste ab. »Das ist schwer zu sagen! Bislang sind nur die Bilge und der untere Teil des Frachtraums geflutet. Doch die Pumpen werden diesen Kampf verlieren. Ich vermute, dass die Belastung des letzten Sturms für das alte Mädchen zu viel gewesen ist und einige Planken sich tatsächlich verschoben haben. Je tiefer die Sangre de Dios sinkt, desto mehr solcher Lücken gelangen unter Wasser. Es wird also immer schneller gehen.« Abermals pausierte er, bevor er weitersprach. »Zwei Tage gebe ich uns noch. Weniger, sollte die See wieder rauer werden.«

Nun musste Alejandro tief durchatmen. »Dann nehme ich an, dass ihr das Schiff vorher am Strand auf Grund laufen lassen wollt?« Mendoza nickte langsam. »Ja, etwas anderes bleibt uns nicht übrig, zumal das so oder so für die Reparatur getan werden muss. Allerdings wäre mir wesentlich wohler, wenn wir uns dafür in der Nähe einer befestigten Siedlung befänden.«

Alejandro deutete auf das Fernrohr in Mendozas Hand. »Darf ich?« Der Capitán gab es ihm und wandte sich zum Gehen ab. »Lasst es nachher bitte in meine Kajüte bringen!«, meinte er noch über die Schulter. Sogleich nahm Alejandro den Küstenstreifen genauer in Augenschein. Was er sah, ließ ihm den Atem stocken: Der grüne Streifen hinter dem Strand mutete wie eine undurchdringlich erscheinende Wand aus Bäumen und Gebüsch an, fest durchwuchert mit seilähnlichen Pflanzen. Etwas Vergleichbares hatte Alejandro noch nicht gesehen, selbst die fruchtbarsten Gegenden Spaniens kamen nicht an dieses Dickicht heran.

Die Sonne begann schon unterzugehen, als er schließlich das Fernrohr zusammenschob. Immer noch wollte sich keinerlei Zeichen von Zivilisation zeigen. Und was das anging, gab es auch keine Spur von den Heiden, wegen denen sie letztendlich in diese Neue Welt gekommen waren. Mit einer knappen Geste winkte der Hidalgo einen Seemann heran, um ihm das Fernrohr in die Hand zu drücken. Mehr als eine kurze Anweisung brauchte der Mann nicht und machte sich auf den Weg zur Kajüte seines Capitáns. Alejandro schaute erst ihm nach und beobachtete dann die anderen anwesenden Seeleute. Er konnte bei ihnen keinerlei Anzeichen von Unruhe ausmachen, was deutlich für Mendozas Führungsqualitäten sprach.

Eine Zeitlang später kehrte er unter Deck zurück. Dabei achtete er penibel darauf, gelassen voranzuschreiten. Weder für die Seeleute noch für seine eigenen Männer wäre es von Vorteil, ihren Anführer als Nervenbündel zu sehen. Schlimm genug, dass Philippe inzwischen ständig für Irritationen sorgte. Er musste mit dem Burschen so schnell wie möglich ein ernstes Wort wechseln. Auf diesem Schiff gab es dazu leider wenig bis gar keine Gelegenheit, da Alejandro sicher nicht einen anderen Mann von Stand vor dessen Untergebenen zurechtzuweisen gedachte.

Der Gestank des Unterdecks unterbrach nach wenigen Schritten seine Überlegungen. Er versuchte, nur flach zu atmen und setzte den Weg so rasch, wie möglich fort. Eingekerkerten Tieren gleich beobachteten die Männer jede Bewegung, die er machte. Nur zu deutlich hörte er weiter unten im Rumpf das Wasser plätschern, das durch die entstandenen Lücken in das Schiff eindrang. Aber auch hier oben konnte er viele Stellen erkennen, an denen die Besatzung behelfsmäßig Risse mit Tauwerk und Teer geflickt hatte.

Als Alejandro den Vorhang zur Seite schlug, fand er Don Cisco auf seiner Hängematte ausgestreckt vor. Er wirkte ruhig und gelassen, doch ihm entging der griffbereit in der Nähe des alten Hidalgos liegende Degen durchaus nicht. Von Philippe dagegen fehlte jede Spur. Wahrscheinlich lungerte er irgendwo auf Deck herum, denn er hasste die miefige, dunkle Enge des Unterdecks, wie Alejandro wusste. Jetzt, nach dem Ende des Sturms, konnte man ihn meist nur noch zum Schlafen hier unten antreffen.

Gemächlich sank Alejandro mit einem erleichterten Seufzen auf seiner Hängematte nieder und legte die Beine hoch. Eine Weile lauschte er den Geräuschen des Schiffes und der See. Einmal mehr fiel ihm dabei auf, wie still sich auch seine Leute auf der anderen Seite des Vorhangs im Vergleich zu sonst gebärdeten. Kein Gelächter, Gezanke oder Geschnatter drang an sein Ohr, ein untrügliches Zeichen für die Angst der Männer. Dennoch wollte ihm nichts einfallen, wie er ihnen noch Mut zusprechen konnte, bis er es schließlich aufgab und versuchte, etwas zu schlafen.

Geweckt wurde Alejandro von der Schiffsglocke, die den Wechsel von Nacht- zu Tagwache ankündigte. Mit lautem Gähnen setzte sich der Hidalgo auf und streckte sich ausgiebig. Irritierender Kopfschmerz pochte ihm nun hinter der Stirn, wie er feststellen musste. Zudem war sein Wams nassgeschwitzt und klebte wie ein klammer Fetzen am Oberkörper. Zunächst beließ er es dabei, auf dem Rand der Hängematte sitzen zu bleiben und sich die Schläfen zu reiben, während er nach Paco rief. Dieser zog auch bald den Vorhang zur Seite und brachte eine Waschschüssel herein, in der Seewasser hin und her schwappte. Zusammen mit Seife und einem Tuch wurde die Schüssel vor ihm auf einer Seekiste abgestellt. »Habt Ihr weitere Wünsche?« Reglos wartete der Lakai, bis Alejandro das Wort an ihn richtete. »Gibt es etwas Neues?«, fragte er mürrisch. Paco trat einen Schritt an ihn heran. »Im Laufe der Nacht wurden wieder Eimerketten gebildet. Sonst…«, er überlegte einen Moment, »keine Neuigkeiten. Leider!«

Mit einem knappen Nicken stand Alejandro auf und schlurfte zur Waschschüssel. »Gut, das war dann alles. Kümmere dich bitte um das Frühstück!« Abermals verneigte sich sein Diener. »Sehr wohl, Señor!«

Als er wenig später, nun vollends angekleidet und bewaffnet, die Plane zum Frachtraum zurückzog, fand er dort die Luken zum tiefer gelegenen Rumpf aufgeworfen vor. Eine Reihe Seeleute, immer wieder durchsetzt von den Männern der drei Hidalgos, reichten Eimer zum jeweils nächsten Mitglied der Schöpfkette. Besonders diejenigen an den Fallreeps, welche die vollen Behälter hochhieven mussten, schienen kurz vor dem Umfallen zu stehen.

Alejandro verteilte aufmunternde Worte, klopfte hier und da auf eine Schulter und machte sich dann schnellen Schrittes auf den Weg zur Schiffsmesse, wo das Frühstück normalerweise eingenommen wurde. Auf dem Weg dorthin passierte er eine weitere Eimerkette, die aber wohl noch nicht allzu lange ihre Arbeit aufgenommen hatte. Dennoch nahm sich Alejandro auch hier etwas Zeit für die Männer, um ihnen Mut zuzusprechen. Es verwunderte ihn kaum, dass er als Letzter eintraf, sah man von Capitán Mendoza ab, für den es aber wohl sicherlich wichtigeres zu tun gab. Cisco schob bereits mit stoischer Miene einen Löffel nach dem anderen in seinen Mund, ganz im Gegensatz zu Philippe neben ihm.

Den Hidalgos gegenüber saßen Señor Luengo und Padre Miguel, beide ebenfalls mit einem Napf vor sich. Beim Eintreten brummte Alejandro einen Gruß, den die Anwesenden verhalten erwiderten. Kaum nahm er am Ende der schmalen Tafel Platz, als Paco bereits mit dem Frühstück neben ihm erschien. »Schon wieder Getreidebrei?«, konnte er sich nicht verkneifen. »Señor, heute wurde er wenigstens mit Honig gesüßt!«, versuchte sein Diener eine Aufmunterung. Einige freudlose Lacher ertönten am Tisch, die aber bald verklangen. Schweigend nahmen die Männer ihr Mahl ein, derweil Don Cisco einfach nur zu den geöffneten Fenstern hinaussah. Wie jeden Tag beobachtete er die vielen Strudel, die sich am Heck des Schiffes unweigerlich bildeten. Überraschenderweise richtete Padre Miguel nach dem Ende des Mahls als erster das Wort an Alejandro. »Was glaubt Ihr, werden wir noch eine Siedlung der Deutschen finden?« Erwartungsvoll sah der Franziskaner ihn an.

Bedauernd schüttelte Alejandro den Kopf. »Ich fürchte, für den Moment sind wir auf Beten angewiesen. Ich war heute noch nicht bei Mendoza, was ich aber nun nachholen werde.« Ihm wurde es auf einmal zu eng in der Kajüte. Eine Spur zu eilig schob Alejandro die Holzschüssel fort, um schnellen Schrittes hinauf ans Oberdeck zu eilen.

Nach einiger Kletterei streckte er bald darauf seinen Kopf durch eine der Luken und zog sich dann vollends ins Freie. Es schien ein schöner Tag zu werden. Die See leuchtete in sattem Blau-Grün und nur wenige Wolken hingen am Himmel. Trotz der deutlich fühlbaren Brise wurde es bereits sehr warm. Während der Hidalgo den Capitán suchte, zog er die frische Seeluft mit gierigen Zügen ein. Welche Wohltat nach dem stickigen Mief des Unterdecks!

Er fand Mendoza wie vermutet auf dem Achterkastell, wo der Capitán mit sorgenvoller Miene die Eimerkette auf dem Mitteldeck beobachtete. Auch als Alejandro neben ihn trat, ließ er die schuftenden Männer nicht aus den Augen. »Sie arbeiten bis zum Umfallen, aber das Wasser steigt immer weiter. Meine Schätzung betreffs unserer verbleibenden Zeit ist wohl akkurat.« Der Hidalgo hob einen Mundwinkel. »Ein schwacher Trost!« Der Capitán zeigte hierauf keine Reaktion, sondern suchte stattdessen mit dem Fernrohr die Küste ab. »So Gott will, erreichen wir eine der Siedlungen, bevor es zu spät ist. Wir sind nahe dran, meine ich.« Der Hidalgo folgte seinem Blick. »Und ansonsten?« »Dann werde ich die Sangre de Dios heute Nacht bei Flut auf dem Sandstrand auflaufen lassen«, antwortete der Capitán leise.

Der Gedanke, in völliger Dunkelheit den Strand anzulaufen behagte Alejandro nicht im Geringsten. Er strich sich über den Bart und wollte eben etwas entsprechendes antworten, als ihm ein Ruf des Ausgucks zuvorkam, dessen Stimme sich beinahe überschlug. »Festung in Sicht! Backbord voraus!« Praktisch augenblicklich rannte die Deckmannschaft zur Reling und versuchte, an Land genaueres zu erkennen. Mit einem Mal schienen sämtliche Strapazen vergessen, Seeleute und Konquistadoren, alle johlten sie begeistert ob der Aussicht auf einen mehr oder weniger sicheren Hafen.

Alejandro dagegen blieb an Ort und Stelle, selbst wenn ihm das Herz auf einmal bis zum Halse schlug. Er beobachtete schweigend, wie Luengo, gefolgt von den Dons Philippe und Cisco an Deck kamen. Zuletzt erschien Padre Miguel. Wie die anderen auch, so versuchte der Geistliche einen Blick auf die Küste zu erhaschen, doch noch gab es dort wenig zu erkennen. Mendoza gab einige knappe Kommandos, um das Schiff weiter vom Ufer wegzubringen, was das Einlaufen in den Hafen erleichtern sollte.

Die Sonne stand schon fast im Zenit, als Mendoza die Sangre de Dios wieder aufkommen ließ und bald darauf einen scharfen Kurswechsel in Küstenrichtung befahl. Inzwischen vermochte Alejandro vor dem Grün des Urwalds schemenhaft die Konturen einiger Gebäude auszumachen, die am tiefsten Punkt einer Bucht errichtet worden waren. Im Hintergrund konnte er eine langgezogene Palisade erkennen, doch der Hafen selbst schien nur aus wenig mehr als ein paar Landungsstegen zu bestehen. Ein einzelnes Schiff lag dort vertäut.

»Ich würde sagen, wir haben es geschafft! Danken wir dem Herrgott für diese Gnade!« Unwillkürlich bekreuzigte sich Alejandro und nickte dem Capitán zu, der neben ihm stand. »Allerdings!« Bald konnte er den Flaggenmast am Rand der Bucht ausmachen, an dem zuoberst das Banner des Kaiserreichs wehte. Darunter hing ein weitaus kleinerer Wimpel, der ein ihm unbekanntes Wappen trug. Vermutlich das des Hauses Welser. »Die Flagge hat mich auf einen anderen Gedanken gebracht!« Mehr als ein fragendes »Mh?« brachte Alejandro nicht heraus, zu sehr beschäftigte ihn der Anblick. Nachdenklich stützte sich Mendoza neben ihm auf die Brüstung des Achterkastells. »Wie ist Euer Deutsch?«

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