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4. Kapitel - Das Haus der Welser
ОглавлениеDie Kolonie entpuppte sich als eine herbe Enttäuschung für Alejandro. Je näher die Sangre de Dios langsam der Küste kam, umso offensichtlicher wurde, wie übertrieben optimistisch die Festungsankündigung des Ausgucks doch gewesen war. Denn die Verteidigungsanlagen bestanden lediglich aus einem aufgeworfenen Erdwall rings um die Siedlung, den eine Holzpalisade krönte. In der Alten Welt könnte dieses Fort keinen Tag lang dem Beschuss durch Kanonen standhalten. Im Inneren der Palisade lagen ein gutes Dutzend größerer Gebäude, hinzu kamen noch einige Schuppen am Hafen und etliche flache Baracken außerhalb der Wehranlage. Ringsherum erkannte er große Felder, die zum Urwald hin von einem hohen Zaun umfasst wurden. Das vor Anker liegende Schiff schien eine Karavelle deutscher Bauart zu sein, was Alejandros Hoffnung auf weitere Überlebende des Konvois zunichtemachte.
Er hatte inzwischen einen Beobachtungsposten auf dem Achterkastell bezogen. Hier marschierte er wie ein Raubtier im Käfig von einer Seite des Decks zur anderen, um immer wieder missmutige Blicke in Richtung der Bucht zu werfen. Weder vermochte er Werftanlagen auszumachen, genauso wenig wie Lastenkräne auf dem Kai. Somit konnte er getrost alle Hoffnungen auf eine schnelle Reparatur aufgeben.
Mendoza befand sich inzwischen unter Deck, um dort nach irgendwelchen Papieren zu sehen, während der Rest von Alejandros Leuten bereits packte. Ein Landaufenthalt schien nun mehr als gewiss, somit konnten die Dons ihre Männer beschäftigen.
Sein Blick fiel auf einen einzelnen Seemann, der gerade zur Backbord-Reling eilte, um dort ein Lot über Bord zu werfen. Also traute Mendoza den hiesigen Fahrwassern nicht. Kein Wunder, bei den unzuverlässigen Karten, die ihm zur Verfügung standen.
Der Capitán trat dann auch just in dem Moment wieder an Deck, als die ersten Lotungsergebnisse heraufgerufen wurden. Das Ergebnis schien ihn jedoch keinesfalls zufriedenzustellen, so wie er die Arme vor der Brust verschränkte. Auf einen fragenden Blick Alejandros hin zuckte er mit den Schultern. »Ich vermute, wir können wahrscheinlich nicht einmal im Hafen anlegen, sondern werden in der Bucht selbst ankern müssen. Ich habe sie in den alten Karten gefunden, allerdings auch einen Vermerk auf ihre geringe Tiefe.« Er deutete auf das am Kai ankernde Schiff. »Dieser kleinen Karavelle ist das egal, aber mit unserem voll beladenen Kasten will ich kein Risiko eingehen.« Alejandros Blick folgte Mendozas Fingerzeig. »Dann also die Bucht!«, seufzte er. Der Ruf des Ausgucks unterbrach unvermittelt das Gespräch der Beiden. »Capitán, ich sehe Geschütze hinter den Erdwällen am Hafen. Sie werden gerade bemannt! Ich zähle sechs!«
Augenblicklich eilte Mendoza zur Backbordseite des Achterkastells und rief in voller Lautstärke: »Bootsmann! Segel bergen! Die Geschütze besetzen, aber nicht ausrennen!« Nach einer kurzen Schrecksekunde rannte auf dem Mitteldeck alles wie ein panisch anmutender Hühnerhaufen, angetrieben von den gebrüllten Kommandos des Bootsmanns, hin und her.
Mendoza befand sich noch auf dem Rückweg zu Alejandros Position, als von unten Don Cisco die Treppe zum Achterdeck heraufstürmte. »Was ist los?«, fragte der Veteran atemlos. Unbewusst stützte Alejandro die linke Hand auf seinem Degenknauf ab und sah finster zu dem kleinen Hafen hinüber. »Die Deutschen sind über unsere Ankunft nicht sonderlich erfreut! Sie bemannen ihre Geschütze. Ich vermute, wir gehen nur sicher?« Die letzte Frage richtete er an Mendoza, der zustimmend nickte. »Wir ankern außerhalb ihrer Schussreichweite und klären diese Angelegenheit. Sicherlich sind sie einfach nur vorsichtig.« Wortlos hob Cisco ein mitgebrachtes Fernrohr ans Auge und spähte hindurch. »Falkonetten!«, brummte er, »Wahrscheinlich Sechspfünder. Eher für Indianerboote geeignet als für diesen Kahn hier.« Alejandros Blick wanderte daraufhin zu den acht Sechzehnpfündern auf dem Oberdeck der Sangre de Dios, die jeweils paarweise zusammen an Backbord und Steuerbord standen. »Wir müssen uns keine Sorgen machen, oder?«
Der Capitán befand sich inzwischen im Gespräch mit einem Bootsmann und sah auf die Frage hin wieder zu Alejandro. »Wenn man davon absieht, dass meine Männer diese Geschütze noch nicht allzu oft benutzen mussten, vom Einsatz gegen ein landgestütztes Ziel ganz zu schweigen!« In Mendozas Rücken warf Cisco die Arme hoch und rollte mit den Augen.
Schweigend verfolge Alejandro, wie Mendoza das Schiff fachkundig in die schmale Bucht steuerte, um bald darauf Anker werfen zu lassen. Die restlichen Segel wurden rasch geborgen und so verlor die Sangre de Dios schnell an Fahrt. Während auf dem Mitteldeck einige hastig arbeitende Matrosen die Geschütze feuerbereit machten, kehrte ansonsten auf dem Schiff Ruhe ein. Selbst die Männer an der Eimerkette schwiegen und arbeiteten, so rasch sie konnten.
Alejandro kam es vor, als ob die ganze Besatzung den Atem anhielt, um auf die nun unweigerlich folgenden Ereignisse zu warten. Er sah zu Cisco und Mendoza. »Wie lange werden sie wohl brauchen, um zu bemerken, dass wir keine üblen Absichten hegen?« Der Capitán der Sangre de Dios holte sich das Fernrohr, um damit die Siedlung in Augenschein zu nehmen. »Hoffentlich bald. Auch wenn wir vor Anker liegen, steigt doch jede Minute das Wasser im Rumpf. Und wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns, bevor wir das Schiff auf Kiel legen können!«
Nun betrat auch Philippe das Mitteldeck, vollständig in Brustpanzer und Morion gerüstet. Obwohl der Panzer für ihn sicherlich maßgefertigt worden war, wirkte er dennoch viel zu groß und massiv für den jungen Mann. Ihm auf dem Fuße folgten Señor Luengo und Padre Miguel. Alle drei blinzelten in der hellen Sonne, bevor sie zu Alejandro heraufsahen und die steile Treppe zum Achterkastell heraufkamen. Augenblicklich ertönte Luengos näselnde Stimme. »Was geht hier vor sich? Warum lassen sie das Schiff gefechtsbereit machen?« Statt einer Antwort deutete Mendoza nur zur Küste, wo man immer noch offenkundig ebenfalls Gefechtsvorbereitungen traf. Luengo starrte angestrengt in die entsprechende Richtung, schüttelte dann energisch den Kopf. »Es handelt sich um ein Missverständnis, Señores! Jemand muss unter Parlamentärsflagge an Land gehen, um diese Angelegenheit zu klären!« Ciscos Stimme klang für seine Verhältnisse zuckersüß, als er antwortete. »Nun, ich denke, mit Euch haben wir dann auch den idealen Unterhändler?«
Alejandro bekam das sich anbahnende Wortgefecht nur am Rande mit, denn er beobachtete nun den Hafen durch das Fernrohr. »Das wird nicht nötig sein!«, unterbrach er die Männer. »Es sieht aus, als ob wir Besuch bekommen!«
Aus dem Schatten der Karavelle löste sich ein kleines Boot, das mit gleichmäßigem Ruderschlag langsam aus der inneren Bucht heraus auf die Sangre de Dios zuhielt. Durch das Fernrohr konnte der Hidalgo zwei Ruderer erkennen, sowie einen Steuermann an der Ruderpinne. Im Bug schließlich saß ein grauhaariger Mann, der im Gegensatz zu den Anderen deutlich edler gekleidet zu sein schien.
»Das sieht schon mal ganz gut aus. Aber diese Deutschen sind ziemlich nervös für meinen Geschmack!« Niemand widersprach ihm.
Es lief noch einiges an Sand durch die Stundengläser, bis das kleine Boot das Schiff letztlich erreichte. Offenbar mussten sich die Ruderer kräftig in die Riemen legen, um gegen den Wellengang anzukommen. Es schienen Indios zu sein, anders konnte Alejandro die langen, schwarzen Haare der Männer nicht deuten. Schließlich jedoch gingen die Deutschen längsseits. Nach einem kurzen Anruf wurde eine Strickleiter herabgelassen, während sich die Mannschaft des Schiffes auf dem Mitteldeck versammelte. Wer auch immer die Leiter als Erster heraufkam, derjenige brauchte für Alejandros Geschmack viel zu lange. Endlich kam der weiße Haarschopf des Mannes aus dem Bug in Sicht, dem ein hochrotes Gesicht folgte. Mit sichtlichen Problemen zog sich der Deutsche vollends hoch. Beim Übersteigen der Reling mussten ihm zwei der Seeleute helfen.
Für einen Augenblick herrschte Stille an Bord, nur der keuchende Atem des Fremden drang unnatürlich laut an Alejandros Ohr. Schließlich trat Capitán Mendoza an den immer noch atemlosen Deutschen heran und begrüßte ihn wortreich. Alejandro konnte Mendozas Worte nicht verstehen, da dieser mit dem Rücken zu ihm stand. Der Mann schien zunächst seine misstrauische Aufmerksamkeit zwischen dem Sprecher und der restlichen Besatzung zu verteilen. Auch als das Gespräch andauerte, musterte der Deutsche immer wieder die Besatzungsmitglieder um sich herum. Schließlich sah Mendoza zu ihm. »Es ist mir eine Ehre, Euch Don Alejandro Quesada vorzustellen. Er ist der vierte Sohn des Barons von Jaén und Kommandant der Expeditionskräfte auf diesem Schiff.«
Der Capitán sprach überdeutlich, dennoch schien der Alte einen Augenblick zu brauchen, um das Gehörte mit dem, was er sah, in Einklang zu bringen.
Alejandro konnte es ihm kaum verübeln, da ihm momentan eine adlige Herkunft nicht anzusehen war. Er trug lediglich einfache Kleidung nach Art der Seeleute. Hinzu kam ein seit der Abreise ungehindert gewachsener Bart, der ihn, genau wie auch den Rest der Mannschaft, eher wie ein Mitglied eines wüsten Piratenhaufens anmuten ließ. Nur Don Philippe und Señor Luengo sahen im Hintergrund aus, wie aus dem Ei gepellt. So erfolgte die Verbeugung des Fremden ihm gegenüber doch mit deutlicher Verspätung. Erst als sich der Deutsche wieder aufgerichtete, sprach der Capitán weiter. »Don Alejandro, ich darf Euch mit Johann Glöckner bekannt machen, dem Sekretarius des Gouverneurs von Marienhafen. Zugleich hat er das Amt des Hafenmeisters inne und als solcher macht er uns die Aufwartung.«
Alejandro neigte auf die Vorstellung hin den Kopf ein Stück weit, ohne dabei jedoch den Mann aus den Augen zu lassen. Langsam kehrte dessen Gesichtsfarbe wieder zu einem gesünderen Farbton zurück. Er räusperte sich und richtete das Wort nun direkt an den Hidalgo. »Wie ich bereits dem Capitán sagte, bedauere ich das Missverständnis zutiefst, Don Alejandro! Ihr müsst wissen, in den letzten Monaten wurden mehrere unserer Niederlassungen hier in der neuen Welt von Piraten heimgesucht, sodass wir uns zu Vorsichtsmaßnahmen gezwungen sahen.« Eine Weile pausierte er, wohl um nach den richtigen Worten zu suchen. »Capitán Mendoza hat mich bereits in Kürze über Eure Notlage informiert. Selbstverständlich werden wir mit unseren bescheidenen Mitteln helfen so gut es geht!«
Zunächst erwog Alejandro, dem Sekretarius in dessen Muttersprache zu antworten. Allerdings verwarf er den Gedanken sogleich wieder, da sein Deutsch weitaus schlechter als das Spanisch des Mannes war. »Besten Dank! Ich hoffe, wir werden uns in irgendeiner Form erkenntlich zeigen können!« Der Sekretarius lächelte dünn. »Ich denke, das wird das kleinste Problem sein! Wenn Ihr mich nun entschuldigen würdet, es gibt viel zu tun!« Auf ein huldvolles Nicken Alejandros hin zog sich Glöckner unter mehreren Verbeugungen zur Reling zurück, für deren Übersteigung ihm abermals zwei Seeleute helfen mussten.
Bald schon ruderten die beiden Indianer das winzige Boot in Richtung Hafen. Nach der Ankunft dort genügten scheinbar wenige Worte des Hafenmeisters, um die Soldaten hinter den Kanonen von ihren Alarmposten verschwinden zu lassen. Alejandro sah zu Mendoza, der ein düsteres Gesicht machte. »Ihr wirkt nicht sehr zufrieden mit dem Ausgang der Angelegenheit?« Der Capitán antwortete, ohne den Blick von der Küste zu nehmen. »Leider haben wir die wohl denkbar ungeeignetste Siedlung erwischt. Wenn Glöckners Angaben stimmen, und davon gehe ich aus, dann können wir tatsächlich beladen im Hafen nicht anlegen. Wir haben zu viel Tiefgang mit der Fracht und dem eingedrungenen Wasser.«
»Das bedeutet somit wohl doch den Strand?«, schloss Alejandro daraus. Mendoza nickte und wandte sich in Richtung Küste. »Wir müssen die Sangre de Dios so weit wie irgend möglich entladen und bei zurückweichender Flut auf Grund setzen… Am besten dort.« Er deutete auf eine flach auslaufende Sandbank. Alejandro verzog das Gesicht. »Die komplette Ladung von Bord zu bringen, wird schwer. Weder die Ausrüstung meiner Leute noch die Waren sind sonderlich leicht. Und von den Kanonen rede ich besser gar nicht.«
Mendoza fixierte die im Wasser schaukelnde Karavelle. »Wir werden versuchen, die beiden Schiffe miteinander zu vertäuen und können so die Waren relativ problemlos umladen. Ansonsten wird das eine Menge Ruderarbeit.« Kurz schwieg er und überlegte. »Wir sollten aber vor allem recht bald dem Gouverneur die Aufwartung machen. Er kommt uns ungewöhnlich weit entgegen und wird sicherlich entsprechende Zugeständnisse erwarten.« Alejandro hob die Brauen. »Zugeständnisse?«, echote er. Der Capitán schmunzelte. »Ich gedenke einen erheblichen Teil meiner Handelsware bereits hier loszuwerden, so die Deutschen denn interessiert sind. Und Euch rate ich das Gleiche. Vieles wurde bei dem Sturm in Mitleidenschaft gezogen. Bis wir einen anderen Hafen erreichen, wird es bestimmt nicht besser!«
»Gut!«, meinte Alejandro. »Dann sollte ich zunächst meinen Leuten die frohe Botschaft überbringen!« Er kehrte zum Mitteldeck zurück und klammerte sich dabei an die Hoffnung, dass er seine eigenen geladenen Handelsgüter zumindest mit einem kleinen Gewinn würde absetzen können.