Читать книгу Schöne Neue Welt 2030 - Andreas Neumann - Страница 11
ОглавлениеAbschied vom Menschen – Alpträume eines Geistersehers
Matthias Burchardt
»Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt.«
Filippo Tommaso Marinetti: Manifest des Futurismus (1909)8
Was steht auf dem Spiel? Alles steht auf dem Spiel, denn Herrschaftseliten haben einen Weltkrieg entfesselt, einen Weltkrieg gegen das Wesen des Menschen. Spätestens mit der Errichtung des autoritären Hygieneregimes dürfte dies für jeden, der zu sehen bereit und in der Lage ist, offenkundig sein. Auch wenn bislang noch kein Schuss gefallen ist, so handelt es sich doch um einen totalen Krieg.
Die bevorzugten Waffen stammen aus dem Arsenal der Biopolitik, der Propaganda (»info wars«), der Sozialtechnologie, der Digitalisierung (»cyber wars«), der psychologischen, kultur?ellen, ökonomischen und pharmazeutischen Kriegsführung. Dieser Krieg wird mit aller Vehemenz geführt, das Schlachtfeld ist der gesamte Erdball. In diesem Krieg gibt es keinen Unterschied zwischen Militärs und Zivilisten, zwischen Front und Etappe, er dringt in den letzten Winkel der Welt vor, kennt keine Schutzzonen. Er richtet sich gegen die gesamte Menschheitsfamilie und jedes einzelne Mitglied, gegen unsere Körper und Seelen.
Krieg gegen das Menschsein
Niemand hat diesen Krieg offiziell erklärt. Ihn beim Namen zu nennen, ist den Verzweifelten in der Kampfzone untersagt. Die Warlords verlangen Gehorsam, verlangen absolute Konformität der Einstellungen und des Verhaltens, verlangen, dass die Geschundenen absurdes Theater spielen, gute Miene zum bösen Spiel machen, wie die Kapelle auf der sinkenden Titanic. Und während wir Schauspieler Masken tragen müssen und Theater spielen sollen, haben die Mächtigen entschieden, dass selbst die Fiktion der Demokratie verzichtbar geworden ist. Alles gerät in den Mahlstrom der sogenannten kreativen Zerstörung: Wirtschaft, Gesundheitswesen, Wissenschaft, Bildungswesen, Medien, Rechtsstaatlichkeit, Kirchen, Gewerkschaften, Wohlfahrt, Sport, Kultur, Brauchtum, kritische Infrastrukturen und die innere Sicherheit. Rom soll brennen! Doch was wird bleiben, außer verbrannter Erde?
Der Angriff gilt dem Menschen und der Menschlichkeit. Er richtet sich gegen unsere Existenz und Essenz gleichermaßen. Alles Gegebene muss weichen. Was geworden ist, soll durch Gemachtes ersetzt werden. Herkunft und Tradition sind längst dem Furor der Hyperkritik zum Opfer gefallen. Die regulativen Ideen des Guten oder der Wahrheit wurden ausradiert, das Realitätsprinzip als Limes unserer Phantasmen liquidiert. Wir wandeln auf schwankendem Boden unter einem unbestirnten Himmel ohne Sittengesetz in uns, das Gemüt von jeglicher Bewunderung und Ehrfurcht entleert. Die Kraftquellen der Liebe, Erotik, Familie und Gemeinschaft sind unter die Räder der Dekonstruktion geraten. Aus einer soziologischen Analyse und Kritik von tradierten Lebensmodellen wurde das politische Programm einer faktischen Zerstörung elementarer Orte der Menschlichkeit. Das Kind wurde mit dem Bade ausgeschüttet. Längst schon sind wir bloß noch Masse und nicht mehr Gemeinschaft, sind wir nur noch Sonderlinge statt Individuen.
Zeit und Raum sind gestern gestorben. Wir leben bereits im Absoluten, denn wir haben schon die ewige, allgegenwärtige Geschwindigkeit erschaffen, schreibt Filippo Tommaso Marinetti.9 Der Krieg totalisiert eben nicht nur den Raum und hebt ihn damit auf, er totalisiert auch und gerade die Zeit. Das Mantra der Selbstfindungsrhetorik eines Lebens »im Hier und Jetzt« ist als Herrschaftsmittel in Erfüllung gegangen, führt aber nicht zur Selbstfindung, sondern zum Selbstverlust. Die Verlassenen zwischen allen Kreuz- und Querfronten sind nicht nur von ihrer Vergangenheit abgeschnitten, sondern auch von jeder möglichen Zukunft.
Die »Neuen Nutzlosen«
Der disruptiven Entwertung aller biographischen und historischen Errungenschaften entspricht die Vernichtung jeglicher Planbarkeit durch die Ungewissheitsökonomie einer permanenten Revolution, die alle Pläne und schließlich das Planen selbst ad absurdum führt. Und so verendet unsere – von der Aufklärung apostrophierte – Geschichtsmächtigkeit in der jämmerlichen Schwundform des Wartens. Doch im Unterschied zur Adventszeit erwarten wir nicht die Ankunft des Erlösers. Wir warten ins Nichts:
»Unterschied zwischen dem Sklaven und dem Bürger […]: der Sklave ist seinem Herren, der Bürger den Gesetzen unterworfen. Wobei übrigens der Herr sehr milde und die Gesetze sehr hart sein können: das ändert nichts. Alles liegt in dem Abstand zwischen Willkür und Regel. Warum ist die Unterordnung unter die Willkür Sklaverei? Der letzte Grund liegt in dem Zusammenhang zwischen der Seele und der Zeit. Wer der Willkür unterworfen ist, hängt am Faden der Zeit; er wartet (die demütigendste Lage), was der nächste Augenblick bringen wird. Er verfügt nicht über seine Augenblicke; die Gegenwart ist für ihn kein Hebel mehr, der auf die Zukunft wirkt.«10
Mit Dietmar Dath wäre zu ergänzen, dass der Herr dem Sklaven immerhin zu essen gibt, selbst wenn er aktuell keine Arbeit für ihn hat. Davon kann die Heerschar der Impflinge nur träumen. Sie sind weder Bohème noch Prekariat. Als »Neue Nutzlose« werden sie bestenfalls mit einem besinnungslosen Grundeinkommen, Netflix und legalisierten Drogen abgespeist.
Die trübe Ursuppe des 20. Jahrhunderts muss bis zum letzten Tropfen ausgelöffelt werden: Der böse Traum von Euthanasie und Eugenik webt sich in die biopolitischen Diskurse. Die Reduktion der Erdbevölkerung wird unter dem Euphemismus des globalen Populationsmanagements betrieben. Der Lockdown in Europa treibt Not und Hunger um die Welt. Und auch bei uns drohen neben dem Kollaps des Einzelhandels, der Gastronomie, des Mittelstandes letztlich die De-Industrialisierung und die De-Agrarisierung.
Besiedelt von kybernetischen Parasiten irren die Spaltprodukte der Gesellschaft durch die Ruinen ihrer Lebensform, ungebildet und unvermögend, die Kultur, von der sie gezehrt haben, aus eigener Kraft zu erhalten, geschweige denn zu restituieren. Wird die unstoffliche und ortlose Digitalisierung unsere Seelen komplett absorbieren? Werden fortan Algorithmen die Aggregatzustände des fassungslos entgrenzten Gemeinwesens temperieren, uns sedieren oder in den Bürgerkrieg peitschen?
Ob nun als transhumanistische Übermenschen oder als bestialische Unmenschen: Am Ende wird der Krieg verloren sein. Materiell enteignet und der Menschlichkeit beraubt, werden wir jegliche Freiheit als Last empfinden und den kritischen Vernunftgebrauch als müßig. Unsere Sprache wird zum Kommunikationsgeräusch verkümmern, zur Echolalie11 im Gatter der herrschenden Narrative hysterisiert oder entartikuliert zum herdenaffirmativen Blöken. Unsere Leiber werden zu öffentlichen Körpern, zu Test- und Versuchsobjekten, über deren Befindlichkeit wir uns erst zu äußern getrauen, nachdem wir auf ein Display geschaut haben. Wir sind das Datenmaterial. Wir sind die Targets der sozialen Steuerung. Wenn das Private politisiert und das Politische privatisiert ist – gibt es weder Politik noch Privatsphäre. Dann gehört unser Intimbereich dem allmächtigen Blick und die Hautbarriere wird fallen. Injektionen und Implantate kontrollieren bald unser lebensbedrohliches Leben. Psychomacht dringt in unsere Seelen, Biomacht penetriert unsere Körper.
Mein Traum
Ich möchte aus diesem Alptraum erwachen, möchte meiner kleinen Tochter einen Kuss auf das duftende Haar legen und das Pendel der alten Wanduhr anstoßen, meinen Fuß zu einem Tango von Astor Piazolla vor die Tür setzen, dem Postboten zuwinken, während die Blüten des Quittenbaumes in den Frühlingshimmel leuchten und ein Windhauch das Kleid meiner Frau bauscht. Am Kiosk lachen die Schüler, die Alten tratschen im Café. Der Bürgermeister fährt mit dem Daimler zum Rathaus. Kirchenglocken läuten auch am Montag und der Weg zur Arbeit ist ein Gang der Freude. Im Restaurant liegt das Besteck auf der feinen Tischwäsche, an den Gläsern sammelt sich Tau und im Wein funkelt ein übermütiger Sonnenstrahl. Wir prosten uns zu, der Wirt macht einen Scherz, auf der Straße kläfft ein Hund, alle sind ausgelassen und sprechen über das herrliche Wetter. Die Frau am Nebentisch niest, wir lachen und rufen »Gesundheit!«
8 Nachdruck: Filippo Tommaso Marinetti, Manifeste des Futurismus, Berlin 2018
9 Ebd.
10 Simone Weil, Schwerkraft und Gnade, Berlin 2020, S. 168, Hervorhebungen im Original
11 Sinnlos-mechanisches Nachplappern vorgegebener Wörter und Sätze.