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Die Triebkraft ist das Kapital

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Die Dystopie, in der wir alle seit März 2020 leben, hat eine reale Grundlage. Es ist die Triebkraft unseres Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells – das ständig Anlage suchende und nach Profit strebende Kapital. Daran hat sich seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten, nichts geändert. Was sich geändert hat, ist die unglaubliche Konzentration dieses Kapitals, eine Konzentration in immer weniger Händen. Die schiere Quantität privat angehäufter Geldmacht nimmt einem den Atem, umso mehr, wenn man sich ansieht, in welcher Rasanz diese Akkumulation passiert. Führte im Jahr 2017 der in vielen Branchen investierte Microsoft-Gründer Bill Gates noch mit 75 Mrd. US-Dollar die Liste der weltweit reichsten Männer an, so steht nur vier Jahre später, am Stichtag des 13. Juli 2021, Amazon-Erfinder Jeff Bezos mit 212 Mrd. US-Dollar an der Spitze dieser obszönen Liste.4 Gates konnte in den vergangenen vier Jahren sein Vermögen von 75 Mrd. auf 129 Mrd. US-Dollar steigern, Bezos profitierte mit seiner um ein Versandhaus gruppierten Konzerngruppe von den staatlich verordneten Lockdowns am allermeisten. Er verfünffachte seine Werte auf 212 Mrd. US-Dollar. Damit verfügt er über mehr Mittel als die Jahreseinnahmen von Staaten wie Norwegen, Österreich, der Türkei oder Saudi-Arabien bzw. über zehn Mal so viel wie Slowenien, Bulgarien oder Uruguay. Auch Figuren wie Bernard Arnault (u. a. Luxusgüter-Konzern Moët Hennessy – Louis Vuitton), Elon Musk (u. a. Tesla, PayPal) und Mark Zuckerberg (Facebook) können ihr Vermögen mit staatlichen Budgetrahmen messen, die die Jahreseinnahmen von Israel oder Taiwan übersteigen. Entsprechend groß ist ihr wirtschaftlicher und eben auch ihr politischer Aktionsradius. Jenseits der Milliardäre erweisen sich die großen Kapitalsammelstellen wie BlackRock, Vanguard etc. als die Big Player. Allein BlackRock verfügt 2021 über eine Investitionspower von 9,5 Billionen US-Dollar. Alle zusammen über mindestens 100 Billionen.

Die ewige Sorge der Superreichen gilt der Vermehrung ihres Reichtums bzw. wie sie es bewerkstelligen können, dass ihr Kapital – zynisch und menschenverachtend gesprochen – profitabel »arbeitet«. Da traditionelle Märkte zunehmend »verstopft« sind (wir bleiben bei der Diktion ihrer Kreise und Medien), herkömmliche Industriezweige keine entsprechende Rendite abwerfen, ja selbst die Null-Zins-Politik der Zentralbanken Investitionen in alte Branchen nicht lukrativ erscheinen lässt, bleiben zwei Auswege aus dieser strukturellen Verwertungskrise: die Spekulation auf den Finanzmärkten und ein neuer, Gewinn versprechender Akkumulationszyklus. Ersteres – also die Spekulation – bildet Blasen, die in immer kürzeren Abständen platzen – zuletzt 2008 – und deshalb hoch riskant sind. Ein neuer Zyklus hingegen stellt einen mittel- bis langfristigen Weg aus der Verwertungskrise des Kapitals dar. In der Geschichte brachten solche strukturellen Krisen bisher immer neue Leitsektoren in Verbindung mit bestimmten Technologien, Antriebssystemen und Arbeitsregimen hervor. Die Arbeitskräfte sowie jene Unternehmer, die der »schöpferischen Zerstörung« der jeweils neuen Kapitalakkumulation zum Opfer fielen, sahen sich sozialen Verwerfungen ausgesetzt, die dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell seit je immanent sind; dazu kamen zuletzt kulturelle und ökologische Störungen, die die Gesellschaft als Ganzes bedrohen.

Ein erster solcher sogenannter »Kondratieff«-Zyklus, benannt nach dem russischen Ökonomen Nikolai Kondratieff (1892−1938), brachte in den 1780er-Jahren das Fabriksystem mit textiler Massenproduktion hervor. Es folgten die Zeitalter der Eisenbahn (mit ihrem Höhepunkt in den 1870ern), der Elektro- und Nahrungsmittelindustrie (1910er), des Automobils und der Petrochemie nach dem Zweiten Weltkrieg und der IT-Branche in den 1990ern.

Nun scheint sich ein neuer Konjunkturzyklus mit Investitionen in kybernetische Sektoren Bahn zu brechen. Dabei geht es um Steuerung und Selbstoptimierung mit Hilfe neuer Technologien wie der Künstlichen Intelligenz, Nano- und Biotechnik. Die Herstellung eines neuen Wachstumszyklus zwecks Überwindung einer tiefen Krise der Kapitalverwertung benötigt – wie immer in der Geschichte – eine enge Allianz von Kapital und Staat. Und genau diese formierte sich rund um das Gesundheitsregime im Zuge der Corona-Krise, das die Pharmaindustrie zu einer der neuen Leitbranchen prädestiniert. Exemplarisch vorgeführt wurde diese enge Partnerschaft von der zukünftigen Hegemonialmacht China Anfang des Jahres 2020. Im Umgang mit dem Corona-Virus ließ die Führung in Peking ganze Millionenstädte abriegeln und rollte landesweit ein per App zwangsinstalliertes Kontrollsystem aus, das jeden Menschen einer digitalen Zugangskontrolle für öffentliche Einrichtungen unterwirft. Nur wenn der Gesundheitscode auf dem Handy den grünen Punkt zeigt, darf man sich am gesellschaftlichen Leben beteiligen. Da jeder Mensch mit diesem System ausgestattet sein muss und selbst als Bewegungsmelder (neben Millionen von Kameras) fungiert, kann sich die Farbe des eigenen Gesundheitscodes beispielsweise auf dem Weg zur U-Bahn ändern, wenn man neben einer als erkrankt definierten Person für kurze Zeit zum Stehen gekommen ist. In einem solchen Fall wird einem die Benutzung der U-Bahn verwehrt. Dieses Gesundheitspunkte-System, wie auch die fallweise Abschottung von Städten, wurde im Übrigen nach dem Abklingen der Pandemie aufrechterhalten.

Verglichen mit dem industriellen Akkumulationsmodell ändern sich im kybernetischen Zeitalter auch die Ausbeutungsstrukturen, oder besser gesagt: Sie werden erweitert. Zusätzlich zur menschlichen Arbeitskraft sind nun auch Körper, Bewusstsein und Erfahrung Objekte der Kapitalverwertung und damit der Ausbeutung.

Schöne Neue Welt 2030

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