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Psychospielchen – Reisen in die Vergangenheit und in die Zukunft

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Wie schon erwähnt gibt es relativ wenige Therapien – vielleicht wolle man ja auch die Patienten nicht überfordern. Ich hätte mir aber doch viel mehr Beschäftigung gewünscht.

In einer morgendlichen Sitzung haben wir zu zweit eine Entspannungsübung. Thomas, ein junger Mann Mitte zwanzig, hatte seinen Job verloren und dies riss ihn in ein tiefes Loch, aus dem er versucht, mithilfe des Aufenthaltes hier herinnen wieder raus zu finden. Wir beide legen uns auf grüne Matten auf den Fußboden. Die Therapeutin und eine junge Praktikantin verdunkeln den Raum, legen Entspannungsmusik auf und erzählen eine Geschichte, auf die wir uns voll und ganz konzentrieren sollen. „Versucht mal an nichts Anderes zu denken, lasst euch einfach fallen.“ Zu sanften Tönen erzählen abwechselnd die Therapeutin und die Praktikantin von einer Reise ans Meer. Strand, Sonne, Meeresrauschen, anfangs sträube ich mich innerlich gegen die Reise, doch langsam sehe ich mich tatsächlich an einem herrlichen Strand mit Sonnenaufgang. Ich spüre die Wärme und fühle die leichte Brise über meinen Körper streichen, ich schmecke Salz auf meiner Haut – ein angenehm entspannendes Gefühl umgibt mich. Ich fühle mich zurück versetzt in meine wunderschöne Reise nach Australien, die ich im Jahr 1997 machte. Fast 4 Monate war ich Down-Under – eine wunderschöne, entspannende, unbeschwert, sorgenfreie Zeit. Abgehoben von Raum und Zeit schwebe ich über den Strand, lasse mich treiben…

Nach wenigen Minuten werden wir von der Reise zurück in den abgedunkelten Raum geholt. Die Gefühle überkommen mich. Ich breche in Tränen aus, wälze mich am Boden – der Kopf hämmert. In Thomas` Gesicht steht ein großes Fragezeichen. Auch die unerfahrene Praktikantin scheint recht verdutzt zu sein. „Das erste Mal seit Wochen habe ich mich endlich wieder ganz frei gefühlt“, schluchze ich vor mich hin „jetzt ist all die Last und der Druck wieder da!“ Die Therapeutin schickt die Praktikantin und Thomas raus, sie nimmt mich in den Arm und ich heule wie ein kleines Kind.

Die Konzentration lässt von Tag zu Tag nach. Ich tue mir schwer damit, zur rechten Zeit, am rechten Ort bei den Therapien zu erscheinen. Heute Vormittag steht Kunsttherapie auf dem Programm. Drei Patientinnen und ich treffen uns mit einer älteren, sehr sympathischen Therapeutin. Wir sollen nun die Augen schließen, ein paar Minuten in uns hineinhorchen und beobachten wie wir uns dabei fühlen und ob wir vielleicht ein markantes Bild zu den Gedanken und Gefühlen in unserem Innersten sehen. Danach sollen wir dieses imaginäre Bild zu Papier bringen. Dazu stehen uns Malbögen, bunte Farbstifte, Ölkreide, Malfarbe und Pinseln in vielen verschiedenen Farben zur Verfügung. Ich halte nicht unbedingt große Stücke auf solche „Psychospielchen“, doch folge ich den Anweisungen und schließe meine Augen. Lange geschieht nichts, nur das Hamsterrad im Kopf dreht sich immerfort. Zwanghaft versuche ich mich zu entspannen und zu konzentrieren. Nach einer Weile erscheint doch noch ein Bild in meinem Kopf: Ich sehe mich auf einer endlosen Wiese. Eine saftig grüne Wiese mit bunten kleinen Blümchen. Ein Ort an dem ich mich sehr wohl und geborgen fühle. Ich schlendere barfuß durch das Gras, als ich plötzlich auf einen schmalen, frisch geteerten Weg stoße. Es zieht mich auf diesen Weg, ich kann nicht anders als ihm zu folgen. Der Weg wird immer breiter. Der Asphalt unter meinen Füßen ist heiß, stinkend und dampfend – ich will zurück auf die schöne Blumenwiese, sie liegt nur wenige Meter neben mir - doch ich schaffe es nicht mehr. Am Horizont taucht ein schwarzer Punkt auf. Mit großen Schritten bewege ich mich auf ihn zu, obwohl ich gar nicht will, eigentlich möchte ich in die entgegengesetzte Richtung laufen. Wie ein Magnet zieht er mich in seinen Bann. Er wird immer größer und steht schließlich als riesiger Koloss vor mir. Ein gigantischer pechschwarzer Felsen… Ich stehe wie ein mickrig kleines Häufchen Nichts davor…

Ich merke wie die anderen Patientinnen bereits herum werkeln und sich Farben und Stifte suchen, um mit dem Malen zu beginnen. Nachdem ich meine Augen öffne, sitze ich noch eine Zeit lang nur so da. Dann starte ich: Die untere Hälfte des großen Papierbogens male ich vollständig mit dem Pinsel in einem frischen Grün – der obere Teil strahlend blau – ich sitze wieder einige Zeit ruhig. Dann, ganz automatisch, greife ich nach der dicksten schwarzen Ölkreide. Ich umklammere den dicken Stift, halte ihn wie einen Dolch mit der ganzen Faust – und presse ihn ins Zentrum des Blattes und beginne von innen schneckenförmig eine Spirale zu malen. Ein Stück der Farbe bricht weg. Ganz eng aneinander, bis am Ende ein großer, rund 20 Zentimeter dicker, schwarzer Patzen sitzt. Ich murmle in mich hinein, stöhne…, atme tief und schwer. Die anderen wenden sich kurz von ihren Bildern ab und beobachten mich argwöhnisch. Groß, dunkel wie die Nacht hat er sich zwischen dem Grün der Wiese und dem Blau des Himmels platziert. Mit hängenden, schweren Schultern sitze ich vor meinem „Kunstwerk“. Nun sollen wir unsere Gedanken, Empfindungen und Ideen zu den Gemälden preisgeben. Nur auf mein Bild fokussiert, bekomme ich gar nicht mit, was die anderen so alles erzählen. Sie plaudern von Erleichterung und dass es ihnen schrittweise gelungen ist, ihr Trauma abzuschütteln. Aus den Augenwinkeln beobachten sie mich etwas genervt, wie ich immer wieder laut seufze und sie dadurch in ihren Schilderungen störe. „Nun Herr Pammer, was wollen Sie uns erzählen. Denken Sie gar nicht viel nach, lassen Sie alle Gedanken raus!“ Ich habe schweißnasse Hände, das aufsteigende Kotzgefühl wird langsam zur Gewohnheit. „Ich, ich kann nicht viel sagen“, stammle ich mit gebrochener Stimme heraus. „Da ist diese schöne Wiese. Ich möchte zurück. Aber ich MUSS über diesen Berg. Ich will drüber springen. Aber ich kann nicht. Ich sehe nur mehr diesen schwarzen Berg vor mir… Er ist so groß. Ich komm nicht drüber und auch nicht vorbei - ich schaffe es nicht!“ Wieder Tränen – ich habe mittlerweile aufgehört, mich dafür zu schämen. Am Ende der Sitzung verlassen die Patientinnen das Zimmer. Zusammengekauert bleibe ich wie ein Häufchen Elend sitzen. Eine der Patientinnen, sie ist die Jüngste, kaum über 20, legt ihre Hand auf meine Schulter. Sie schenkt mir ein mildes Lächeln und flüstert: „Ich habe es geschafft - dir wird es auch gelingen. Nur Mut! Ich wünsch dir alles, alles Gute.“ Ich finde sie sehr hübsch, dunkle, lockige Haare, eine überdimensionale, modische Brille in schwarz auf dem Näschen, ein liebevoller Gesichtsausdruck. Ich denke, was sie denn hier wohl in dieser Gruppe mache – diese junge Frau, die so viel Energie ausstrahlt. Am liebsten hätte ich sie umarmt, umklammert und angefleht, mir doch ein kleines Stückchen ihrer positiven Kraft zu schenken. Ich, der große, starke Mann, der in der Vergangenheit auch schon mal den obercoolen Womanizer raus gekehrt hat, der nun gebrochen und mit verweinten Augen auf dem Stuhl sitzt, so jämmerlich! Sie, so klein und zierlich – und doch so voller Lebensenergie. Bis ich halbwegs bei mir bin, ist sie schon weg – ich habe sie nie wiedergesehen.

„Ich muss jetzt zu meinem nächsten Termin. Aber ich will mit Ihnen nochmals sprechen.“ Die nette Therapeutin sitzt vor ihrem Computer und checkt ihren Terminkalender. Wir vereinbaren, dass ich schon morgen nochmals zu ihr kommen solle. Ich kritzle auf meinen Stundenplan den Namen, Zimmernummer und Uhrzeit und merke dabei, dass meine Schrift immer unleserlicher wird…

Als ich am nächsten Tag in das Malzimmer komme, sitzt sie schon seit einigen Minuten vor meinem Bild und betrachtet es. „Ich habe mir nun ihr Kunstwerk lange angeschaut – hmmm, naja, man könnte es auch anders interpretieren. Der große schwarze Fleck, dieser Berg, der so sehr belastet… versuchen wir es mal so zu betrachten: Herr Pammer, vielleicht ist es gar kein Berg..., es kann sein, dass Sie nicht über diesen unheimlich riesigen Brocken drüber müssen. Es kann sein, dass Sie auch nicht den ganzen langen, mühsamen Umweg um das schwarze Massiv gehen müssen. Vielleicht ist es ja eine Art Höhle oder ein Tunnel – und Sie brauchen nur durch diesen Tunnel gehen?“ Ich setze mich neben sie und blicke auf die Zeichnung. Was soll ich davon halten? Diese Farben auf dem Papier sind ein Ausdruck meiner Seele, meines Unterbewusstseins. „Wir können einen Versuch wagen. Wollen wir eine Reise machen? Sie und ich. Wir versuchen raus zu finden, wohin die Reise führt.“ Sie blickt mir ganz tief in die Augen nimmt meine Hände – ihr Blick ist ernst, aber zuversichtlich. „Wenn wir es probieren, Herr Pammer…, es ist anstrengend und wird vermutlich sehr emotional werden! Denken Sie, Sie sind dafür bereit und stark genug?“ Ich merke wie der Schweiß in meinen Händen ihre Handflächen benetzt, es ist mir unangenehm – ich spüre jedoch ihren festen Händedruck, ein Zeichen ihrer Unterstützung. Wieder atme ich schwer. Der Druck in meinem Brustkorb nimmt zu, ich spüre die Sorgenfalten auf meiner Stirn. Ein paar Augenblicke vergehen und ich nicke. „Ja, ich bin bereit.“ Sie legt die Zeichnung zur Seite, setzt sich mir gegenüber, nimmt meine Hände und schenkt mir ein kurzes Lächeln. „Keine Angst, ich habe ähnliche Reisen schon öfter unternommen. Wenn es zu heftig wird, sagen Sie einfach Stopp und wir werden es beenden. Sie brauchen nicht viel sagen, ich werde sie nur manchmal etwas fragen – okay?“

„Gut, wir werden nun gemeinsam die Augen schließen. Ich werde Sie während der Reise mit Du ansprechen. Versuche, dich auf deiner Blumenwiese wieder zu finden. Konzentriere dich nur darauf und atme tief in den Bauch hinein. Orientiere dich auch an meiner Atmung.“ Mein ganzer Körper scheint innerlich zu zittern. Beide schließen wir unsere Augen. Ich kann deutlich ihre Atemgeräusche hören und versuche, mich ihrem Rhythmus anzugleichen. Überraschend schnell bin ich wieder auf meiner Wiese. Dieses Mal kann ich die Farben noch intensiver wahrnehmen und ich kann förmlich den Duft der Blumen riechen. Ich sehe mich um – soweit ich blicken kann, eine einzige Wiese. Ich nicke als sie mich fragt, ob ich mich auf der Wiese befinde. „So, und nun gehe auf den Berg zu, keine Angst ich bin ganz nah bei dir!“ Da ist tatsächlich wieder dieser asphaltierte Weg, ich betrete ihn und in diesem Moment erblicke ich auch schon wieder diesen bedrohlichen Berg. Er wirkt noch um ein Stück mächtiger als gestern. Als ich mich ihm nähere sehe ich nur mehr schwarz, das Grün der Wiese und das Blau des Horizonts sind verschwunden.

„Sind wir angekommen?“ Wieder nickend gebe ich ihr Bescheid, das Dunkel erdrückt mich beinahe. „Gut, dann versuche mal, ob du ihn anfassen kannst. Oder ob du vielleicht in das Schwarz hineingleiten kannst.“ Zaghaft strecke ich im Gedanken beide Hände aus. Die scheinbar harte Wand des Felsens fühlt sich weich an, wie ein riesiger, schwarzer Samtvorhang. „Oh mein Gott, ich bin schon drinnen!“, schreie ich auf. Mein Herz pocht wie wild. Die Therapeutin erschrickt auch und beinahe gleiten meine nassen Hände aus den ihrigen. „Ganz ruhig. Bleib erstmal stehen und wenn du bereit bist, gib mir ein Zeichen!“ Ich habe einen Klotz im Hals, der Kopf schmerzt. Ich höre ein dumpfes Rauschen in meinem Kopf. Die Innenwände des Tunnels sind nass, glitschig und kalt. Nichts an dem ich mich anlehnen und festhalten könnte. Nachdem ich zweimal tief durchgeatmet habe, gehe ich weiter. Zunächst ist es stockdunkel, weiß nicht in welche Richtung ich mich bewegen soll. Unbehagen macht sich breit. Manchmal stoße ich gegen einen Stein oder Wurzeln, ich kann nichts erkennen, sehe und fühle meine Beine nicht. Immer wieder stehe ich an, taste mich im pechschwarzen Labyrinth voran. Weit weg erkenne ich, dass das Schwarz sich etwas ins Dunkelgraue aufhellt. Erneut nicke ich um der Therapeutin ein Signal zu geben und schreite im langsamen, holprigen Schritt in das etwas heller werdende Grau. Wo bin ich nur? In dem Moment muss ich an Berichte denken, als Personen von Nahtod-Erlebnissen erzählten. Immer wurde der lange Tunnel beschrieben und dann das Licht.

Ich gehe und gehe, immer wieder fragt mich die Therapeutin, ob eh alles in Ordnung sei. Ich bin aufgewühlt und zittere noch mehr. Aber ich schreite weiter der kleinen Lichtquelle zu. Ich kann nicht sagen, wie lange ich so dahinwandere, es ist, als wäre die Zeit eingefroren. Es ist, als ob mich Geister und Dämonen aus den finsteren Ecken beäugen. „Was kannst du erkennen, ist ein Ende des Tunnels erkennbar?“ fragt sie etwas beunruhigt. Durch das immer lauter werdende Rauschen in den Ohren kann ich sie nur mehr schwer hören. „Es wird immer heller, ich laufe…!“ Ich gleite förmlich durch die schwarzgraue Materie, immer schneller und schneller. Raum und Zeit gehen verloren. Es surrt und vibriert im ganzen Körper. Immer lauter. Es schüttelt mich und dreht mich in alle Richtungen gleichzeitig.

Und auf einem Schlag ist es still! Ganz still… und komplett hell - rundherum ist alles strahlend weiß, es blendet… Kein Tunnel, kein Berg ist mehr zu erkennen. Bin ich nun im Nichts, im Nirvana, im… Himmel?

„Siehst du irgendetwas? Eine Person? Vielleicht einen Freund, deine Eltern, deine Frau?“ Beinahe hätte ich vergessen, dass die Therapeutin noch da ist. Ihre Stimme ist nun wieder klar. Ich blicke mich um, doch da scheint absolut nichts zu sein. In dieser Unendlichkeit ist alles schwerelos, als wäre ich nicht mehr in meinem Körper! Es gibt nichts mehr, dass greifbar wäre. Ich fühle mich verlassen und sehr einsam. Meine Angst ist in diesem Moment verschwunden – doch Traurigkeit breitet sich aus. Habe ich alles verloren? Totale, tiefe Trauer… Ich hocke am nicht vorhandenen Boden der Unendlichkeit. Allein, vergessen, verloren... ewig lange, ohne Zeit, ohne Raum, ohne Grenzen.

Doch da – was war das? Hinter mir huscht ein Schatten vorbei… Ich möchte mich umdrehen, kann mich nicht bewegen. Ich spüre, dass hinter mir, über meiner linken Schulter ein starkes Kraftfeld ausstrahlt. Eine überaus positive Energie. Wer oder was ist das? Und nun kann ich sie erkennen: Meine über alles geliebten Kinder Celina und Fabienne, sie sind nah bei mir!!! Sie lächeln und scheinen glücklich zu sein. Ich schluchze und kriege Gänsehaut am ganzen Leib. Auch etwas weiter entfernt merke ich nun, dass sich einige Personen befinden. Ich kann nicht sagen, wer und wie viele Leute, aber sie scheinen mir äußerst vertraut, geben mir Kraft und einen Funken Zuversicht...

In diesem Moment werde ich geschüttelt. Die Therapeutin holt mich zurück in das Zimmer. „Alles okay? Ich dachte Sie werden gleich ohnmächtig!“ Mir ist ganz schummrig. Was ist da gerade mit mir passiert? War das ein Blick in die Zukunft? Wie soll ich das alles deuten? Wohin geht nun mein weiterer Weg? Oder war alles nur ein harmloses, bedeutungsloses Hirngespinst, ein Traum? „Kommen Sie, setzen wir uns ein wenig raus auf den Balkon an die frische Luft. Hier, trinken Sie ein Glas Wasser.“ Auch die Therapeutin scheint nun von der Reise etwas mitgenommen zu sein. Wir setzen uns auf Sitzsäcken auf dem Balkon, blicken über die Stadt und reden beide eine Zeit lang nichts.

„Ich kann Ihnen nicht genau sagen, was die Reise in Ihr Unterbewusstsein andeuten will.“ Ihr Blick schweift mit meinem über die Hitze der Stadt ins Leere. „Aber ich bin überzeugt - Sie werden ihren Weg gehen. Auch wenn es noch so schwer erscheint, Sie sind in der Lage, diese Lebenskrise, in der Sie jetzt in der Tat stecken, zu überwinden. Sie sind stärker als Sie glauben. Es gibt einen Platz, den Sie finden werden, den Sie sich so gestalten, wie Sie es wollen und an dem Sie glücklich und zufrieden sein werden.“ Sie dreht sich zu mir, packt mich kräftig an den Schultern: „Und dieser Platz befindet sich HIER. Hier auf dieser wunderschönen Erde!!!

I can´t get no sleep Eineinhalb Wochen bin ich nun in stationärer Behandlung. Mir kommt es vor, als sei ich schon wochenlang hier drinnen eingesperrt. Mein Abteilungsleiter ruft mich an. Er erkundigt sich nach meinem Befinden und fragt, wie lange ich vermutlich ausfallen werde. Er ist sehr freundlich, redet mir gut zu, ich solle mir keine allzu großen Sorgen machen und mir die nötige Auszeit nehmen. Es ist nett von ihm – und doch empfinde ich seine Worte als Drohung. „Mann, du musst schleunigst wieder fit und arbeitsfähig werden. Sonst bist du deinen Job los!“, murmle ich zu mir selber, nachdem mein Chef aufgelegt hat.

Zweimal besuchen mich Arbeitskollegen, Pia und Klaus. Ich versuche meine Riesenangst zu verbergen. Bei einer Portion Eis im Buffet mach ich ein paar kleine Scherze und lasse mir nichts anmerken. Mich zu verstellen habe ich in der Zwischenzeit schon fast perfektioniert. „Wird schon wieder, hab nur einen kleinen Durchhänger“, versuch ich das ganze herunter zu spielen. Ich merke, dass es beiden unangenehm ist, mich zu befragen. Obwohl ich spüre, dass sie neugierig sind, getrauen sie sich nicht nach dem Warum zu fragen. „Was gibt’s in der Arbeit Neues?“, frage ich um von mir abzulenken, doch im Grunde ist es mir gleichgültig. Ich freu mich über die Besuche, bin aber auch wieder froh, als sie weg sind. Ich schäme mich…

Dieter, ein ehemaliger Arbeitskollege und gleichzeitig ein guter Freund besucht mich. Wir gehen ins nahe gelegene „Gasthaus zum schiefen Baum“ (Kein Scherz, es heißt tatsächlich so. Und wieder einer meiner skurrilen Gedankenfetzen: Warum Schiefer Baum? Gibt es denn hier einen Baum, an dem sich immer wieder Geisteskranke erhängen, sodass deren Last den Baum zunehmend schiefer wachsen lässt?). Dieter ist sichtlich irritiert über meinen Zustand. Ich habe mit ihm ein paar Tage zuvor telefoniert und ihm mitgeteilt, dass es mir „nicht so besonders“ gehe. „Alter, schau, dass du dich bald wieder erholst und da rauskommst.“ Bei unseren gelegentlichen Treffen in der Vergangenheit haben wir oft gescherzt - blöde „Schmähs“ gerissen und sehr viel gelacht. Nachdem er merkt, wie schlecht es um mich bestellt ist und wie ernst die Lage ist, verlassen ihn seine lockeren Sprüche – zum Scherzen ist uns beiden nicht zumute. Er versucht mir Mut zuzusprechen. Dieters Schwager hatte vor rund einem Jahr auch schwerste Depressionen – bis er sich eines Abends in der Badewanne die Pulsadern aufschnitt. In letzter Sekunde konnte er noch gerettet werden.

Ich höre Dieter zu und mir läuft es kalt über den Rücken, obwohl ich aufgrund der Hitze hier im Gastgarten schwitze, das Shirt klebt an der Haut. Ich stelle mir vor, wie der Selbstmörder in der Badewanne liegt, das kalte Wasser dunkelrot bis schwarz. Die Lebensgeister von Minute zu Minute schwindend, Kälte breitet sich über die Adern in den Gliedmaßen aus. Und wie er dann regungslos von den Rettern, einem geschlachteten Schwein gleich, aus der Wanne gezogen wird. Ein letzter Rest trostlosem Lebens vorhanden, Zuckungen des geplagten Geistes und der trüben Seele – er wird zurück gebracht in eine dunkle Welt, in der er im Grunde nicht mehr sein möchte… Heute gehe es ihm wieder sehr gut, er müsse nur ständig seine Pülverchen schlucken.

Abends sitze ich meist im kleinen, düsteren Aufenthaltsraum und glotze in den Fernseher – welches Programm ist mir egal. Ich kriege sowieso den Inhalt kaum mehr mit. Es läuft derzeit die Fußball-WM der Damen – seeehr interessant! Ich schau das Spiel – manchmal kommt jemand rein und fragt, wie es denn stehe. Ich habe keine Ahnung, weiß nicht mal welche Mannschaften gegeneinander spielen. Meine Gedanken sind ganz woanders.

Es ist Anfang Juli. Der Hochsommer erreicht seinen Höhepunkt – die Temperaturen klettern tagsüber über dreißig Grad. Früher liebte ich dieses Wetter, je heißer desto besser. Jetzt gehe ich kaum noch aus den Gemäuern der Anstalt raus. Bei kleineren Anstrengungen beginne ich sofort zu schwitzen. Die Hitze scheint mein aufgeweichtes Gehirn zum Kochen zu bringen. Ich bin äußerst lichtempfindlich - die Sonnenstrahlen sind wie Laserstrahlen in meinen Augen. Meist verstecke ich mich hinter meiner dunklen Sonnenbrille. So kann man auch die grauen Augenränder nicht erkennen. Auch auf Lärm reagiere ich sehr allergisch – Geräusche bohren sich gnadenlos ins Gehirn. All meine Sinne sind zum Bersten überreizt. Ja, ich fühle mich hier gefangen und doch wundere ich mich, dass sich die Patienten (abgesehen von denen, die Ihre Tage in der „Geschlossenen“ fristen) eigentlich überall frei bewegen können. Wenn man gerade keine Therapien hat, kann jeder tun und lassen was er will. Am Stationsstützpunkt liegt eine Namensliste auf, falls man sich längere Zeit woanders aufhält, solle man hier die Uhrzeit eintragen und wohin man gehe. Es ist den meisten auch erlaubt, auch kurz das Gelände der Anstalt zu verlassen, nur zu den jeweiligen Essenszeiten und abends bis 21 Uhr muss man sich wieder auf der Station befinden. Immer wieder ertappe ich mich, dass ich vergesse, mich in die Liste einzutragen und dann von den Pflegern gerügt werde. Jede höfliche Ermahnung fasse ich als Drohung und tiefste Kritik an meinem Geisteszustand auf. Den Satz „Herr Pammer, bitte beachten Sie, dass Sie sich in die Liste eintragen, damit wir wissen, wo sie sich aufhalten, falls Sie Besuch bekommen sollten oder wir etwas von Ihnen brauchen“ konvertiert mein krankes Gehirn in „He, du Psycho-Doofi, zu blöd dich einzutragen? Entweder du gehorchst, oder… see you in der Geschlossenen!!“

Konrad hat heute wieder Dienst und er fragt mich, wie es denn so läuft. Ich jammere ihm vor, dass ich einfach keinen erholsamen Schlaf finden kann. „Sei geduldig, das braucht seine Zeit. Aber ich werde gleich mal mit dem Oberarzt reden, ob wir die Tablettendosis erhöhen können!“ Zitat von Konrad: „Es gibt da ein Pulverl, wennst das nimmst, das haut dir die Jalousien runter und du schläfst garantiert 10, 12 Stunden durch!“ Abends krieg ich zusätzlich diese „Wunderpille“ verabreicht. Mittlerweile sind es 4, 5 verschiedene Antidepressiva bzw. Beruhigungs- und Schlafmittel. Ein paar morgens, ein paar mittags, ein paar abends und dann noch welche um 22 Uhr, kurz vorm Schlafengehen. Mit einem Hauch an Vorfreude schlucke ich am Abend also die „Konradsche Jalousien-Runterhau-Pille“, blicke auf die Uhr – wenige Minuten vor Zehn - und leg mich neugierig nieder, gespannt was passiert… Ich schätze nach rund einer halben Stunde schlummere ich weg…

…ich höre wie Josef die Klospülung betätigt… ich öffne die Augen – noch ziemlich dunkel im Raum… ein Blick auf die Uhr verrät mir: Es ist 1 Uhr 32!! Durch die Ohropax tönen sogleich wieder Schnarchgeräusche. Schier verzweifelt ringe ich um weiteren Schlaf. Leider umsonst!!!

Ich denke mir, das ist ja Wahnsinn! So einen mega Tablettencocktail krieg ich da verabreicht, die mir die Ängste nehmen und mir abends den ersehnten Schlaf bringen sollen. Und was geschieht? Die Ängste verschlimmern sich von Tag zu Tag und richtig schlafen tu ich so gut wie gar nicht mehr!!

Deep in the bosom of the gentle night is when I search for the light pick up my pen and start to write I struggle I fight dark forces in the clear moonlight without fear – insomnia I can't get no sleep

I used to worry thought I was going mad in a hurry getting stressed making excess mess in darkness no electricity something's all over me greasy insomnia please release me …

but there's no release no peace I toss and turn without cease like a curse open my eyes and rise like yeast at least a couple of weeks since I last slept…

keep the beast in my nature under ceaseless attack I gets no sleep I can't get no sleep

I can't get no sleep I can't get no sleep

I need to sleep I can't get no sleep I need to sleep I can't get no sleep…

- Faithless … INSOMNIA –

Wie wacht man aus einem Alptraum aus, wenn man gar nicht schläft?? Im Kopf rumort es – ich möchte die Parasiten aus dem Gehirn rauskotzen!!! Fette Würmer, Blutegel, Läuse, vollgesogene Zecken.

Was soll ich tun? Ich fürchte so sehr, in die „Geschlossene“ zu wandern, wenn sich mein Zustand nicht endlich bald verbessert!

Ein paar Patienten fordern mich auf, beim Tischfußball mitzumachen. Ich habe keine Lust, lass mich dann doch dazu überreden. Was soll es, vielleicht macht es ja doch Spaß. Ich spiele gegen den Ältesten aus unserer Runde, ich schätze ihn so knapp an die Siebzig – ein „bekennender“ Alkoholiker. Er hatte im Suff immer wieder seine Freundin missbraucht und geschlagen. Jetzt ist er hier auf Entzug. Ich werfe den Ball ein - und los geht’s. Nach wenigen Minuten steht es 5 zu 0 … gegen mich. Ich bemühe mich, doch ich treffe kaum einen Ball. Meine Reflexe sind einfach zu langsam. Dazu zittere ich und beginne zu schwitzen. Ich schäme mich. Immer wieder lachen alle laut auf. Als sie merken, wie ich mein Gesicht verziehe – sämtliche Muskeln angespannt und verkrampft - und ich dem Weinen nahe bin, meinen sie, ich soll mir nichts dabei denken, es ist ja nur ein Spiel! Doch für mich ist dies mehr als nur ein Spiel. Mir wird klar, dass ich meinen Körper nicht mehr im Griff habe. Jeder Treffer ist wie ein Stich ins Herz. Eine rechte Gerade, ein Kinnhaken, ich sacke zu Boden, werde angezählt. 8 zu NULL für den Säufer - ich bin fertig… ich bin die totale NULL! Ich schwöre mir (und diesem Schwur bleibe ich auch heute noch treu) – nie wieder in meinem Leben werde ich Tischfußball spielen! Ohne etwas zu sagen gehe ich auf mein Zimmer und weine. Ich fühle mich als totaler Versager, Verzweiflung pur – wie konnte ich nur in einen so miserablen Zustand geraten? Nichts gelingt, alles was ich anfasse, geht schief. Ich stecke mein Gesicht tief in das Kopfpolster und schreie, der Polsterüberzug ist in Sekunden durchnässt von Rotz und Tränen.

Wie viel Tränenflüssigkeit kann ein Mensch produzieren? Was, wenn sie sich dem Ende neigt? Kommt dann Speichel, Gehirnflüssigkeit, Blut? Was kommt dann, wenn auch diese Quellen versiegen?? Ohrenschmalz, Hirnmasse? Oh Gott, was habe ich da nur für verrückte Fetzen an Gedanken im Kopf?! Hat sich denn die ganze Welt inklusive meiner eigenen Gedanken gegen mich verschworen?

Wohin soll ich mich wenden?

In der Früh habe ich fast einen Zusammenbruch. Schlaf? Fehlanzeige! Maximal etwas dahindösen hätten mir meine Verwirrungen im Kopf gestattet. Nach dem Frühstück wird mein Druck in der Brust unerträglich. Ich stürme zu Ilja, dem Stationsleiter, ins Büro und fauche ihn an: „Ich halt das nicht mehr aus. Bitte helft mir doch!“ Nach einem längeren Gespräch, in dem er mich wieder etwas beruhigen kann, meint er, ich solle doch versuchen, mich ein wenig abzulenken. Vielleicht helfe mir ja ein Buch. Er führt mich in ein Lesezimmer in welchem unzählige Bücher aufgestapelt sind. „Hier, such dir eines aus.“ Mich interessiert keines dieser Bücher, brauche ewig lang, bis ich mir eines genommen hab. „Okay das kenn ich, das ist lustig, wird dir gefallen.“ Gleich vorweg, ich schaffe es nicht mehr, nur ein einziges Kapitel des Buches zu lesen. So sehr ich mich auch bemühe und konzentriere, immer wieder schweifen meine Gedanken ab. Ich merke, dass ich Absätze und einzelne Sätze und Wörter oft dreimal hintereinander lese. Was meine Augen da aufnehmen, nimmt mein Verstand kaum mehr wahr. Das Buch lege ich nach rund einer Stunde deprimiert weg.

Drei Tage später. Knapp zwei Wochen Anstaltsleben sind hinter mir. Vormittags habe ich ein weiteres Gespräch mit den Ärzten. Auch der Stationsleiter Ilja ist mit dabei. Hat er den Ärzten von meinem Fast-Zusammenbruch berichtet? Oder hat er dies gar nicht als solchen empfunden? Ich bin gespannt, was sie mir zu sagen haben, welche Trümpfe sie noch im Talon haben. Ein paar geflüsterte Wortfetzen nehme ich wahr: „… sehr zurück gezogen, …weinerlich, nachdenklich… sonst stabil…“ Sie studieren meine Krankenakte, tauschen untereinander ein paar Fachausdrücke aus und dann wendet sich Herr Dr. Leber mit optimistischem Blick mir zu: „Herr Pammer, wir merken, dass es Ihnen von Mal zu Mal bessergeht. Sie machen stetig Fortschritte. Ich denke, in ein paar Tagen können wir uns über Ihre Entlassung unterhalten!“

Wie versteinert sitze ich da. Doch ich scheine vom Blitz getroffen zu sein. Ich denke, jetzt bin ich wahrhaftig im falschen Film!!! Kann das denn wirklich wahr sein? Ich fühle mich beschissener than ever in my whole fucking life, und die Herren da vor mir denken, es gehe mir eh schon wieder gut, alles Friede, Freude, Eierkuchen und wollen mich tatsächlich heimschicken??!!??!!??!!!!?????

Mich so zu verstellen, das konnte ich in der Zwischenzeit bis zur Perfektion ausreizen! Ein Bild von mir nach Außen abgeben, das so gar nicht meinem Inneren entspricht - da bin ich wahrlich ein Meister geworden! Ich lasse mir also wieder mal nichts anmerken (vielleicht ein fataler Fehler!), doch ich denke mir: „He Doktor, du bist ein echter Trottel, ein Volltrottel! Ihr kennt euch ja überhaupt nicht aus. Ihr wisst ja gar nicht, was in mir vorgeht! Ich drehe durch – und ihr merkt das nicht! Und ihr habt Medizin und Psychologie studiert?!!!“ Ich nicke, versuche ein freundliches Lächeln aufzusetzen und verlasse das Ordinationszimmer.

„… alles log, alles stank, alles täuschte Glück und Schönheit vor, und alles war uneingestandene Verwesung. Bitter schmeckte die Welt, Qual war das Leben.“ – aus Siddhartha – von Hermann Hesse

Meine Gefühlswelt in den folgenden Stunden ist nur schwer zu beschreiben. Angst, Zorn, Ausweglosigkeit, Scham, Resignation wechseln im Sekundentakt. Ist hiermit auch der letzte zarte Hauch an schwacher, krankender Hoffnung von mir entwichen? Der ständige Seelenraubbau hat sich offensichtlich und knallhart gerächt – wie es ausschaut, hat er mich an den Rand der persönlichen Apokalypse gedrängt. Wer, wenn nicht die da herinnen, soll mir noch helfen? Ich meine, ich bin hier in einer sehr renommierten Einrichtung zur Behandlung von psychischen Erkrankungen. Einer der besten Österreichs – „Herr, wohin soll ich mich nur wenden?“

Tief gefallen... ...ins Glück

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