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Kampf gegen den Tod

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Ich habe einen Überlebenskampf geführt, nicht nur für mich, sondern für meine Kinder, alle, die mir wichtig waren und sind, und vor allem für meine Eltern! Sie haben schon einen Sohn verloren und um ein Haar wäre auch ihr zweiter Sohn auf tragische Weise verunglückt.

Nachdem ich aus dem Tiefschlaf erwachte, gab es ein, zwei Momente, in denen ich das Gefühl hatte, wenn ich jetzt wieder wegkippe, bin ich mir nicht sicher, ob ich nicht für ewig meine Augen schließen werde! War es das? Werde ich mein Dasein auf diesem Planeten hier und jetzt beenden? Die Schmerzen haben mich beinahe durchdrehen lassen. Agonie in Reinkultur!! Dem Drängen des Todes nachgeben? Mit der wahnsinnigen Sehnsucht nach Schmerzlosigkeit lockte er mich; die Erkenntnis eines – so wie es zu diesem Zeitpunkt aussah - verpfuschten Lebens machte mir seinem Hingeben schmackhaft. Da waren sie wieder – diese fetten violett-blauen Blutegel! Hatten sie sich vor einigen Tagen an mein Gehirn geheftet, um mir gierig die klaren Gedanken zu entsaugen, machen sie sich nun an meine extrem geschwächten Lebensgeister, nur mit dem Ziel, mir den letzten Rest an Lebensenergie zu rauben…

Ich sah mich auf dieser Kippe zwischen Dies- und Jenseits, so hatte ich in diesen Augenblicken keine Angst vor dem Tode. Nur für meine Liebsten hätte es mir so unendlich leidgetan. Vermutlich war es diese kraftvolle Verbundenheit und Liebe, die mich weiterkämpfen ließ. Ich denke, in diesen Momenten hat mich Gott getragen.

Auf die fragenden und flehenden Handbewegungen, ob ich denn noch zusätzlich Schmerzmittel haben könnte, hat mir die Krankenschwester geantwortet, dass ich schon eine äußerst hohe Dosis erhalte. Ich habe nur mehr die zahllosen Infusionsbeutel mit der Aufschrift von irgendwelchen Opiaten, Morphiumpräparaten, etc. neben mir hängen gesehen. Ein neuerliches Versetzen in den Tiefschlaf wäre eine Option gewesen, was aber nicht so einfach war, da es mit weiteren Risiken verbunden gewesen wäre… Manchmal, nach langem Drängen führten mir die Schwestern nach Rücksprache mit den Ärzten, doch noch zusätzliche Mitteln zu. Nach wenigen Minuten beginnt mein Körper verrückt zu spielen – ich lieg da, ohne mich zu rühren, und innerlich habe ich das Gefühl, als ob das Blut mit Hochdruck durch die Adern schießt und das Herz in den dunkelroten Bereich rast, die Adern jeden Augenblick zerbersten. Ich höre förmlich das Blut durch den Körper jagen. Momente, wie nach dem Konsum von 15 extrastarken Espressos und 5 Liter Red Bull! Ganz unruhig, angespannt und aufgewühlt verweile ich im Krankenbett. Dieser Zustand hielt einige Stunden an, die Schmerzen waren in diesen Phasen so gut wie ausgeblendet – trotzdem war es ein beklemmendes Empfinden. Nach und nach begann sich die Drehzahl zu verringern – im Gegenzug kamen dafür die Schmerzen in voller Härte zurück.

Im Hintergrund läuft im Radio leise der Nummer 1 Hit von Lady Gaga…

I'm on the edge of glory, and I'm hanging on a moment of truth... Ich bin am Rande des Ruhmes, und ich hänge an einem Moment der Wahrheit…

Blutrausch

Ich hatte in der Tiefschlafphase immer wieder den Traum, ich lieg am Boden, kann mich nicht bewegen, Blut steigt in meinem Rachen auf und ich ersticke daran… ich musste husten, es schüttelte mich am ganzen Leib, ein Gefühl als würde mich jemand erwürgen und ich gleich ersticken. Im Traum kam immer, kurz bevor ich es nicht mehr aushielt, ein Mönch, der sich neben mich hinsetzte, seine Hand auf meine Brust legte und sagte: „Schluck es einfach runter - es wird alles gut…“ danach war ich wieder ruhig und entspannt! Dieser Traum wiederholte sich ständig. Er war jedes Mal gleich, aber so real. Ich lag in einem großen Raum, dunkel, mit schwarzen Wänden. (Ich weiß auch, wo sich dieser Raum bzw. das Gebäude befand: An der Linzer Landstraße, Eckhaus Schillerplatz – warum gerade dort, ist mir völlig unklar – habe ich doch keinen Bezug zu diesem Ort. Als ich lange Zeit später wieder mal zufällig bei diesem Gebäude vorbeikam, blieb ich davor stehen. Es befindet sich eine Apotheke darin. Ich beschloss kurz rein zu gehen, doch es kam ein unangenehmes Gefühl der Beklemmtheit in mir hoch… Ob oder wie ich das interpretieren kann? – keine Ahnung!) Rechts von mir verlief durch den Raum ein kleiner Bach, über den eine Brücke führte. Auf der gegenüberliegenden Seite, in einiger Entfernung sitzt meine Cousine Angelika, mit traurigem Blick, sie will mir helfen, kann aber nicht. Immer kurz bevor ich es nicht mehr aushalte und denke zu ersticken, kommt von der gegenüber liegenden Seite ein Mann durch eine kleine Tür, ein Asiate, groß, kräftig, mit einem schwarzen, hübsch bestickten Kimono - er wirkt so beruhigend auf mich. Er hat einen langen, wohlduftenden Holzstamm (aus Sandelholz oder ähnlichem), den er neben mich hinlegt. Sobald er die Hand auf meinen Brustkorb legt, verschwinden die Schmerzen - der Brechreiz, als müsse ich mich übergeben, ist weg. Und alles scheint wieder in Ordnung zu sein….

Im Nachhinein kann ich es so interpretieren, dass das Erstickungsgefühl durch die Intubation, sprich durch das Runterstecken des Schlauches in den Rachen bzw. durch den ein paar Tage später durchgeführten Luftröhrenschnitt auftrat. Die Stimme war die des Arztes, als er sagte, ich solle den Schlauch runterschlucken. Der zähflüssige weiße Schleim, ausgelöst durch die starke Lungenentzündung, war das Blut, an dem ich im Traum zu ersticken drohte. Der Schleim wurde mehrmals täglich abgesaugt, um das Atmen ein wenig zu erleichtern und den Heilungsprozess zu forcieren.

Ich erinnere mich an den Tag der Aufwachphase. Ich hatte solche Angst vor dem Einschlafen und der Rückkehr dieser Alpträume! Da mir ja ein Luftröhrenschnitt verpasst wurde und ich intubiert war, konnte ich mich nicht artikulieren. Und weil ich es mit Gesten nicht klarmachen konnte, deutete ich der Schwester, sie solle mir Schreiber und Papier bringen, was sie dann nach einiger Zeit auch tat. Sie hatte Bedenken und sagte, dass ich durch die Medikamente wohl zu schwach und zittrig sei, um zu schreiben. Sie hatte Recht – so sehr ich mich auch konzentrierte und bemühte, meine Hand zitterte so sehr, dass ich kein lesbares Wort aufs Papier brachte. Das Gekritzel war unbrauchbar. Nach mehreren erfolglosen Versuchen hatte Maria eine Idee. In einer anderen Abteilung war eine Spieltafel für Kinder mit bunten, magnetischen Buchstaben. Sie brauchte es mir: „Komm Andreas, versuch es mal damit.“ Schwester Maria, die geduldig neben mir saß, mir dabei über die Stirn strich und die Schweißperlen wegwischte, versuchte meine Nachricht zu erraten – es war beinah wie beim Glücksrad. Es dauerte lange, ich konnte mich schwer konzentrieren, die Buchstaben verschwammen vor meinen Augen - ich setzte einen Buchstaben nach den anderen - schrieb für Maria Wort für Wort:

A N G S T V O R B L U T R A U S C H

Als die Schwester die Message entziffert hatte, sah sie mich mit großen Augen an, zuerst etwas verwirrt, aber dann änderte sich ihr Gesichtsausdruck und warme Augen mit einem milden Lächeln versuchten mir die Angst zu nehmen: Eine große Operation, die des gebrochenen Beckens lag ja noch vor mir, sie hatte mir das vor ein paar Stunden mitgeteilt – und Maria dachte, ich hätte Angst vor dem bevorstehenden Eingriff. „Ach Andreas, die Ärzte sind ganz lieb, sie haben so viel Erfahrung und solche Operationen schon -zigmal durchgeführt. Sie wissen was sie tun und du bist in den allerbesten Händen. Mach dir keine Sorgen…!“ Maria wusste nicht, dass ich gar nicht an die Operation dachte, ich nur panische Angst vor dem Einschlafen und den wiederkehrenden Alpträumen und dem schrecklichen Blutrausch, dem Kampf vorm Ersticken am eigenen Blut hatte…

Immer wieder und wieder wurde ich von schlimmsten Alpträumen heimgesucht. Manche so schlimm, dass ich gar nicht davon schreiben kann. Ich wusste nicht mehr, was ich nun geträumt hatte und was Wirklichkeit war. Einmal träumte ich davon, dass ein Pfleger meine hilflose Unbeweglichkeit und den erbärmlichen Zustand ausnutzte und mich brutal vergewaltigte. Die anderen Spitalsangestellten belustigten sich darüber und ergötzten sich daran. Als der Pfleger dann ein paar Tage später tatsächlich wieder in mein Zimmer kam, hatte ich furchtbare Angst vor ihm – zuckte zurück als er mich berührte. Dabei war er einer der nettesten Pfleger auf der Station – und erst nach und nach leuchtete es mir, dass die Vergewaltigung sich nur in meinem von Medikamenten aufgeweichten Gehirn abspielte.

Es gibt eine Filmszene in Rambo 2 oder 3, wo er im Dschungel auf ein aus Bambusstämmen gebautes Gitter aufgehängt, ausgepeitscht und mit einem glühend heißen Messer gefoltert wird. Den Film hatte ich mir vor Jahren angeschaut. Genau diese Szene schlich sich in einen meiner Träume ein. Nur mit dem großen Unterschied, dass ich auf dem Gitter hing, mich anstelle von John Rambo alias Sylvester Stallone dem Martyrium unterziehen musste und die Schmerzen real waren…

Anscheinend kommt es sehr häufig vor, dass bei multiplen Knochenbrüchen der Körper insofern reagiert, dass er starkes Fieber produziert und es zu einer Lungenentzündung kommt. Dies war auch bei mir der Fall. Schon in der Tiefschlafphase wurde ich von schweren Fieberattacken gebeutelt und meine Lungenflügel waren entzündet. Darum wurden auch weitere Operationen verschoben, da mein Körper dafür schon zu geschwächt gewesen wäre. Bei meinem Unfall erlitt ich eine Lungenquetschung und es entstand ein Pleura-Erguss (eine Flüssigkeitsansammlung zwischen Lungen- und Rippenfell). Eine Thoraxdrainage und eine Pleura-Punktion sowie eine Behandlung mit starkem Antibiotikum brachten den gewünschten Erfolg, das Fieber sank, die Infektion bildete sich allmählich zurück und die ausständige große Operation am Becken konnte am übernächsten Tag durchgeführt werden.

Durch die Entzündung der Lungen waren die Flügel zusammengefallen. Die Lungenbläschen hatten sich verklebt. Ein Arzt fragte mich ob ich Raucher sei – meine Lunge hatte eine Kapazität eines schweren Kettenrauchers. Dadurch war ich extrem kurzatmig – an manchen Tagen bin ich mehrere Stunden nur dagelegen und hab ganz kurz im Sekundentakt ein- und ausgeatmet. Anscheinend habe ich dadurch instinktiv und unbewusst meine Atemtechnik verändert. Immer mehr an eingeatmeter Luft gelangte nicht vollständig in meine Lunge, sondern zum Teil in den Magen. Nach einiger Zeit hatte ich einen kugelrunden Bauch, gefüllt mit Luft. Vorerst konnte ich durch ständiges Rülpsen etwas Abhilfe verschaffen. Zweimal ein- und ausatmen – Rülps…. Ich denke ich hab so eine ganze Nacht verbracht! Schwester Konstanze versuchte durch intensive Bauchmassagen die Luft durch meine Gedärme zu befördern. Dadurch provozierte Winde blieben aber aus. Ich hatte mir noch nie zuvor so sehr gewünscht einen Ordentlichen fahren zu lassen – bitte einen Furz - und das in Anwesenheit einer Dame!! Es wurde in weiterer Folge eine Magenspiegelung durchgeführt – erst bestimmte Magentropfen brachten Stunden später Abhilfe. Mehrere Tage zuvor konnte ich schon keinen Stuhl mehr produzieren. Diverse Pülverchen, Säfte und Zäpfchen brachten dann schlussendlich „das Fass zum Überlaufen“! Details überlasse ich besser der Phantasie des Lesers.

In der folgenden Nacht fesselte mich wieder ein Traum: Durch die Türe und die Fenster fließt Scheiße der anderen Patienten, ja sogar aus den kleinsten Ritzen quillt die stinkende Masse hervor. Das ganze Zimmer ist voller Exkremente und es spült mein Krankenbett samt meines in eine neongrüne Zwangsjacke gepferchten Körper durch die Türe raus ins Freie, ich treibe hilflos im reißenden Fluss der Scheiße und Pisse durch die Stadt, die Leute beschimpfen mich und werfen mit ihren Ausscheidungen nach mir! Von Läusen und vollgesogene Zecken befallene Ratten - mit glühendroten Augen und orangegelben Zähnen - lauern am Ufer auf mich, wollen mich erhaschen und fressen! Ihre gellend pfeifenden Laute bohren sich durch mein Trommelfell! Eine dieser grausigen Kreaturen springt auf meinen fauligen Kadaver und bohrt ihre überdimensionalen Dolchzähne in meinen Hals. Mitsamt der fletschenden, pfeifenden Ratte versinke ich blutüberströmt in der braunen Brühe… Sogleich ist nichts mehr vom Neongrün und Blutrot sichtbar, überall nur mehr Scheißebraun!

Der Pulsoximeter ist ein medizinisches Gerät, das zur Messung des Pulses und der Sauerstoffsättigung im Blut verwendet wird. Ich sollte immer versuchen, tief und gleichmäßig zu atmen um die Sättigung zu steigern – jedes Mal wenn ich zu unrhythmisch oder flach atmete, ging ein Klingelalarm dieses Gerätes los. Dieser Alarm hat mich noch wochenlang verfolgt. Ich habe ihn heute noch in meinem Kopf. Schnell hintereinander 5-mal hoch Ti und 1-mal etwas tiefer Tö. Ti-ti-ti-ti-ti--Tö … Ti-ti-ti-ti-ti-Tö … Ti-ti-ti-ti-ti-Tö … immer wieder … Ti-ti-ti-ti-ti-Tö … es war eine einzige Folter – immer wieder das Pfeifen der ekeligen Ratten!!!!!

Die Intensivschwestern und –pfleger waren wahre Engel – sie hatten mich umhegt und umsorgt – und (auch mithilfe der Monitore) ein wachsames Auge auf mich gerichtet. Hauptaufgabe der Intensivstation ist vor allem die Überwachung der Vitalparameter, die durch die Anlage von Kathetern gewährleistet wird. Mittels EKG wird der Herzrhythmus stetig überwacht, kleine Sensoren ermöglichen eine permanente Messung des Blutdrucks im Kreislauf, eine Messung der Sauerstoffsättigung oder die kontinuierliche Überwachung der Pumpfunktion des Herzens. Sie erlauben zudem die kontrollierte Medikamentenzufuhr und stellen Zugangswege für eventuell weitere Behandlungsverfahren dar.

Doch neben dieser High-Tech-Überwachung tat es einfach nur gut, wenn jemand bei mir im Raum war. In den langen Nächten sehnte ich mich so sehr nach menschlicher Nähe, hatte ich doch so große Angst vorm Alleinsein. Sogar über das Erscheinen der Putzfrauen, mit Putzfetzen und Wischmob ausgerüstet, konnte ich mich freuen. Ich kannte keine der Schwestern und keinen der Pfleger persönlich, doch alleine die Anwesenheit gab mir ein Gefühl der Geborgenheit. Sie strahlten eine in dieser Form noch nicht empfundene Herzlichkeit und Wärme aus. Oft saß jemand neben mir und hielt nur meine Hand. Alleine diese Berührungen sorgten für Entspannung – es war, als fließe ein Energiestrom in mich.

So richtig in Panik geriet ich einmal, als ich eines Abends (oder war es am Vormittag? Spielt auch keine Rolle, da kaum ein Unterschied für mich erkennbar war) merkte, dass die Luft langsam immer dünner wurde und der Respirator ein komisches Brummen von sich gab. Vorerst dachte ich, es würde eh alles überwacht und gleich würde jemand kommen, um den scheinbaren Defekt zu beheben. Als nach einiger Zeit aber nichts von einer Pflegekraft zu sehen war, und ich schon kräftig versuchte, Sauerstoff aus dem Geräteschlauch zu saugen (als ob man mit dem Strohhalm den Rest des Vanilleeises aus dem Eiskaffee saugen möchte!), drückte ich doch schon etwas nervös den roten Alarmknopf der Fernbedienung. Die Minuten vergingen - keiner ist gekommen. Was sollte ich nur tun? Mit dem Beatmungsschlauch im Rachen konnte ich natürlich nicht um Hilfe rufen, geschweige denn einfach so rausspazieren und einen der Herrschaften bitten, mir die lebensnotwendige Luftzufuhr wieder zu verschaffen. In meiner Angst nahm ich den halbvollen Trinkbecher und klopfte so fest ich konnte gegen das Tablett. Sollte ich, nachdem ich den Todeskampf nach dem Unfall wohl für mich entschieden habe, nun an einem Defekt der Beatmungsgeräte auf der Intensivstation zugrunde gehen? Ersticken statt dem Polytrauma zu erliegen? Nach einer gefühlten Ewigkeit schlenderte dann doch endlich einer der Pfleger in mein Zimmer. Der Trinkbecher ist mir in dem Moment aus der Hand geglitten, kullerte über den Zimmerboden und das Mineralwasser spritzte Markus entgegen. „Ja, was ist denn da los? Das mag ich gar nicht, wenn wer so einen Wirbel schlägt!“ Hastig deutete ich auf meinen Mund, um anzuzeigen, dass die Luft immer dünner wurde. Ich dachte, ich müsse ja schon ganz blau im Gesicht sein und allein der Anblick müsste bei Markus die Alarmglocken läuten lassen. „Hoppla, da ist ja was locker.“ Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete ich, wie er hinter mir am Beatmungsapparat umherwerkelte. „So, jetzt müsste es wieder funktionieren.“ Als hätte ich gerade zwei Längen im Schwimmbecken durchgetaucht, schnappte ich nach Luft. Langsam erholte ich mich wieder und ich wollte Markus in dem Moment anschreien und ohrfeigen - beides war mir nicht möglich. Den Angstschweiß noch auf der Stirn, gab ich ihm mit einem kurzen Nicken zu verstehen, dass der Sauerstoff jetzt wieder in ausreichender Menge meine Lunge speiste. Er wischte noch schnell das Wasser aus dem Trinkbecher vom Boden auf und als wäre nichts gewesen, verließ er, ein Liedchen trällernd das Zimmer.

Tage später – ich wurde in der Zwischenzeit vom Beatmungsgerät befreit – habe ich den Pfleger Markus auf die für mich so bedrohlich wirkende Situation angesprochen. Er war ziemlich überrascht und meinte, es könne eh nichts passieren, da das Beatmungsgerät mit einem Sicherheitsmechanismus ausgestattet sei, der sich rechtzeitig aktiviere. Nun, das war mir im Nachhinein auch kein Trost mehr. Markus gab aber zu, er habe die Situation verkannt… „Sorry!“

Die Normalwerte der Sauerstoffsättigung liegen im Bereich von 97 bis 100 Prozent. Als behandlungsbedürftig gelten Werte von etwa 90 Prozent und weniger. Sehr kritisch wird es ab einem Wert von 85. Die Sättigung bei mir lag meist zwischen 84 bis 94 Prozent. Nach Entwöhnung vom Respirator wurde mir deshalb Atemtraining zum Aufbau der Lunge verordnet: Eine Gummimaske wurde über Mund und Nase gespannt, welche einen leichten Widerstand beim Atmen erzeugte. Ich verfiel jedes Mal in Platzangst und zählte die Minuten auf der vor mir hängenden großen Uhr. Mindestens eine halbe Stunde sollte eine Behandlung dauern, um den gewünschten Effekt zu erzielen und das ganze zwei- bis dreimal täglich. Danach war ich jedes Mal schweißgebadet, als hätte ich einen Marathon in der Sauna absolviert. Zusätzlich zum Atemtraining musste ich einen dünnen Schlauch um meinen Kopf tragen (das kennt man aus diversen Arztfilmen), der reinen Sauerstoff direkt in meine Nase strömen ließ. Dieser erzeugte ein unangenehmes Gefühl in meinen Atemwegen, die Nase schien komplett ausgetrocknet zu sein und ständig musste ich schlucken. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass die Luft nach Petersilie roch und ich hatte immer einen ekeligen Geschmack im Mund. Manchmal in der Nacht habe ich den Schlauch einfach raus gezogen um besser schlafen zu können (von gut oder besser schlafen kann ich eigentlich nicht reden – ich denke nach dem Erwachen aus dem Koma habe ich während der Zeit des Intensivstationsaufenthaltes nie länger als vielleicht 3 Stunden am Stück durchgeschlafen!), was mir eine Schelte der Nachtschwestern einbrachte. Wegen der fiebrigen Lungenentzündung war ich komplett verschleimt. Diese Unmengen an zähen, milchig-weißen Schleim sollte ich so gut wie möglich durch Husten lösen. Leichter gesagt als getan, da das Husten so sehr schmerzte und ich zu kraftlos war. Irgendwie versuchte ich diesen lästigen Schleim rauf zu würgen - dabei musste ich mich übergeben…

Ja, das war schon sehr, sehr heftig!

An der Wand direkt vor meinem Bett hängten zwei Fotos. Eines zeigte Celina beim Gitarre spielen und das andere war ein Kindergartenfoto von Fabienne. Meine geliebten Schätze – die beiden fehlten mir so sehr. Und sie taten mir leid, wussten sie ja nicht, was da Schreckliches mit ihrem Vater geschehen war. Häufig übermannten mich die Gefühle und ich konnte die Tränen nicht zurückhalten. Norbert setzte sich zu mir, als er einmal merkte, wie sehr es in mir arbeitete, ich mich krümmte und es mich zusammenzog, mein Gesicht verzweifelt vor lauter Sehnsucht nach den beiden. „Komm Andi, es ist gut so, lass es einfach raus. Es tut gut zu weinen.“ Mit einer Hand hielt er meinen Arm, mit der anderen strich er mir durch die Haare. Sein trauriger Blick ruhte auf den Fotos. Auch seine Augen wurden feucht.

Zudem hängte daneben auch ein von Celina gezeichnetes Bild. Es zeigt eine Feenprinzessin mit einem Zauberstab. Bunt bemalt und in ihrem unverkennbaren Stil. Sie hat wirklich Talent. Darunter stand in großen Buchstaben: „Ich zaubere Dich Gesund!“


Celina, 8 Jahre

In den unendlichen stillen Stunden lag ich da, starrte auf die Bilder und begann zu schluchzen. Durch das Schluchzen hindurch hörte ich eine zarte Stimme. Es war meine innere Stimme, die Stimme, die mich am besten kennt, doch die lange Zeit verstummt war. Niemand kann dir helfen, um die Lage ganz zu ändern. Niemand kann dich retten. Niemand kann dich da rausziehen. Niemand! Außer du selbst! Es ist deine Sache. Suche einen Weg und finde deine Stärke! Ich erkannte, dass ich, solange ich das Opfer blieb, auch meine Familie und Freunde zu einem Opfer machte. Meine Angst war auch ihre Angst. Meine Probleme auch ihre Probleme. Mein Sturz hat auch sie mitgerissen. Ich war am wichtigsten Scheideweg angekommen. Ich konnte beschließen, das Leben als elendiges, bedauernswertes, jämmerliches Stück Etwas weiter zu führen – dies wäre kein Leben, das wäre gleich zu setzen mit dem Ende. Oder ich konnte beschließen mein Leben zu leben! Nein, ich gebe nicht auf – ich werde weiterkämpfen – für meine Lieben, für mich!

Die Fotos und das gemalte Bild gaben mir so immense Kraft und einen Riesenschub an Motivation!

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