Читать книгу Deutsche Außenpolitik des Wilhelminischen Kaiserreich 1890–1918 - Andreas Rose - Страница 17
d) Pressepolitik, Öffentlichkeit und Diplomatie
ОглавлениеÖffentlichkeit als politischer Akteur
Hätte man in den Jahren vor 1914 Diplomaten und Politiker gefragt, welche Faktoren die internationalen Beziehungen am meisten belasteten, so hätten sie vermutlich – neben dem Wettrüsten – kaum etwas so häufig genannt wie „die Presse“. Hintergrund dafür bildete das Gefühl, von den Pressevertretern längst zurückgedrängt worden zu sein. Ehemalige Arkanbereiche staatlicher Herrschaft gerieten spätestens seit den frühen 1880er-Jahren unter immer stärkeren Druck, sich Kräften zu öffnen, die im Namen der Allgemeinheit Zugang zu bis dahin exklusiven Handlungsfeldern traditioneller Eliten verlangten. Regierungen sahen sich herausgefordert, selbst Kerngebiete ihrer Zuständigkeit wie die Außenpolitik gegenüber der Presse zu behaupten. Lord Robert Salisbury (1830–1903) beneidete seine Nachfolger nicht, wenn er 1901 zu dem Schluss kam, dass die Diplomatie der Nationen inzwischen immer weniger von den Außenministerien als vielmehr den Zeitungsredaktionen und Auslandskorrespondenten mitbestimmt werde.
Hatte schon Bismarck die öffentliche Meinung als eines seiner wichtigsten politischen Instrumente entdeckt und nicht zuletzt über vertraute Journalisten wie Moritz Busch (1821–1899) oder Constantin Rößler (1820–1896) Nachrichten lanciert sowie durch öffentlichkeitswirksame Reden im Reichstag und gezielte Indiskretionen außenpolitisch operiert, so hatte auch Joseph Maria von Radowitz (1839–1912) bereits während des Berliner Kongresses die Presse zur „siebenten Großmacht“ erklärt. Bismarcks Nachfolger mussten verstärkt mit einer eigenständigen Öffentlichkeit rechnen, die sich nicht selten sogar als Mitspieler im internationalen Spiel der Kräfte verstand.
Mit Blick auf Deutschland haben Historiker wiederholt die zynische Manipulation der Öffentlichkeit durch die Reichsleitung z.B. im Dienste einer ‚von oben‘ oktroyierten Flottenrüstung oder aggressiven Außenpolitik am Werke gesehen. Oder sie haben im Anschluss an die Studien von Geoff Eley auf die gefährliche Selbstmobilisierung einer radikalisierten nationalistischen Rechten verwiesen. In jedem Fall wurde das Einbeziehen einer dynamisierten Öffentlichkeit als negativ und schädlich interpretiert. Demgegenüber wurde in Großbritannien lange Zeit die öffentliche Erregung als notwendiges und richtiges Mittel zur Umorientierung der politischen und militärischen Eliten interpretiert. Der Einfluss der „öffentlichen Meinung“ ist insofern meist als etwas Positives und Nützliches gedeutet worden.
Diese Einschätzung hat in den vergangenen Jahren an Überzeugungskraft eingebüßt. Für das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert fallen in der Gesamtbilanz nicht mehr so sehr die Gegensätze zwischen Deutschland und Großbritannien auf, sondern die „Gemeinsamkeiten zwischen beiden Ländern – sei es bei der Veränderung der politischen und medialen Strukturen, den verhandelten Wertkonflikten oder den staatlichen Reaktionsweisen“.
Gleichzeitig wird der Öffentlichkeit im Deutschen Reich inzwischen eine größere Eigenständigkeit zugebilligt. Der Reichstag übernahm beispielsweise zunehmend die Funktion der Repräsentation und Kanalisierung öffentlicher Meinung in diplomatischen Krisensituationen, und die deutsche Presse erscheint in jüngeren Studien eigenständiger, als früher oft angenommen. Sie wird bei der Beurteilung der deutschen Außenpolitik immer stärker als selbstständige Triebkraft interpretiert, die ihrer medialen Eigenlogik folgte und nicht mehr einfach als Instrument staatlicher Manipulation funktionierte. Die neuere Forschung hat die zunehmend engen Grenzen, die allen Versuchen der Presselenkung durch die deutsche Reichsleitung gesetzt waren, scharf herausgearbeitet, während sie umgekehrt auch in Großbritannien als traditionellem Land der Pressefreiheit bemerkenswerte, wenn auch subtilere, Methoden der Presselenkung ausmacht.
Kommunikationsrevolution
Hintergrund für diese Entwicklung war eine Revolution der Kommunikationswege, die das Verhältnis von Presse und Außenpolitik im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts einschneidend veränderte. Telegrafie, später das Telefon und der Funkverkehr verkürzten den Zeitraum zwischen einem Ereignis und seiner Berichterstattung, zunächst von Wochen auf wenige Tage, später auf Stunden oder gar Minuten. Gleichzeitig erlaubte die Verbesserung der Drucktechnik die raschere und zugleich massenhafte Publikation von Zeitungen und Flugschriften, die über stetig weiter perfektionierte Vertriebswege immer schneller in die Hände des Lesers gelangten. Einher ging diese Beschleunigung, Ausdehnung und Verdichtung mit einer Veränderung der Zeitungsformate und dem sogenannten new journalism. Statt bloßer Berichterstattung und des Kommentars sahen die „neuen Journalisten“ es als ihre Aufgabe an, Leser und Politik zu konkreten Aktionen, politischen Weichenstellungen und Reformen zu bewegen. In Deutschland verlief diese Entwicklung zwar im Vergleich zu England oder den USA etwas langsamer. Die Eigengesetzlichkeiten des Medienmarktes, Prozesse der Kommerzialisierung, Skandalisierung und Lösung von parteipolitischen Bindungen dauerten länger, verliefen letztlich aber nicht unähnlich.
Das Pressebüro
Anders als in England dominierte in Deutschland seit den Tagen Bismarcks die bürokratische Form der Pressepolitik durch das Pressebüro des Auswärtigen Amtes, später auch des Reichskolonial- und Reichsmarineamtes. Der föderale Charakter ohne ein wirkliches Pressezentrum sowie das politische System des Reiches machte in den Augen Otto Hammanns (1852–1928), von 1894 bis 1916 leitender Pressereferent in der Wilhelmstraße, eine aktive staatliche Pressepolitik zwingend notwendig. Denn die Reichsregierung war verfassungsrechtlich an das Vertrauen des Monarchen und nicht an Reichstagsmehrheiten gebunden, operierte also „über den Parteien“ und verfügte somit auch nicht automatisch über eine eigene Parteipresse wie die Regierungen in England und Frankreich. Dem Pressebüro dienten direkte Maßnahmen wie eigene offizielle oder halboffizielle Presseorgane oder indirekte Maßnahmen wie Bestechungen oder verschiedene Formen der Belohnungen. Das wichtigste Instrument der Pressebeeinflussung war indes die Selektion von Informationen. Zuckerbrot und Peitsche waren dabei beliebte Mittel, Journalisten zu disziplinieren, die insgesamt keinesfalls einen vergleichbaren sozialen Status wie etwa ihre britischen Kollegen erreichten. Die deutsche Praxis im Umgang mit der Presse schlug sich auch auf ausländische Organe bzw. die Bewertung der ausländischen Presse nieder. So war es ausgesprochen schwierig, wenn nicht unmöglich für deutsche Diplomaten oder Politiker, zu britischen Journalisten einen vertrauensvollen Kontakt herzustellen. Gleichsam zeigte sich die Wilhelmstraße lange uneinsichtig, nach welchen Prinzipien die englische Medienlandschaft funktionierte. Das Resultat daraus war mitunter verheerend. Nicht genug, dass es weder gelang, die eigene Presse dauerhaft im Zaum zu halten, noch einen positiven Draht zur englischen Presse aufzubauen; jeder Versuch dazu verschlimmerte noch das generelle englische Misstrauen. Das erwies sich vor allem dann als besonders schädlich, wenn es zu einer Eigendynamik der deutschen Presse kam, wie während des Burenkrieges oder bei den zahlreichen nachfolgenden Pressekriegen zwischen den beiden Ländern.
Die Unzulänglichkeiten des deutschen Pressemanagements wären nicht weiter aufgefallen, hätte es nicht zunehmend transnationale Verflechtungen zwischen den Staaten gegeben, sondern weiterhin voneinander separierte politische Räume und eine traditionelle Geheimdiplomatie. Die beschriebene Ausdehnung und Verdichtung der Kommunikationsräume hatte die Arbeitsbedingungen der Diplomatie aber grundlegend verändert und resultierte in einer völlig neuen öffentlichen Außenpolitik, bei der sich Entscheidungsprozesse und Einflüsse multiplizierten.
Beispiele, wo das Auswärtige Amt glaubte, die Presse instrumentalisieren zu können, kurze Zeit später aber feststellen musste, diese nicht mehr unter Kontrolle zu haben, gab es nach der Jahrhundertwende zuhauf – etwa bei beiden Marokkokrisen, bei der Frage des Flottenwettrüstens oder auch bei verschiedenen Presseinitiativen zur gegenseitigen Verständigung, wie etwa die Journalistenbesuche in London und Berlin zwischen 1906 und 1907.
Interessengruppen
Öffentlichkeit im Kaiserreich bedeutete aber nicht nur Medienöffentlichkeit. Dazu zählten natürlich auch der Reichstag, die Parteien und die immer stärker auftretenden Interessenverbände, von denen insbesondere die Deutsche Kolonialgesellschaft, der Alldeutsche Verband oder der Flottenverein außenpolitisch aktiv waren. Sie setzten Agenden und wirkten nicht zuletzt über ihre Mitglieder propagandistisch in den politischen Raum, das Reich und über dessen Grenzen hinaus.