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Forschungsstand

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Diesen Mangel an Verbindlichkeit und auch an Vergleichbarkeit des deutschen militärischen Kunstschutzes im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg beobachtet auch die neuere Forschung, deren Fragestellungen, Erkenntnisse und Unzulänglichkeiten im Folgenden skizziert werden sollen. Es wird dabei jeweils hervorzuheben sein, welche Forschungslücken die vorliegende Arbeit im Rahmen ihrer Gesamtkonzeption zu schließen beabsichtigt. Dabei wird zunächst die wichtigste Literatur zum Thema Kunstschutz in Serbien und anderen deutsch besetzten Gebieten zu berücksichtigen sein. Danach gilt es, die zentralen Arbeiten über die deutsche Besatzungsherrschaft in Serbien zu präsentieren. Schließlich soll auch die für die vorliegende Arbeit relevante Literatur zu Wissenschaftlerkarrieren im Nationalsozialismus kurz vorgestellt werden. Diese Reihenfolge soll keinesfalls von der Person Reiswitz weg-, sondern, ganz im Gegenteil, zu ihr hinführen. Hinzu kommt, dass von einem „Forschungsstand“ zu Reiswitz nicht gesprochen werden kann, da es, abgesehen von zwei Nachrufen in wissenschaftlichen Publikationen, bislang keine biographische Sekundärliteratur zu ihm gibt.14

Seitens des deutschen Kaiserreiches wurde im Ersten Weltkrieg zwar im besetzten Nordfrankreich und Belgien Kunstschutz betrieben, doch bestand ein Unterschied zwischen den beiden Wirkungsräumen allein schon darin, dass Belgien unter deutscher Zivil-, Nordfrankreich aber unter Militärverwaltung stand. In beiden Gebieten – dies war eine Gemeinsamkeit – fehlte es an einem „programme préalable“ seitens der Besatzer.15

Es wird mit dieser Studie nicht beabsichtigt, einen Vergleich zwischen den Kunstschutzkampagnen der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg in Südosteuropa und dem deutschen Kunstschutz in Serbien 1941–1944 zu leisten, zumal, wie zuletzt im Mai 2018 auf einer Tagung in Berlin über Kunstschutz im Ersten Weltkrieg festgestellt wurde, der Kunstschutz im Ersten Weltkrieg auf dem Kriegsschauplatz Balkan bislang „wenig Beachtung“ fand.16 Symptomatisch ist dafür schon der Titel des Aufsatzes von Popović, „The Forgotten Expeditions of the Central Powers in South-East Europe during World War I“.17 Den Forschungsstand zum Kunstschutz auf dem genannten Kriegsschauplatz referieren die Herausgeber im Eingangsaufsatz ihres 2017 erschienenen Sammelbandes.18

Die Abwesenheit einer verbindlichen Richtschnur für den Kunstschutz in den besetzten Gebieten führte im Zweiten Weltkrieg dazu, dass die Kunstschützer vor Ort eher reagierten denn agierten, wie es Fuhrmeister19 schon im Mai 2010 in München auf einer Tagung über den deutschen Kunstschutz in Norditalien im Zweiten Weltkrieg feststellte. Fuhrmeister war es auch, der den übrigen Teilnehmern Folgendes auftrug: „The first major objective of research into German military art protection in Italy is to collect and assemble the widely scattered documents. Furthermore, analyzing private notes and reconstructing the lives of the members of the art protection project as completely as possible are essential to a nuanced evaluation of the measures taken. This is because they could contain information about the frictions between the regime and the executing individuals.“20 Dieser Aufforderung versucht die vorliegende Arbeit nachzukommen, allerdings nicht auf Norditalien bezogen, sondern auf Serbien.

Die Münchener Tagung fand im Gebäude des Zentralinstituts für Kunstgeschichte (ZI) statt, dem ehemaligen Munich Collecting Point.21 In der Bibliothek des ZI entdeckte Fuhrmeister zwei Berichte aus der Feder von Reiswitz, verfasst 1943 bzw. 1944, die er als Grundlage seines Aufsatzes über den Kunstschutz in Serbien nahm.22 Obgleich Fuhrmeister nur für sich beansprucht, „ein Desiderat zu skizzieren“, fällt er dennoch ein dezidiertes Urteil. Der Kunstschutz in Serbien scheine „stets vom Primat einer deutschen Überlegenheit – in kultureller wie in wissenschaftlicher Hinsicht – durchdrungen gewesen zu sein“ und die „wissenschaftliche Dimension der Kunstschutzarbeit“ sei nur „zum bloßen Vorwand“ geworden. Dieses Urteil versucht die vorliegende Arbeit unter Rückgriff auf eine erweiterte Quellenbasis, die u.a. auch die von Fuhrmeister gewünschten „private notes“ umfasst, auf den Prüfstand zu legen.23

Fuhrmeister behauptet, Reiswitz sei im Januar 1940 Mitglied der NSDAP geworden.24 Dies trifft nicht zu, wie eine Nachfrage des Verfassers beim Bundesarchiv in Berlin ergab.25 In einem undatierten Schreiben aus dem Nachlass an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität München, den Ägyptologen Alexander Scharff (1892–1950), welches vom Kontext her aus dem Jahre 1946 stammt, legte Reiswitz allerdings dar, dass vom 13.11.40–30.06.41 eine „Parteianwärterschaft“ seinerseits bestand.

Ein von Fuhrmeister 2016 nicht beachteter Beitrag zum Kunstschutz in Serbien stammt von Vujošević aus dem Jahre 2002, der im Freiburger Militärarchiv im Bestand „Territorialbefehlshaber Südost-Europa“ auf weitere drei Reiswitz’sche Kunstschutzberichte, diesmal aus dem Jahre 1941, stieß. Anders als Fuhrmeister enthielt er sich allerdings einer Bewertung der Arbeit des Belgrader Kunstschutzes, sondern bot die Texte lediglich mit einigen erläuternden Bemerkungen in serbischer Übersetzung dar.26 Vujošević schreibt in der Zusammenfassung seines Textes, dass es allerdings an weiteren Quellen mangele.27 Diesen Misstand wird die vorliegende Arbeit versuchen, im Rahmen und als Folge des oben beschriebenen Forschungsprogramms zu beheben.

Die dritte Abhandlung über den Kunstschutz in Serbien wurde von Kott vorgelegt. Sie berücksichtigte die Vorarbeiten von Vujošević und Fuhrmeister, konnte aber zusätzlich auf die Ergebnisse von Bandović eingehen, der sich des sogenannten „Musealkurses“ annimmt, welcher unter der Ägide von Reiswitz zur Schulung des serbischen Wissenschaftlernachwuchses 1942 erstmalig ermöglicht wurde. Ferner befasst sich Bandović mit der Einrichtung eines Amtes für Denkmalschutz seitens des Kunstschutzes und den archäologischen Grabungen auf der Belgrader Burganlage, dem Kalemegdan. Den „Musealkurs“ beurteilt er wie folgt: „The course became the turning point in the history of archaeology, a sort of parallel university in the occupied city“. Aus ihm ging eine „whole generation of post-war archaeologists, art historians and architects“ hervor.28 Der Einfluss von Reiswitz, auch aufgrund der Kalemegdangrabungen, spiegelt sich zudem in der methodologischen Ausrichtung der jugoslawischen Archäologie der Nachkriegszeit wieder: „The symbiosis developed before and during the WWII between German and Serbian archaeology did not disappear during the post-war period.“29

Kott schließt sich dem Urteil von Bandović an, erweitert es sogar noch um andere modernisierende Aspekte der Kunstschutztätigkeit von Reiswitz: „Nicht nur die Nachwuchsausbildung, sondern auch die Interdisziplinarität bzw. das Zusammenwirken unterschiedlicher Behörden und Ebenen sowie der Einsatz weiblicher Wissenschaftler“ sei [von Reiswitz] „gefördert“ worden. Zu diesem Ergebnis kommt Kott durch die Hinzuziehung weiterer Primärquellen, vor allem des mittlerweile erschlossenen Archivbestands zum Thema Kunstschutz im Nachlass Metternich, der sich im Archivdepot der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V. auf Schloss Ehreshoven befindet. Ferner hat sie die Akten zur Ausgrabung von Reiswitz und dem Archäologen Wilhelm Unverzagt am Ohridsee im heutigen Nordmazedonien im Archiv des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte teilausgewertet. Sie revidiert das äußerst negative Urteil Fuhrmeisters über die Kunstschutzarbeit von Reiswitz und bescheinigt ihm, „eher ‚zivile‘ Verhaltensweisen verfolgt“ und „seine serbischen Partner durchaus als Partner betrachtet zu haben.“ Sie klassifiziert das Wirken von Reiswitz dann aber dennoch nach Hachtmann30 als „neokolonialistische Praxis wissenschaftlicher Durchdringung unter nationalsozialistischen Vorzeichen“, wobei sie letztere besonders in der Zusammenarbeit Reiswitz’ mit der SS-Forschungseinrichtung „Das Ahnenerbe“ sieht.31

Kott kann bislang sicherlich als die Doyenne der internationalen Kunstschutzforschung bezeichnet werden, nicht nur wegen ihrer Publikationsdichte, sondern auch wegen der zeitraum- und territorial übergreifenden Spannbreite ihrer Arbeit. Sie ist die bislang einzige, die den Versuch unternahm, den deutschen Kunstschutz des Ersten mit dem des Zweiten Weltkriegs am Beispiel des besetzten Frankreichs zu vergleichen und kam zu folgendem Ergebnis: „Von einem Weltkrieg zum anderen hatte sich der ’Kunstschutz’ von einer Abteilung ohne echten Status, Personal und Material zu einer zentralisierten, gut organisierten und materiell abgesicherten militärischen Einrichtung entwickelt. Die Motivationsfaktoren, die in beiden Fällen zu seiner Schaffung seitens der Machthaber führten, waren in erster Linie kulturpolitischer (der Rückführungsplan), wissenschaftlicher (die kunstgeographischen Forschungen und die Fotokampagnen) und kriegswirtschaftlicher Art (die Metallrequirierung). Der Propagandafaktor spielte vor allem im Ersten Weltkrieg eine weitere, wichtige Rolle. Doch in beiden historischen Situationen war der sicherlich authentische Wille der Beteiligten nach Bewahrung des Kunsterbes der besetzten Länder im Rahmen der völkerrechtlichen Verträge und im Namen des Weltkulturerbeschutzes für die Rechtfertigung einer Kunstschutzorganisation nicht ausschlaggebend.“32 Es gilt zu überprüfen, ob dieses Urteil auch auf Serbien zutrifft.

Während Kott 2007 den deutschen Kunstschützern im Zweiten Weltkrieg zumindest noch „authentischen Willen“ zusprach, so hat sich in jüngster Zeit dieses Bild, vorsichtig ausgedrückt, negativiert. Bandović sieht nun in Reiswitz jemanden, der im Sinne von Ian Kershaw lediglich dem „Führer entgegenarbeitete“33. Fuhrmeister geht in seiner jüngsten Publikation sogar noch darüber hinaus und postuliert, das die „wissenschaftliche Dimension der Kunstschutzarbeit“ in Serbien unter Reiswitz „streng genommen zum bloßen Vorwand“34 geworden sei. Auch diese Einschätzungen werden unter die Lupe zu nehmen sein.

Die Kunstschutztätigkeit, die außer in Frankreich und Serbien in der dem OKH unterstehenden institutionalisierten Form auch in Griechenland35 und Norditalien36 stattfand, wurde bislang nur in Aufsatzliteratur untersucht. Eine Monographie von Fuhrmeister dazu ist im September 2019 erschienen, konnte aber aus Zeitgründen hier nicht mehr in Bezug auf Italien ausgewertet werden.37 Für die Universität Trier bereitet Raik Stolzenberg eine Dissertation unter dem Titel „Der ‚Kunstschutz‘ der deutschen Wehrmacht im besetzten Griechenland (1941–1944)“ vor. In Griechenland arbeitete der militärische Kunstschutz eng mit dem Deutschen Archäologischen Institut38 gegen die Bestrebungen des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg39 zusammen. Letztlich setzten sich nach Gaertringen die Kunstschützer durch.40 Kankeleit folgt zum Teil dieser Sichtweise: „Festzuhalten bleibt, dass während der Besatzungszeit kein systematischer Raub oder eine von oben verordnete Zerstörung der Antiken stattgefunden hat.“ Andererseits aber moniert sie die Ignoranz der Archäologen gegenüber den Schattenseiten der Besatzung: „Die in Griechenland tätigen deutschen Archäologen waren Repräsentanten eines gebildeten Großbürgertums philhellenischer Prägung. Sie profitierten von der nationalsozialistischen Ideologie, die ihre ‚geistige und kulturelle Überlegenheit‘ gegenüber anderen Völkern manifestierte. Mit staatlicher Unterstützung konnten sie sich auf ihre archäologischen Aktivitäten konzentrieren und alle Verbrechen, die in der direkten Umgebung stattfanden, ignorieren.“41 Trifft diese Diagnose auch auf Serbien zu?

Floudas Aufsatz ist eine Fallstudie über den auf Kreta tätigen österreichischen Kunstschützer August Schörgendorfer (1914–1976). Methodisch folgt sie, wie auch die vorliegende Arbeit, dem „paradigmatic shift of emphasis from collective to personal narratives“ und besorgt, ähnlich wie die vorliegende Studie, eine „combined study of official and personal archival testimonies“. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass „archaeological research during the Nazi regime was not just dictated from above“, wobei der Fall Schörgendorfer auch zeige, „how military and research institutions in totalitarian regimes prevailed over archaeological ethics, and also how their priorities were filtered through personal academic interests and ambitions.“42 Es wird zu überprüfen sein, in welchem Wechselspiel militärische Interessen und die persönlichen Ambitionen von Reiswitz sich im Falle des Kunstschutzes in Serbien bewegten. Inwieweit war Reiswitz’ Tätigkeit „dictated from above“?43

Gesamtdarstellungen der deutschen Besatzungsherrschaft in Serbien liegen in ausreichender Zahl vor.44 Keines dieser Überblickswerke aber widmet sich der Arbeit des Kunstschutzes. Marjanović, der im Jahre 1963 eine Studie des deutschen Besatzungssystems vorlegte, erwähnt lediglich ein nicht näher bezeichnetes „Command for the Gathering of War Booty“45, womit vermutlich der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg gemeint war.

Gegen Ende seiner 1993 erschienenen Studie über die deutsche Besatzungspolitik in Serbien von 1941 bis 1942 konstatiert der Politikwissenschaftler Manoschek: „Das im NS-System typische institutionelle Chaos gab es auch in Serbien.“46 Obwohl Manoschek in serbokroatischer Sprache verfasste Literatur ignorierte – wie z. B. Kresos ursprünglich 1970 als Magisterarbeit vorgelegte grundlegende Studie über die deutsche Militärverwaltung47 –, so bietet sein Buch doch weiterhin eine hinreichende Einführung in die Struktur der militärischen Besatzung Serbiens. Allerdings befasst sich Manoschek in der Hauptsache nur mit einem der beiden Stäbe des Chefs der Militärverwaltung, dem Kommandostab. Den Verwaltungsstab, innerhalb dessen der Kunstschutz angesiedelt war, behandelt Manoschek nur äußerst kursorisch. Der Nachfolger Harald Turners als Chef der Militärverwaltung, Egon Bönner, wird mit keinem Wort erwähnt. Der Kunstschutz tritt gar nicht in Erscheinung.

Kresos Abhandlung hingegen widmet sich – anders als neun Jahre zuvor Čulinović48 – detailliert auch und gerade der Arbeit des Verwaltungsstabes. Der 2015 verstorbene Kreso erwähnt auch Bönner und dessen Nachfolger Danckwerts – bei beiden Namen gerät die Schreibweise durcheinander49 – doch fehlt die Nennung von Reiswitz. Die Arbeit des Kunstschutzes beschreibt Kreso als lediglich im deutschen Interesse. Allerdings hebt er hervor, dass der Kunstraub keine „offizielle Aufgabe“ des Kunstschutzes gewesen sei. Dafür sei der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg zuständig gewesen, dessen Tätigkeit in Serbien gestreift wird.50 Trifft dies tatsächlich zu? Oder war der militärische Kunstschutz nicht doch in den Kunstraub verwickelt?51

Allen bisherigen Darstellungen des Wirkens der deutschen Militärverwaltung in Serbien ist gemein, dass sie sich sich entweder mit rein militärischen bzw. wirtschaftlichen Fragen befassen, oder aber mit der Judenvernichtung. Bislang fehlt eine Gesamtschau, die über den Gesamtzeitraum der Jahre 1941–1944 alle Abteilungen der Militärverwaltung abdeckt, auch das Bauwesen, die Finanzen, die Justiz, das Arbeitsressort und auch die dem SS-Standartenführer Dengel unterstehende Pferdezucht, so dass es noch nicht möglich ist, den Kunstschutz im Kontext der Militärverwaltung zu beurteilen.

Schlarp gelangte bereits 1986 zu dem Schluss, dass eine „effektive Koordination“ der wirtschaftspolitischen Maßnahmen durch die deutschen Besatzer auch in Serbien an der „Unfähigkeit der nationalsozialistischen Machthaber“ scheiterte. Wie „effektiv“ bzw. „unfähig“ arbeitete der Kunstschutz? Das „Dritte Reich“ konnte nur „marginal“ von der Indienststellung der serbischen Wirtschaft während des Krieges profitieren und erlitt darüber hinaus durch die „ausbeuterische Praxis“ einen erheblichen „Vertrauensverlust“.52 Inwiefern trifft dieses Szenario auch auf den von der Wehrmacht eingerichteten Kunstschutz zu?

Schlarp weist darauf hin, dass innerhalb der Militärverwaltung die Beamten des Verwaltungsstabes, zu denen auch Reiswitz gehörte, nicht nur die serbische Kollaborationsregierung zu kontrollieren hatten, sondern auch versuchen sollten, die serbische „Bevölkerung für die Sache des Reiches zu gewinnen“. Der kulturelle Bereich, zu dem der Kunstschutz gehörte, hatte dabei durchaus Handlungsspielraum, war „sehr viel unabhängiger als etwa das Finanzwesen oder der Bergbau.“53 Konnte der Kunstschutz diese Gelegenheit nutzen?

Auf den Vorarbeiten von Schlarp fußend, befasst sich Ristović in seiner ursprünglich 1991 erschienenen und 2005 wiederaufgelegten Studie insbesondere mit der deutschen Wirtschaftsplanung in Bezug auf Südosteuropa und kommt zu dem Ergebnis, dass Serbien nur eine passive Rolle zugedacht war und es damit zusammen mit Griechenland in der „neofeudal pyramid of conquered and vassal ‘allied’ peoples and states“ in Südosteuropa den Bodensatz bildete. Allerdings ist die Befundlage nicht eindeutig dahingehend, ob Serbien reiner Agrarstaat und Arbeitskräftelieferant sein sollte oder aber zum deutschen Nutzen innerhalb der anvisierten „Großraumwirtschaft“ auch Nutznießer industrieller Modernisierung hätte sein können. Als aktiver Planer oder gar akzentsetzende Stelle jedenfalls tritt die Belgrader Militärverwaltung, anders als bei Schlarp, bei Ristović kaum in Erscheinung. Auch Erpenbeck hatte in seiner Studie, trotz ihres Titels, die „Militärverwaltung“ nur insoweit im Fokus, als es um rein militärisch-operative Belange ging, die Sache des Kommandostabes waren. Der Verwaltungsstab findet nur kurze Erwähnung.54

Abgesehen von Brownings Aufsatz über Turner55 fehlt es völlig an biographischen Studien über die Militärverwaltungschefs Bönner und Danckwerts. Selbst der von Reiswitz als „Arsch mit Ohren“ bezeichnete Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft in Serbien, Franz Neuhausen, wurde bislang nicht bedacht. Über untergeordnete Beamte im Range von Oberkriegs- bzw. Militärverwaltungsräten und darunter gibt es ebenfalls keine wissenschaftlichen Arbeiten, abgesehen von wenigen Ausnahmen, die aber in keinem Fall an eine biographische Studie heranreichen.56

Wie an einer Gesamtdarstellung der nichtmilitärischen Arbeit der deutschen Verwaltung im besetzten Serbien fehlt es auch an einem opus magnum zur Politik der Kollaborationsregierung. Überzeugende Vorarbeit hat hier Stojanović geleistet.57

In Abwesenheit struktureller Verbindlichkeit ergeben sich individuelle Handlungsspielräume, da letztlich politische Entscheidungen „nicht von Strukturen, sondern von Menschen getroffen“58 werden. In den Jahren 1941–44 wurden im besetzten Serbien viele der unheilvollsten Entscheidungen von österreichischen Militärs getroffen. Diese Diagnose stellt Manoschek und gibt dabei sogar den „cool tone“ – so Steinberg – des Historikers auf: „Manoschek is particularly angry at his fellow Austrians.“59 Viele dieser österreichischen Offiziere waren bereits im Ersten Weltkrieg in Serbien in Erscheinung getreten und trachteten nun nach Genugtuung für die von ihnen als Schmach empfundene Niederlage.60 Der erste Chef der Militärverwaltung, der aus Hessen stammende Jurist Harald Turner, zeichnete sich allerdings eher durch seine antisemitische denn serbophobe Grundhaltung aus und vermochte schon im August 1942, nachdem die Mordaktionen abgeschlossen waren, Serbien für „judenfrei“ zu erklären.61

Konnte bei dieser Konstellation ein preußischer Baron dienstlich reüssieren, der es als Historiker strikt ablehnte, „eine heranwachsende Generation in den Vorurteilen der Habsburgischen Monarchie … zu erziehen“62, und zu dessen engsten Freunden ein Berliner und ein Belgrader Jude zählten? Konnte ein zu fünfzig Prozent Kriegsversehrter mit nach Aussage des dritten Chefs der Militärverwaltung „fraglicher“63 soldatischer Eignung, dem noch kurze Zeit vor seinem Amtsantritt als Leiter des Kunstschutzes in Serbien der spätere Rektor der Universität München „unmännliche Unentschlossenheit“ attestiert hatte, erfolgreich wirken? Vermochte ein Mann, dem nach seiner Ankunft in Belgrad im Juli 1941 mehrfach nachgesagt wurde, Freimaurer und Serbenfreund zu sein, seine Aufgabe als einziger Kunstschützer im Lande so erfüllen, dass er 2014 in der offiziellen Geschichte des serbischen Militärmuseums als „Lichtgestalt in deutscher Uniform“64 etikettiert wurde? Konnte der schwächliche Serbenfreund und seit mehreren Jahren erfolglos um eine Dozentur kämpfende parteilose Südosteuropahistoriker im Range eines Majors seinen ganz persönlichen Plan der Denkmalspflege, den er siebzehn Jahre zuvor bereits zu konzipieren begonnen hatte, als Angehöriger einer Wehrmacht, die in Belgrad 1941 rund 4.750 Geiseln erschoss,65 im Alleingang in die Tat umsetzen?

Studien, die das Wirken einzelner Wissenschaftler zur Zeit der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland erhellen, sind keine Seltenheit,66 insbesondere nachdem das wissenschaftliche Genre der Biographie in Deutschland wieder verstärkt salonfähig wurde.67 Zunehmend werden einzelne Gelehrte nicht mehr ausschließlich entweder als Opfer, Täter oder Mitläufer gesehen. Es ist erkannt worden, dass viele Forscher versuchten, die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik, der ein „Masterplan“68 fehlte, für ihre eigenen Ziele zu nutzen. Diese Ziele konnten sowohl wissenschaftlicher Natur sein als auch persönliche Ambitionen in den Vordergrund stellen. In der Regel handelte es sich aber um ein Wechselspiel bei der Nutzung von Ressourcen.69 Die Minderheit der bislang untersuchten Wissenschaftler war schon fest im Wissenschaftsbetrieb etabliert, sei es in den Universitäten, oder auch in bestehenden oder nach 1933 neu geschaffenen Forschungseinrichtungen. Ein Ziel der vorliegenden Arbeit ist es zu ergründen, wo der Münchener Südosteuropahistoriker Johann Albrecht von Reiswitz in diesem Zusammenhang zu verorten ist. Insofern kann sie auch einen Beitrag leisten zur Erforschung der Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität zur Zeit des „Dritten Reiches“.

Historikerkarrieren im Nationalsozialismus haben ebenfalls das Augenmerk der Forschung auf sich gezogen.70 Eine Vielzahl von Studien widmet sich der Frage nach dem aktiven Beitrag von Geschichtswissenschaftlern bei der Legitimierung und Stabilisierung der nationalsozialistischen Herrschaft.71 Auch die Gruppe der Ost- bzw. Südosteuropahistoriker hat dabei bereits Aufmerksamkeit erfahren72, wobei in der Regel die Tätigkeit der Ordinarien oder aber die Arbeit bestimmter Forschungseinrichtungen unter die Lupe genommen wurde. In ihrer Arbeit über den Osteuropahistoriker Peter Scheibert (1915–1995) kommt die Autorin zu dem Schluss, dass wegen der signifikanten Ambivalenzen, Kontinuitäten und Widersprüche „für die Zeit des ‚Dritten Reiches‘ und auch für die Frage nach der … Motivationsstruktur die Biographie eines Historikers in jedem Einzelfall zu hinterfragen ist.“73 Dieser Aussage schließt sich der Verfasser an.

Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962)

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