Читать книгу Häuptling Schlappschritt - Andreas Safft - Страница 11
ОглавлениеSparen, bis die Lunge rasselt
Wieso ich eigentlich mal wieder hemmungslosrauchen sollte – wenigstens für zwei Wochen.
Was das Rauchen kostet! Wer ein Schächtelchen pro Tag wegqualmt, also 365 im Jahr, verbrennt von Januar bis Dezember bei einem Preis von einem Fünfer pro Schachtel 1825 Euro. Für das Geld kann man mit seiner Liebsten schon einen schönen Urlaub finanzieren – in einem Schaltjahr gibt’s den Cappuccino auf dem Flughafen dazu. Und wem beim Abgewöhnen nicht die üblichen Argumente (Lungenkrebs, soziale Ächtung, ständig stinkende Kleidung, Rauchverbot in Kneipen) weiterhelfen, der kann ja mal an die finanzielle Seite denken.
Ich habe jedenfalls am 29. August 2006 meine letzte Zigarette geraucht (abgesehen von ein paar geschnorrten in schwachen Momenten) und im gleichen Zug ausgerechnet, was ich in Zukunft sparen werde. Zwei Euro pro Tag wollte ich nun zur Seite legen und mir von dem angesparten Geld als Belohnung immer mal wieder etwas richtig Schönes gönnen.
Zum Beispiel Ausrüstung für den Sport. Nach und nach wurden fällig: Laufschuhe (60 Euro, stark reduziert), neue Hallenschuhe (40 Euro, dito), eine kurze Hose (15), zwei Laufhosen vom Discounter (20), zwei NBA-Shirts (40 Euro – bei eBay inklusive Versand), zwei Wollmützen (20), diverser Sweat- und T-Shirt-Kleinkram (45), ein MP3-Player, ohne den ich diverse Qualen nicht ausgehalten hätte (60). Macht zusammen 300 Euro – mit fünf Monaten Nichtrauchen habe ich die Sportartikelindustrie quasi im Alleingang gerettet.
Einen neuen Sportrucksack und einen Trainingsanzug fand ich unter dem Weihnachtsbaum. Mehrkosten für Lebensmittel, die ich extra nach Fitness-Attacken futterte, sowie für schlaue Bücher und Zeitschriften zu Fitness-Themen will ich ja gar nicht erst ermitteln. Schließlich bin ich ja auch ein-, zweimal erschöpft auf dem Sofa eingeschlafen, als ich eigentlich zum Kneipenbummel aufbrechen wollte. Aber braucht man nicht irgendwann ein zweites oder drittes Paar Laufschuhe? Endlich einmal eine Laufjacke, atmungsaktiv und windschnittig? Neue Badehose und Schwimmbrille? Eine Pulsuhr? Ein 14-Tage-Seminar bei irgendeinem Fitness-Guru auf Korsika oder wenigstens in Mittelfranken?
Das kostet. Und lässt sich wohl nur mit drastischen Maßnahmen finanzieren. Sollte ich einfach mal wieder für ein paar Wochen rauchen, drei Schachteln pro Tag, bis die Lunge rasselt? Wenn ich dann wieder aufhöre – mindestens zehn Euro pro Tag kann ich dann für den guten Sport verplanen.
Doch dann hat mich eine Studie schwer schockiert. Demnach kostet ein dicker Raucher die Allgemeinheit zigtausend Euro weniger als der dünne Hering, der gesund lebt. Wenn der Genussmensch die Radieschen längst von unten anschaut, humpelt der Gesundheitsbewusste immer noch mit irgendwelchen Meniskusgeschichten zum Doc und will partout nicht einsehen, dass man nach seinem 90. Geburtstag lieber nicht mehr von seiner Ironman-Premiere auf Hawaii träumen sollte.
Ich persönlich mag diese Rechnung nicht unterschreiben. Denn seitdem ich die Nikotin- durch die Laufsucht ersetzt habe, spare ich ja nicht nur die Schachtel Kippen pro Tag. Sondern bin praktisch allein dafür verantwortlich, dass im Frühling der Konjunktur-Motor anspringt. Neue Klamotten sorgen für neue Motivation, neue Schuhe zunächst für neue Blasen, aber dann für Wunderzeiten. Nicht zu vergessen die Pulsuhr, quasi die Handtasche des ambitionierten Läufers. Kaufen, kaufen, kaufen!
Bei meinen ersten Runden mochten ja vielleicht ein olles Shirt und die alte Turnhose als Outfit ausgereicht haben. Verächtlich habe ich die Nase gerümpft angesichts der durch die Wälder rasenden ausgemergelten Gestalten mit quietschbunten Synthetik-Laufjacken, eng anliegenden Strumpfhosen und Tretern, die aussahen, als hätte sie ein Teletubby nach drei Gläsern zu viel Waldmeisterbowle entworfen. Mittlerweile weiß ich es besser: Das Shirt für 10 Euro kannst du nach einer halben Stunde auswringen, das Shirt für 20 hält wenigstens trocken, das für 30 trägt sich gut und das für 40 sieht sogar chic aus – und vor allem laufen mit diesem Luxusteil nicht noch zwei Dutzend Nasen pro Volkslauf herum.
Jeder braucht seine Droge (Tiergartenlauf Lüneburg 2007)
„Du hast das Rauchen immer noch nicht wieder angefangen?“, mein Schwesterchen ist entsetzt. „Nee, ich rauche nicht mehr, ich laufe“, entgegne ich. „Na ja, jeder braucht halt seine Droge“, kontert sie. Und jetzt gebe ich mir die extra starke Dosis: 19,1 Kilometer beim Tiergartenlauf des MTV Treubund. Mein erster Lauf weit jenseits eines Zehners.
Zur Motivation rechne ich aus: Kilometer mal Körpergewicht ist ungefähr die Kalorienanzahl, die man beim Laufen verbrennt. Der Trick wirkt. Gerade rechne ich 19,1 mal 92 in Tafeln Schokolade um, da taucht Lauftreff-Trainerin Susanne nach der Hälfte der Strecke vor mir auf: „Komm, du bist auch schon mal schneller gerannt. Ein paar Leute packst du doch noch.“
Ich klemme also mein virtuelles Messer zwischen die Zähne und gebe Vollgas. Ein Pärchen weit vor mir scheint locker austrudeln zu wollen. Die packst du noch! Millimeter für Millimeter arbeite ich mich heran. Wenige Meter vorm Ziel habe ich sie fast. Aber ich kann nicht mehr. Und jetzt rasen zwei Angeber auf der Zielgeraden an mir vorbei. Wer jetzt noch so sprinten kann, der hat sich vorher nicht richtig angestrengt, oder?
Eine lächerliche halbe Stunde schneller – und ich schaffe es nächstes Mal aufs Treppchen. Jetzt schaffe ich es gerade noch zum Getränkestand, zum Kuchenstand, zum Bratwurststand. Ein paar Läufer haben eine Fluppe zwischen den Lippen – die würde jetzt bestimmt richtig reinhauen … Nee, ich bleib’ tapfer.
„Drei Viertel der Läufer sind doch eh Junkies“, sagt nicht meine Schwester, sondern meine Liebste. Und sie hört sich dabei nicht so an, als wenn sie mich ins vierte Viertel einsortieren würde.
Richtig kompliziert wird es, wenn neue Schuhe fällig werden. Denn es ist eine Schande, dass Arbeitgeber Sonderurlaub für einen Umzug gewähren, aber nicht für einen Laufschuhkauf. Der regelmäßige Käufer von Luxustretern mit individueller Pronationsunterstützung für 120 Euro aufwärts leistet für die Volkswirtschaft garantiert mehr als die Sofakartoffel, die sich den täglichen Bedarf an Büchsenbier und Chips beim Discounter besorgt. Da darf man auch ohne schlechtes Gewissen ein paar Jahre länger leben.