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5. Granatäpfel und Quitten

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Eines Tages, als Kupido sich mehr oder weniger erholt hat, schickt man ihn mit einem Korb voller Granatäpfel zur benachbarten Farm, wo die Schwester der Nooi wohnt. Das bedeutet, bei Sonnenaufgang aufzubrechen und zu gehen, bis die Sonne direkt über einem steht. Einen Erwachsenen kann der Baas nicht von der Arbeit wegholen, und die Nooi kann nicht selber gehen, weil sie mit den neugeborenen Zwillingen im Bett liegt. Also muss Kupido los.

Sie schickt einen Korb mit zwölf rotglänzenden Granatäpfeln, zusammen mit einem zusammengefalteten Brief für die Frau auf der benachbarten Farm.

Er geht und geht und geht. Als ihm das Gehen zu viel wird, macht er im Schatten eines großen Steinbrockens auf dem Felsvorsprung eines niedrigen Berges Rast. Nachdem er gründlich darüber nachgedacht hat, isst er zwei von den Granatäpfeln. Kein Mensch wird das je erfahren.

Das hat er sich so ausgerechnet. Aber als er bei der Nachbarsfarm ankommt und den Korb übergibt und die Schwester der Nooi den Brief auffaltet und liest, kommt sie noch einmal an die Küchentür und fragt: »Wo sind die beiden anderen Granatäpfel?«

»Von was reden Sie denn da?«, fragt er aschfahl vor Angst. »Das sind alle, die sie mir mitgegeben hat.«

»In dem Brief da steht, dass deine Madam einen Korb mit zwölf Granatäpfeln geschickt hat. Und jetzt sind es nur noch zehn. Ich will also wissen, was mit den beiden anderen passiert ist.«

Kupido verschlägt es die Sprache, dass der Brief eine solche Macht hat. So verwirrt ist er, dass er selbst die zwölf Schläge mit der Nilpferdpeitsche des Nachbarn kaum spürt, die ihm ins Hinterteil und den Rücken schneiden wie Messerhiebe. Den ganzen Heimweg über – erst jetzt spürt er den Schmerz so richtig – zupft und zerrt sein Verstand am Geheimnis des zusammengefalteten Briefes. Seiner Mutter sagt er jedoch kein Wort davon, verbirgt es in seinem Inneren. Als sie ihn nach den Striemen und Schnitten auf seinem Rücken fragt, antwortet er einfach nicht, und da sie damit vertraut ist, wie unergründlich die Verhaltensweisen weißer Leute sind, dringt sie nicht weiter in ihn.

Etwa ein Jahr später wird er erneut auf einen Botengang zu der Schwester auf der Nachbarsfarm geschickt. Diesmal wegen eines Todesfalls in der Familie (eines der Kinder ist von einer Giftschlange gebissen worden); in dem Korb sind zwanzig Quitten. Und ein zusammengefalteter Brief.

Unterwegs überkommen ihn Müdigkeit und Hunger. Der Geschmack einer Quitte ist nichts im Vergleich zur Süße eines Granatapfels. Aber er kann der Versuchung nicht widerstehen. Er weiß, er findet keine Ruhe, wenn er nicht vorher eine Quitte kostet. Diesmal wird er sich aber nicht ertappen lassen wie beim letzten Mal. Er nimmt also zuerst den Brief, den die Nooi mitgeschickt hat, und versteckt ihn unter einem flachen Stein hinter einem großen Felsbrocken. Und erst, als er die Quitte aufgegessen und sorgsam alle Spuren seines Festmahls beseitigt hat, holt er den zusammengefalteten Brief unter dem flachen Stein hervor und macht sich wieder auf den Weg.

Aber dann kommen sie ihm, so sicher, wie es Heitsi-Eibib gibt, auch diesmal auf die Schliche und fragen nach der fehlenden Quitte.

Mit Tränen in den Augen erklärt er der Frau, was alles für Vorkehrungen er mit dem Verstecken des Briefes getroffen hat. Bestimmt hat Gaunab, so erklärt er, den Brief mit einem Fluch belegt, um ihn zu verderben. Zu seinem Erstaunen bricht die weiße Frau in Lachen aus, bis auch ihr Tränen über die Wangen rinnen.

»Jetzt hör mal gut zu, Kupido«, setzt sie an, und er merkt an ihrer Stimme, dass er diesmal nicht ausgepeitscht werden wird. »Nicht der Brief hat dich ausspioniert. Aber beim letzten Mal hat deine Madam geschrieben, dass sie dich mit zwölf Granatäpfeln, und heute, dass sie dich mit zwanzig Quitten losgeschickt hat.«

»Aber der Brief ist doch stumm«, wendet er ein. »Er hat keinen Mund, er kann nicht sprechen.«

»Nein, Mund hat er keinen. Aber ich werde dir zeigen, auf welche Weise er spricht. Hör gut zu.« Und langsam und deutlich, Wort für Wort liest sie ihm vor, was der Brief sagt.

Kupido versteht das immer noch nicht so recht. Er weiß nur, das ist etwas, das größer ist als er. Auf irgendwie geheimnisvolle Weise hat der Brief etwas mit dem großen braunen Buch zu tun, das der Baas bei der Abendandacht zur Hand nimmt, wenn er betet und sich in langen Reden über Gott und Baas Jesus und jede Menge anderer Leute, von denen keiner je gehört hat, ergeht.

Diesmal spricht er mit seiner Mutter über die Angelegenheit.

»Ich möchte auch Worte auf Papier setzen, Ma«, sagt er. »Das ist ein starker Zauber. Was sie Schreiben nennen, hat Leben in sich und kann weiter und schneller rennen, als du je gelaufen bist.«

»Das wäre dein Tod, Kupido«, warnt sie ihn, so wie immer.

Doch bei der erstbesten Gelegenheit, die sich bietet, spricht er furchtlos die Frau des Baas an. Sie findet das so komisch, dass sie, wie ihre Schwester auf der Nachbarsfarm, zu lachen anfängt. Doch er bleibt geduldig vor ihr stehen, bis sie ausgelacht hat, und sagt dann: »Wird die Madam mir also das Schreiben beibringen?«

»Nein«, sagt sie.

Er spürt, wie alles Leben aus ihm sickert, so wie Spucke im Sand versickert. »Madam!«

Sie erklärt, für derlei Torheiten habe sie keine Zeit. Sie werde aber ihre großen Töchter Cornelia und Jacoba fragen. Vielleicht könnten die es mal versuchen.

Kupidos Chronik

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