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2. Statt eines Begräbnisses
ОглавлениеDas Begräbnis konnte erst nach Einbruch der Dunkelheit stattfinden, denn die Arbeiter auf der Farm – zwei Sklaven, sieben Hottentotten und fünf Hottentottinnen sowie ein paar gezähmte Buschmänner (nicht alle Kinder, die man auf jenem Streifzug vor langer Zeit eingefangen hatte, waren am Leben geblieben) – mussten warten, bis lange nach Einbruch der Dunkelheit die Tagesarbeit getan war, ehe sie sich daranmachen konnten, ein Grab zu schaufeln; die Erde war hart wie Fels. Um die Zeit war der Mond herausgekommen, ein bloßer Lichtsplitter am Himmel, und die Milchstraße war übersät von Sternenstaub, der den Weg bezeichnete, den der böse Gott Gaunab eingeschlagen hatte, als er vom Ort der letzten von vielen mit dem guten Gott Tsui-Goab ausgefochtenen Schlachten floh, um ungesehen in Frieden zu sterben. Sie wickelten den toten Säugling in einen zerlumpten alten Mantel, den man einer Vogelscheuche auf dem Bohnenfeld ausgezogen hatte, und legten ihn an den Rand des flachen Grabes, damit die Männer erst noch Erfrischungen zu sich nehmen konnten, ehe sie mit der Zeremonie weitermachten.
Angeblich gehörten zu diesen Erfrischungen aus Honig gebrautes Karie-Bier, so stark, dass es eine Straußeneischale auflösen konnte, eine gehörige Menge Dagga oder wilder Hanf und ein Schaf, das sie sich aus dem Kraal des Baas geholt hatten (ein Vergehen, das dem Farmer später sicherlich genügend Gelegenheit böte, seine neue Nilpferdpeitsche zu gebrauchen – doch in ihrem Taumel des Trauerns und Feierns konnten sie sich nicht allzu viele Gedanken über das Morgen machen). Schwer zu sagen, ob dies irgendetwas mit dem zu tun hatte, was gegen Ende des Festes geschah, als sich am Himmel bereits der erste blutrote Schimmer der Morgendämmerung zeigte. Doch als die jetzt beträchtlich lauter krakeelenden Arbeiter sich erneut zu dem Grab begaben, neben dem das winzige Bündel nach wie vor geduldig ihrer Rückkehr harrte, nahm das Geschehen eine höchst unerwartete Wendung. Als die kleine, nun völlig hemmungslos singende und tanzende Schar bei dem flüchtig ausgehobenen Loch ankam und die Mutter sich vorbeugte, um ihr totes Kind zur Ruhe zu betten, taumelte sie voll heiliger Scheu zurück. Auf dem unförmigen kleinen, fest in sein Leichentuch aus dem Mantel der Vogelscheuche gewickelten Bündel thronte eine leuchtend grüne Gottesanbeterin, inbrünstig ins Gebet versunken.
Wie jedermann weiß, wird in der Welt der Khoikhoin die Gottesanbeterin als Glücksbringerin verehrt; der afrikaanse Name, hotnotsgot, bedeutet sogar ›Hottentotten-Gott‹. Die Leute wichen, urplötzlich nüchtern, zurück. Dann schlurften sie weg, setzten sich schließlich nieder und warteten. Gerade als die Sonne sich über den niedrigen Hügeln am östlichen Horizont zeigte, stieß einer einen schrillen Schrei aus und deutete mit dem Finger. Alle schauten. Und alle sahen es. Die Gottesanbeterin war verschwunden. Vielleicht war sie gar nicht da gewesen. Nur dass alle sie gesehen hatten. Sie war da gewesen.
Mehr noch – als die Mutter sich ein zweites Mal dem Bündel näherte, regte es sich. Wie um ganz sicherzugehen, dass sie nicht glaubten, sich zu irren, gab es sogar ein schwaches kleines Wimmern von sich. Und als man die schwarzen Fetzen des Vogelscheuchenfracks auffaltete, war der Säugling am Leben und sah sie leicht belustigt an. Die Mutter entblößte eine Brust und presste den Kümmerling dagegen. Unverzüglich begann er, gierig an der Brustwarze zu saugen, die wie der geschuppte Kopf einer Schildkröte an seinem kleinen Mund lag. Mittlerweile stand die Sonne schon zwei Handbreit über den Hügeln, und es war schon weit über der Zeit, zu der man mit der Tagesfron hätte beginnen müssen.
Wie unter einem Bann trudelten die Leute zu dem schmuddeligen kleinen Haus aus unbehauenem Stein, das ihrem Herrn und Meister gehörte. Als sie im Hinterhof anlangten, tauchte er in der Stalltür auf und rieb sich die Augen, als wäre er gerade aufgewacht. Nie zuvor hatte er je verschlafen, und er schien gar nicht zu merken, dass sie alle viel zu spät zur Arbeit dran waren. So wie er auch nie merkte, dass im Kraal ein Schaf fehlte. Wahrhaftig, wunderliche Dinge geschahen in dieser Welt.
»Und das alles nur wegen der Gottesanbeterin«, sagte die Mutter, nicht so sehr, als habe sie sich mit all dem abgefunden, sondern eher hellsichtig-wissend, vielleicht beflügelt von den letzten Resten des Karie-Biers. Und fügte mit einem Blick auf das sich windende kleine Wesen an ihrer Brust hinzu: »Dieser Winzling wird einen langen Weg durch diese Welt gehen. Über die Grenzen dieser Farm hinaus, über die Hügel und Berge, über alles hinaus. Wenn ihr mich fragt – er ist dazu erwählt, ein Mann zu werden wie kein anderer. Er wird nicht so sein wie ich, wie irgendeiner von uns, er wird ein freier Mann sein.«