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11. Die Funkenfrau

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Da es uns um die Wahrheit geht, um die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit, müssen wir hier auch noch etwas anderes berichten. Nicht nur der größte Jäger in diesem Teil der Welt war Kupido, sondern auch der größte Sänger, der größte Geschichtenerzähler und, wenn ihm danach war, auch der größte Frauenheld.

Es begann vor geraumer Zeit. Das erste Mal ist nicht überliefert, aber auch nicht sonderlich wichtig. Es muss in der Zeit vor Servaas Ziervogel gewesen sein, als der Junge im Buschland Ziegen hütete; er bohrte ein fingertiefes Loch in den Sand, benetzte es mit Speichel und schob sein kleines Glied hinein. Nicht besonders aufregend. Als er jedoch eine Woche später mit seiner Ziegenherde an der Stelle vorbeikam, wuchs da eine Pflanze aus dem Loch. Und zwar nicht nur irgendein gewöhnlicher kleiner Ganna-Strauch, sondern etwas, das aussah, als könnte ein Baum daraus werden. Und noch vor Ende des Jahres war es in der Tat ein Baum. Mit einem hohen, geradwüchsigen Stamm, dichtem Laubwerk und Vögeln auf den oberen Zweigen, eine Art Baum, wie man sie in dieser Gegend nie zuvor gesehen hatte. Und binnen kurzem war es nicht nur ein einzelner Baum, sondern ein ganzes Gehölz – ein sicherer Hinweis, dass Kupido seine Talente aufs Äußerste genutzt hatte.

Es besteht keinerlei Notwendigkeit, auf weitere peinliche Einzelheiten einzugehen, doch etwas muss noch erwähnt werden, dass nämlich Kupido in den darauffolgenden Jahren jedes willige Mädchen auf der Farm nahm. Und auch etliche weibliche Tiere aus den Schaf- und Ziegenherden, die drei Puten und was sonst den Göttern beliebt hatte, ihm über den Weg zu schicken.

Irgendwann begann sein Interesse sich auf weibliche Wesen jenseits des Natürlichen auszuweiten. Auf Nixen beispielsweise. Es empfiehlt sich allerdings, sich nicht allzu viele Gedanken über die Vorgehensweise bei einer Vereinigung mit einem Wesen, das bis zum Nabel eine Frau und von da an abwärts eine schuppige Wasserschlange ist, zu machen. Immerhin könnte dies eine Erklärung dafür sein, dass er an dem Tag, als er Servaas Ziervogel vor dem sicheren Ertrinken rettete, ohne vorher innezuhalten und die dort hausende Nixe um Erlaubnis zu fragen, ungeschoren blieb; eine frühere Bekanntschaft mochte für einen glücklichen Ausgang gesorgt haben.

Zu der Zeit, als Kupido sich auf seine Reise mit Servaas Ziervogel machte, war er also wohl gut gerüstet für das, was vor ihm lag. Und während sein Herr und Meister sich darauf beschränkte, gelegentlich eine Witwe oder eine alleinstehende Frau zu trösten, darf man wohl mit Sicherheit davon ausgehen, dass es Kupido nicht an Gelegenheiten mangelte, seine Begierden zu stillen. Wahrscheinlich ist es auch nicht zu weit hergeholt, daraus in Übereinstimmung mit einem angesehenen Wissenschaftler zu dem Ergebnis zu kommen, dass Kupido auf dieser Reise – die, wie wir wissen, vom Jakkals River zum Dwyka River, von da zum Gamtoos River, weiter nach Platbosch und Noupoort, nach Riem und Luiperdskloof, zur Shiny und zur Shallow und zur Bushman Fountain führte – ungefähr 134 Nachkommen zeugte. Ganz abgesehen von der beträchtlichen Anzahl Bäume, die er unterwegs pflanzte.

Nachdem er sich auf der Farm bei Agter-Sneeuberg niedergelassen hatte, arbeitete er weiterhin gewissenhaft darauf hin, seinen Ruf zu festigen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt gaben die Leute es auf mitzuzählen. Tatsache ist, dass es für alle außer ihm allmählich eher langweilig wurde. Bis eines Tages Gerüchte über eine Frau zum Tandjiesberg durchsickern, über eine Frau nämlich, die dafür berühmt ist, es mit jedem Mann aufzunehmen und die auf der anderen Seite des Berges, in Richtung des Plattbergs lebt.

Als er zum ersten Mal diese Geschichten hört, grinst Kupido nur und zuckt die Schultern. Als sie jedoch beharrlich weitererzählt werden, beginnen sie an ihm zu nagen. In seiner Umgebung fangen die Leute schon an zu flüstern: Glaubst du etwa, du seist etwas Besonderes? Eine Frau gibt es, mit der wirst du nie im Leben fertig.

Es nagt und nagt und nagt. Unablässig nagt es an ihm. Genauso lästig, wie wenn ein Krümel in ein Loch im Zahn gerät.

Er beginnt, Erkundigungen anzustellen – vorsichtig zuerst, versteckt, dann immer kecker.

Was bildet diese Frau sich eigentlich ein?

Ihr Name ist Anna Vigilant, berichtet man ihm. Ein Bein von ihr ist lahm, aber was heißt das schon. Der Baas hat sie vor langer Zeit aus dem Buschmännerland mitgebracht, als er losgezogen war, um Kinder einzufangen, die er dann auf seiner Farm für sich arbeiten ließ. Jetzt ist sie eine hervorragende und berühmte Seifensiederin. Doch vor allem, vor allem: eine Frau, die, darauf kann man sich verlassen, jeden Mann aufs Äußerste auslaugt, so dass er am Morgen reif fürs Grab ist. Kein Mann, der sich selbst für einen Mann hält, steht eine ganze Nacht mit ihr durch.

Sagt wer?

Sagen alle, die es wissen müssen.

Jetzt reicht es Kupido. Vielleicht ist es an der Zeit, die Probe aufs Exempel zu machen.

Gut möglich, dass er zu viel getrunken hat. Seit Servaas Ziervogel weitergezogen ist, hat Kupido sich jeder erdenklichen Art flüssiger Erfrischung hingegeben. Aus dem Keller des Farmers, bei dem er derzeit wohnt. Oder Karie. Alles. Gebräue aus Kougoed, Gli- oder auch Daturawurzeln und Ganna-Blättern und Devil’s tobacco, auch Füchsinnenfurz genannt. So stark wie die Lauge, die man zum Seifensieden braucht. Stark genug, um dir die Eingeweide auszubrennen, so dass nur noch schwelende Reste davon übrig bleiben und du am helllichten Tag Sterne siehst. In dieser Stimmung, irgendwo zwischen Sonne, Mond und Sternen taumelnd, fasste Kupido den folgenschweren Entschluss, diese Frau zu treffen. Sie müssen ihre Geschichte hinter sich lassen und einander begegnen, wie sie wirklich sind, nackt, Mann und Frau, Mensch und Menschin.

Keine einfache oder schnell zu lösende Aufgabe. Sie müssen eine Zeit abwarten, wenn alle, die beim Tandjiesberg leben, sich versammeln können, ohne bei den Farmern Verdacht zu erregen. Nur ein Datum kommt dafür in Frage: die paar Tage um Neujahr, wenn alle Farmer eine Ruhepause einlegen und die Arbeit auf der Farm vorübergehend zum Stillstand kommt. Endlose Monate hindurch sind Botschaften ausgetauscht worden, gefolgt von unerträglichem, aufwühlendem Warten.

Was allerdings den anderen nicht viel hilft, denn eines macht Kupido ihnen von Anfang an klar: Diese Begegnung geht einzig ihn und sie etwas an. Die anderen können ihr eigenes Fest feiern, doch das muss getrennt davon geschehen, auf der Farm des Baas, vor ihren Hütten und Verschlägen; er und die Frau aber treffen sich auf dem Berg, wo er nur er sein kann und sie nur sie.

Aber wie werden sie erfahren, was dabei herausgekommen ist?, wollen die Leute wissen.

Das werden sie schon sehen.

Und Kupido schickt der Frau eine Botschaft. Wie sendet er sie? Durch einen Jungen, einige Leute sagen, durch einen Jungen in dem Alter, in dem Kupido mit den Quitten und den Granatäpfeln zur Nachbarsfarm geschickt worden ist.

Andere hingegen sagen: Nein, es war kein Junge.

Was war es denn dann?

Ein Hase natürlich.

O nein, widersprechen wieder andere. Kein Hase. Wie wäre es mit einem Chamäleon?

Nein, kein Chamäleon.

Was dann?

Es war der Wind. Wenn es eine gewichtige Botschaft zu befördern gilt, ist nur auf den Wind Verlass.

Wie bestimmen also: In Ordnung, Kupido sendet seine Botschaft mit dem Wind. Und die Frau bittet den Wind, ihre Antwort zu übermitteln. Sie sagt: Ja. Wir werden uns auf dem Berg treffen, ganz oben, wo eine kleine ebene Stelle ist, so als hätte eine große Hand sie glattgestrichen. In der Nacht, wenn das alte Jahr mit dem neuen verschmilzt.

Das lässt Kupido einige Tage Zeit, um sich zu überlegen, wie er es am besten anstellen soll. Denn in derlei stürzt man sich nicht Hals über Kopf. Ein Leben steht auf dem Spiel. Zwei Leben eigentlich.

Während dieser Zeit des Wartens zieht Kupido als Erstes seinen Spiegel zurate. Dies geschieht eines Abends nach Einbruch der Dunkelheit, beim schwachen Schimmer einer Kerze im Dunkel seiner kleinen Hütte. Er wendet den Rücken dem Eingang zu. Und so geschieht es, dass er, als er so dasitzt und in die verschatteten Augen des Fremden blickt, hinter seinem Kopf eine Sternschnuppe sieht, die zu einem Sprühnebel explodiert. Das ist es wohl, was ihn auf die Idee bringt. Unmöglich zu sagen, wie und wo er die Glühwürmchen findet, noch dazu so viele, und wo und wie es ihm gelingt, sie zu verstecken, aber so ist es nun mal.

Am Silvesterabend sammeln sich dort, wo die Hütten der Arbeiter sich aneinanderdrängen, die Leute, unschlüssig und gehemmt, wie zu einer Taufe, oder einer Hochzeit, oder einer Beerdigung geladene Gäste, die nicht zu beflissen erscheinen wollen. Hier kommen sie alle zusammen, von nah und fern, über Hügel und Ebenen, Bergkämme und Gebirgszüge, Männer und Frauen und Kinder, eine Menschenansammlung, wie es sie noch nie in dieser Gegend gegeben hat, nicht einmal zum Nagmaal, wenn das Abendmahl gefeiert wird. Und es hat sich so ergeben, dass der Mond voll ist, ein Zeichen, dass Heitsi-Eibib und Tsui-Goab beschlossen haben, höchstpersönlich an dem Fest teilzunehmen, etwas, das selbst unter normalen Umständen ein Anlass zum Tanzen und Feiern gewesen wäre.

Als in dieser Nacht der Mond in der Mitte des Himmels thront, stehen die versammelten Leute Reihe für Reihe um den freien Platz vor den Hütten herum. Jetzt taucht Kupido aus seiner Hütte auf und schüttelt jedem einzeln die Hand, als wolle er Abschied nehmen, und macht sich allein auf den Weg, über das kahle Feldland, den Berghang hinauf, als ginge er dem Mond entgegen. Ganz oben, wo der Weg sich abflacht, hat er bereits an den Tagen zuvor aus trockenen Zweigen einen kleinen Verschlag gebaut, nicht gerade geräumig, aber groß genug für zwei; den Eingang verdecken zwei Kuhhäute.

Hier kommt er an, angetan mit seinem Umhang aus Schakalfellen. Und von der anderen Seite des Berges kommt die Frau, von Kopf bis Fuß in ihren Umhang aus Klippschlieferfellen gehüllt. Ein Bein zieht sie nach.

Weit weg, drunten im Farmhof, warten die Leute, es summt wie in einem Bienenstock. Musik ertönt, mit nur wenigen Saiten versehene Ghoeras und Rohrflöten und mit Ochsenhaut bespannte Trommeln. Alles geschieht sehr langsam, sehr überlegt. Keiner hat es eilig. Keiner hört wirklich zu. Alle Ohren sind nach innen gerichtet; dort ist das Schweigen angespannt wie eine Saite. Alles Sprechen ebbt ab, alle Bewegung erstarrt.

Droben auf dem Berggipfel, wo die niedrigeren Sterne grasen, kriechen die beiden Kontrahenten in den Unterschlupf. Keiner von beiden sagt ein Wort. Von jetzt an sind ihre einzigen Zeugen der Vollmond und natürlich die Sterne. Und der Wind höchstwahrscheinlich. Denn falls es der Wind war, der ihre Botschaften hin und her getragen hat, dann wird er auch derjenige sein, der nachher die Geschichte in der Welt verbreitet.

Kaum drinnen, werfen sie ihre Umhänge ab. Beide müssen sie ihren Körper mit Fett und Buchu-Öl eingerieben haben, denn in dem kurzen Augenblick, ehe die Kuhhäute vor den dunklen Eingang gezogen werden, schimmern im Mondlicht nackte Gliedmaßen auf.

Sssssssssssss, zischeln die Sterne, als gösse man Wasser über ihr Funkeln. Ssssssssssssss.

In dem Unterschlupf tanzt etwas wie zwei Wirbelwinde aus Mondlicht und Dunkelheit umher.

Ssssssssssssss.

Die Frau beginnt tief in der Kehle zu summen. Kupido knurrt wie ein Leopard.

In der fernen Ferne, wo die Leute dicht gedrängt warten, schicken die Trommeln ein Donnergrollen gen Himmel, die Flöten singen, die Ghoeras wimmern und brummen.

In der Hütte gibt es nicht Rast noch Ruhe, keinen Augenblick. Der Wirbelwind wirbelt weiter.

Droben beginnt der Mond langsam seinen Abstieg, die Milchstraße dreht sich in einer Spirale vorbei, der Große Jäger schreitet weiter. In dem Unterschlupf wirbeln und drehen sich unaufhörlich die Schatten.

Es ist wohl auf halbem Weg zum Morgen, als etwas Außergewöhnliches geschieht. Als sie noch einmal auf einander zu taumeln und den Umhang streifen, den Kupido abgeworfen hat, packt er, auf unerklärliche Weise, eine Handvoll Glühwürmchen, schiebt seine Hand an die Stelle, wo ihre Körper sich vereinen, und lässt ein Glühwürmchen frei. Es zieht einen kleinen, hell funkelnden Lichtstreif hinter sich her.

Ein Funken!

Sssssssssss.

Eine keuchende, drängende, verworrene Pause. Dann noch ein Funken!

Ssssssssssssssss.

Aus der Tiefe ihre Kehle gurrt die Frau wie ein Nachtvogel, der sich in den Himmel schwingt.

Noch mehr Funken!

Keiner der beiden kann noch viel Kraft übrig haben, trotzdem machen sie weiter. Jetzt. Jetzt. Jetzt!

Ssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssss.

Er brüllt. Die Frau schreit. Und in ihrem Schrei wird sie zu einem Namen: Anna Vigilant.

Er schiebt eine Handvoll Glühwürmchen zwischen ihre Schenkel. Sie knistern wie Sternschnuppen, wie ein Kometenregen am nächtlichen Himmel, der sich an seinen Enden schon rot färbt.

Heeeyyyyy! schreien und brüllen und wettern die Sterne. Anna steht in Flammen! Der Unterschlupf geht in Flammen auf!

Mögen sie auch für einen Augenblick erstarrt sein vor Furcht, es dauert nicht lange. Denn als sie um sich blicken, sind da keine Flammen, die es zu löschen gilt. Die trockenen Zweige des Vortages sind von jungen grünen Schößlingen und Blättern und Blüten überzogen.

Und Kupido Kakerlak und Anna Vigilant tauchen aus der Hütte auf, sittsam wieder in ihre Umhänge gehüllt, Hand in Hand. Gemeinsam gehen sie den Hang hinab, zurück zu den Leuten, wo die Musik immer noch klagt und jubelt, zurück in die Alltagswelt.

Kupidos Chronik

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