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1. Neuerungen in der Wissenschaft und Wandel des Verwaltungsrechts

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Die prägenden Gestalten zum Ende des Zweiten Kaiserreichs und zum Anfang der Dritten Republik waren Léon Aucoc (1828–1910) und Edouard Laferrière (1841–1901). Aucoc, der seit 1869 conseiller d’État war, stieg schon 1872 zum président de section der Baurechtskammer auf. Laferrière, überzeugter Republikaner und Gegner der Kaiserherrschaft, begann seine Karriere dort 1870 und beendete sie mit der Vizepräsidentschaft 1886 bis 1898. Beide waren ohne Zweifel eifrige Fürsprecher dieser Institution und haben, wie ihre bereits erwähnten Vorgänger, bedeutende Studien veröffentlicht. Aucoc verdanken wir die dreibändigen Conférences sur l’administration et le droit administratif (1869), ein Werk, das auf viel Interesse stieß, aber dennoch von Laferrières 1888 in zwei Bänden erschienenem Traité de la juridiction administrative et des recours contentieux in den Schatten gestellt wurde (wobei Letzterer seinem Vorgänger viel verdankt).[52]

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Laferrière entwickelte eine Lehre des Verwaltungshandelns, welche die Unterscheidung zwischen den hoheitlich-anordnenden actes de puissance public und den actes de gestion präzisiert. Diese Dichotomie bestimmt seines Erachtens auch die Zuweisung der gerichtlichen Zuständigkeiten: „Streitigkeiten, die einen acte de puissance publique zum Gegenstand haben, sind ihrer Natur nach verwaltungsrechtlich, Streitigkeiten über die actes de gestion sind es nur aufgrund gesetzlicher Anordnung.“[53] Diese Unterscheidung ist nicht nur der Schlüssel für die Kompetenzzuweisung, sie ist auch Grundlage für die Aufteilung der Rechtsstreitigkeiten in zwei große Felder: Umfassende Rechtskontrolle (pleine juridiction) wird gegenüber den actes de gestion ausgeübt, wohingegen die actes de puissance publique normalerweise nur einer Nichtigkeitsklage unterliegen. Dies ist heute noch Grundgedanke des recours pour excès de pouvoir. Selbst wenn man aufgrund jüngerer Entwicklungen über dessen Einzelheiten diskutieren kann,[54] bleibt er doch ein zentraler Pfeiler des französischen Verwaltungsprozessrechts, aber eben auch eine Eigentümlichkeit: Es geht ausschließlich um die Aufhebung eines Akts aufgrund seiner Rechtswidrigkeit, wegen Verletzung einer Rechtsvorschrift, die sein Urheber beachten musste. Der objektive Charakter dieser Klageart ermöglichte es dem Conseil d’État, eine die Verwaltung bindende Rechtsordnung zu entwerfen und zu systematisieren. Dabei drängte sich freilich die Frage auf, ob es ihm nicht mehr um die Wiederherstellung einer rechtmäßigen Verwaltung als um den Schutz des Einzelnen ging, der keine individuellen Rechte geltend machen konnte und so immer nur Verwaltungsunterworfener (administré) blieb. Das Werk Laferrières stärkt den prozessrechtlichen Zugang zum Verwaltungsrecht und bedeutet so einen „Bruch mit dem damaligen Rechtsdenken“:[55] Laferrière, durch und durch Anhänger der Republik und Liberaler, drängte den Begriff des Verwaltungsakts, der sich auf dessen Funktion der Gesetzeskonkretisierung stützt, in den Hintergrund; er begriff die Verwaltung vom Rechtsschutz her.[56]

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Mehr denn je stellte sich nun die Frage nach der Abgrenzung der verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit gegenüber dem Privatrecht und der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Maurice Hauriou,[57] der sich zunächst der Idee eines auf hoheitlich-anordnende Akte beschränkten Verwaltungsrechtswegs verschrieben hatte, veröffentlichte im Jahre 1899 La gestion administrative – Etude théorique de droit administratif und bezog darin eine ganz neue Position: Auch im nicht-hoheitlichen Handeln, so Hauriou, manifestiere sich die öffentliche Gewalt; sie sei „gar die treibende Kraft der öffentlichen Daseinsvorsorge“. Das schließt auch Verträge zwischen Verwaltung und Bürger ein, bei denen sich eben keine Situation grundsätzlicher Gleichheit findet, wie sie charakteristisch für private Rechtsverhältnisse ist. Konnte es also noch eine privatrechtlich organisierte Daseinsvorsorge geben? Im Anschluss an die Entwicklung der Rechtsprechung, die ihrerseits den bis heute berühmten Schlussanträgen einiger commissaires du gouvernement folgt,[58] definierte Hauriou den Bereich des nicht hoheitlich-anordnenden, aber gleichwohl öffentlichen Verwaltungshandelns (gestion publique) schließlich derart, dass darunter nur die Handlungen fallen, deren Eigenart auf die Inanspruchnahme von Sonderrechten gegenüber dem gemeinen Recht schließen lässt.

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Anhand dieser Diskussion wird erkennbar, dass die Frage der verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit eng verbunden ist mit der Frage, welches (mit den Worten des Blanco-Urteils) „die besonderen Regeln [sind], zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Verwaltung und die Notwendigkeit, die Rechte des Staates mit den Rechten des Einzelnen in Einklang zu bringen“. Welche Erkennungsmerkmale weisen sie auf? Sobald man annimmt, dass die Zuständigkeit dem materiellen Recht folgt, kann das eine nicht mehr ohne das andere gedacht werden. Ohne hier im Einzelnen auf die nach wie vor geführte Diskussion oder die ständig modifizierten Lösungsansätze einzugehen, scheint es dennoch angebracht zu unterstreichen, dass der prozessrechtliche Zugang zu einer Fixierung auf diese beiden Fragen geführt hat und darüber hinaus, zumindest an den rechtswissenschaftlichen Fakultäten, zu einer Wissenschaft, die auf ein Verwaltungsrecht ausgerichtet ist, das nur für einen Teil der Verwaltungstätigkeiten gilt und im Streitfall in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte fällt.

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