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b) Die Hauptmerkmale dieser Werke

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Duguit berief sich auf „die Regeln der soziologischen Methode“ und behauptete, sich jedem metaphysischen Apriori zu verweigern und allein an die Beobachtung gesellschaftlicher Gegebenheiten zu halten. Er verurteilte im Besonderen, was er „individualistische Metaphysik“ nannte: Die Idee von subjektiven Rechten und Willensfreiheit. Genauso wenig wie es Rechte des Individuums gibt, kann es Rechte des Staates, respektive Souveränitätsrechte geben. Damit verwarf er jede Theorie, die dem Staat Rechtspersönlichkeit, ein subjektives Hoheitsrecht oder gar Rechtsetzungsmacht zuerkennt. Das Recht, dem seine Aufmerksamkeit galt, ist dementsprechend nicht positives Recht im Sinne eines von irgendeiner Autorität gesetzten Normenbestands. Ihn interessierte vielmehr das Recht, das spontan aus den Notwendigkeiten des gesellschaftlichen Lebens entsteht. Wie der Soziologe Émile Durkheim glaubte Duguit, dass am Ursprung der gesellschaftlichen Phänomene der Begriff der Solidarität steht: Die gegenseitige Abhängigkeit der Menschen generiert einen „solidarischen Willen“. Dieser äußert sich in einem Korpus von Regeln, welche die Verhaltensweisen, die der gesellschaftlichen Wohlfahrt am förderlichsten sind, festlegen. Dem von ihm abgelehnten Subjektivismus stellte Duguit ein rein objektives Verständnis von Recht gegenüber. Daraus floss seine Definition des service public, die das Konzept der Souveränität als Fundament des öffentlichen Rechts ablösen sollte: Service public ist „jede Tätigkeit, die von den Regierenden [gouvernants] ausgeführt, geregelt und kontrolliert werden muss, weil sie unentbehrlich für die Herstellung und Entwicklung der sozialen Wechselbeziehungen ist und weil sie ihrer Natur nach nur von der regierenden Gewalt in Gänze erledigt werden kann“.[65] Die Regierenden müssen die Aufgabe erfüllen, die sich ihnen stellt. Wenn sie hierzu über materielle Macht verfügen, ist das nicht Ausdruck irgendeines subjektiven Rechts. Es handelt sich vielmehr um die Kehrseite der Pflicht, sich für den Ausbau des gesellschaftlichen Zusammenhalts einzusetzen. Der service public ist gleichzeitig Grundlage und Grenze ihrer Macht: Grundlage, weil alles vom objektiven Recht vorgesehen ist; Grenze, weil daraus folgt, dass jede Handlung der Regierenden ungültig ist, sobald sie ein anderes Ziel verfolgt als dasjenige des service public.[66] Ein solcher Verächter der „individualistischen Metaphysik“ sah sich natürlich dem Vorwurf ausgesetzt, seinerseits in Metaphysik zu verfallen. Wie kann ein Rechtssatz allein aufgrund eines persönlichen Gefühls verbindlich werden? Zu sagen, dass der service public versehen werden muss, reicht nicht, damit dies tatsächlich geschieht. Und was passiert, wenn der Staat das Recht verletzt? Vor allem aber: Was genau sind schlicht und ergreifend die services publics, also die Betätigungsfelder des service public, die unter die besagte Definition fallen?

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Entgegen der Einschätzung Duguits wäre es falsch zu glauben, dass Hauriou den service public aus seinen Überlegungen ausgeschlossen und nur der puissance public Beachtung geschenkt hat. Zunächst einmal war er sicherlich einer der ersten, die das Konzept des service public hervorgehoben haben, lange vor Duguit. Und selbst wenn er den Schwerpunkt auf die Handlungsformen legte und damit auf die hoheitlichen Vorrechte, hat er sie doch nie von den verfolgten Zielen, den zu erfüllenden services publics, isoliert. Er wollte mittels einer Institutionentheorie den Staat einhegen. Dieser ist seiner Ansicht nach eine „hergebrachte gesellschaftliche Organisationsform, die mit der allgemeinen Ordnung der Dinge zusammenhängt, deren Dauerhaftigkeit durch ein Kräftegleichgewicht oder durch Gewaltenteilung garantiert wird und die von sich aus einen Zustand der Rechtsherrschaft begründet“. Der Staat beginnt als „objektive Individualität“, als soziale Realität, die sich schrittweise herausbildet, eine Seinsordnung, die sich allmählich zur Sollensordnung umwandelt, ihre eigenen Regeln erzeugt und vor allem nach einer eigenen Persönlichkeit strebt.[67] Daher rührt im Verwaltungsrecht „der Aufstieg der Lehre von der Verwaltungsrechtspersönlichkeit“. Diese ausbauen heißt den Staat in den Maschen des rechtlichen Netzes einfangen. Es handelt sich beim Staat um eine mit öffentlicher Gewalt ausgestattete Person: „Den Staat zu begrenzen ist nicht dasselbe wie ihn zu zermürben oder zu schwächen.“ Die öffentliche Gewalt darf jedoch einzig und allein im Allgemeininteresse ausgeübt werden: Das Konzept des service public, schrieb Hauriou noch 1927 (in der letzten Auflage seines Précis), soll „die sachliche Selbstbeschränkung der öffentlichen Gewalt“ gewährleisten. Daher kann, von einem juristischen Standpunkt aus, die Verwaltung nicht mehr eine bloße Zusammenfassung verschiedener Tätigkeiten und Handlungsbereiche sein. Sie wird zur „Ausübung der Rechte der Verwaltungsrechtspersonen“, und das Verwaltungsrecht ist der Bereich des öffentlichen Rechts, der die Einrichtung der Verwaltungsrechtspersonen, ihre Befugnisse und deren Ausübung regelt, soweit sie das Funktionieren der services publics und die Aufsicht über die gemeinnützigen Dienste betreffen.[68]

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