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3. Begründung und Ausdifferenzierung der verwaltungsrechtlichen Ausbildung
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Während des 20. Jahrhunderts fächerte sich die Verwaltungsrechtslehre beständig in Teilgebiete auf, die ihrerseits Gegenstand einer mehr oder weniger spezialisierten Ausbildung wurden. Das Phänomen ist zunächst die Konsequenz der Neigung zu einer breiten Ausbildung. Dies verstand sich nicht von selbst, weil das Denken Aucocs und Laferrières zu einer sehr engen Vorstellung vom Verwaltungsrecht führte. „Die gängige Praxis ist es“, so ein Zeitgenosse, „die Ausbildung auf die verwaltungsgerichtlich entschiedenen Fälle zu beschränken [...]. Auch betrachtet man bei uns die Kenntnis der verwaltungsgerichtlichen Organisation und Zuständigkeit als eigentlichen Kern dieses Rechtsgebiets.“[79] Gleichzeitig erwies es sich schon immer als schwer haltbar, dabei stehen zu bleiben. Laferrière selbst vertrat bereits in den ersten Zeilen seines Traités die Meinung, dass das Verwaltungsrecht von zwei Ideen getragen wird, derjenigen der Verwaltung und derjenigen des Rechts: „Zu Ersterer gehört die Beschäftigung mit der Verwaltungsorganisation, das heißt den verschiedenen Organe des öffentlichen Lebens im Staat, dem Département und der Gemeinde, den Aufgaben, die sie erfüllen, und den Mitteln, die dies ermöglichen. Mit der Zweiten korrespondiert das Studium des Verwaltungsprozesses, d.h. der Rechtsstreitigkeiten aus Anlass von Handlungen und Entscheidungen der Verwaltung sowie der Regeln, nach denen sie entschieden werden.“[80]
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Als eigenständiges Rechtsgebiet wurde das Verwaltungsrecht damit Teil eines größeren Ganzen, der „Verwaltung“, ohne dass dieser Bezeichnung eine konkrete juristische Bedeutung zugekommen wäre. Auch bei restriktiver Konzeption ist Verwaltungsrecht das Recht, das die Verwaltung als Ganzes bindet. Dies kommt im Legalitätsprinzip (principe de légalité) als dem Prinzip der Unterwerfung der Verwaltung unter das Recht zum Ausdruck. Zusammen mit dem Begriff des service public erlaubte das Konzept der Rechtspersönlichkeit, dem Verwaltungsrecht seine heutigen Konturen zu geben. Dabei ist zu beachten, dass man von der Verwaltungsrechtsperson (personnalité administrative) im Sinne Haurious zur Person des öffentlichen Rechts (personnalité publique) übergegangen ist. In der Literatur finden sich dazu reichlich nebulöse Verständnisse, etwa dergestalt, dass die personnalité publique mit dem Staat (von dem der Verwaltungsapparat mehr oder weniger klar unterschieden wird), den Gebietskörperschaften oder den öffentlichen Einrichtungen identifiziert wird. Indessen machte es die Einführung des Personenbegriffs möglich, zahlreiche andere Konzepte zu präzisieren, etwa die Dezentralisierung; sie führte aber nicht zur Annahme subjektiver Rechte. Zwar gibt es durchaus verwaltungsrechtliche Klagen, denen man subjektiven Charakter zuschreiben kann (z.B. Staatshaftungs- oder Vertragsstreitigkeiten); der recours pour excès de pouvoir bleibt jedoch objektiv. Die Verwaltungsbehörden werden für die Personen des öffentlichen Rechts aufgrund ihnen zugewiesener Kompetenzen tätig, und die Verwaltungsunterworfenen haben keine subjektiven Rechte, die sie dem entgegensetzen könnten.[81]
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Diese Konstruktion hat, abgesehen davon, dass sie eine fortwährende Debatte über die Definition des Verwaltungsrechts befeuert,[82] zur Unterscheidung zwischen Allgemeinem und Besonderem Verwaltungsrecht geführt (droit administratif général, droit administratif spécialisé). Ersteres wird als das Grundgerüst angesehen, das es zuerst zu beherrschen gilt und dessen Kenntnis Voraussetzung für das Erlernen des Zweiten sein soll. Laut René Chapus umfasst es drei große Bereiche: den allgemeinen Verwaltungsaufbau, die Organisation und den Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie schließlich die allgemeinen Handlungsinstrumente der Verwaltung, wie den öffentlichen Dienst (fonction public) und das öffentliche Eigentum (domaine public). Unter der Bezeichnung Besonderes Verwaltungsrecht firmieren dann die „dem allgemeinen Verwaltungsrecht entwachsenen Bereiche, die gleichwohl ihre enge Verbindung mit Ersterem bewahren.“„Es handelt sich insbesondere um das Recht der verschiedenen services publics, das öffentliche Wirtschaftsrecht, das Baurecht [droit de l’urbanisme] und das Raumordnungsrecht [droit de l’aménagement du territoire]“.[83]
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All diese Spezialgebiete, zu denen noch Spezialisierungen innerhalb des Allgemeinen Verwaltungsrechts hinzukommen, bewirken eine Vervielfachung des Angebots an universitären Lehrveranstaltungen. Insoweit dieses Phänomen von der Veröffentlichung von Lehrbüchern begleitet wird, zeigt sich darin durchaus eine „marktwirtschaftliche Logik, die zur Produktion juristischen Wissens eher in Form von Expertentum als in Richtung allgemeiner Theorie anreizt.“ Man beobachtet also eine technisch-anwendungsorientierte Spezialisierung, begleitet von „zunehmend bereichsspezifischer Literatur, die mit einer mehr und mehr spezialisierten Ausbildung korrespondiert.“[84] Klar ist aber, dass die Geschichte dieser Spezialgebiete eng mit derjenigen des Allgemeinen Verwaltungsrechts zusammenhängt. Zweifellos ist sie sogar einer der Schlüssel zu dessen Verständnis.[85]
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Das Beispiel des öffentlichen Wirtschaftsrechts ist in dieser Hinsicht aufschlussreich. Die ersten Lehrbücher beschäftigten sich mit der Planwirtschaft (économie administrée) nach 1945.[86] Das Rechtsgebiet umfasst Verwaltungsrecht, Verfassungsrecht, Recht der öffentlichen Finanzen, das Recht der Europäischen Union und geht sogar über diese hinaus, schließt aber das Privatrecht nicht ein, was Anlass zu Diskussion gibt. Handelt es sich um ein „Wirtschaftsrecht“ in dem Sinne, wie von einem „Verwaltungsrecht“ gesprochen wird, mithin um ein eigenes Fach? Seine Spezifik ist nicht gerade evident. Demzufolge wurde die Auffassung vertreten, es handle sich eher um ein „öffentliches Recht der Wirtschaft (droit public de l’économie)“,[87] analog zu der Vorstellung vom „Recht der Verwaltung (droit de l’administration)“.[88] Pierre Delvolvé führt aus, es sei das Recht der staatlichen Intervention in den Bereich der Wirtschaft (droit de l’intervention publique en matière économique). Damit taucht allerdings ein neues Problem auf: Verweist der Begriff der „Intervention“ nicht auf eine wirtschaftswissenschaftliche Theorie, den Interventionismus, als Gegenbegriff zum Liberalismus? Laut Martine Lombard wäre es deshalb besser, vom „Recht des öffentlichen Handelns im Bereich der Wirtschaft (droit de l’action publique en matière économique)“ zu sprechen, um jeder Verwechslungsgefahr mit dem „historisch überholten Konzept des Staatsinterventionismus“ vorzubeugen. Und noch eine letzte Abwandlung: Da staatliches Handeln mehr und mehr als „Regulierung“ begriffen wird, bürgert sich die Bezeichnung „öffentliches Recht der Wirtschaftsregulierung (droit public de la régulation économique)“[89] ein. Schon der Ausdruck selbst ist kontrovers, genauso wie seine genaue Bedeutung. Letztendlich verweist er auf das Recht als Ganzes, und der Jurist, jedenfalls sofern empfänglich für den soziologischen Diskurs und verwaltungswissenschaftlich interessiert, kann die rechtliche Regulierung als eine gesellschaftliche Regulierung unter anderen analysieren. So fährt Jacques Caillosse, nachdem er von der „rechtlichen Regulierung sozialer Interaktionen“ gesprochen hat, wie folgt fort: „[…], sofern man diesen Begriff gebrauchen möchte, um die Rolle des Rechts bei der Erzeugung und Perpetuierung des gesellschaftlichen Bandes zu charakterisieren“,[90] einen Begriff, der meilenweit entfernt sei von dem „alten juristischen Konstrukt, das weiterhin ‚Verwaltungsrecht‘ genannt wird, ganz so, als existierte es noch, während es doch mitten in einem Zerfallsprozess begriffen ist.“[91]