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a) Der Entstehungskontext
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Kontext dieser ersten Blüte ist eine Zeitspanne, die vom napoleonischen Konsulat und Ersten Kaiserreich über eine lange Periode der Monarchie, gefolgt von der kurzlebigen Zweiten Republik (1848–1851), bis zum Zweiten Kaiserreich (1870) reicht. Über diesen Zeitraum hinweg veränderte sich die Bedeutung des Conseil d’État grundlegend. Auf Anhieb spielte er eine wesentliche Rolle, eng verbunden mit dem ersten Konsul und später dem Kaiser. Wenn er dann zu Beginn der konstitutionellen Monarchie nur ein „bescheidenes und prekäres Dasein“ fristete,[18] so erlangte er während des Zweiten Kaiserreichs seine glanzvolle Stellung im institutionellen Gefüge zurück. Insgesamt wurde unter den wechselnden, stark exekutivisch geprägten Staatsformen niemals die Notwendigkeit einer beratenden Instanz „für die Ausarbeitung des Rechts wie auch für die Verwaltung des Landes“ bestritten.[19] Im gleichen Maße erstarkte die Rolle des Conseil d’État bei der Behandlung von „Schwierigkeiten auf dem Gebiete der Verwaltung“ im Namen des Staatsoberhaupts. Bereits 1806 wurde innerhalb des Conseil d’État eine Kommission für Rechtsstreitigkeiten geschaffen und damit eine gewisse Trennung zwischen seiner beratenden und seiner rechtsprechenden Funktion vollzogen. Hinsichtlich Letzterer sei bemerkt, dass sie „weniger der Anerkennung und dem Schutz individueller Rechte als vielmehr der Sicherung ordnungsgemäßer Verwaltung“ zu dienen bestimmt war.[20] Dies sollte in der Folge aus einer Perspektive der Rationalisierung des Verwaltungshandelns heraus geschehen, was freilich eine damit korrespondierende Entwicklung des Individualrechtsschutzes nicht hinderte.
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Man kann Letzteres als Effekt einer gewissen Aneignung liberaler Ideen ansehen. Diese orientierten sich am englischen und amerikanischen Vorbild und stellten so das bestehende System in Frage, das sich zwar nicht ernstlich bedroht, aber doch zu einem gewissen Wandel gezwungen sah. Alexis de Tocqueville (1805–1859) zählt mit Sicherheit zu den bedeutendsten Persönlichkeiten in dieser Hinsicht. Die Freistellung der Beamten von der allgemeinen richterlichen Kontrolle und die zweigleisige Gerichtsbarkeit erschienen ihm als etwas Gefährliches, das kein freies Land, kein zivilisiertes Volk zulassen konnte. Vom starken Zentralismus war in dieser Hinsicht keine Abhilfe zu erwarten.[21] Damit wurde die Frage nach der rechtlichen Einhegung der administrativen Gewalt gestellt. Betont wurde auch die politische Bedeutung der öffentlichen Verwaltung: „Man hat sich nicht ausreichend bemüht, die notwendige Verbindung zwischen dem Verwaltungsrecht und dem politischen Recht umfassend zu beschreiben“, stellte Tocqueville 1846 fest.[22] Ein Standpunkt, den Edouard de Laboulaye (1811–1883) nur teilen konnte, seinerseits ebenfalls fasziniert von dem anglo-amerikanischen Vorbild, aber eben auch, es lohnt, dies zu beleuchten, interessiert an Friedrich Carl von Savigny (1779–1861). Darin liegt nur ein scheinbarer Widerspruch: Wo der Blick zurück den „deutschen Freiheiten“[23] gilt, wird er für den Franzosen Teil der Suche nach einem liberalen Leitfaden durch die Geschichte der Institutionen unter dem Ancien Régime.[24]
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Genauso komplex und auf keinen einheitlichen Nenner zu bringen, weil sich überlappend und ineinander verworren, sind die überlieferten Stellungnahmen der Zivilrechtler. Eine davon, wahrlich als harter Kern einer „disziplinären Matrix“ zu verstehen, ist die Aussage von Jean-Étienne-Marie Portalis (1746–1807), die er für die „Maxime aller Länder und aller Zeiten“ hält: „Dem Bürger das Eigentum, dem Herrscher das Reich“. Herrschaft impliziert also „keinerlei Eigentumsrecht und bezieht sich nur auf die unabdingbaren Vorrechte hoheitlicher Gewalt.“[25] Jegliche Personifizierung des Staates wird verworfen; akzeptiert wird nur eine Zivilrechtspersönlichkeit als notwendige Voraussetzung für Sacheigentum, das der Staat gleich einem Einzelnen innehat. Hoheitlich-anordnenden Akten (actes d’autorité) werden die Verwaltungshandlungen ohne solchen Charakter (actes de gestion) gegenübergestellt. Danach kann man den Staat im Sinne von öffentlicher Gewalt kaum als Rechtsunterworfenen denken. Laut Joseph-Marie de Gérando liegt es in der Natur der Sache, „dass die hoheitliche Verwaltung aus Prinzip frei von rechtlicher Bindung ist.“[26]