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1. Im Gefolge der Französischen Revolution

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Auch wenn sich aus dieser Feststellung noch keine methodischen Schlüsse ergeben,[5] so kann sie doch als eine Art Geburtsurkunde dienen. Wenn der Entstehungszeitpunkt der Wissenschaft vom Verwaltungsrecht hier auf die Zeit nach der Gründung des Conseil d’État im Jahre VIII (1799) datiert wird, so mag das vielleicht verwundern: Für viele Historiker schlug „die Geburtsstunde des Verwaltungsrechts unter der monarchie administrative“ und damit schon vor der Französischen Revolution.

[6] Ihre Studien zeigen, dass bereits zu dieser Zeit ein veritabler Korpus von administrativen Regeln entstanden war.[7] Die damaligen Rechtsgelehrten erkannten schnell dessen Eigenart, seinen gegenüber dem „gemeinen Recht“ derogativen Charakter,[8] und fanden in der „Polizei (police)“ den Schlüssel zu einer gewissen begrifflichen Erfassung. Davon zeugt der Traité de la police (1707/1710) von Nicolas Delamare (1639–1723) im frühen 18. Jahrhundert. Das Werk ist eine systematische Bestandsaufnahme der „Polizeigesetze“, die aus einer pragmatischen Perspektive erstellt wurde, für den „Dienst am König und das öffentliche Wohl“. Seine Methode ist historisch. „Meine Absicht war nicht“, schrieb Delamare, „eine bloße Sammlung der Anordnungen und Vorschriften mit Bezug zur Polizei zusammenzustellen, sondern ihre Entstehungsgeschichte nachzuzeichnen.“[9] Es ist freilich allgemein anerkannt, dass der Begriff der „Polizei“ immer mehrdeutig geblieben ist. So kann man ihn sehr weit im Sinne einer das gesamte gesellschaftliche Leben erfassenden „Policey“ verstehen oder sehr eng im Sinne der bloßen Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung. Allerdings wurde er Mitte des 18. Jahrhunderts durch das neue Konzept der öffentlichen Verwaltung verdrängt, welche umfassend definiert werden konnte als „Gesamtheit von Personen- und Sachmitteln, die dazu bestimmt ist, eine gewisse gesellschaftliche Ordnung von Sachen, Rechten und Eigentumsverhältnissen, seien es öffentliche oder private, aufrechtzuerhalten.“[10] Um dieses Ziel zu erreichen, bedurfte es eines besonderen Rechts, eines „politischen Rechts“, Ausdruck der spezifischen Erfordernisse des „Gemeinwohls“, das sich „naturgegebenermaßen“ deutlich vom Zivilrecht unterschied und für das ein besonderer Rechtsweg vorgesehen war. Darüber hinaus waren in einer Zeit, als den Wissenschaften allgemein großes Interesse galt, die Umstände günstig für die Entstehung einer eigenen Wissenschaft, die sich der Strukturierung und Weiterbildung dieses Rechts widmete. Damit verfolgte man schon damals ein Anliegen, das später auch Charles-Jean Bonnin teilen sollte, als er in seinen Principes d’administration publique (3 Bde., 3. Aufl., 1812) das Projekt formulierte, „die Verwaltung als Wissenschaft zu behandeln“, und entsprechend die Notwendigkeit einer systematischen Studie unterstrich, die sich sowohl von „unnützen Theorien“ als auch von bloßen Textsammlungen zum geltenden Recht abhob.[11]

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Die hier aufgestellte These einer späteren Entstehung ist gleichwohl gerechtfertigt, weil trotz allem vor 1789 „sich das Verwaltungsrecht noch nicht zu einer wissenschaftlichen Disziplin im Sinne der Errichtung eines kohärenten Systems von Regeln herausgebildet hatte, im Unterschied zu den Errungenschaften auf den verschiedenen Gebieten des Privatrechts.“[12] Die Bezeichnung „Verwaltungsrecht“ selbst taucht im Übrigen erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf. Nun trifft es zwar zu, dass ab 1789 neue verfassungsrechtliche Grundsätze formuliert wurden: der Vorrang des Individuums, die Herrschaft des Rechts und die Gesetzesbindung der Verwaltung. Doch sollte auch beachtet werden, dass gleichzeitig das Gesetz vom 16. bis 24. August 1790 den Richtern verbot, „in welcher Art auch immer die Verwaltungstätigkeiten zu behindern oder Beamte für ihre Amtshandlungen vorzuladen.“ Eine umfassende Verwaltungsgerichtsbarkeit schien zu dieser Zeit undenkbar.[13] Deshalb verwundert es auch nicht, dass unter napoleonischer Herrschaft trotz mittlerweile beachtlicher Normenfülle der größte Teil der wissenschaftlichen Arbeiten in der Perspektive der alten Studien zur Polizei verharrte.[14] Freilich entstand allmählich eine spezifisch verwaltungsrechtliche Ausbildung. So sah ein Leitfaden der Generalinspektoren im Ausbildungswesen 1807 vor, dass die Professoren des Zivilrechts „eine Vorlesung in französischem öffentlichen Recht im zweiten Studienjahr und eine Vorlesung im Verwaltungsrecht im dritten Studienjahr“ zu halten hatten. Kurz zuvor hatte das Gesetz von 1804 zur Einrichtung von neun Rechtsschulen schon eine „Vorlesung über das Zivilrecht in seinem Verhältnis zur öffentlichen Verwaltung“ etabliert. Diese Vorlesung wurde in Paris für zwei Jahre von Louis Portiez de l’Oise (1765–1810) gehalten[15] und bildete die Grundlage für ein Werk, das zwar nicht ausdrücklich von „Verwaltungsrecht“ spricht, sich aber doch durch die Idee auszeichnet, den Ansatz der justinianischen Institutiones aufzugreifen (mit der Unterscheidung zwischen Personen, Sachen und Arten des Erwerbs). Dies überrascht nicht wirklich, war doch der Rechtslehrer jener Zeit immer Zivilrechtslehrer, der im Rahmen und in den überlieferten Begriffen des römischen Rechts dachte.[16]

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