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Kapitel 11

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Die Augusthitze kam bei den Fenstern der Wohnung herein, Georg hatte seinen Direktorposten inzwischen angetreten. Er hatte ihr auch angedeutet, dass sie ihn bei manchen Abendveranstaltungen durchaus begleiten müsse. Aber er würde sie überall als seine Tochter vorstellen, das sei kein Problem.

Vera verstand nicht gleich, was Georg meinte, erst Georgs seltsamer Gesichtsausdruck zeigte ihr, was wohl die Alternative wäre. Als Geliebte ihres Vaters vorgestellt zu werden, wäre wohl etwas eigenartig. Ihr Vater war ja nicht der italienische Regierungschef, der junge Geliebte überall hin mitnahm.

Heute aber waren sie der Hitze in Wien entkommen und saßen beide bei einem Heurigen in Gumpoldskirchen, einem Vorort südlich von Wien, im Grünen. Der Gastgarten lag unter Arkaden von überhängenden Weinstöcken, die eine angenehme Kühle spendeten. Die Sonne war schon untergegangen und Vera genoss zusammen mit Georg den Tagesausklang. Vera kannte keine Heurigen und war fasziniert von der Art und Weise, wie der Wein serviert wurde, und man sich das Essen am Buffet selbst holen musste. Es gab hier so ganz andere Weinsorten, die sie alle nicht kannte, wie Rotgipfler und frühroten Veltliner, die beide Weißweine waren. Liptauerbrote und Grahamweckerln, sowie große Schnitten von Geselchten wurden über die Theke des Buffets verkauft. Vera lief das Wasser im Munde zusammen, sie hatte den ganzen Tag über nichts gegessen.

Als Georg ein Kuvert aus der Tasche zog, und Vera verheißungsvoll ansah. Ist heute mit der Post gekommen, von der Med Uni Wien. Da dürften deine Zugangsdaten zum Ergebnis des Medizinaufnahmetests drinnen sein.

Vera war wie elektrisiert. Sie hatte ihrem Vater weder von ihrem Traum, noch von der Idee, Publizistik zu studieren, etwas erzählt. Georg war nicht der Mann, der zu solchen Dingen einen Zugang hatte. Vera wusste zwar von Anke, dass Georg einmal vor langer Zeit eine Rückführung in ein Vorleben gemacht hatte, und er sogar von seinen Ängsten vor Feuer dadurch geheilt worden sein sollte. Aber als sie ihn einmal darauf ansprechen wollte, hatte er abgeblockt und erklärt, sie solle nicht jeden Unsinn glauben, der ihr so erzählt werde. Er glaube an die Wissenschaft, an sonst gar nichts. Alles andere sei bestenfalls Aberglaube.

Und Vera war ihr Traum auch nicht klar. Sie wusste nicht recht, was sie davon halten sollte. Ihr Traum war eindeutig auf ihre Zukunft bezogen. Aber war das nicht völliger Unsinn. Es gab doch gar keine Forschung über hybride Mensch-Maschine Wesen. Das war doch nur ihr überlastetes Unterbewusstsein gewesen, die Folgen vom Stress des Aufnahmetests. Andererseits, wenn das mit dem Studienplatz in Innsbruck jetzt wahr wäre, dann … Vera bekam eine Gänsehaut.

„Na, was ist, willst du gar nicht wissen, was drinnen steht“, fragte ihr Vater lächelnd.

„Das ist nervenzerfetzend, vielleicht bin ich durchgefallen“, entgegnete Vera und nahm vorsichtig das Kuvert entgegen und öffnete es. Drinnen war wirklich nur der Zugangscode für das Ergebnis und sonst nichts.

Doch Vera hatte schon ihr Smartphone aus der Tasche gezogen und tippe den Code ein.

Dann wurde sie blass, wie sollte sie das jetzt bloß ihrem Vater erklären, sie hatte einen Studienplatz: in Innsbruck.

Georg sah sie besorgt an: „Vera, wie sieht es aus, sag schon.“

„Ich bin drin, aber in Innsbruck“, sagte sie mit freudloser Stimme, während sie fieberhaft überlegte, wie sie ihrem Vater klarmachen konnte, dass sie nie nach Innsbruck gehen würde, ohne ihm von ihrem Traum erzählen zu müssen.

Sie hatte sich ja ohne sein Wissen bereits an der Uni Wien für die Publizistik Aufnahme angemeldet.

„Um zehn Plätze habe ich das Wiener Kontingent für die EU Ausländer verpasst, las sie ihrem Vater aus dem Internet vor. Das war echt Pech, aber ich will nicht nach Innsbruck.“

Georg dachte bei sich, es sei eine Fügung des Schicksals, wenn Vera jetzt nach Innsbruck gehen müsse. Er, als alleinstehender Witwer mit einer jungen, anziehenden Tochter im gleichen Haushalt, das würde doch Gerede geben. Und so hätte er weniger Probleme, jemanden Neuen kennenzulernen. Denn er fühlte sich durchaus noch nicht alt. Und die Erinnerung an Anke konnte er ja bewahren. Sie würde ihn sicherlich verstehen.

Doch er hatte sich getäuscht. Vera wollte das Medizinstudium hinschmeißen und weigerte sich vehement, nach Innsbruck zu gehen. Plötzlich wollte sie Publizistik studieren, was er überhaupt nicht verstehen konnte. Journalisten waren seiner Meinung nach am unteren Ende der Angesehenheit angesiedelt. Das war mit einem Arzt doch niemals zu vergleichen.

Er hatte seine Tochter schon als Göttin in Weiß gesehen, als hoch angesehene und erfolgreiche Primarärztin. Nun hatte sie die Chance, es wirklich zu werden und jetzt wollte sie alles hinwerfen. Das verstand er nicht. Das konnte doch nicht wahr sein.

Aus dem Weblog von Ali – Eintrag 44

Wir müssen uns tarnen, sagt Tarik, der mit vollem Namen Tarik bin Solman heißt. Er vertraut uns, er ist in Wahrheit geborener Deutscher, der erst spät im Leben die Erleuchtung erfahren hat. Das erwähnte er immer in seinen Freitagspredigten. Sein Hamburger Akzent lässt sich nicht verleugnen.

Aber nur uns erzählt er von seinem früheren bewegten Leben. Er hat aus Deutschland fliehen müssen, die Polizei hat ihn gesucht. Aber gute Freunde einer Münchner salafistischen Zelle haben ihm zur Flucht verholfen und er konnte unerkannt nach Ägypten entkommen. Dort durfte er Arabisch lernen und wurde auf einer islamischen Privatuniversität zum Prediger ausgebildet. Deshalb weiß er alles, was es zu wissen gibt und alles was wir wissen müssen. Wann und wo das Erlebnis seiner Erleuchtung war, wissen wir nicht, gerade über das Spannendste spricht er nicht.

Wir müssen unsere Bärte stutzen. Das ist lästig, dient aber der Tarnung, sagt Tarik. Dabei könnte ich so einen schönen dichten Vollbart haben. Nur in der WG dürfen wir uns das Langhemd anziehen. Außerhalb sollen wir nicht auffallen, sagt Tarik.

Alkohol, Zigaretten und Frauengeschichten sind jetzt tabu. Wir sollen möglichst gar nicht mit Kuffars sprechen, sagt Tarik. Für unseren Lebensunterhalt würde gesorgt. Ich arbeite jetzt auch nicht mehr in der Bäckereikette, dort ist die Sünde zuhause, dort werden auch Produkte verkauft, die nicht Halal sind. Wer sein Leben Allah widmet, ist der bessere Mensch, sagt Tarik.

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