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Kapitel 14

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Einige Wochen waren vergangen, sie hatten das Thema Vera Zimmermann beide nicht mehr angesprochen. Ihr Vater hielt seither eine merkliche Distanz zu Vera und sie hatte verstanden, dass sie sich ihrem Vater nicht so einfach an den Hals werfen durfte.

Die Vorlesungen an der Uni waren interessant, sie hatte viele neue Studienkolleginnen kennengelernt. Georg hatte in seiner Firma viel zu tun, da es dort so manche Leute gab, die dem Norddeutschen nicht wohlgesonnen waren. So kam er oft erst spät abends nach Hause in ihre Hietzinger Villenetage.

Doch insgeheim ließ es Vera keine Ruhe. Sie wollte wissen, wieso sie diese Szene in der Hotelhalle so realistisch vor ihrem geistigen Auge gesehen hatte, obwohl Georg ihr davon doch gar nichts erzählt hatte.

Konnte sie Gedankenlesen? War doch etwas dran an den übersinnlichen Dingen, von denen Anke immer erzählt hatte. Sie musste es herausfinden. Sie war neugierig und fand, das sei eine gute Eigenschaft für eine angehende Journalistin.

Eines Nachmittags, Georg war im Büro, schlich sie daher in sein Arbeitszimmer zu dem Karton mit dem Altpapier. Ein wenig schlechtes Gewissen hatte sie schon, denn wer weiß, welche Liebesbriefe sie dort finden würde, die sie nichts angingen und die vielleicht peinlich waren.

Hatte Georg Anke womöglich manchmal betrogen, wenn er auf Dienstreise gewesen war. Das wollte Vera lieber nicht wissen, aber die Neugier war stärker.

Sie stöberte den Karton vorsichtig Blatt für Blatt durch, um die losen Papiere nicht durcheinander zu bringen.

Hier war auch schon der Zeitungsartikel über diese Frau Zimmermann. Vera las ihn nochmals aufmerksam durch und sah sich das Bild genau an. Keinerlei Erinnerungen stiegen in ihr auf. Das Bild zeigte den Kopf einer jungen hübschen Frau und sonst nichts.

Dann blätterte sie weiter und fand einen weiteren Artikel zu dem Vorfall. Diesmal auf Französisch aus einer belgischen Zeitung. Sie nahm das Blatt und legte es auf den Stapel der gesichteten Blätter und erstarrte.

Panik schnürte ihr den Atem ab, ihr Herz raste und Tränen rannen über ihre Wangen. Es war also doch wahr, sie selbst musste Vera Zimmermann sein, es konnte keinen Zweifel mehr geben, auch wenn sich ihr Verstand noch immer weigerte, das anzuerkennen, aber vor ihr lag der unumstößliche Beweis.

Sie sah eine blutüberströmte Frauenleiche, die ein knallgelbes Minikleid trug, auf einem Betonboden liegen. Die Beine standen in einem seltsamen Winkel vom Körper ab, und das Kleid war über und über mit Blut besudelt. Anstelle des Gesichtes war nur mehr eine blutige Masse zu sehen.

Es war ein Tatortfoto in Farbe und A4 Größe. Und das Kleid war genau das Kleid aus ihren Alpträumen und aus ihrem Flash Back, als ihr Anke das gelbe Ballkleid unmittelbar vor dem Attentat zeigte.

Die Verbindung in ihre Vergangenheit war nun so stark, dass Vera hemmungslos losschluchzte. Der Schleier des Vergessens des Vorlebens war zerrissen. Sie war nur froh, dass ihr Vater sie jetzt nicht sah, denn dann würde auch er wissen, dass sie einmal Vera Zimmermann gewesen war, auch wenn sie sich das nicht logisch erklären konnte.

Leise hörte sie in ihrem Inneren eine bekannte Stimme, „Vera, vergiss die alten Geschichten, du lebst hier in der Gegenwart, das gelbe Kleid ist längst Vergangenheit, es betrifft dich nicht mehr, räum es weg.“

Rasch räumte sie die Sachen wieder in den Karton und verließ so schnell wie möglich das Arbeitszimmer und die Wohnung. Sie brauchte dringend frische Luft und Ablenkung.

Zwei Gassen weiter gab es einen Eingang in den Schlosspark von Schönbrunn. Es würde zwar bald dämmrig werden und der Park dann schließen, aber für eine Runde war noch Zeit.

Doch bald hatte sie den gepflegten Teil des Gartens mit den schönen Beeten und Rabatten hinter sich gelassen und befand sich im bewaldeten wilderen Teil auf einem steil bergauf führenden Weg.

Es war kühl und bewölkt und die düsteren großen Bäume, schon fast ganz ohne Laub, heiterten Vera auch nicht auf. Sie hatte keine Ahnung, wohin der Weg führte, den sie hier rasch bergauf schritt. Sie wollte nur Abstand gewinnen, und hier in der frischen Luft kam es ihr auf einmal so bedeutungslos vor, in einem früheren Leben einmal in ihren eigenen Vater verliebt gewesen zu sein. Gab es überhaupt frühere Leben oder redete sie sich alles nur ein. Vielleicht gab es eine ganz andere Erklärung, wieso sie sich an solche Dinge erinnern konnte.

Sigrid Tatenberg kam ihr in den Sinn. Die alte Freundin ihrer Mutter, die kannte sich mit solchen Sachen aus. Sie beschloss, sie anzurufen und hatte Glück. Sigrid war erreichbar und hatte Zeit für ein Gespräch.

So stand Vera völlig alleine mitten im Waldgebiet des Schönbrunner Schlossparks und ließ sich von Sigrid erklären, was es über Wiedergeburt zu wissen gab. Dabei merkte sie nicht, wie die Dämmerung hereinbrach und es langsam dunkel zu werden begann.

Sigrid bestätigte ihr die Geschichte mit Vera Zimmermann. Sie kannte die Story von Georg. Sie erzählte Vera viel über die Möglichkeit früherer Leben und dass manchmal eben die Erinnerung an besonders einprägsame Ereignisse durchschlagen könne. Und der Tod sei eben eines der ganz einprägsamen Ereignisse in einem Leben. Doch auch bestimmte Orte können einem an andere Leben erinnern. Ob aber nun ein Vorleben im jetzigen Leben noch eine Rolle spielt, hängt davon ab, wen man aus dem früheren Leben trifft. Denn im jetzigen Leben sind die Rollen neu verteilt, ein Todfeind aus einem früheren Leben kann jetzt ein Freund sein, und umgekehrt. Nichts muss so sein, wie wir glauben, dass es ist. Unsere Wahrnehmungsfähigkeit als Mensch im irdischen Körper ist in dieser Hinsicht stark eingeschränkt. Das ist auch zu unserem Schutz. Erst wenn jemand die nötige seelische Reife hat, lockert sich dieser Schutz und er kann plötzlich mehr sehen und erkennt intuitiv Dinge, die andere nicht sehen können.

Anscheinend sei Vera hier gerade an der Schwelle des erweiterten Bewusstseins. Sie müsse sehr vorsichtig damit umgehen, denn es kann gefährlich sein, Dinge zu sehen, die für andere Menschen verborgen sind.

Denn es gibt Leute, die fürchten nichts mehr, als dass ihre Taten ans Licht kommen. Und wer solche Dinge aufdeckt, kann leicht in Lebensgefahr kommen.

Vera dachte an ihren Plan, investigative Journalistin zu werden und begann zu begreifen, welche Chance sie mit so einer Gabe hätte, und welches Risiko sie damit auf sich nähme.

Sigrid wollte sie nur warnen und ihr nichts ausreden, sie sei überzeugt, dass Vera die richtige Wahl treffen würde.

Im Moment sei es sehr sinnvoll, wenn Vera und Georg etwas Abstand zueinander hielten, denn in diesem Leben sollten sie eine Vater Tochter Beziehung haben und sonst nichts. Alles andere sei Unsinn, erklärte Sigrid sehr bestimmt.

Jetzt wurde Vera auch klar, wieso es ihr in Wien an manchen Plätzen so vorkam, wie wenn sie dort schon einmal gewesen war und die ihr irgendwie seltsam vertraut waren. Es war ihr auch viel leichter gefallen, als Georg, sich in der Stadt zu orientieren und zurecht zu finden. Georg brauchte sein Navi, sie wusste es meist intuitiv, ein kurzer Blick auf den Stadtplan genügte und sie hatte den ganzen Weg im Kopf gespeichert und verirrte sich nicht.

Sigrid erklärte ihr, das sei alles ganz normal und fast jeder habe schon ein oder mehrere Vorleben auf Erden gehabt. Sie solle sich dadurch den Kopf nicht voll machen, sondern im Hier und Jetzt leben.

Und erst, als Vera das Gespräch beendet hatte, bemerkte sie, dass es im Hier und Jetzt des Schlossparks schon fast ganz finster geworden war. Der Schlosspark wurde bei Einbruch der Dunkelheit geschlossen, da es keine Parkbeleuchtung gab. Sie musste sehen, wie sie hier rasch herauskam.

Das war nicht einfach, da sie sich hier nicht auskannte. Statt den Weg zurückzugehen, ging sie geradeaus weiter und kam auf eine lange schnurgerade Allee, wo sie einen Ausgang vermutete. Sie ging die Allee entlang, da sie an deren Ende ein großes beleuchtetes Gebäude sah. Das müsse der Ausgang sein, dachte sie.

Doch dann stand sie vor der Gloriette, die sie von Bildern kannte. Kein Mensch war weit und breit zu sehen, nur die Scheinwerfer strahlten mit ihrem hellen Licht das barocke Lustschlösschen oberhalb des Schlosses Schönbrunn an. Der Park lag in tiefster Dunkelheit, und unter ihr erstrahlte die Gartenfassade des Schlosses Schönbrunn am weit entfernten anderen Ende des Parks. Dahinter breiteten sich die Lichter des abendlichen Wiens der Gründerzeit aus. Endlose Reihen von alten Mietskasernen waren im Licht der Straßenbeleuchtung zu sehen.

Aber wo war der kürzeste Weg zum nächsten Ausgang aus diesem Park, dessen Größe sie total unterschätzt hatte. Sie ging um die Gloriette herum und sah, dass sich die Allee fortsetzte und an deren Ende Straßenlaternen zu sehen waren. Dort musste ein Tor sein, welches sich hoffentlich von innen öffnen ließ.

Doch dem war nicht so, zwanzig Minuten später stand sie vor einem verschlossenen Gittertor von sechs Meter Höhe, dessen Gitterstäbe oben nadelspitz ausliefen. Keine Chance, dieses Gitter überklettern zu können. Drüben ging die Straße weiter und führte über eine Brücke. Vera hörte dichten Autoverkehr tosen, konnte aber keine Autos sehen, die Straße musste tiefergelegt sein, schloss sie messerscharf.

Ihr wurde langsam kalt, und es war niemand zu sehen, der ihr in ihrer misslichen Lage hätte helfen können.

Sollte sie einen Notruf über ihr Smartphone loslassen, aber an wen. Ihren Vater anrufen? Was konnte der tun. Die Polizei verständigen, das würde nur Probleme machen. Sie googelte die Webadresse der Schlossparkverwaltung, die sollten sie gefälligst rauslassen. Doch bei der angegebenen Telefonnummer lief nur ein Tonband, das ihr erklärte, außerhalb der Bürozeiten sei niemand erreichbar. Sie solle morgen ab acht Uhr anrufen, dann werde man sich um ihr Anliegen kümmern.

Vera hatte keine Lust, eine kalte Novembernacht im Schlosspark von Schönbrunn zu verbringen und begann, sich mächtig zu ärgern. Keine drei Kilometer von hier wartete eine gut geheizte Wohnung auf sie und ein bequemes Bett. Dass Wien so unfreundlich sein konnte, wäre ihr nie in den Sinn gekommen. Gefangen im Schlosspark und in der Nacht erfroren, das gäbe eine schöne Headline in den Zeitungen und den sozialen Medien, dachte sie frustriert.

Wenn sie ihre Studienkolleginnen aktivierte, würde sie zum Gespött des ganzen Jahrgangs. Das wollte sie denn doch nicht. Und die könnten ihr ja auch nicht über diesen Zaun helfen.

Es musste doch noch einen anderen Ausgang geben. Sie ging die Allee im Dunkeln wieder zurück. Ihre Augen hatten sich an die Finsternis gewöhnt und sie war überrascht, wie gut sie in der Dunkelheit sehen konnte. Das von der Wolkendecke reflektierte Licht der Großstadt sorgte dafür, dass es auch im Park nie ganz dunkel wurde.

Doch die Allee schien kein Ende zu nehmen, die Gloriette war noch weit entfernt und wie sollte es von dort weiter gehen. Das Tor, durch das sie gekommen war, war genauso hoch und links und rechts von einer Mauer begrenzt, über die sie auch nicht klettern konnte. Es würde schwierig werden.

Aber was war das, plötzlich kamen Scheinwerfer direkt auf sie zu. Sie war doch nicht alleine im Park.

Aus dem Weblog von Ali – Eintrag 60

„Ungläubige sind zu töten“, sagt Tarik. Wer nicht den wahren Glauben hat, muss sterben. Ich habe jetzt den wahren Glauben, das hat Tarik bestätigt. Wer sich nicht an die Regeln des Glaubens und die fünf Säulen des Islam hält, der sei des Todes. Wir sind die Auserwählten, die das neue Kalifat errichten werden.

Die Schulungen sind zu Ende, jetzt ist die Zeit der Tat gekommen. Ich will nach Syrien, dort werden Kämpfer gebraucht. Mit der AK 47 die Feinde des Propheten niedermähen, das ist die Aufgabe jedes Kriegers.

Die Köpfungsvideos aus Syrien, die kenne ich schon alle. Ich muss mich beeilen, damit ich dort bin, bevor der Kampf gewonnen ist, denn sonst gibt es nichts mehr zu kämpfen. Tarik hat gesagt, der Sieg steht unmittelbar bevor, wir müssen schnell sein. Wir dürfen auch nicht glauben, was in der Zeitung steht, die IS sei schon fast vernichtet, das ist alles nicht wahr. Die IS kann niemals vernichtet werden, sie lebt ewig.

Wo ist deine Heimat?

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