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»Ich hasse Anwälte«, brummte Fricke, sobald sie das Jugendstilhaus verlassen hatten. »Die produzieren nichts als heiße Luft und Berge von Papier. Ist dir aufgefallen, Brodersen, dass dieser Herzog quasi gar nichts über Wenninger erzählt hat?«

Malin nickte. »Allerdings hat das niemand getan, mit dem wir bisher gesprochen haben.«

»Pah! Die beiden kennen sich seit zwanzig Jahren und da wollen die sich nie über etwas Persönliches ausgetauscht haben?« Fricke schüttelte den Kopf. »Da will uns doch jemand für dumm verkaufen.«

»Du meinst also, Herzog hat was mit dem Mord an Wenninger zu tun?«

»Das hab ich nicht gesagt, Brodersen. Aber sobald wir diese Mitgliederliste haben, werden wir uns jeden Einzelnen von denen vorknöpfen. Und dann will ich wissen, was an diesem besagten Dienstag wirklich vorgefallen ist.« Er warf einen Blick auf die Uhr. »Wir statten jetzt noch Ilse Wenningers Tochter einen kurzen Besuch ab, und dann heißt es auch für uns beide Wochenende. Oder zumindest das, was noch davon übrig ist.« Er öffnete die Tür des Dienstwagens und setzte sich hinters Lenkrad.

»Hast du morgen schon etwas vor?« Malin rutschte auf den Beifahrersitz.

Fricke sah sie argwöhnisch an. »Wieso, willst du mich wieder mit zum Sonntagsessen bei deiner Mutter schleppen?«

»Möchtest du etwa?«, fragte Malin irritiert. Der Gedanke, dass sich jemand freiwillig den steifen Gepflogenheiten ihrer Familie aussetzen könnte, befremdete sie.

»Keine Sorge, Brodersen. Ich habe morgen schon eine andere Verabredung.« Fricke startete den Motor. Dabei grinste er übers ganze Gesicht.

Ruth Wenninger war eine hagere Frau mit verhärmtem Gesichtsausdruck und nachlässig blond gefärbten Haaren. »Sie können Ihren Wisch gleich wieder wegstecken«, sagte sie zu Fricke, der mit gezücktem Ausweis vor ihr stand. »Meine Mutter hat mir schon gesagt, dass Sie hier bald aufkreuzen.«

»Können wir dann vielleicht reinkommen?« Malin spähte an der Frau vorbei ins Innere der Erdgeschosswohnung. Im Flur türmten sich Berge von Zeitungen.

»Wir können auf die Terrasse gehen«, erwiderte Ruth Wenninger. »Gehen Sie einfach durch das Gartentor neben dem Hauseingang. Ich komme gleich hinten raus.« Sie schlug die Tür zu.

»Genauso charmant wie die Mutter.« Kopfschüttelnd folgte Malin ihrem Chef aus dem Haus zu einer Terrasse aus Betonplatten, auf der sich zwei einsame Plastikstühle um einen runden Gartentisch gruppierten. Die Jalousien zum Wohnzimmer waren heruntergelassen. Auf dem Fenstersims stand ein von Kippen überquellender Aschenbecher.

Ruth Wenninger kam aus der Verandatür, schnappte sich den Aschenbecher und setzte sich auf einen der Stühle, ohne den beiden Kriminalbeamten einen Platz anzubieten. Zwischen den Fingern ihrer rechten Hand hielt sie eine Zigarette. »Und was wollen Sie jetzt von mir?«

»Mit Ihnen über den Mord an Ihrem Onkel sprechen«, erwiderte Fricke.

»Den Weg hätten Sie sich sparen können. Ich hatte keinen Kontakt zum – Doktor.« Das letzte Wort stieß sie mit unverhohlener Abneigung hervor.

»Und wie kommt das?«, fragte Malin.

Ruth Wenninger nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette, ehe sie antwortete. »Der Alte hat alles eingesackt, was ging, und uns andere hat er im Regen stehen lassen.« Ihre Stimme war voller Bitterkeit. »Meine Mutter war es, die sich jahrelang um meine kranke Oma gekümmert hat. Sogar den Arsch hat sie ihr abgewischt. Und was war der Dank? Meine Oma hat alles ihrem Kurti hinterlassen. Das Haus, das Geld, einfach alles.« Sie biss sich auf die Unterlippe.

»Gab es dafür einen bestimmten Grund?«, hakte Malin nach.

»Er war der verlorene Sohn, der Goldjunge. Meine Oma wollte auf einen Schlag die vielen Jahre wiedergutmachen, die sie in seiner Kindheit nicht für ihn da war.«

»Aber den Pflichteil haben Sie bekommen?«

»Das hat knapp ausgereicht, um die Schulden meines Ex-Mannes zu bezahlen. Meine Söhne und ich kommen gerade so über die Runden.«

»Was ist mit dem Vater Ihrer Kinder?«

Ruth Wenninger schnaubte verächtlich. »Der hat sich kurz nach der Geburt meines zweiten Sohnes verpisst.«

Fricke zog sich einen der Stühle heran und setzte sich. »Ich kann verstehen, dass Sie wütend sind, Frau Wenninger, aber Ihr Onkel wurde ermordet. Und diesen Mord müssen wir aufklären. Wann haben Sie Ihren Onkel zuletzt gesehen?«

»Bei der Beerdigung meiner Oma.«

»Dann erzählen Sie uns etwas über ihn«, forderte Fricke sie auf.

»Kann ich nicht. Der Name Kurt Wenninger war bei uns zu Hause immer tabu.«

»Was ist mit dem Vater Ihrer Mutter, Ihrem Großvater? Lebt er noch?«

Ruth Wenninger schüttelte den Kopf. »Soweit ich weiß, ist mein Opa schon Mitte der sechziger Jahre gestorben. Ich habe ihn nie kennengelernt.«

»Gibt es noch weitere Verwandte oder Freunde, die uns über Ihren Onkel Auskunft geben können?«

»Ich kann Ihnen da nicht helfen.«

Fricke beugte sich vor. »Sie können oder Sie wollen nicht?«

Ruth Wenninger schwieg.

»Was ist mit Ihren Kindern? Hatten die Kontakt zu Ihrem Onkel?«

Ruth Wenninger nahm einen weiteren Zug von ihrer Zigarette. »Halten Sie meine Kinder da raus. Sie haben den Mann nie kennengelernt.«

Fricke musterte sie. »Wie alt sind Ihre Kinder?«

»Beide volljährig. Aber mein Jüngerer ist sehr krank. Es wäre also schön, wenn Sie ihn in Ruhe ließen.«

»Was fehlt ihm?«

»Das geht Sie nichts an.« Ruth Wenningers Augen wurden schmal. »Ich gebe Ihnen die Adresse von meinem älteren Sohn, auch wenn ich Ihnen jetzt schon sagen kann, dass Sie Ihre Zeit vergeuden. Haben Sie etwas zu schreiben?«

Malin zückte ihr Notizbuch, riss eine leere Seite heraus und reichte sie zusammen mit einem Kugelschreiber an die Frau.

»Sagt Ihnen der Name Michael Baumann etwas?«, fragte Malin, nachdem sie den Zettel mit der Adresse verstaut hatte.

»Wer soll das sein?«

»Das ist der Mann, dem Ihr Onkel sein gesamtes Vermögen hinterlassen hat.«

Ruth Wenninger starrte Malin mit offenem Mund an. »Das glaube ich jetzt nicht!« Dann fiel ihr Blick auf die heruntergeglommene Zigarette in ihrer Hand. Schnell drückte sie den Stummel in den Aschenbecher. Ein Schatten legte sich auf ihr Gesicht. »Also hat er uns zum zweiten Mal beschissen.«

Urplötzlich bekam Malin Mitleid mit der Nichte des Mordopfers. Was wusste sie schon von den Nöten dieser Frau?

Ruth Wennigers zornige Stimme unterbrach sie in ihren Gedanken. »Was ist das für ein Mann, der meinem Onkel wichtiger war als die eigene Familie?«

Das Sandmann-Projekt

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