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8 Der Beginn einer langen Geschichte

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Sam streifte die graue Wollmütze ab, die ihm Emma vor einigen Jahren gestrickt und zu Weihnachten geschenkt hatte. Zusammen mit seiner groben Tweed Jacke legte er sie auf einem Hocker im Flur, ab.

Während er sich zu ihnen setzte, zog er eine Kaffeetasse zu sich heran und trank auch sofort. Über den Tassenrand hinweg,sagte er: „’s bitterkalt draußen.“

„Jetzt erzähl schon von dem Spukhaus, Opa Sam“, bettelte Rufus, der für die Geisterhausgeschichte, sogar sein Buch zugeschlagen hatte; natürlich nicht, ohne zuvor das Lesezeichen zwischen die richtigen Seiten gelegt zu haben.

„Rufus, wie oft muss ich noch …“

„Lass ihn doch, Emma. Waren wir als Kinder nicht genauso? Erinnerst du dich so gar nicht mehr an die Zeit, als wir unseren Eltern an den Lippen hingen, wenn sie uns von irgendwelchen Spukgeschichten erzählten?“

„Sam, ich bitte dich! Du untergräbst meine Erziehung“, entgegnete Emma, teils ernst, teils leicht amüsiert; denn natürlich hatte auch sie nicht, die Tage ihrer Kindheit, vergessen.

Laura sah die Drei der Reihe nach an. „Bitte, Sam. Auch mich würde die Geschichte um das Haus interessieren“, bat sie.

Sam seufzte. Ein Seitenblick auf Emma zeigte ihm, dass es ihr alles andere, als recht war, wenn er die Geschichte des Hauses erzählte. Aber in Anbetracht dessen, dass die junge Frau neben ihm, dort wohnte, in genau diesem Haus … War es da nicht sogar seine Pflicht, ihr von der Vergangenheit des Hauses zu erzählen? Er bat Emma nochmals um eine Tasse Kaffee, um sich anschließend Laura und Rufus gegenüber, geschlagen zu geben. „Wenn es nicht anders geht.“ Sein Blick wanderte zwischen den beiden hin und her. Emma schenkte er ein entschuldigendes Schulterzucken. Nach einem weiteren Schluck aus der Tasse, holte er tief Luft und fing, zu erzählen an: „Wie von euch beiden gewünscht; werde ich euch, die Geschichte des Hauses, erzählen.“

Emma stand auf. Sie legte einige Plätzchen auf einen Teller und hielt ihn Rufus hin. „Rufus, du gehst jetzt bitte auf dein Zimmer. Dort oben kannst du ohnehin besser lesen, als hier unten. Hier wirst du nur durch unser Gerede gestört.“

Rufus sah seine Oma entsetzt an. „Jetzt soll ich in mein Zimmer? Gerade jetzt, wo es doch erst richtig spannend wird! Nein, Omi, ich möchte hier bleiben. Ich will auch wissen, was über das Haus erzählt wird.“

„Nein, Rufus, dafür bist du noch viel zu jung. Deshalb, bitte, nimm den Teller und dein Buch und geh’ nach oben.“

„Oma, bitte …“

„Sofort!“ Emma nahm das Buch und drückte es Rufus in die Hand. Mit hängenden Schultern und Schmollmund verließ er das Zimmer.

„Rufus, wenn deine Oma es erlaubt, kannst du mich heute Mittag doch besuchen kommen. Wie wär’s? Hättest du Lust dazu?“, fragte Laura den Jungen, und sah dabei bittend zu Emma Green.

Sofort blieb Rufus stehen. Ein begeistertes Strahlen setzte sich in seinem Gesicht fest. . „Darf ich, Omi?“

Emma, die ihrem Urenkel so gut wie keine Bitte abschlagen konnte, und dennoch konsequent in ihrem Erziehungsstil war, warf einen hastigen Blick zu Sam. Dieser nickte. „Lass ihn gehen, Emma. Bei Tage ist das Haus keine Gefahr“, stimmte er der Bitte des Jungen, zu.

Notgedrungen gab Emma sich geschlagen.. „Also gut, wenn Mrs. Mac Allister es dir erlaubt; und auch Sam nichts dagegen einzuwenden hat, wie kann ich da noch Nein sagen.“ Ihre Finger fuhren nervös über das Tischtuch. „Wenn es dunkel wird, Rufus, bis dahin, musst du allerdings wieder zurück sein. Ich will nicht, dass du dich dort noch aufhältst, wenn es zu dunkeln anfängt.. Haben wir uns verstanden?“

Rufus nickte strahlend. Bis zur Dunkelheit war es einige Stunden hin. Zeit genug, das Haus kennen zu lernen.

„Sie machen dem Jungen eine Freude, damit. Auch wenn es mir trotz allem, nicht ganz recht ist, Mrs. Mac Allister.“ Resigniert fuhr sie sich über die Stirn. „Doch ich bin eine alte Frau, und wer weiß, vielleicht mache ich mir ja tatsächlich, unnötige Sorgen.“

„Laura. Bitte, sagen Sie doch Laura zu mir. Ich verspreche Ihnen, gut auf Rufus aufzupassen.“

„So sei es denn, Rufus. Du darfst heute Mittag zu Laura gehen, aber nur, wenn du auf der Stelle, auf dein Zimmer gehst. Und vergiss nicht, die Tür von innen zuzumachen. Ich will nämlich nicht, dass du irgendwelche Wortfetzen auffängst, und dir womöglich irgendetwas, zusammenphantasierst. Haben wir uns verstanden?“

„Jawohl, Oma.“ Rufus ging, ohne weitere Widerworte zu geben, nach oben.

Erst als Sam die Tür ins Schloss fallen hörte, wandte er sich wieder Laura zu. „Warum möchten Sie die Geschichte des Hauses erfahren, wenn es Ihnen doch gelungen ist, eine Nacht dort zu verbringen, ohne Schaden genommen zu haben?“

„Weil ich noch einige Nächte mehr, vorhabe, dort zu verbringen. Mir gefällt das Haus.“ Auch sie trank einen Schluck Kaffe. „Ich habe geplant, auf jeden Fall bis Weihnachten, zu bleiben. Vielleicht auch einige Tage länger. Aber das weiß ich noch nicht so genau.“

„Warum wollen Sie in einem Haus bleiben, das keinen guten Ruf hat? Sicher, gestern Abend, da wussten Sie es nicht besser. Aber heute, jetzt, nachdem was Sie bereits gehört haben …“ Emma sah zum Fenster. „Eigentlich spricht doch gar nichts mehr dagegen, dass Sie weiterfahren. Der Schneesturm hat aufgehört“, versuchte Emma, die junge Frau, von ihrem Vorhaben abzubringen. „Es schneit nur noch sehr wenig.“

„Die Straßen sind unbefahrbar, Emma. Vergiss es. Sie muss, ob sie will oder nicht, noch weiter in unserem Dorf bleiben.“

„Aber das heißt doch nicht, dass Laura unweigerlich auch in dem Haus wohnen bleiben muss. Sie könnte doch woanders übernachten.“

„Und wo, Emma? Seit Jahren gibt es keine zu vermietenden Zimmer. Selbst das alte Hotel steht schon lange leer.“

„Sie könnte hier bei uns schlafen. Oben bei Rufus. Ich kann eine Liege vom Dachboden holen.“

„Nein, danke, Emma. Lieb gemeint, aber ich bleibe in dem Haus. So leicht vertreibt man mich nicht“, lehnte Laura, Emmas Angebot ab.

„Das Haus, es steht schon sehr lange leer.“ Sam kratzte sich am Kopf. „Wundert mich ohnehin, dass man es Ihnen zum Wohnen angeboten hat. Muss am Wetter gelegen haben, anders kann ich mir das sonst, nicht erklären.“

„Ich weiß nicht, ob es tatsächlich leer steht. Irgendjemand kommt, um es zu pflegen. Als ich gestern Abend in das Haus kam, war es, als wäre es gerade erst vor Kurzem verlassen worden. Alles war sauber und roch wie frisch geputzt.“ Laura bedankte sich, als Emma auch ihr nochmals Kaffee nachschenkte.

„Das ist auch so etwas Eigentümliches. Das Haus, es verwildert nicht. Gleich, wie unsere Witterung ist, keine Farbe blättert von der Fassade. Nichts, das darauf hinweist, wie alt das Haus schon ist. Es sieht aus, als wäre es gerade erst erbaut worden. Dabei ist es schon fast“, Sam rechnete nach, „weit über siebzig Jahre alt.“

„Es soll erbaut worden sein, kurz, bevor es zum Spukhaus wurde“, flüsterte Emma, so leise, dass Laura sie gerade noch verstehen konnte.

„Fast siebzig Jahre? Ohne, dass es verwittert. Wie ist das möglich?“, wunderte sich Laura.

„Ja, wie ist das möglich?“ Sam sah Laura nachdenklich an. „Diese Frage haben sich schon viele gestellt. Und viele von ihnen sind gestorben, ohne jemals die Antwort darauf, gefunden zu haben.“

„Jetzt übertreib‘ aber nicht, Sam!“ Emmas Augen blitzten.

„Was denn, Emma? Ist es nicht so? Auch unsere Eltern sind gestorben, ohne jemals hinter das Geheimnis des Hauses, gekommen zu sein.“

„Dafür sollen sie aber die Leute gekannt haben, die mit dem Haus und seiner Geschichte zu tun hatten.“

„Und was hat ihnen das genutzt?“ Sam sah Emma beinahe vorwurfsvoll an.

„Nichts hat es ihnen genutzt. Und Laura wird es auch nichts nützen, diese Gerüchte zu hören. Warum kann diese alte Geschichte nur nicht endlich einmal, für immer ruhen, Sam?“

„Solange es das Haus gibt, Emma, wird das Gerede darum, niemals aufhören. Auch, wenn du es nicht wahrhaben willst“, er rührte mit dem Löffel in seinem Kaffee, „das Haus ist unzerstörbar, und das weißt du auch.“

„Sam, ich weiß doch auch nur das, was sich hier jeder erzählt. Ich habe noch niemals einen Fuß in das Haus gesetzt. Auch nicht bei Tage. Ich brauche keinen Geist, der sich an meine Fersen heftet und mir womöglich überallhin folgt.“

„Ach, Emma, das ist doch aber nun wirklich nur Geisterlatein. Eine Geschichte, die sich die Alten damals ausgedacht haben, um ihre Kinder von dem Haus fernzuhalten. Mehr ist da nicht dran.“ Er sah Laura an. Kopfschüttelnd, sagte er: „Dass Sie das Haus haben verlassen können … Dass Sie die Nacht unbeschadet überstanden haben, das grenzt an ein Wunder.“ Wieder kratzte er sich am Kopf. Nachdenklich betrachtete er Laura. „Es gibt eigentlich nur einen Grund, dass Ihnen nichts passiert ist.“

Erwartungsvoll war Lauras Blick auf Sams Lippen gerichtet. „Was für ein Grund könnte das sein?“, fragte sie leise, und ein Schauder, zog sich über ihren Rücken. .

„Der Tod. Sie haben den Tod in Ihrer Nähe.“

„Wie bitte?“ Laura erblasste.

„Verzeihen Sie mir die ungehörige Frage, aber kann es sein, dass vor Kurzem jemand in Ihrer Umgebung gestorben ist? Jemand, der Ihnen wichtig war?“

Laura nickte. „Ja. Mein Verlobter ist gestorben.“ Sie sah von Sam zu Emma, und erzählte ihnen von Frank und dessen schrecklichem Tod.

Christmas Eve

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