Читать книгу Christmas Eve - Angelika Nickel - Страница 12
Оглавление10 Christmas Eve
„Es muss Mitte der Vierziger Jahre gewesen sein. Zu Weihnachten. Christmas Eve.“ Sam sah zu Emma, und auf seine leere Kaffeetasse.
Emma verstand, nickte, stand auf und schenkte Sam nochmals Kaffee nach.
„Das Haus, es war im, wenn die Erzählungen stimmen, im gleichen Jahr erbaut worden. Es sollte ein Haus der Liebe und des Glücks werden. So war es geplant, damals …“ Sam goss sich Milch in den Kaffee, Zucker dazu und rührte nachdenklich um. „Ja, ein Haus der Liebe sollte es sein. Und dann …“ Er schüttelte den Kopf, „dann ist alles ganz anders gekommen.“ Er betrachtete Laura sorgenvoll. Sah, dass sie fröstelte und ihre Schultern zusammenzog. „Kevin Stephens, er hatte das Haus erbaut. Sogar mit seinen eigenen Händen, wie sich erzählt wird.“ Sam blickte zu Emma, die ebenfalls mit zusammengezogenen Schultern dasaß. „Kevin, er war von zuhause her sehr betucht, um es einmal so auszudrücken. Er zählte zum Geldadel. Seinen Eltern gehörte ein Großteil des Landes, und dennoch war er sich nie zu schade, Hand anzulegen, wenn es darum ging, dass tatkräftige Hilfe gebraucht wurde. Nun ja, wie dem auch sei. Es wurde erzählt, dass er auch in die Schule eines Zimmermanns gegangen sein soll, so dass er, zusammen mit einem Architekten, der ein Freund von ihm war, und ein paar Männern aus dem Dorf, das Haus erbaut hatte.“ Wieder sah er zu Laura. „Gebaut für sich und seine Liebe. Viele Kinder wollten sie haben. Zu Silvester planten die beiden, zu heiraten. Der damalige Pfarrer, er soll ihnen sogar schon sein Okay dazugegeben haben. Wie gesagt, alles Gerüchte. Es sind alles nur Gerüchte, Laura, die ich Ihnen erzählen kann.“
„Das macht nichts, Sam. Erzählen Sie bitte weiter.“ Laura nahm einen Schluck aus ihrer Tasse.
„Mary, sie war Kevins große Liebe. Die Leute erzählten, dass er ihr die Sterne vom Himmel geholt hätte, wäre es in seinen Möglichkeiten gestanden. Aber ich schweife ab. Wie gesagt, zu Silvester wollten Kevin und Mary heiraten. Doch daraus sollte nichts werden.“ Er schüttelte gedankenversunken den Kopf. „Tot. Sie waren an dem Silvester, das ihr schönstes in ihrem Leben werden sollte, bereits tot. Beide.“
„Oh mein Gott“, flüsterte Laura ergriffen.
„Sie soll Schauspielerin gewesen sein. So wird sich erzählt“, erklärte Emma und stand auf, um ein paar belegte Brote herzurichten.
Sam nickte. „Ja, Schauspielerin. Wäre sie es nicht gewesen, wer weiß, dann wäre die Geschichte vielleicht ganz anders ausgegangen.“
„Aber, warum?“ Laura traute sich fast nicht, diese Frage zu stellen. Sie schüttelte sich. Ihre Unterarme waren von Gänsehaut übersät. Die Geschichte fesselte sie bereits jetzt schon. Sie durfte gar nicht daran denken, dass von dem Haus die Rede war, in welchem sie zurzeit wohnte.
„Mary, sie war noch nicht bekannt, damals. Ein Neuling, eben. Es war …, sollte ihre erste Rolle sein. Eine Weihnachtsgeschichte, die ein Jahr später in die Kinos kommen sollte. Von daher, was bot sich besser an, als auch in der Weihnachtszeit zu drehen. Es hatte Schnee, soviel sie brauchten.“ Er zeigte über seine Schulter. „In der alten Filmstadt wurde gedreht. Heute ist die Stadt tot und ausgestorben, und so gut wie niemand, erinnert sich noch an sie.“ Sam suchte in der Brusttasche seines Hemdes die Zigaretten.
Emma beobachtete ihn aufmerksam. Als sie erkannte, dass er seine Zigaretten vergessen hatte, stand sie auf und lief in den Flur hinaus. Dort hielt sie für Sam immer eine Notreserve versteckt. Mit einer Zigarettenschachtel in der Hand kam sie in die Küche zurück.
„Dass du es einfach nicht lassen kannst, Sam! Du weißt doch, dass der Doc dir geraten hat, endlich mit dem Rauchen aufzuhören“, schimpfte sie; dennoch schob sie Sam die Packung Zigaretten hin.
„Ich weiß, Emma. Wenn ich’s doch aber nicht lassen kann.“
„Alter Querkopf“, brummte Emma, und machte sich wieder daran, noch weitere Brotscheiben zu belegen.
Sam steckte sich eine Zigarette an, und schob Laura die Packung hin. „Auch eine?“, bot er ihr eine an.
Laura zögerte. „Ich weiß nicht. Eigentlich wollte ich es mir abgewöhnen.“
„Dazu ist morgen auch noch Zeit. Und wer weiß, vielleicht sind Sie in dem Haus noch froh, wenn Sie sich ab und zu an einer Zigarette festhalten können.“
„Sam!“
„Ist ja schon gut, Emma.“
Emma stellte die Platte mit den belegten Broten auf den Tisch und reichte jedem einen Dessertteller.
Laura nahm dankend einen der Teller entgegen. Sie entschied sich für ein, mit Eierscheiben belegtes Brot.
Auch Sam griff zu, unterließ es aber nicht, dabei weiterzuerzählen: „Der Film ist übrigens nie in die Kinos gekommen, und niemand hat Mary jemals als Schauspielerin verehren können. Der Dreh, er stand unter keinem guten Stern.“ Er biss in sein, mit Putenbrust belegtes Brot.
„Das verstehe ich nicht. Was meinen Sie damit?“ Laura nahm sich von den Silberzwiebeln.
Sam schluckte, spülte mit Kaffee nach, und erzählte weiter: „So einige der Filmcrew sind umgekommen. Genaues weiß ich auch nicht; darüber gibt es unterschiedliche Gerüchte. Die einen sagen, dass ein Großteil der Crew verbrannt sein soll, weil eine Gasleitung geleckt und Feuer gefangen hätte. Wieder andere behaupten, dass, während einer Filmszene, die Darsteller verunglückt wären. Oh, Laura, darüber gibt es so viele Gerüchte. Aber ich glaube nicht, dass sie letztendlich weiter von Belang sind. Wesentlich ist, dass Mary an Heiligabend zu Tode gekommen ist, während Kevin im Haus war und auf sie wartete.“ Er sah zu Emma. „Übrigens, auch das Haus in der Filmstadt, in welchem Mary gewohnt hat …, es soll auch heute noch dort stehen …, trotz des Feuers … Eigentlich dürfte es auch dieses Filmhaus nicht mehr geben. Und dennoch, es soll, dem Gerede zufolge, unbeschadet sein. Obwohl auch dieses Haus eigentlich gänzlich niedergebrannt sein müsste.“
„Kevin erfuhr noch in der gleichen Nacht von Marys Tod.“ Emma holte ein Taschentuch aus ihrer Weste. „Wie traurig, ausgerechnet an Christmas Eve vom Tod eines geliebten Menschen zu erfahren.“ Emma schnäuzte sich.
„Das ist ja schrecklich.“ Laura dachte an Frank. Sie wusste, wie es war, jemanden zu verlieren. Sie konnte Kevin nachfühlen. „Was ist aus Kevin geworden?“, fragte Laura und nahm noch einmal dankend, Sams Zigarettenangebot an.
Emma stand auf, häufte die schmutzigen Teller übereinander und stellte sie auf der Spüle ab. Lauras Hilfe lehnte sie energisch ab.
Sam kippte die Asche ab. „Das ist ja das Schreckliche. Er starb noch in der gleichen Nacht. Das Haus“, er sah hinter sich, so, als könnte er auf diese Weise einen Blick zum Haus werfen, „es ist niedergebrannt. Kurz vor oder just um Mitternacht, das weiß ich nicht mehr so genau. Ebenfalls in derselben Nacht.“
Laura schluckte. „An Heiligabend?“
Sam nickte. „Ja, zu Christmas Eve."
Laura nahm einen tiefen Zug. „Aber, Sam, wenn das Haus damals abgebrannt ist, wie kann es sein, dass das Haus, das heute am Dorfrand steht, dass ausgerechnet dieses Haus, verflucht sein soll?“ Laura biss sich auf die Lippe. „Dabei handelt es sich doch ganz bestimmt um ein anderes Haus. Nicht um das, in welchem ich zurzeit wohne.“
„Ich sagte Ihnen doch bereits, dass das Haus auch heute noch so aussieht wie damals. Dass es weder verwittert noch verwildert. Ja, das Haus ist damals in der Weihnachtsnacht abgebrannt. Viele der Bewohner hatten versucht, die Flammen zu löschen. Doch es war, als wäre das Feuer Herr über das Haus. Letztendlich brannte es bis auf die Grundmauern nieder.“
„Es ist derart unheimlich, dass man am liebsten gar nicht darüber reden möchte“, flüsterte Emma.
„Zur Verwunderung der Bewohner des Dorfes, stand am nächsten Morgen das Haus wieder völlig unversehrt an seinem Platz.“
„Wie bitte?“ Lauras Augen weiteten sich.
„Ja, Laura, Sie haben richtig gehört. Das ist auch das Geheimnis des Hauses. Auch heute ist es noch das gleiche Haus wie vor dem furchtbaren Brand. Es hat sich in der gleichen Nacht wieder selbst errichtet. Niemand weiß, wie das vonstatten gegangen sein kann. Manche sagen, dass der Teufel selbst seine Finger im Spiel gehabt hätte. Wieder andere sind der Meinung, dass es Kevins Geist war, der das zuwege gebracht hat. Und dass er seit dieser Nacht in dem Haus auf Marys Rückkehr warten würde.“
„Aber …, wie kann er auf ihre Rückkehr warten? Beide sind doch tot.“ Laura wusste nicht zu sagen, was von der Geschichte, sie überhaupt glauben sollte. Das Ganze hörte sich doch allzu phantastisch an.
„Und das Haus ist eigentlich eine Brandruine, und dennoch steht es dort. Unverwüstet, und so stolz und erhaben, wie es von Kevin einst erbaut worden ist.“ Emma nahm die Tassen vom Tisch und tauschte sie gegen Gläser aus. Gleich danach stellte sie eine Flasche Limonade auf den Tisch, und für Sam Gingerale.
„Sie, Laura, Sie haben Ähnliches erlitten. Ihr Verlobter, auch er ist umgekommen. Auch er ist, entschuldigen Sie bitte die harten Worte, nicht eines natürlichen Todes gestorben.“
„Sam!“
„Nein, Emma, Sie muss es wissen!“ Sam wandte sich wieder Laura zu. „Auch Sie haben Leid erfahren. Der Geruch des Todes, er ist noch ganz frisch. Er haftet noch an Ihnen. Umweht sie, mit jedem Schritt, den Sie machen. Mit der Zeit wird er verblassen, und irgendwann wird er weg sein, und zurück bleibt die Erinnerung an Franks Tod. Aber heute, Laura, heute ist das noch alles ganz nah. Das Haus, Laura, es kann es riechen. Deshalb haben Sie die Nacht unbeschadet in dem Haus verbracht. Das Haus tut Ihnen nichts, dessen bin ich mir sicher. Sie sind eine Leidensgenossin. Deswegen, Laura, glaube ich auch nicht, dass Sie in dem Haus in Gefahr sein werden. Nicht Sie!“ Sam öffnete die Flasche Gingerale.
„Immer wieder haben Leute in den vergangenen Jahren in das Haus einzudringen, oder es gar zu kaufen versucht. Aber, wenn es Ihnen tatsächlich gelungen ist, das Haus lebend zu verlassen, haben die Meisten danach fluchtartig unser Dorf verlassen, ohne auch nur irgendjemandem von ihren Erlebnissen erzählt zu haben. Und es gab auch Tote. Tote, die morgens erfroren, auch im heißesten Sommer, vor dem Haus lagen. Einige von ihnen sollen sogar Brandspuren gehabt haben. Ich selbst habe das nie gesehen, ich kenne das alles nur aus Erzählungen, denn mit den Jahren hat sich niemand mehr auch nur in die Nähe des Hauses getraut. Nur über eines waren immer alle einer Meinung: Dass das Haus erst mit Erwachen der Nacht, zur tödlichen Gefahr wird.“ Emma schauderte.
„Was leicht zu erklären ist, Emma, denn Mary, auch sie ist nachts gestorben, genauso wie Kevin.“
„Oh, oh. Da bin ich gespannt, ob ich heute Nacht überhaupt schlafen kann. Nach so einer Geschichte. Am besten ich suche mir eine Apotheke. Gibt es eine Apotheke im Dorf? Ich gehe und kaufe mir Schlaftabletten, dass ich die Nacht ungestört durchschlafen kann.“ Laura nahm noch eine von Sams Zigaretten. Irgendwie hatte diese Geschichte, sie nun doch bange gemacht.
„Sie brauchen keine Schlaftabletten. Ich gebe Ihnen einen guten Tee mit. Den machen Sie sich, trinken ihn, gut durchgezogen, noch heiß, danach schlafen sie wie ein Lämmchen. Für Rufus mache ich ihn auch immer. Er kann in Vollmondnächten nämlich sehr schlecht schlafen.“
Laura blieb noch eine weitere Stunde, danach verabschiedete sie sich. Weihnachtsdekor brauchte sie nicht mehr zu besorgen, da Emma ihr versprochen hatte, ihr einige Kleinigkeiten zusammenzupacken, die sie Rufus mittags mitgegeben wollte, wenn er ohnehin Laura besuchen kam.
Mit hochgezogenem Kragen, und Vivaldi an ihrer Seite, lief Laura weiter ins Dorf hinein. Beim Krämer kaufte sie sich einige Lebensmittel für die nächsten Tage, wie auch einen Korb, in dem sie ihren Einkauf verstaute. Auch beim Bäcker machte sie Halt. Kaufte Brot und Gebäck, und für mittags, wenn Rufus käme, einige Kaffeeteilchen, von denen sie glaubte, dass sie dem Jungen schmecken könnten.