Читать книгу Todestag - Anna-Lina Köhler - Страница 5

Trugbilder

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Zuerst war es nur ein Wispern, ein leises Rauschen in der Luft. Eine Stimme, die sie kannten, eine Stimme, die sie fürchteten und dennoch bemerkten sie die Bedrohung vorerst nicht. Sie waren blind für das, was lauerte, waren taub für die Gefahr, bis sie nach ihnen rief. Der Schmerz war kurz, aber heftig gewesen und er zwang Enago in die Knie. Sein Körper zuckte und er riss erschrocken die Augen auf. Auch, wenn er diese Macht vorher noch nie am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte, so wusste er doch augenblicklich wer ihn zu peinigen versuchte. Doch der Schmerz versiegte und zurück blieb die Stille. Doch diese Stille hatte nichts beruhigendes, sie war vielmehr der letzte Augenblick, der letzte Moment des klaren Seins. Er rief nach ihm und seine zischende Stimme blieb dabei für den ehemaligen Schattendiener unverkennbar. Es war nur ein Wort, das ihn durchfuhr, nur ein Wort, das er benutzte. Doch dieses eine Wort trieb die Angst in die Seele des jungen Mannes. Es war nicht viel mehr als ein kurzer Laut und dennoch schien es, als ob der Tod selbst nach ihm rief. Es war sein Name. Begonnen hatte es mit Schmerz und enden würde es mit Verlust. Enago kauerte an der Höhlenwand, seine Augen starrten ins Leere. Er wartete, wartet darauf, dass es wieder passierte. Er flüsterte, sein gurgelndes Lachen hatte sich schon längst in seinem Kopf festgefressen, ließ ihn nicht mehr los. Dann rief er. Er rief ihn immer und immer wieder. Es war nur sein Name, doch Enagos Körper spannte sich krampfhaft an, wenn er daran dachte, dass das grausame Flüstern ihn wieder heimsuchen würde. Es kam plötzlich und unerwartet. Zuerst hatten sie es ignoriert, dann hatten sie sich dagegen gewehrt. Doch es war vergebens. Nicht mal das Orakel hatte sich vollkommen von der Höllenbestie abschirmen können. Er war gefangen, ummauert von den Wänden des schwarzen Steins und trotzdem schien er allgegenwärtig. Bald schon fühlten sie sich beobachtet. Seine toten weißen Augen klebten auf ihren Seelen, seine zischenden Laute durchbrachen ihr Gehör. So manches Mal hatte der junge Mann sich gewünscht taub zu sein. Er wollte dieses Wispern verbannen, wollte die Stimme endlich loswerden. Es war unmöglich. Er verfolgte sie. Es war nicht wichtig wo sie sich befanden, es war ihm egal, ob sie schliefen oder wachten. Er war immer da und von Zeit zu Zeit peinigte er sie mit bloßen Worten. Irgendwann hatte Enago festgestellt, dass er auf dem Boden zusammengesunken war, die Handflächen fest auf die Ohren gepresst. Als der Schatten von ihm abließ und er langsam wieder zu begreifen begann, löste er die Handflächen von den Ohren und wischte sich das dunkelrote Blut an der Hose ab. Es gab kein Entkommen, er musste wachsam sein. Er musste ständig aufmerksam sein, um zu vermeiden, dass es ihn um den Verstand brachte. Aber vielleicht war es ja schon zu spät. Vielleicht hatte sie die eiserne Klaue der Bestie schon längst umklammert. Es war kein ruhmreiches Ende, das sie erwartete, sollten sie keinen Ausweg finden. Enago hatte sich immer davor gefürchtet, versucht der Angst den Rücken zu kehren. Manches Mal hatte er geglaubt, das Richtige zu tun und war in Wahrheit feige davongelaufen. Seine Augenlieder flackerten. Er sah auf seine Hand hinab, sie lag erschlafft neben ihm und nur der Zeigefinder der rechten Hand zuckte hin und wieder unkontrolliert. Kontrolle, das war es, was der junge Mann zu verlieren begann. Sie verloren die Kontrolle über ihren Körper, über ihre Gedanken. Sie zwangen den Verstand dazu wach zu bleiben, um den Moment der Überraschung zu vereiteln, wenn er sie wieder heimsuchte. Krampfhaft klammerten sie sich an das letzte bisschen, was von ihren Seelen übrig zu sein schien. Langsam hob Enago den Kopf und blickte zu dem steinernen Thron hinauf. Das Gesicht des Orakels war weiß, ihre haselnussbraunen Augen schienen trübe und kalt. Vorsichtig öffnete sie den Mund, als wollte sie etwas sagen. Doch es drang kein Laut über ihre Lippen. Jedes Wort erstickte in seinem Flüstern. Jeder Schrei nach Hilfe ertrank in seinem gurgelnden Lachen. Der Schatten raubte ihnen nicht nur den Verstand, er begann damit ihren Willen zu vernichten. Er formte sie nach seinen Vorstellungen, sie tanzten an Fäden, waren bald nicht mehr als die hohlen Körper entkräfteter Puppen. Es war das Blut der Gepeinigten, das die Bestie aus dem goldenen Kelche trank. Seine schwarzen Lippen rot, seine weißen Augen voll Freude und Gier. Enago umfasste seine Kehle. Es viel ihm schwer zu atmen, er war wie gelähmt. Das Flüstern würde nicht aufhören. Er würde immer weiter nach ihnen rufen. Er wisperte ihren Namen und ihr Name klang in ihren Köpfen. Seine Stimme fraß sich durch ihr Hirn und der Lebenssaft tropfte ihnen aus den Ohren. Schon bald waren sie nicht mehr dazu in der Lage innerlich Widerstand zu leisten und schließlich begannen sie zu flüchten. Sie verbarrikadierten sich mit dem letzten bisschen Verstand, der ihnen geblieben war, zogen sich in ihre eigene Welt zurück, dort wo ihnen kein Leid geschehen konnten. Der Wahnsinn klopfte selbst dort an die Türen und die Realität verlor an Bedeutung. Alles war wie ein einziger langer Traum. Wie dichter Nebel, zähflüssig, durch den sie sich hin durchzukämpfen versuchten und doch keinen Schritt vorankamen. Ob sie noch lebten? Manchmal blickte der Todesritter zum Orakel hinauf und immer wenn er dachte ihre Leiche vor sich liegen zu sehen, hob sie ihre Brust ein einziges Mal und Kopf zuckte. Eine Hand umklammerte ihre Kehlen, nahm ihnen die Luft zum Atmen, nahm ihre Seelen gefangen und ertränkte sie in des Wahnsinns Gift. Plötzlich betrat eine Gestalt die Höhle und erregte Enagos Aufmerksamkeit. Er blickte ihr entgegen, blickte in das Feuer ihrer roten Augen, das sie verbrannte. Er glaubte sie zu kennen und doch zweifelte er, wer sie wirklich war. Auf dem dunklen Umhang zeichneten sich große dunkle Flecken ab. Sie war bewaffnet. Die schwarzen Klingen ihrer Schwerter schien die Seele selbst aus dem Körper eines Mannes reißen zu können. Er blickte sie an, sah den wachsamen Ausdruck in ihren steinernen Zügen. Die Bestie verschonte sie. Ihr Verstand war klar und obwohl auch ihre Seele am Abgrund des Wahnsinns zu stehen schien war es doch eine andere Art sich zu verlieren. Enago legte den Kopf leicht auf die Seite und schloss die Augen. Natürlich kannte er sie. Jeder kannte sie. Sie war der Tod, der sie alle besuchte. Der Tod, der sein Lied sang.



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