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Leiser Tod

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Es dämmerte. Die Sonne war gerade dabei ihre letzten Strahlen auf die Erde zu werfen, bevor sie sich mit einem letzten Funkeln endgültig verabschiedete. Alles wurde ruhig, alles verstummte. Tag und Nacht gehörten zum Kreislauf der Zeit, schienen gewöhnlich und doch waren sie es sicherlich nicht. Sie boten einander so viele Unterschiede, so viele Gegensätze und doch konnte keines von beidem ohne das andere existieren. Oft erschien der Tag freundlich, hell und klar. Ein leichter Wind war angenehm, ließ die Zweige der Bäume freundlich tanzen. Er fuhr sacht über die Haut, ein Lachen im Ohr. Und was bot die Nacht? Mit dem letzten Licht, das wie die Flamme einer Kerze erstickt wurde, brach die Dunkelheit wie eine Seuche herein. Alles was hell war, ward schwarz und alles was so freundlich erschien, zeigte ein anderes Gesicht. Der Wind wurde zum Sturm. Die Wipfel der Bäume neigten sich der Dunkelheit entgegen wie Diener und kündigten das Unheil an. Die Finsternis zerrte an Gliedern, bis die ersten Tränen kamen. Heiß, kullern sie über zarte Haut, zukünftiger Leichen. Es sind Tränen aus Blut. Und in Zeiten wie diesen war es nicht klug, das Schicksal herauszufordern. Wer den Tod herausfordert und mit ihm zu spielen begann, der musste damit rechnen, dass er verliert. Der Preis für ein gewonnenes Spiel mochte durchaus hoch sein, aber der Preis einer Niederlage war höher und er war immer der gleiche. Die Gestalt stand auf einem Übergang zwischen zwei Türmen. Zwischen der Brücke und dem Boden befanden sich etwa zwanzig Fuß. Unter ihr befand sich eine breite Straße, die von mehreren Fackeln hell beleuchtet wurde. Die Menschen versuchten die Finsternis zu vertreiben, glaubten wirklich, dass sie sich der Macht der Dunkelheit mit ihren lächerlichen Feuern entgegenstellen konnten. Die Gestalt zog sich die Kapuze des pechschwarzen Umhangs tiefer ins Gesicht. Dennoch bot das helle Licht eine durchaus ernst zu nehmende Bedrohung. Angst lässt die Menschen manchmal vergessen, dass sie ihren Verstand gebrauchen sollten und wütende Bauern, die sich blindlings von der Furcht leiten ließen, sollten ihre in dieser Nacht möglichst nicht in die Quere kommen. Sie war nur aus einem einzigen Grund hier. Die Gestalt trat aus dem seichten Licht hinaus, auf die andere Seite der Brücke. Eine kleine Seitenstraße, gerade breit genug, dass zwei Menschen nebeneinander Platz fanden, bot den perfekten Ort für die Tat. Schon nach wenigen Metern war sie in vollkommende Dunkelheit gehüllt. Es gab keinen Zweifel, hier regierte die Nacht. Langsam ließ sie sich auf die Knie sinken, sodass ihr Kopf gerade so über den Rand einer Zinne gucken konnte. Trotz der alles verschlingenden Schwärze, bereitete es ihr keine Probleme, jedes Detail der Gasse wahrzunehmen. Es war dreckig und der strenge Geruch, der dort herrschen musste, wurde mit jedem Windstoß zu ihr hinauf geweht. Den Boden bedeckte eine dünne Schicht aus Glas. In einer Ecke lag der langsam verschimmelnde Körper eines einbeinigen Huhns und einmal glaubte sie sogar mehrere Finger aus einem Riss im Boden hervorgucken zu sehen. Das alles interessierte sie jedoch wenig. Das Rauschen des Windes, fuhr ihr ins Ohr, die Stimmen der Nacht flüsterten ihr leise zu. Sie musste nicht mehr lange warten, er war schon ganz nahe. Die Gestalt nahm einen langen Bogen von ihrem Rücken. Es war ein besonders schönes Stück, aus einem edlen Holz gefertigt. Der Bogen war mit vielen kunstvollen Schnitzereien verziert worden, die silbern glänzten und somit dem Stück ein besonders magisches Aussehen verliehen. Die Gestalt war sofort von ihm fasziniert gewesen, sie hatte die Besonderheit dieser Waffe auf den ersten Blick erkannt. Sein vorheriger Besitzer hatte das nicht. In den Augen der Gestalt, war er somit dieser Waffe nicht würdig gewesen. Die armseligen Versuche einen Pfeil ins Ziel zu befördern hatten das prächtige Stück nahezu beleidigt. Jetzt gehörte der Bogen ihr, genauso wie die Seele des Mannes. Auf ihrem Rücken befand sich ein Köcher, in dem mehrere Pfeile steckten. Das Ende der Pfeile war mit schwarzen Federn geschmückt worden, die tödliche Spitze glänzte im gleichen Silber wie die Verzierungen des Bogens. Sie legte das Geschoss an die Sehne, spannte sie jedoch nicht. Noch brauchte es etwas Geduld. Sie holte tief Luft, schloss kurz die Augen. Sie genoss diesen Moment. Der Moment, bevor es passierte. Sie fröstelte, doch es war ihr nicht unangenehm. Die kalte Nachtluft auf ihrer Haut fühlte sich gut an. Die Gestalt wusste, dass sie nur diesen einen Versuch hatte. Dann musste es geschehen sein. Ein Schuss, der sein Ziel nicht verfehlen durfte. Lautes Lachen drang an ihr Ohr, war wie ein Bote, das sein Kommen ankündigte. Schnell versicherte sie sich noch einmal, dass der schwarze Umhang fest an ihrem Körper saß, ihr Gesicht verdeckte und sie mit der Finsternis verschmelzen ließ. Langsam begann sie damit den Bogen zu spannen. Die Spitze des Pfeils lag auf einer Zinne, hinter der sie sich verborgen hielt. Er war ganz nahe. Plötzlich drang ein anderer Laut an das Gehör der Gestalt und sie zuckte zurück. Es war wieder ein Lachen, doch dieses Mal gehörte es zu einer anderen Person. Er war nicht alleine… Ihre Gedanken rasten, sie musste sich entscheiden. Ein leiser Tod konnte als Unfall gelten. Ein Mord mit Zeugen jedoch konnte zu einem ernsthaften Problem werden. Als die beiden Personen nah genug waren, dass die Gestalt sie erkennen konnten, erschien ein spöttisches Grinsen auf ihrem Gesicht und sie legte den Pfeil wieder an. Die beiden waren jetzt bloß noch knapp hundert Meter entfernt. Das Mädchen mit dem langen blondbraunen Haar und den grünen Augen zupfte immer wieder am Ärmel ihres Bruders herum, während sie mit ihm sprach. Die dunkle Gasse verlieh ihrem Gesicht etwas feinen und zerbrechliches. Sie schien sich nicht vor der Dunkelheit zu fürchten, schien dem düsteren Ort nichts Unheimliches abgewinnen zu können – noch nicht. Der junge Mann neben ihr konnte bloß ein paar Jahre älter sein als sie. Er wirkte deutlich nervöser und trieb seine Schwester immer wieder zur Eile an. Die Gestalt konnte sehen, dass sich seine Hand um den Griff eines langen Dolches gelegt hatte, der an seinem Gürtel hing. Vielleicht hätte er sich in einem echten Kampf eine Zeit lang recht gut behaupten können, aber ein richtiger Kampf hätte einen leisen Tod verhindert. Die beiden waren nun fast in Reichweite. Die Gestalt klemmte das Geschoss fest zwischen Zeige- und Mittelfinger, dann zog sie die Sehne durch. Sie konnte das kühle Metall der Spitze an ihrer Wange fühlen. Wind kam auf, doch sie wusste, dass sie dennoch treffen würde. Ihre Augen zuckten in den Höhlen umher, fanden ihr Ziel. Sie zwang sich zu warten, fixierte ihr Opfer. Das Mädchen ging mit einem schönen Lächeln auf den Zügen die enge Gasse entlang und versuchte immer wieder großen Scherben auszuweichen. Ihre unschuldige Art entlockte der Gestalt ein finsteres Knurren. Sie fühlte sich sicher an der Seite ihres Bruders. Der junge Mann jedoch schien mit jeder weiteren Sekunde, die verstrich immer nervöser zu werden. Sein Blick wanderte zu den Dächern empor, sein Atem ging stockend. Er schien es kaum erwarten zu können ins Licht der Fackeln zu treten, die finstere Gasse zu verlassen und auf der Hauptstraße entlanggehen zu können. Dort, wo auch er sich sicher fühlte. Die Gestalt war bereit, nur noch wenige Schritte. Der Pfeil schien förmlich danach zu schreien, endlich in die Nacht hinaus zu dürfen und endlich erfüllt sich sein Wunsch. Die Finger der Gestalt zuckten zurück und der Tod schoss hinter den Zinnen der Brücke hervor. Der Pfeil durchschlug den Kehlkopf des Mannes. Er hatte keine Zeit zu reagieren, wurde sofort von den Füßen gerissen und noch ehe er mit einem Klimpern auf dem glasbedeckten Boden aufschlug, hatte der Tod ihn mit sich genommen. Der Schrei seiner Schwester zerriss die Nacht. Zufrieden betrachtete die Gestalt, wie sie zu ihrem Bruder stürzte, endlich hatte sie Angst. Nachdem das junge Mädchen den Pfeil entdeckt hatte, sprang sie entsetzt zurück. Tränen flossen ihr übers Gesicht, Tränen der Trauer und der Furcht. Panisch blickte sie um sich, befürchtete, sie könnte die Nächste sein. Und gerade, als sie zur Brücke hinaufblickte, erhob sich die Gestalt und zeigte sich. Die Augen des Mädchens weiteten sich und ein verzweifeltes Wimmern entfuhr ihr. Die Gestalt überlegte, ob sie die Klagelaute der Kleinen ebenfalls mit einem Pfeil ersticken sollte, dann entschied sie sich jedoch dagegen. Sie stieg auf die Zinnen und warf sich den Bogen wieder über die Schulter, dann sprang sie. Kurz bevor sie den Boden erreichte, winkelte sie die Beine an und landete leichtfüßig in der Gasse. Unter ihren Stiefeln zersprangen Scherben. Noch einmal fixierte sie das völlig verzweifelte Mädchen, dann drehte sie sich um und ging. Sie wählte die beleuchtete Hauptstraße – wer sollte sie schon aufhalten?



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