Читать книгу Stationen einer Liebe - Anna-Sophie Wagner - Страница 12
Kapitel 9
ОглавлениеAndreas lag auf seinem Feldbett und versuchte zu schlafen. Die ersten Tage hier hatte er im Lazarett viel zu organisieren gehabt. Er musste sich selber mit den Abläufen vertraut machen und dann auch sein Team einweisen.
Er kümmerte sich sowohl um erkrankte Kameraden, als auch um Zivilisten die vermehrt kamen um sich medizinisch versorgen zu lassen. Heute Nacht als er im Halbschlaf war, wurde er von Hauptmann Berger geweckt. Eine syrische Familie war ins Lager gekommen mit ihrem Sohn und ihrer Tochter. Beide waren in Landminen getreten. Die Tochter hatte zum Glück nur ein paar Splitter abbekommen und Andreas konnte sie an seinen Sanitätsoffizier verweisen. Um den Sohn kümmerte er sich selber. Ihm hatte die Explosion fast das halbe Bein abgetrennt. Er versuchte Alles, um dem Jungen das Bein zu erhalten. Die Familie war völlig aufgebracht und hysterisch. Andreas musste sie von Unteroffizier Meier aus dem Lazarettcontainer entfernen lassen. Drei Stunden später hatte er es geschafft, und das Bein des Jungen hoffentlich gerettet. Als Andreas das Lazarett verließ dämmerte es schon. Viel geschlafen hatte er nicht diese Nacht. Und heute mussten sie zum ersten Mal mit dem Aufklärungstrupp auf Patrouille. Es waren Meldungen über feindliche Stellungen eingegangen und der Aufklärungstrupp sollte nun deren Posten suchen und die vermeintlichen Absichten der gegnerischen Kräfte in Erfahrung bringen. Als Sanitätskräfte hatten sie Befehl mitzukommen um für schnelle medizinische Hilfe im Gefechtsfall zu sorgen. Schon in einer Stunde sollte der Trupp starten. Na ja, wenig Schlaf war er ja von seiner Arbeit im Krankenhaus gewohnt. Trotzdem wollte er wenigstens noch ein bisschen versuchen die Augen zu schließen. Seine Ausrüstung, bestehend aus Waffe, Schutz- und Sanitätsausrüstung hatte er schon bereitgestellt. Interessehalber hatten sie die Ausrüstung gewogen und stellten dann erschüttert fest, dass sie insgesamt 90 kg zu tragen hatten.
Andreas blieb noch kurz stehen bevor er in den Container ging und schaute sich um. Dieses Land – Syrien – war trist und kahl. Ein Teil der Vegetation verbrannt und wüstenartig, der andere Teil mit messerscharfen Felsen übersät. Das Klima hier im Westen war der Übergang zum Trockenklima. Östlich des Küstengebirges wurde es zunehmend trockener und heißer. Es gab kaum Niederschlag. Sie hatten mit Temperaturen zwischen vierzig und fünfundvierzig Grad, manchmal auch mehr, zu kämpfen. Durch die geringen Regenfälle war die Sonnenscheindauer deutlich länger als zu Hause. Vielen Soldaten machte das sehr zu schaffen. Fast täglich hatte Andreas mit Fällen von Dehydratation zu tun.
Jetzt war es Zeit sich hinzulegen. Und so begab er sich zu seinem Feldbett. Er hatte gerade die Augen geschlossen als es eine Detonation gab, welche so laut war, dass er erschrocken hochschoss. Er konnte die Druckwelle unter seinen Beinen fühlen. Seine Kameraden schien das nicht zu stören. Einer von ihnen, Leutnant Böckl, erklärte ihm, dass es sich bei solchen Detonationen meistens um kontrollierte Sprengungen handele. Diese waren hier an der Tagesordnung, so dass wohl deshalb keiner mehr erschrak.
Andreas legte sich wieder zurück. Diesmal ließ er die Augen offen, weil es ohnehin keinen Sinn machte, jetzt noch zu schlafen. Er dachte an zu Hause. Sah Susannes Gesicht. Sie fehlte ihm. Immer wieder musste er an ihre Nacht denken. Er griff nach seinem Rucksack und machte ihn auf um das Foto von ihr herauszunehmen. Gedankenverloren schaute er es an, bis er merkte, dass sich alles in ihm verkrampfte. Er drehte das Foto um, „Das soll dich beschützen und an schöne, glückliche Momente erinnern! Pass auf dich auf!“ Er seufzte tief und schaute hoch zur Decke.
„Oberstabsarzt Falk!“, wurde er unsanft aus seinen Gedanken gerissen. „Finden sie sich mit ihrem Team in fünf Minuten am Sammelpunkt ein!“, brüllte Oberstleutnant Fischer. „Verstanden, Oberstleutnant!“, antwortete Andreas. Fünf Minuten später stand er bewaffnet und bepackt mit einer Gruppe von neun Soldaten an besagtem Ort. „Wir haben hier drei Fahrzeuge“, sagte Oberstleutnant Fischer, der die einzelnen Personen auf die Fahrzeuge verteilte. In das erste musste Andreas mit einsteigen. Sein Team und er wurden getrennt. Es sollte in jedem Fahrzeug medizinische Hilfe für den Notfall vorhanden sein. Dann fuhren sie los. Andreas war nicht wohl.
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Susanne wachte auf, weil die Sonne ihr direkt ins Gesicht schien. Sie öffnete langsam die Augen und ließ ihren Blick über das Restchaos der gestrigen Party schweifen. Da würde heute noch einiges an Arbeit auf sie zukommen. Sie setzte sich auf und stellte ihre Beine vor sich auf den Boden. Irgendwann war sie wohl doch eingeschlafen gestern. Jetzt brauchte sie erst einmal einen Kaffee. Deshalb stand sie auf und machte sich auf den Weg Richtung Küche. Mhh, köstlich, irgendwer hatte wohl schon die gleiche Idee – es roch nach Kaffee. Sie sah Eva in der Küche. Eva, blickte auf, als sie Susanne sah. „Guten Morgen!“, sagte die. „Guten Morgen!“, antwortete Eva. Schon wieder dieser -Ich weiß alles-Blick, dachte Susanne. „Wie habt ihr geschlafen?“, fragte Susanne. „Wir prima! Und du?“, antwortete Eva mit ihrem Röntgenblick. „Auch, gut“, log Susanne. „Kaffee?“ „Furchtbar gerne!“, sagte Susanne. Eva stellte zwei Tassen auf den Esstisch. Dann setzten sie sich. „Schöne Party gestern, oder?“, meinte sie. „Ja das war sie. Alle haben sich so viel Mühe gemacht!“, pflichtete Susanne ihr bei. „Und, wie fühlt man sich so als frischgebackene Anwältin?“ Daran hatte Susanne gar nicht mehr so richtig gedacht. Wie fühlte sie sich eigentlich als Anwältin? Sollte sie jetzt nicht ausflippen vor Glück und sollte sie sich jetzt nicht einfach befreit fühlen? „Ehrlich gesagt kann ich es gar nicht in Worte fassen. Es war alles ein bisschen viel!“, antwortete sie deshalb. „Was war ein bisschen viel? Das Lernen, die Aufregung, oder ist da noch was Susanne?“, Eva konnte jetzt nicht mehr an sich halten. „Du hast am Telefon gesagt, da wäre etwas anderes, willst du drüber reden?“ „Noch nicht Eva, lass mich das alles noch ein bisschen verdauen, ja?“, versuchte Susanne sich aus der Befragung zu befreien. „Okay, du weißt ich bin da, oder?“, erinnerte sie Eva. „Ja, ich weiß, danke!“
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Andreas und sein Team waren von ihrem ersten Einsatz heil zurückgekehrt. Und es wartete eine Menge Arbeit. Vorher hatte er aber noch etwas zu erledigen. Die ganze Zeit schon wollte er einen seiner Kameraden fragen, wie es sich hier mit dem Telefon und Internet verhielt. Er suchte nach Leutnant Böckl. „Leutnant Böckl, wo muss ich hier ein Telefonat anmelden?“ „Jetzt schon? Sie sind eineinhalb Wochen da! Das dürfte schwierig werden, die Warteliste ist lang“, erwiderte der ihm. „Sie müssen zur Streitkräftebasis gehen. Diese befindet sich in dem mittelgroßen Container rechts vom Hauptcontainer. Die Streitkräftebasis ist zuständig für den zentralen Unterstützungs- und Dienstleistungsbereich. So auch das Nachrichtenwesen, Logistik, Geoinformationen usw.“, erklärte ihm Leutnant Böckl. „Danke Böckl!“, antwortete Andreas und lief Richtung Streitkräftebasis.
In besagtem Container angekommen suchte er nach einem Ansprechpartner. Den fand er in Offizier Sommer. „Was kann ich für sie tun Oberstabsarzt Falk?“, fragt sie. „Wann und wie kann ich telefonieren?“, stellte er seine Frage. „Wie lange sind sie jetzt hier?“ „Eineinhalb Wochen!“, antwortete er. „Hmm, dann müssen sie leider noch ein bisschen warten – die Liste, ihrer schon angemeldeten Kameraden, ist sehr lang.“ Na Prima! Andreas hatte gedacht – das wäre einfacher. Offizier Sommer musste wohl seinen Gesichtsausdruck gedeutet haben und fuhr fort: „Wissen sie, es verhält sich so. Sie melden sich für ein Telefonat zu einem bestimmten Termin an. Wenn dieser Termin noch frei ist – gehört er ihnen. Falls dann, zu diesem Zeitpunkt alle Leitungen frei und nutzbar sind, was das eigentliche Problem in dieser Region hier ist, – steht einem Anruf nach Hause nichts im Wege. Die Bundeswehr trägt die Kosten für ein Telefonat pro Monat. Die restlichen Telefonate gehen auf ihre Kappe“, unterrichtete sie ihn weiter. „Falls es sich um eine dringende Angelegenheit handelt – was nur in äußersten Ausnahmefällen angenommen wird – kann ihr Telefonat Wunsch auch vorgezogen werden“, teilte sie ihm weiter mit. „Ich würde gerne meine Freundin anrufen“, erklärte er. „In diesem Fall, Oberstabsarzt Falk, muss ich sie fragen, ist ihre Freundin auch gleichzeitig ihre Lebensgefährtin? Ich meine, unterhalten sie beide einen gemeinsamen Haushalt?“ „Was?“, fragte Andreas perplex. Näher führte sie aus: „Es ist so nur unter dieser Voraussetzung wird ihre Freundin als Familienmitglied anerkannt. Ich rate ihnen hier, die Wahrheit zu sagen, weil wir bei ihrem Anruf die Telefonnummer abgleichen werden.“ „Nein wir unterhalten keinen gemeinsamen Haushalt!“, erwiderte er wütend und verständnislos. „Das bedeutet, sie gehört nicht zu den Familienmitgliedern. Es wird ihnen hier über Telefon und Internet ausschließlich der Kontakt zu ihrer Familie zugestanden.“ „WARUM das denn?“ „Grund ist die Anzahl der hier stationierten Soldaten. Es kann nur selten eine wirklich sichere Verbindung nach Deutschland gewährleistet werden. Stellen sie sich vor, jeder hätte die Möglichkeit, so oft und egal wen anzurufen. Wir hätten nicht die Zeitfenster dafür und auch nicht die Kontrolle darüber. Und wir könnten die Sicherheit hier nicht mehr gewährleisten!“ „Das bedeutet also ich kann nur meine Eltern und Geschwister kontaktieren?“, hakte er jetzt weiter nach. „Ja genau!“, antwortete Offizier Sommer. „Gut, wenn das so ist dann möchte ich mich am fünfzehnten August“ – es war der Hochzeitstag seiner Schwester und Martin – „für ein Telefonat anmelden.“ „Fünfzehnter um vier Uhr nachmittags wäre möglich!“, bot sie ihm an. „Ja den nehme ich!“, sagte er dann. „Oberstabsarzt Falk, ich benötige hierfür die Kontaktdaten der anzurufenden Person, Geburtsdatum, familiäres Verhältnis, und so weiter.“ Andreas gab ihr die gewünschten Daten. Dann fragte er weiter: „Wie verhält es sich mit Anrufen von meinen eigenen Handy aus? Oder SMS? Darf ich das?“ Offizier Sommer antwortete prompt: „Nun dafür würden sie ja wieder unsere Leitungen nutzen, nicht? Ist grundsätzlich solange möglich, bis das Netz überlastet ist. Und nun stellen sie sich vor, jeder hier würde telefonieren oder SMS schreiben, wie lange denken sie, würde dann unser Netz halten?“ „Ich habe verstanden!“, erwiderte Andreas nun und stapfte wütend davon.
Er hatte sich so gewünscht wenigstens Susannes Stimme zu hören. Sie fehlte ihm. Er fühlte sich so leer ohne sie, stand irgendwie neben sich. So ein Mist. Jetzt konnte er nur noch Briefe schreiben. Soweit er wusste, wurden diese stichprobenartig von irgendeinem Kontrollteam geöffnet. Man musste also aufpassen, was man schrieb. Sobald er heute Abend Zeit fand, wollte er sich trotzdem daran machen. Jetzt musste er erst einmal ins Lazarett und was ihn dort erwartete ließ den Abend in weite Ferne rücken.
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Die Sonne schien und die Kinder hatten Hitzefrei bekommen. Problematisch für Susanne, denn sie arbeitete jetzt in der Anwaltskanzlei. Es war ihre erste Woche. Die Kollegen und Chefs waren auf den ersten Blick alle sehr nett und hilfsbereit. Jetzt musste sie sich dringend um einen Babysitter kümmern. Gott sei Dank hatte Eva, nach der Elternzeit, noch nicht wieder angefangen zu arbeiten und war außerdem im Mutterschutz. Gut war, ihre Kinder und Mia gingen in dieselbe Schule. Also wählte sie Evas Nummer. „Eva? Du ich bin in der Kanzlei, und Mia hat hitzefrei. Könntest du sie vielleicht mit zu dir nehmen, bis ich Schluss habe?“ „Ja natürlich – du kannst dich auf mich verlassen. Wenn du schon gerade dran bist, was hältst du davon, gleich zum Abendessen zu bleiben? Wir grillen und das Wetter ist perfekt. Mia hätte bestimmt auch Freude“, schlug Eva vor. „Gerne!“, antwortete Susanne.
Vier Stunden später, saß sie auf der Terrasse ihrer besten Freundin in der Sonne und ließ ihren Arbeitstag Revue passieren. Sie hatte die letzte Nacht wieder ziemlich unruhig geschlafen. Andreas war nun schon über eine Woche weg und er fehlte ihr mit jedem Tag mehr. So schnell wie möglich wollte sie ihm schreiben. Bei dem Gedanken an ihn wurde sie traurig. Nicht jetzt Susanne. Genieß die Sonne, das Grillen und die Zeit mit Eva und Alexander, versuchte sie sich einzureden. Ja, Eva hatte ihren Alexander. Das hatte ihr bisher nie etwas ausgemacht. Aber heute. Ihr Empfinden hatte sich verändert. Eva wusste das bestimmt gar nicht zu schätzen, dass Alexander immer bei ihr war. Jetzt wurde sie auch noch unfair. Hör auf damit Susanne sagte sie sich.
„Mama!“, Mia kam ganz außer Atem auf sie zu. „Hallo Maus! Mach mal langsam, du bist ja ganz außer Atem!“, bremste sie ihre Tochter. „Mama es ist heiß und ich hab jetzt keine Zeit – Kathrin, Christian und ich, wir füllen gerade den Pool nach“, sagte sie geschwind. „Habt ihr so viel Wasser rausgespritzt?“, fragte Susanne noch aber Mia war schon weg.
Eva kam, einen Salat tragend, aus dem Haus. Zwischenzeitlich war sie schon fünf Tage über dem Geburtstermin und kugelrund. Es konnte jeden Moment losgehen. Aber sie behauptete sie merke noch gar nichts. „Kann ich dir noch Etwas helfen Eva?“ „Nein, nein, alles fertig, danke!“ Es klingelte – Stefans Arbeitskollege Jan war auch eingeladen. Typisch Eva eben – selbst in ihrem Zustand, konnte sie es nicht lassen, und versuchte schon wieder, Susanne zu verkuppeln.
Eva hatte in der Tat Alexander gebeten, Jan auch einzuladen. Er war alleine und hatte einen Sohn, der alle zwei Wochen am Wochenende bei ihm war. Jan und seine Frau hatten sich vor zwei Jahren getrennt. Eva machte sich Sorgen um Susanne und dachte, dass sie vielleicht einfach zu einsam war und viel zu viel um die Ohren hatte. Und sie hatte keinen Partner, der sie unterstützte. Das war zuweilen bestimmt sehr anstrengend. Und jetzt da die Lernerei endlich vorüber war – hatte Susanne eigentlich wieder Zeit für eine Beziehung, dachte sie sich. Sie sah ihre beste Freundin an. Ja Susanne sah wirklich richtig blass aus seit der Prüfung.
Weil Freitag war, konnten Susanne und Mia ein wenig länger bleiben, was vor allem die Kinder, supertoll fanden. Susanne beobachtete Eva und Alexander. Sie harmonierten so gut – es ging Alles, Hand in Hand bei den beiden. Man konnte ihre Liebe deutlich sehen. Und Alexander war sehr darauf bedacht, dass Eva in ihrem Zustand nicht zu viel machte.
Susanne unterhielt sich mit Jan. Er war Elektroingenieur bei einer renommierten namhaften Firma in München. Sie fand ihn sympathisch und sehr nett. Man konnte sich gut mit ihm unterhalten. Wäre da nicht Andreas – wer weiß. Aber Andreas hatte den Platz in ihrem Herzen bereits vollständig in Beschlag genommen.
Sie musste mit Eva reden, nicht dass Jan sich auch noch falsche Hoffnungen machte, oder sie ihr noch weitere Kandidaten vorsetzte.
Alles in allem wurde es aber ein richtig schöner Abend. Um neun brachen Mia und Susanne dann nach Hause auf. „Falls heute Nacht irgendetwas ist Eva, melde dich, ich pass auf die Kinder auf, dann kann Alexander mit ins Krankenhaus, okay?“, bot sich Susanne an. „Ja ich weiß – ich melde mich, aber ich glaube nicht, dass was sein wird“, entgegnete Eva. Neugierig fragte sie Susanne: „Wie hat dir der Abend gefallen Susanne? Wie findest du Jan?“ „Eva der Abend war wunderschön und Jan ist wirklich nett. Sehr nett sogar!“, antwortete Susanne wahrheitsgemäß, was Eva ein Schmunzeln aufs Gesicht zauberte. Aber gleichzeitig erkannte sie, dass da noch etwas fehlte und sagte deshalb sofort: „Aber? Da ist doch eines oder?“ „Ja es gibt ein Aber. Es gibt da jemand anderen“, gab Susanne zu. „Es gibt jemanden ANDEREN? Warum weiß ich nichts davon? Wo steckt er die ganze Zeit? Du veräppelst mich doch, willst nur nicht verkuppelt werden!“, bohrte Eva. „Nein, es gibt ihn wirklich. Er heißt Andreas“, bekräftigte Susanne ihre Aussage.
Eva überlegte, Andreas? – Andreas, den Namen hatte sie schon einmal gehört. „Ist das der aus der Tram?“, vermutete sie nun. „Ja der aus der Tram!“, stimmte ihr, Susanne zu. „Und, bist du glücklich mit ihm?“, wollte Eva nun wissen. Und da waren sie wieder, die Tränen, die Susanne dauernd versuchte zurückzuhalten. Eigentlich dürfte sie schon gar keine mehr haben, soviel wie sie die letzte Zeit geweint hatte. Eva sah sie an. „Mäuschen! Oh, Mäuschen – hat er dir wehgetan? Wenn das so ist, dann sag mir wo ich ihn finde – den knüpfe ich mir vor!“ „Nein, nein er hat mir nicht weh getan, im Gegenteil!“, beeilte sich Susanne zu sagen. „Mama, ich warte!“, maulte nun Mia. „Wir reden ein anderes Mal!“, sagte Susanne schnell und lief zu Mia. „Ruf bitte an, wenn ihr gut zu Hause angekommen seid“, bat Eva.
Daheim angelangt steckte Susanne Mia erst noch in die Dusche, bevor sie sie ins Bett brachte. Mia schlief sofort ein.
Susanne ging ins Wohnzimmer und legte sich aufs Sofa. An den Abenden, wenn Mia im Bett war und alles still, vermisste sie Andreas am meisten. Gerade dann musste sie immer an ihn denken. Es war jetzt Zeit für ihren ersten Brief an ihn.
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Lieber Andreas,
ich hoffe Du bist gut und sicher angekommen an Deinem Zielort. Ich wüsste so gerne, wie es Dir geht in diesem fremden Land. Hast Du viel Arbeit? Wenn ja, wäre das ja gut, oder? – dann vergeht die Zeit schneller.
Übrigens, Du kannst mich beglückwünschen! Ich bin jetzt Anwältin! Vor der zweiten mündlichen Prüfung hatte ich richtig Respekt. Zumal ich total durch den Wind, und aus den Dir bekannten Gründen, ziemlich übernächtigt war ;-). Heute habe ich schon meine erste Arbeitswoche als Anwältin hinter mir. Ich muss sagen, ich mag diese Arbeit. Die Kollegen sind alle sehr hilfsbereit und auch meine beiden Chefs sind ganz in Ordnung. Bis jetzt.
Am Abend nach der Prüfung, hatten Mia und mein Bruder Stefan, eine Überraschungsparty für mich organisiert. Ich hab mich wirklich gefreut. Sie hatten jede Menge Freunde, Familie und Bekannte eingeladen. Mein Vater Willi hat höchstpersönlich die Bowle angesetzt. Und meine Mutter Trude hat mir meinen Lieblingskuchen gebacken. Sogar Bernd kam rauf und hat mich gedrückt. Markus, Thomas und Martin waren auch da. Als ich Martins Miene gesehen habe, musste ich mich echt zusammenreißen, um nicht vor meinen Gästen in Tränen auszubrechen. Also bin ich auf die Dachterrasse gegangen und hab doch tatsächlich eine geraucht! Eigentlich tue ich das gar nicht. Martin ist mir gefolgt. Wir haben dann gemeinsam an Dich gedacht und er hat versucht mich zu trösten. Es tat gut, dass jemand bei mir war, der Bescheid wusste und dem es ähnlich ging wie mir.
….Jetzt fühle ich mich schlecht. Ich habe hier jemanden zum Ausheulen und Du bist dort ganz allein. Entschuldige bitte! Aber sei gewiss – in Gedanken bin ich jede Minute bei Dir!
Ich stell mir Dich gerade vor mit Deinen braun-grünen Augen, die ganz dunkel schimmern in Deiner wahrscheinlich olivgrün fleckgetarnten Uniform? Ich hätte Dich aber lieber in zivil hier bei mir! Wirklich, ich würde Dich so gerne in meiner Nähe haben, Dich im Arm halten, Dich spüren. Du fehlst mir! Unsere Nacht war so wunderschön und ich muss immer wieder daran denken! Diese Gedanken sind wie ein Kelch, aus dem man nicht aufhören möchte zu trinken.
Genug der Sentimentalitäten !
Heute war es so heiß, dass Mia hitzefrei hatte. Gott sei Dank ist meine beste Freundin Eva gerade in Mutterschutz und konnte Mia von der Schule mit zu sich nehmen, weil ich ja arbeiten musste. Sie hat uns dann gleich noch für Abends zum Grillen eingeladen. Mia hatte mit Evas Kindern Kathrin und Christian genug Beschäftigung, so dass es ihr nicht langweilig wurde. Weil es so warm war, konnten wir richtig lange draußen sitzen. Um neun sind wir dann nach Hause und Mia war so erledigt, dass sie gleich eingeschlafen ist. Und jetzt, jetzt sitze ich hier allein auf meinem Sofa und denke an Dich!
Bitte Andreas, pass auf Dich auf! Ich hab nur den einen Wunsch, Dich gesund und wohlbehalten wiederzusehen!
Ich liebe Dich!
Susanne
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Andreas kam um ca. neun Uhr in das Schlafzelt. Seine Kameraden hatten es sich schon bequem gemacht. Er selbst hatte weder gegessen, noch sich eine kleine Pause gegönnt. Seinem Team hatte er schon vor zwei Stunden Feierabend verordnet und selbst die letzten drei Patienten übernommen. Alle Zivilisten. Jetzt war er hundemüde. Vielleicht würde er heute Nacht schlafen können.
„Hey Doc!“, sagte Philipp (kurz: Phil, lang: Feldwebel Philipp Baumgärtner) im Feldbett neben ihm. „Auch endlich Schluss?“, fragte er ihn. „Ja, jetzt ist auch genug. Ich kann kaum noch stehen. Heute Nacht schon die Operationen der zwei zivilen Kinder, heute Morgen der Aufklärungseinsatz und seitdem ununterbrochen ein Patient nach dem anderen!“, antwortete Andreas müde. „Leg dich hin, wir wecken dich wenn es was gibt!“, sagte Matthias (kurz: Mat, lang: Leutnant Matthias Kofler) der das Feldbett gegenüber von ihm nutzte. „Hast du gegessen?“, wollte Phil wissen. „Nein, ich hab aber jetzt auch keinen Hunger – bin viel zu müde“, sagte Andreas kurz. „Na dann, schlaf gut Doc!“ Andreas glitt in einen unruhigen Schlaf – aber immerhin schlief er.
Am nächsten Morgen weckte ihn Phil: „Hey Doc, deine Patienten warten!“ Andreas setzte sich auf und zog sich langsam an. Dann ging er zu den Sanitär-Baracken um zu duschen. Danach machte er sich auf zum Frühstück in den Hauptcontainer. Er setzte sich zu Phil und Mat an den Tisch. Dort saßen auch noch seine Sanitätsoffiziere Tobias Moll (kurz: Tobi) und Christoph Schneider (kurz: Chris). Jetzt hatte er wirklich Hunger. Sein Frühstück bestand aus Haferflocken mit Milch. Dann ging es wieder los im Lazarettzelt. Ähnlich wie am vorherigen Tag, kam Andreas nicht zur Ruhe. Um acht war er zurück im Schlafcontainer. Phil, Mat, Tobi und Chris waren schon da. Andreas setzte sich auf sein Feldbett und zog sich die Schuhe aus. Dann endlich begann er einen Brief zu schreiben.
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Hallo Susanne,
ich bin hier gut angekommen. Ich hoffe Du hast Deine Prüfung bestanden und bist jetzt Anwältin? Ich wäre unheimlich stolz auf Dich!
Das Leben hier ist ganz anders als zu Hause. Allein an das Klima muss man sich gewöhnen, es ist heiß, heiß und noch mal heiß. Ich bin hier untergebracht in einem Schlafcontainer ausgelegt für dreißig Soldaten. Im Augenblick sind wir aber nur fünfundzwanzig. Die anderen sind in Ordnung. Die ersten Tage hatte ich viel mit der Organisation, des Lazaretts, zu tun. Jetzt sind mein Team und ich schon ein bisschen eingespielt. Wir haben hier immer was zu tun.
Zum Essen brauchen wir nur Löffel. Messer und Gabel erübrigen sich bei den Tütenmahlzeiten, die mit ein bisschen heißem Wasser genießbar gemacht werden. Diese Rationen haben es aber richtig in sich – absolute Elektrolyt – Packungen. Sind gerade ideal, um auch mit wenig Essen, einen hohen Energielevel zu halten. So haben die Soldaten, auch bei mehrtägigen Touren, genug Verpflegung, um bei Kräften bleiben zu können.
Heute Morgen habe ich versucht zu duschen. Mal abgesehen davon, dass der Zutritt ohne Badeschuhe absolut unmöglich ist, muss man Glück haben wenn nicht schon zehn andere die Idee vor einem hatten, so dass die Wasserration für diesen Tag aufgebraucht ist. Heute hatte ich Glück und war der Zweite. Die Duschen sind zwar nicht vergleichbar mit zu Hause aber es war göttlich endlich duschen zu können und sich sauber zu fühlen! zu Hause weiß man so etwas gar nicht richtig zu schätzen. Hier ist es wie Weihnachten.
Ich hoffe Euch geht es gut? Was macht Mia? Bei Euch ist jetzt Sommer, da wird sie bestimmt jeden Tag ein Eis essen, oder? Das würde mir jetzt übrigens auch schmecken. Ich wäre aber auch schon mit einer Scheibe frischen Brotes zufrieden.
Du fehlst mir!
Vorgestern habe ich mich auf den Weg zur Streitkräftebasis gemacht. Dort sind sie zuständig für die Nachrichtenübertragung. Von dort aus kann man telefonieren und ins Internet. Sie sagten mir, dass pro Monat nur ein Telefonat möglich ist und das auch nur mit Familienangehörigen, um die Organisation und Sicherheit besser gewährleisten zu können. Es ist wohl nicht ganz einfach hier eine sichere Verbindung zu kriegen. Und weil wir ja am Stützpunkt ein paar mehr sind, muss man einen Termin vereinbaren zu dem man dann telefonieren darf. Total kompliziert.
Deswegen habe ich mir gedacht, vielleicht sind Briefe ja schneller? Leider werden die auch immer mal wieder stichprobenweise geöffnet und von irgendeinem Kontrollteam gelesen. Man sollte also aufpassen, was man schreibt .
Ich bin leider ziemlich müde, hab nicht viel Schlaf gekriegt seit ich hier bin. Und mir fallen gerade, immer die Augen zu. Ich werde mir jetzt Dein Bild nehmen und dann versuchen zu schlafen. Gute Nacht!
Bis irgendwann. Ich liebe Dich! Andreas
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Einen Monat später…
Susanne hatte heute ihren langen Donnerstag im Büro. An diesen Tagen war Mia dann gewöhnlich immer bei Eva, aber momentan nicht, wegen dem Baby. Und weil jetzt Ferien waren, besuchte Mia für die nächsten drei Wochen ihre Großeltern.
Eva´s Baby, ein Mädchen, Julia genannt, war vor vier Wochen, am zwölften Juli geboren. Deshalb hatten Eva und Susanne seit dem Grillen auch keine Gelegenheit mehr für ein Gespräch gehabt. Aber heute Abend waren sie verabredet. Alexander musste auf die Kinder aufpassen. Eva meinte, sie hätte es nötig mal für ein paar Stunden rauszukommen. Zur Unterstützung hatte sich Alexander aber seine Mutter ins Boot geholt.
Sie waren im Paolo´s verabredet. Susanne fuhr vom Büro direkt dorthin. Eva war schon da. Als Eva Susanne sah sprang sie gleich auf und nahm sie in den Arm. „Schön dich zu sehen!”, sagte Susanne. „Das finde ich auch.”
„Na wie läuft es so? Ist alles okay mit dem Baby?“ „Ja, bei uns läuft alles“ „Was macht deine Arbeit in der Kanzlei? Gefällt es dir noch?“ „Ja, es gefällt mir wirklich gut. Ich war sogar schon zweimal vor Gericht! Und ich überlege, ob ich wirklich Notarin werden will.“ „Susanne die Anwältin! Die Vorstellung gefällt mir irgendwie“, grinste Eva. Als der Kellner die Bestellung der beiden aufgenommen hatte, erzählte Eva Susanne von Julia, Kathrin und Christian. Eine richtig tolle Familie, dachte Susanne und wurde fast ein wenig wehmütig. Ungewollt wurde sie neidisch. Was war mit ihrer Familie? Na ja, sie hatte Mia. Und da war er wieder, der Gedanke an Andreas. Er war jetzt schon über zwei Monate weg und mit jedem Tag fehlte er ihr noch mehr. Ganz besonders wenn sie alleine war, so wie jetzt wo Mia weg war. Sonst lenkte sie zwar Mia ab, aber trotzdem fehlte er ihr sehr. Eva, die Susannes nachdenklichen Blick gesehen hatte, nahm sich jetzt vor, endlich mehr in Erfahrung zu bringen und näher nachzuhaken. „Susanne, was ist eigentlich mit diesem Andreas? Ich meine, ich habe ihn noch nie gesehen, außer in der Tram, und ich höre dich auch nie von ihm sprechen.“ Susanne schrak aus ihren Gedanken hoch. Warum nur musste Eva immer ins Schwarze treffen? Damit hatte sie Susanne eiskalt erwischt. Sie konnte fühlen, wie ihre Augen feucht wurden, was wohl auch Eva gesehen hatte. „Oh Susanne, das wollt ich nicht. Er hat dir doch wehgetan, oder? Er hat Schluss gemacht, nicht wahr? Deswegen sprichst du nicht von ihm!“ „Nein, hat er nicht. Andreas ist, in Syrien!“, – Susanne hatte es auf dem Stempel des Briefes gesehen – , „Er wurde von der Bundeswehr verpflichtet, für vier Jahre. Als Arzt. Dass wir uns lieben, haben wir erst am Abend, vor seiner Abreise gemerkt. Das war die Nacht, in der du mich angerufen hast. Eigentlich hätten wir lange vorher bemerken müssen, dass wir uns lieben. Aber beide haben wir gedacht, wir hätten noch Zeit. Und jetzt? Jetzt sitzt er mitten im Krisengebiet. Ich habe ihn seitdem, weder gesehen noch gesprochen, und ich hab eine Riesenangst um ihn!“, erzählte Susanne Eva jetzt alles.
Diese saß nun ebenfalls ziemlich erschüttert da. „Oh Mäuschen! Was musst du durchmachen! Kann ich irgendetwas tun?“ „Nein, das kannst du nicht. Ich selbst kann ja nichts tun!“ „Und war er einfach so einverstanden mit dieser Verpflichtung oder hat er sich gar freiwillig gemeldet?“ „Nein ganz und gar nicht. Aber sie haben ihm keine Wahl gelassen. Entweder Einsatz oder Gefängnis.“ „Oh Mann! Und was meinst du mit, dass ihr das hättet vorher feststellen müssen, dass ihr euch liebt?“ „Na ja, wir kennen uns schon länger. Und immer war da so ein Gefühl. Anscheinend ging uns das beiden so. Aber irgendwie haben wir beide unseren Beruf in den Vordergrund gestellt, weil wir wie gesagt dachten, es wäre noch Zeit!“ „Verstehe! Und was hast du jetzt vor? Willst du wirklich vier Jahre lang warten auf ihn? Versteh mich nicht falsch, aber das ist eine lange – lange Zeit“ „Eva ich liebe ihn! Ich liebe ihn so sehr, dass es weh tut! Für mich ist er die Liebe meines Lebens! Das zwischen uns ist so stark! Ich werde auf ihn warten, egal wie lange. Ich denke fast jede Minute des Tages an ihn. Er fehlt mir so sehr! Abends, wenn Mia schläft ist es am Schlimmsten. Außerdem will ich niemand anderen.“ Eva hatte ihre Freundin noch nie so ernst und mit solch starken Gefühlen über einen Mann reden hören. Sie wollte ihr so gerne helfen „Oh Sanne! Ich würde so gerne was für dich tun!“ „Das weiß ich!“ „Und warum ist es so schwierig Kontakt aufzunehmen? Ich meine wir leben doch im Zeitalter der Telekommunikation, oder?“, stellte Eva nun fest. „Ja, aber es sind zu viele Soldaten an seinem Stützpunkt stationiert. Die Leitungen würden zusammenbrechen und sind obendrein nicht sicher. Sie dürfen deshalb nur einmal im Monat mit ihren Familien telefonieren.“ „Woher weißt du das Sanne?“, fragte Eva etwas überrascht. „Na ja, wir sind jetzt zum altmodischen Briefeschreiben übergegangen. Aber das dauert ewig, bis die Post kommt. Ich würde so gerne seine Stimme hören und am Liebsten jede Sekunde wissen, ob es ihm gut geht und er sicher ist. Aber wie soll er sicher sein – in solch einem Land, wo der Terror an der Tagesordnung ist?“, wieder schossen ihr Tränen in die Augen. Auch Eva schaute ganz traurig drein. „Weißt du Eva – er gehört dort nicht hin. Passt dort nicht hin. Es ist so unfair!“, jetzt kullerten Susannes Tränen unaufhaltsam über ihr Gesicht.
„Sanne! So hab ich dich noch nie gesehen. Dich hat es ja richtig erwischt! Du liebst ihn wirklich, oder?“ Susanne nickte. „Und du hast Recht, ich finde so was auch unfair! Hat er denn nicht irgendwann Urlaub?“, warf Eva nun ein. „Vielleicht - ich weiß es nicht!“, sagte Susanne, die sich jetzt wieder ein wenig beruhigt hatte.
Dann kam das Essen und Eva versuchte Susanne mit anderen Themen abzulenken.
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Der Samstag danach …
Diese Nacht waren wieder viele Detonationen zu spüren. Irgendwie hatte Andreas dabei nie ein gutes Gefühl. Aber vor allem konnte er nicht so ruhig bleiben wie seine Kameraden. Er war jetzt schon über zwei Monate hier. Heute war der Hochzeitstag seiner Schwester. Es machte ihn traurig, bei der Hochzeit seiner einzigen Schwester mit seinem besten Freund, nicht dabei sein zu können. Um kurz vor vier Uhr machte er sich auf den Weg zur Streitkräftebasis.
Offizier Sommer war nach Deutschland zurückgekehrt. Ihren Platz hatte jetzt Hauptfeldwebel Moser eingenommen. Er war ein eher gemütlicherer Geselle, ein Routinier, das elfte Mal nun schon im Auslandseinsatz. Er hatte schon alles Mögliche erlebt. Andreas konnte ihn gut leiden.
„Hallooo Oberstabsarzt Falk! Ich habe sie schon erwartet – sie können jetzt telefonieren. Ich werde sie solange alleine lassen! Ihr Zeitfenster beträgt eine halbe Stunde“, mit diesen Worten verließ der Hauptfeldwebel die Basis. Es klingelte. Andreas Anruf war bei seinen Eltern angemeldet worden. Im Hause Falk standen alle wie Orgelpfeifen am Telefon. „Hallo?“, sagte eine weibliche Stimme aufgeregt. Mutter, dachte Andreas und musste lächeln. „Hallo“, sagte nun auch er. „Mein Junge! Wie geht es dir?“, fragte seine Mutter erleichtert seine Stimme zu hören. „Mir, geht es gut Mutter! Und wie geht es euch?“, fragte er zurück. „Uns geht es auch allen gut!“ Im Hintergrund hörte er seinen Vater, „Lass mich auch mal ran“, sagen. „Halloo?“, sagte nun die Stimme seines Vaters. „Halloo, Andreas?“, hörte Andreas seinen Vater nochmal sagen. „Hallo Vater, wie geht es dir?“, fragte er nun auch seinen Vater. „Mir geht es gut – abgesehen davon, dass ich mich jeden Tag um meinen Sohn sorge!“ „Vater du weißt ich pass auf mich auf, soweit ich kann! Mach dir bitte keine Sorgen!“, erklärte Andreas. „Was machst du denn den ganzen Tag dort?“, wollte Friedrich wissen. „Vater, ich darf dir das leider nicht sagen, das weißt du!“, erklärte Andreas. „Gar nichts?“, fragte sein Vater enttäuscht. „Fast! Heute haben wir einen Teamwechsel gehabt. Zwanzig Kameraden durften nach Hause. Sie waren schon seit fünf Monaten hier. Dafür sind dreiundzwanzig neue Kameraden angekommen. Man muss sich immer neue Namen merken“, erzählte Andreas, um seinen Vater ein wenig zu besänftigen. Gleichzeitig musste er lächeln, weil er sich seinen Gesichtsausdruck im Augenblick genau vorstellen konnte. Dieser schmollte sicherlich – weil ihm das nicht Information genug war. „Vater, ist Sophie in der Nähe?“, fragte er nun. „Ja sie steht hinter mir und will immer den Hörer haben. Aber ich bin noch nicht fertig – ich will noch mal mit dir sprechen, ja?“ „Ja, Vater!“ „Hallo Andreas?“, hörte er nun die aufgeregte Stimme seiner kleinen Schwester. „Hallo Kleine“, mit einem Mal meldete sich ein kleines Stechen aus seiner Herzgegend. „Sophie! Hast du auch wirklich ja gesagt?“, versuchte er zu scherzen. „Ja“, schluchzte Sophie nun aufgewühlt am anderen Ende der Leitung. „Kleine, ich wünsche euch beiden von ganzem Herzen, viel Glück für euren gemeinsamen Lebensweg! Ich wünsche euch, dass ihr alles zusammen in Angriff nehmen könnt und immer füreinander da seid. Ich hab dich sehr lieb!“ Am anderen Ende der Leitung hörte er sie jetzt noch mehr schluchzen. „Andreas, ich wünschte du wärst hier!“, sagte sie stockend. „Das wünschte ich auch“, gab er traurig zurück. „Ich danke dir für deine Glückwünsche Bruderherz und hoffe, dass du bald wieder zu Hause bist! Wobei mir am liebsten wäre, du würdest sagen, ja, ich stehe schon vor der Tür!“, schluchzte sie immer noch. „Ich weiß“, antwortete er leise. „Andreas, ich gebe dir jetzt Martin bitte pass auf dich auf! Ich hab dich auch lieb!“, mit diesen Worten gab sie den Hörer an Martin weiter. „Hallo mein Freund!“, hörte er Martin auf der anderen Seite der Leitung. „Hallo Martin, ich wünsch euch alles Glück auf Erden. Und du weißt ja, wehe du bist nicht gut zu meiner Schwester!“, scherzte er jetzt, nicht besonders überzeugend. „Andreas, ich bin jetzt in einem anderen Raum! Wie geht es dir?“, wollte er wissen. „Es ist alles okay“, antwortete Andreas. „Wirklich?“, hakte Martin nach, der das nicht ganz glaubte. „Ja, den Umständen entsprechend. Es wird hier nicht mein Lieblingsplatz, wenn du das meinst. Ich versuche mich zu arrangieren, mir bleibt nichts anderes übrig oder?“, entgegnete Andreas. „Ich weiß, mein Freund. Ich hätte dich so gerne hier. Du fehlst uns allen sehr!“ Stille. Dann brachte Andreas leise hervor: „Ich wäre auch gerne bei euch.“
„Andreas, ich habe hier noch jemanden, der gerne mit dir telefonieren möchte! Pass bitte auf dich auf und komm gut zurück, ja?“ „Ich tue mein Bestes!“, antwortete Andreas. „Ich gebe dich jetzt weiter“, sagte Martin nun. Und dann konnte er eine weibliche Stimme hören: „Hallo? Andreas?“ Susanne! Dachte er bei sich. „Hallo!“, flüsterte er und fühlte Tränen in sich hochsteigen während es ihm gleichzeitig warm ums Herz wurde. „Wie geht es dir?“, fragte sie. Plötzlich gab es wieder eine Detonation, Andreas konnte die Schallwellen spüren. „Susanne?“, rief er aber er konnte es nur noch rauschen hören und erhielt keine Antwort. Die Leitung war tot. Mist! Dachte er bei sich.
Susanne hielt den Hörer ungläubig in der Hand. Sie hatte eine Explosion gehört und auf einmal war die Leitung tot. Andreas! Sie war kreidebleich und zitterte. Martin, der neben ihr stand, sah das und fragte: „Was ist? Habt ihr schon fertig telefoniert?“ „Nein!“, und sie erzählte Martin alles.
Dieser ließ sich gleich mit dem Zentralstützpunkt in Frankfurt verbinden. „Susanne, kein Wort zu den anderen ja? Wir wollen sie nicht beunruhigen“, mahnte er, jetzt selbst kreidebleich. „Ja, ich hab verstanden“, flüsterte sie.
Hauptfeldwebel Moser kam in die Basis zurück und fand Andreas ziemlich aufgewühlt vor. Dieser erzählte ihm von dem plötzlichen Zusammenbruch der Leitung und dem abrupten Ende des Telefonats. Zu Hause mussten sich alle Sorgen machen. Das begriff auch der Hauptfeldwebel schnell. Er versuchte die Leitung wieder aufzubauen, was nach anfänglichen Schwierigkeiten auch gelang.
Vor der Basis wartete schon der nächste Telefonkandidat. Aber Andreas wollte wenigstens noch Bescheid geben, dass bei ihm alles in Ordnung war. Es hatte ihm so gut getan, sie alle zu hören. Gleichzeitig vermisste er sie alle jetzt noch mehr.
Nach gut zehn Minuten stand die Leitung wieder und Hauptfeldwebel Moser ließ noch einmal die Nummer von Andreas Eltern wählen.
Sofort wurde der Hörer abgenommen. „Andreas?“, hörte er die aufgebrachte Stimme von Martin. „Ja! Mir geht es gut Martin!“, sagte Andreas schnell. „Was, um Himmels Willen war das?“, fragte Martin. „Eine kontrollierte Sprengung, das passiert hier öfters. Dadurch wurde die Verbindung unterbrochen. Wir kriegen hier nur schwer eine sichere Leitung!“, entgegnete Andreas. „Okay, ich geb dich noch mal weiter. Bitte pass auf dich auf“, mahnte Martin noch einmal. „Warte! Sag bitte Vater und Mutter, dass ich sie liebe! Wir hören uns im September. Bis dann“, sagte Andreas noch. „Hallo?“, konnte er die wackelige Stimme hören am anderen Ende hören. Für Susanne waren es die längsten zehn Minuten ihres Lebens gewesen. „Susanne – Liebling, bei mir ist alles in Ordnung! Es ist nichts passiert, das ist hier normal. Mach dir bitte keine Sorgen! Ich muss leider aufhören, der Nächste wartet schon darauf zu telefonieren. Ich liebe dich Susanne! Pass auf dich und Mia auf.“ „Ich liebe dich auch, Andreas!“, erwiderte sie ziemlich leise und aufgewühlt. „Bis dann!“, sagte er noch. „Bis dann!“, sagte sie, dann hatte er aufgelegt.
Susanne ging sehr blass und durcheinander zurück in den riesigen Garten von Andreas Elternhaus.
Martin hatte Sophie von Susanne und Andreas erzählt. Und so hatten die beiden, sie und Mia noch zur Hochzeit eingeladen. Susanne fand, dass es eine schöne Hochzeit war. Auch wenn einer fehlte und man das die ganze Zeit über spüren konnte. Susanne hatte Andreas Familie kennengelernt. Sie war fasziniert von seinem Vater. Konnte sie doch seinen Sohn in ihm wiederfinden. Die beiden waren sich wirklich sehr ähnlich fand sie. Andreas Mutter war ihr gegenüber ziemlich distanziert. Susanne erschien es so, als wäre sie ein wenig eifersüchtig auf sie.
Mit den Augen suchte Susanne den Garten jetzt nach Mia ab. Diese hatte natürlich gleich wieder Anschluss gefunden. Und auch noch männlichen. Paul – ein Cousin von Andreas – seinerseits zehn Jahre alt und schon ganz schön überzeugt von sich. Um Mia brauchte sie sich also im Moment nicht zu sorgen. Also ging sie weiter durch den Garten und bekam von allem anderen um sich herum nichts mit. Als wäre sie in einer anderen Welt. In Gedanken bei Andreas. Sie steuerte den Weg Richtung Waldsee an. Direkt am See war ein kleines Bootshaus von dem aus ein Steg auf den See führte. Susanne setzte sich und ließ die Beine ins Wasser gleiten. Das tat gut. Sie wollte jetzt einfach kurz alleine sein. Andreas Stimme zu hören, hatte sich gut angefühlt, auch wenn es nur sehr kurz gewesen war. Sie fand, dass er sich sehr gefasst und stark anhörte. Trotz allem tat es weh – er gehörte hierher – gerade heute. Er sollte nicht dort sein. Wieder einmal wurden bei dem Gedanken an ihn ihre Augen feucht und ihr war schlecht. Wie schön wäre es jetzt hier mit ihm zu sitzen. Auf den See zu schauen und gleichzeitig seine Nähe zu spüren.
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Andreas verließ die Streitkräftebasis. Immer noch war alles in ihm verkrampft. Die Stimmen von allen zu hören, sich vorzustellen, wie sie heute feierten. Er stellte sich Sophie vor in einem weißen Brautkleid und Martin mit Anzug und wahrscheinlich Krawatte. Und seine Eltern – sein Vater bestimmt mit allen Ehrenauszeichnungen auf dem Jackett. Seine Mutter wackelig auf Stöckelschuhen. Allesamt glücklich an diesem Tag.
Ja und er sah Susanne vor sich. Plötzlich wünschte er sich von ganzem Herzen, bei ihnen zu sein. Und es überkam ihn ein Schmerz, der ihn von innen heraus zu zerreißen schien. Er fühlte Tränen in seinen Augen und er hatte ein Gefühl – so als hätten sie alle ihn allein gelassen. Ja, er fühlte sich allein. Im Stich gelassen. Ausgeliefert. Er war wütend auf das Alles hier. Und doch konnte er nichts tun.
Irgendwann sah er Chris auf sich zu laufen. „Doc! Kommen sie schnell – ein Notfall!“ Andreas musste sich einmal wieder zusammenreißen und seine Emotionen unterdrücken. Sentimentalitäten halfen an diesem Ort nicht weiter, waren hier einfach fehl am Platz. Im Gegenteil, sie machten einen schwach. Zu schwach, um das hier auszuhalten. Also gestand er sich solche Momente nur selten zu. Nur so war es ihm möglich, hier zu überleben und sich jeden Tag durchzubeißen.
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