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Am nächsten Morgen brauchte Bremer zwei Aspirin, zwei Kannen Tee und ausgiebige Zeitungslektüre im Bett, um den Schaden vom Abend zuvor zu beheben. »Eines der vielen Gläser muß schlecht gewesen sein«, murmelte er bei seinem Anblick im Badezimmerspiegel, bevor er beschloß, sich heute nicht zu rasieren.

Nachdem Kosinski gegangen war, hatte er sich in Ruhe ein Kaminfeuer angezündet, was zu essen gemacht, Musik aufgelegt und reichlich Wein eingeschenkt. Um genau zu sein: Er hatte sich betrunken. Und gerade noch soviel Verstand gehabt, Anne nicht anzurufen.

Warum? hatte er sie fragen wollen. Warum dieser radikale Bruch? Was hast du zurückgelassen? Was hat dich bierhergetrieben? Die Liebe zur Scholle? Oder nur eine schlichte, kleine private Katastrophe? Wie bei ihm?

»Dann hättest du endlich einen Grund, sie zu trösten«, dachte er. Wobei er sich keineswegs sicher war, daß das ein befriedigender Ersatz wäre für all die anderen Gefühle, die er im Verhältnis zu ihr vermißte. Ihm war heute morgen auch im nüchternen Zustand nicht ganz klar, was ihn eigentlich so anzog an ihr. Sie dachte nicht daran, sich ihm anzuvertrauen. Und sie dachte nicht daran, seine Gefühle zu erwidern. »Was ihre verdammte Christenfreiheit ist, Bremer«, brummte er und klopfte im Vorübergehen mit dem Knöchel heftiger als nötig auf das Barometer.

Es fiel. Wie passend.

Vor der Haustür lauerten vier der Katzen, die mit unruhigen Pfoten und leisem Klagen erwarteten, daß er endlich seine verdammte Pflicht tat. Paul holte eine große Dose aus der Vorratskammer und den Dosenöffner aus der Schublade. Die Kerle wurden langsam teuer. »Ersatzweise ausgeübtes Sorgerecht«, hatte Karen einmal gespöttelt, die seine Liebe zu den kleinen Viechern nicht ganz nachvollziehen konnte. Vielleicht hatte sie recht. Paul lehnte sich in den Türrahmen und betrachtete die vier schmatzenden Tiere. Für wen sollte er auch sonst sorgen?

Im Haus gegenüber öffnete sich geräuschvoll das Küchenfenster. »Wo ist Willi?. rief Paul zu Marianne hoch, die sich aus dem Fenster lehnte.

»Auf dem Acker! Wieso?«

»Kann er dir nicht endlich mal das Küchenfenster abhobeln? Das ist doch völlig verzogen!«

»Meinst du?« fragte Marianne, leise zweifelnd – wahrscheinlich vor allem an den praktischen Gaben ihres Mannes. Willi war nicht für Feinheiten bekannt.

»Vor allem«, sagte Paul und faßte sich an den schmerzenden Kopf, »ist es so infernalisch laut.«

»Du hast wohl gestern reichlich gebechert?« Marianne entging nichts. Auch nicht der Besuch Kosinskis. »Paß bloß auf! Dem trau ich keinen Fußbreit über den Weg!«

»Was hast du denn gegen euren netten Sheriff?« fragte Paul.

»Der hat doch keine Ahnung«, beschied ihn Marianne ungnädig. »Der schwätzt doch bloß rum. Tut sich dicke. Macht einen auf verständnisvoll. Und versteht die einfachsten Sachen nicht.«

»Woher weißt du das?« fragte Paul und hob die Augenbrauen.

»Ich hab ihn in der Sektbar auf der Kerb in Altenzell mal durchgetestet. Ich sag’s dir: Keine Ahnung hat der Kerl.«

»So ahnungslos wie ich?«

»Schlimmer.« Marianne verschränkte die Arme auf dem Fensterbrett und versuchte ihre Stimme verschwörerisch zu dämpfen.

»Weißt du, wer der Vater vom kleinen Peter ist, dem aus Heckbach, der nicht ganz richtig ist im Kopf?«

»Der arme Junge, der die alte Hanna auf dem Gewissen hat?« Die alte Hanna hatte sich von dem Jungen so erschrecken lassen, daß sie vom Rad gestürzt und am Herzinfarkt gestorben war. Seither galt der kleine Peter als »schwierig«.

Marianne streckte den Kopf vor und äugte nach rechts, zur Straße. Niemand war zu sehen. »Gottfried«, flüsterte sie laut.

Bremer schüttelte ungläubig den Kopf und stemmte die rechte Hand in die Seite. »Ach was!«

Marianne nickte und machte ein ernstes Gesicht.

»Von so was hat dein Polizist keinen blassen Schimmer.«

Gottfried. Der glückliche Gottfried. Bremer war zu seiner Überraschung schockiert. Aus moralischen Gründen? Mit Sicherheit nicht. Weil Gottfried ein anderer war, als den er ihn sich vorgestellt hatte?

Marianne schloß ihr Fenster geräuschvoll. Paul streichelte geistesabwesend den kleinen grauen Kater. »Man will dir dein Lieblingsspielzeug wegnehmen, Bremer«, sagte er sich mit einem Rest von Selbstironie. »Die heile Welt.«

Paul Bremer schreckte aus dem Mittagsschlaf, zu dem er sich aufs Sofa gelegt hatte. Die kleine Pendeluhr schlug dreimal. Und draußen klopfte es an der Haustür, laut und ungeduldig. Der Blick durch das schmale Fenster neben der Haustür belehrte ihn über die Vergeblichkeit aller Pläne für den heutigen Tag: Draußen stand Wilhelm, und Paul ahnte, was auf ihn zukam.

Der Ortsvorsteher war ein begeisterter Freizeitgärtner; bei ihm standen Himbeer- und Brombeerruten korrekt ausgerichtet, war die Weißdornhecke zentimetergenau geschnitten, hatte der Chinakohl niemals Läuse. Auch die Kompostmieten standen ordentlich im Quadrat und waren im Herbst von riesigen gelben Kürbissen bewachsen. Paul hatte vor vier Jahren den Fehler begangen, Wilhelm seine Schwäche für süßsauer eingelegten Kürbis zu gestehen. Seither brachte ihm der Ortsvorsteher jedes Jahr um diese Zeit einen Kürbis vorbei – auf der Schubkarre, die er hinter Wilhelms Rücken bereits gesehen hatte.

Süßsauer eingelegter Kürbis war eine prima Sache, fand Paul noch immer. Nur nicht der Weg dahin. Ein Kürbis – der letzte war gut zwanzig Kilo schwer gewesen – mußte aufgeschnitten, von den Kernen und den baumwollartigen Innereien befreit und dann zerkleinert werden, bevor er in die Einmachgläser paßte. Das dauerte Stunden. Von den sechzig Gläsern vom letzten Mal standen noch zweiundvierzig in der Vorratskammer – obwohl er allen seinen Freunden mindestens ein Glas geschenkt hatte. Städter standen ja bekanntlich auf Selbstgemachtem.

»Ich weiß doch, Sie mögen Kürbis!« sagte Wilhelm freudestrahlend und hielt die Schubkarre fest, während Paul die runde Kugel auf den Gartentisch hievte.

»Vor allem Ihren, Wilhelm«, log Paul.

Er begleitete den Ortsvorsteher zum Gartentor hinaus, nicht ohne ihm, als kleine Rache, eine Kürbiskonserve vom letzten Jahr in die Hand zu drücken. Der runde gelbe Kürbis auf seinem Gartentisch, fand er, schaute ihn vorwurfsvoll an. Dagegen hilft nur eins, dachte er: flüchten, nicht standhalten.

Es war ihm egal, ob Anne ihn sehen wollte. Er wollte zu ihr.

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