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5. Das Caroline-Urteil des EGMR – Inhalt und „Einpassung“ in das deutsche Rechtssystem – Das Hannover II-Urteil des EGMR

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Streitgegenstand des Caroline-Urteil des EGMR waren einige Fotoserien, die Caroline von Monaco allein oder in Begleitung von Dritten in Privatsituationen zeigen, beispielsweise im Ski-Urlaub oder mit ihrem zeitweisen Lebensgefährten auf der Terrasse eines Restaurants.

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Der Gerichtshof sah – anders als das BVerfG – durch die Fotos die Rechte von Caroline von Monaco aus Art. 8 EGMRK verletzt. Dabei sind in der Beurteilung des Umfangs der Privatsphäre keine wesentlichen Unterschiede zur bundesdeutschen Rspr. zu erkennen. Allerdings bestehen wesentliche Unterschiede hinsichtlich des – nach der EGMRK durch Art. 10 geschützten – Ausgleichs mit der freien Meinungsäußerung und Pressefreiheit. Der EGMR schränkte damals noch den „Schutzbereich“ der Pressefreiheit ein:

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„Der Gerichtshof ist der Ansicht, dass ein grds. Unterschied gemacht werden muss zwischen einer Berichterstattung über Fakten, die – selbst wenn sie kontrovers behandelt werden – geeignet sind, zu einer Debatte in einer demokratischen Gesellschaft beizutragen, wenn sie sich auf Politiker bspw. in Ausübung ihrer Ämter bezieht, und einer Berichterstattung über Einzelheiten zum Privatleben einer Person, die überdies solche Funktionen wie im vorliegenden Fall nicht ausübt. Wenn die Presse im ersten Fall auch ihre wesentliche Rolle als „Wachhund“ in einer demokratischen Gesellschaft spielt und dazu beiträgt, „Ideen und Informationen zu Fragen von öffentlichem Interesse weiterzugeben“, so trifft dies auf den zweiten Fall nicht zu. …“[427]

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Ferner kritisiert der EGMR die Figur der in der „absoluten“ Person der Zeitgeschichte als nicht eindeutig unterscheidbar zur „relativen“ Person der Zeitgeschichte, da bei dieser Unterscheidung der Einzelne nicht genau wisse, wann er sich in welchem Schutzbereich befinde. Das Kriterium der örtlichen Abgeschiedenheit sei zudem in der Praxis zu vage.[428]

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Soweit der EGMR das Informationsrecht der Öffentlichkeit vor allem bei Aspekten des Privatlebens von Personen des öffentlichen Lebens, insbesondere bei Politikern als gegeben ansieht, hat er dieses Recht seitdem weiter gestärkt. Nicht nur bekräftigte er, dass die Grenzen zulässiger Kritik bei Politikern oder der Regierung weiter gezogen seien als bei Privatpersonen; zur journalistischen Freiheit gehöre auch die Möglichkeit einer gewissen Übertreibung und sogar Provokation.[429]

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Das damalige Urteil hat Zuspruch und Kritik erfahren. Unabhängig vom inzwischen revidierten völligen Ausschluss der unterhaltenden Presse aus dem Schutzbereich der Pressefreiheit blieb der Gerichtshof damals jede Begründung dafür schuldig, warum es jenseits von Parlamentsdebatte, Pressekonferenzen von Regierungen und vergleichbaren Ereignissen nicht auch profanere Themen gibt, die Menschen interessieren können.[430]

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Das BVerfG stellte bereits mit einem Beschl. des 2. Senats vom 14.10.2004 in einer Familienrechtssache das dogmatische Verhältnis zwischen Urteilen des EGMR und der Rspr. der Mitgliedstaaten aus seiner Sicht klar.[431] Es gab den Instanzgerichten die folgende „Handreichung“ mit:

„Solange im Rahmen geltender methodischer Standards Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet sind, trifft deutsche Gerichte die Pflicht, der konventionsgemäßen Auslegung den Vorrang zu geben. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Beachtung der Entscheidung des Gerichtshofes etwa wegen einer geänderten Tatsachenbasis gegen eindeutig entgegenstehendes Gesetzesrecht oder deutsche Verfassungsbestimmungen, namentlich auch gegen Grundrechte Dritter verstößt. „Berücksichtigen“ bedeutet, die Konventionsbestimmung in der Auslegung des Gerichtshofs zur Kenntnis zu nehmen und auf den Fall anzuwenden, soweit die Anwendung nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen Verfassungsrecht verstößt. Die Konventionsbestimmung muss in der Auslegung des Gerichtshofs jedenfalls in die Entscheidungsfindung einbezogen werden, das Gericht muss sich zumindest gebührend mit ihr auseinandersetzen.“

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13 Jahre danach ist zu konstatieren, dass die bundesdeutsche Gerichtsbarkeit der Instanzgerichte, des BGH und des BVerfG[432] den „Spagat“ zwischen EGMR und BVerfG insoweit bewältigt hat, dass – unter Aufrechterhaltung des dogmatischen Grundgerüsts – die Privatsphäre in der einzelfallbezogenen Güterabwägung ein größeres Gewicht erlangt hat. So wird weiter betont – anders als beim Ansatz des EGMR – dass auch die Unterhaltungspresse am verfassungsrechtlichen Schutzbereich teilhabe,[433] wenn auch bei der Abwägung zu berücksichtigen sei, ob mit der Veröffentlichung lediglich private Interessen zur Befriedigung der Neugier verfolgt würden.[434] Es bestehe auch – bei Beachtung der stets noch notwendigen Einzelfallprüfung – kein Anlass, den Begriff der „absoluten Person der Zeitgeschichte“ fallen zu lassen.[435] Allerdings wird auch bei solchen Personen von den Gerichten nun in höherem Maße ein besonderes Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ein Kontextbezug zu einem ein solches Interesse auslösenden Ereignis verlangt. Bereits bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „aus dem Bereich der Zeitgeschichte“ sei eine Abwägung der widerstreitigen Grundrechte erforderlich.[436] Das Merkmal des Informationsinteresses der Öffentlichkeit rückt damit in zunehmendem Maße in den Mittelpunkt der Abwägung.[437] Dabei muss auch der Kontext mit einer zugehörigen Wortberichterstattung berücksichtigt werden.[438] Die Frage, ob die Instanzgerichte an die Rechtsprechung des BVerfG zur örtlichen Abgeschiedenheit als dessen tragende Gründe gebunden seien, ist zu Gunsten einer gelockerten Bindung zu beantworten.[439]

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Inzwischen hat auch der EGMR seine Rechtsprechung relativiert und ist der Rechtsprechung des BVerfG entgegengekommen. Im Urteil Hannover II, das sich mit verschiedenen Bildberichterstattungen über Caroline und Ernst August von Hannover befasste, hat der EGMR den Mitgliedstaaten bei der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Recht auf Privatleben „einen gewissen Ermessensspielraum“ zugestanden.[440] Nähmen diese die Abwägung nach den vom EGMR vorgegebenen Kriterien vor, bedürfte es überzeugender Gründe, damit das EGMR die Entscheidung korrigiere.[441] Dabei wurden in der Entscheidung nun Caroline und Ernst August von Hannover als Personen des öffentlichen Lebens anerkannt und es wurde zugleich festgestellt, dass sich unter speziellen Umständen das öffentliche Informationsinteresse auch auf das Privatleben von Personen des öffentlichen Lebens erstrecken kann.[442] Abwägungskriterien könnten im Übrigen sowohl das vorangegangene Verhalten des Betroffenen als auch Inhalt, Aufmachung und Folgen der Veröffentlichung sein sowie die Umstände, unter denen das Foto aufgenommen wurde.[443] Auch bestätigte des EGMR die Rechtsprechung des BVerfG, wonach der Informationswert des Fotos im Licht des begleitenden Textberichts beurteilt werden kann.[444] Dabei hat der EGMR im Hannover II-Urteil auch seine Anforderungen an das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die Rolle der Presse präzisiert. Die Presse habe die Pflicht und Verantwortung, Informationen und Ideen zu allen Fragen des allgemeinen Interesses zu übermitteln und Fotos zu veröffentlichen; auch soweit sie sich z.B. mit dem Trend berühmter Persönlichkeiten befasse, Feriendomizile zu vermieten, beteilige sie sich an einer Debatte von allgemeinem Interesse.[445] Mit dem Hannover II-Urteil und dem Hannover III-Urteil sind vorläufige „Schlusssteine“ unter die Diskussion über etwaige Divergenzen zwischen EGMR einerseits und BVerfG andererseits gesetzt. Beide Gerichte haben ihre Rechtsprechung anhand der Rechtsprechung des jeweils anderen Gerichtes überprüft und sich durch die Verlagerung von Gewichtungen und Akzentuierungen und durch Veränderung wichtiger Nuancen einander wesentlich angenähert, was der Rechtsicherheit äußerst dienlich ist. Der EGMR hat eine entsprechende Haltung auch für die Wortberichterstattung bestätigt.[446]

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